Zeitschrift für Theologie, geistliches Leben und christliche Kultur
„Jeder Schriftgelehrte, der ein Jünger des Himmelreiches geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt.“ (Mt.13,52)
Vom Stellenwert der alttestamentlichen Perikopen im christlichen Gottesdienst. Impulse aus der neueren liturgischen Debatte in Anknüpfung an Henning Theißen: „Die Hermeneutik einer Schatzkammer.“
(K.M.) Da die biblische Schatzkammer ein Fundus ist, welcher in sich selbst Neues und Altes birgt, entlastet sie auch die Kirche in der Frage ob sich die Schriftauslegung eher vom ursprünglichen Textsinn oder von dessen Bedeutung für Gegenwart und Zukunft leiten lassen sollte. Obwohl der Kanon der Hl. Schrift (wie auch die Liturgie als solche) erst in der Tradition der Kirche – aus jüdischen Wurzeln - entstand, erheben die biblischen Texte doch einen unübersehbaren kanonischen Anspruch gegenüber der Kirche. In der Wahrnehmung dieser Tatsache ist es möglich zu sagen, dass sich die Schrift ihre eigenen Rezeptionshorizonte schafft und somit als Schatzkammer aus Alt und Neu zu einer Prophetie ihrer selbst wird.
Wenn in der kirchlichen Liturgie die Schrift über weite Strecken in Semi-Kontinuität also in Bahnlesung erfolgt, dann scheint es hierbei weniger um den katechetischen Aspekt zu gehen, die Gemeinde mit dem Bibeltext vertraut zu machen, oder sich lediglich im Rahmen einer psychologischen Hörmerkspanne auszudrücken, oder den Text im Sinne einer Erfüllungsverheißung zu verkünden, sondern vielmehr darum, den Text in seinem Eigenwert und damit auch in seiner Fremdheit wahrzunehmen und erklingen zu lassen.
So werden in unterschiedlichen Perikopenklassen (Tora, Propheten, Schriften, Epistel und Evangelium) über das liturgische Jahr verteilt sowohl das Evangelium Jesu, als auch die Bibel Jesu gelesen. Indem die neueste Diskussion, in Betonung der Einheit des Kanons, nicht mehr von alt- beziehungsweise neutestamentlichen Schriften, sondern eben von den Perikopenklassen spricht, entfallen alle scheinbaren Widersprüchlichkeiten oder Abgrenzungen zwischen den Testamenten. Die Verkündigung der Kirche erfolgt, wollte man die Identität der eigenen liturgischen Gemeinschaft nicht mit der des Judentums verwechseln (oder diese für sich vereinnahmen), im Wechselgespräch, aber durchaus auch im Widerstreit mit den älteren Brüdern. Daher stellt sich natürlich die brennende Frage wie mit problematischen Texten, welche eine antijudaistische Wirkungsgeschichte entfalteten, umzugehen sei. Die Liturgiker und Exegeten der neueren Debatte sind sich einig, dass derartige Texte nicht mehr einfach ausgelassen, oder gar verschwiegen werden dürfen. Gerade indem Passagen mit negativer Wirkungsgeschichte nicht eliminiert, sondern thematisiert werden, kann das vermeintlich Alte im neuen Licht gesehen werden, können die Texte aus sich selbst heraus zu einem neuen Verständnis führen.
Unter den neueren Perikopenmodellen stechen in diesem Sinne insbesondere das katholische Wiener Modell von Georg Braulik, als auch das evangelische KLAK-Modell des christlich-jüdischen Arbeitskreises hervor. In den Perikopenlesungen kommen sowohl die Gründungsgeschichte Israels, als auch die der Kirche im Sinne einer liturgischen Metastory zu Gehör. Die Basistexte in Tora und Evangelium werden dann jeweils durch die korrespondierenden Texte aus Propheten, Schriften oder Epistel aktualisiert und expliziert. Hierbei steht dem jeweiligen Liturgen eine gewisse Auswahlfreiheit bezüglich der korrespondierenden Perikopen zu.
Die Selbstoffenbarung Gottes geschieht nicht in dessen Majestät, sondern in der Gestalt des Juden Jesus von Nazareth, der unter Pontius Pilatus gekreuzigt wurde. Die Gestalt der Offenbarung ist somit als bleibend anstößig zu verstehen. Als Offenbarungsempfänger desselben Gottes stehen Christentum und Judentum in einer komplementären Zeugnisgemeinschaft der Offenbarung.
Im christlichen Sinne kann sich die Metastory der Verkündigung nicht allein aus nur einem Evangelium oder nur dem Apostel Paulus speisen. Das Ganze ergibt sich erst aus dem mitunter auch widersprüchlichen Wechselgespräch aus der Wolke der Zeugen. Und dies geschieht nicht nur textlich durch die Fülle der Perikopenklassen, sondern auch zeitlich im Sinne des liturgischen Jahres. Die Abschnitte des liturgischen Jahres (z.B. Epiphanie oder Vorfastenzeit) werden zu Texträumen besonderer Prägung. Derartige Zeiten dürfen nicht als biographische Abschnitte im Leben Jesu missverstanden werden, sondern müssen als liturgische Texträume begriffen werden, welche bestimmte Thematiken, sei es in besonders geraffter oder auch in besonders gestreckter Form zu Gehör bringen. Derartige Texträume ermöglichen somit spezifische Zuspitzungen der liturgischen Jahreszeiten in der Betrachtung und Auslegung der Heilsgeschichte.
Während also die Metastory vergangen ist, vollzieht sich ihre liturgische Erzählung durch die biblischen Perikopen in unterschiedlichen Texträumen, welche als eigene Stimme der Erzählung wahrzunehmen sind und durchaus auch widersprüchlich klingen können. Letztlich ergibt sich der Sinn (und die Herausforderung) jeder Perikopenordnung erst in der Relation des Wechselgespräches der einzelnen Texte in ihren jeweiligen Texträumen zueinander. Oder anders gesagt, die Fülle der Schrift wird in ihrer uneindeutigen Vielstimmigkeit zum Haus des liturgischen Seins.
Indem Schrift und Liturgie dermaßen miteinander korrespondieren werden sie zur Quelle und zum Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses, zu einem Archiv identitätsstiftender Bedeutung, zu einer Schatzkammer aus der stets Altes und Neues hervorgeholt werden kann. Anstelle einer Vor- oder Unterordnung der hebräischen Bibel greift in der neueren Diskussion eine Phänomenologie der Offenbarung, die das frühere im späteren und umgekehrt das Spätere im Früheren sieht. So kann die Befreiungsgeschichte Israels als Auferstehungstext und die Auferstehungstexte als Befreiungsgeschichte gelesen werden.
Henning Theissen, Die Hermeneutik einer Schatzkammer, Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 61 (2014) 2, S. 329-337
„Die Zukunft der Kirche kann nicht in der Verlängerung der Vergangenheit liegen!“
Von P. Gerhard Seidler OPR
Bischof Dr. Roald Flemestad sprach während seines Pastoralbesuches in Ebenweiler von einer Chance zur Erneuerung der Kirche in der Rückkehr zu christlichen Grundwerten; diese könnten in kleinen, in ihrem Streben nach Frieden und Geborgenheit verbundenen, familienähnlich überschaubaren Keimzellen getragen werden. Diese "Keimzellen der Hoffnung" zeichnen sich durch die Achtung des Nächsten, durch Rücksicht, durch Hilfsbereitschaft und Toleranz aus. In einer solchem Atmosphäre der Nächsten- und Gottesliebe kann das Christsein neu mit Leben erfüllt werden.
Knapp zwei Wochen später schrieb Christian Bauer in der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“ (CiG Nr. 21, 233f vom 24. Mai 2015):
„Mag die christliche Kirche der Zukunft auch so klein sein, dass sie wieder in ein Wohnzimmer passt – ihre Sendung bleibt so umfassend, dass die Welt nicht groß genug ist.“
Der Innsbrucker Pastoraltheologe stellt fest, dass selbst dann, „wenn sich die Forderungen aller kirchlichen Reformgruppen eines Tages erfüllen sollten“, alle verfügbaren religionssoziologischen Daten in Richtung Minderheitenkirche weisen. „Daran wird vermutlich weder eine Neu-Evangelisierung von oben, noch eine Initiative von unten etwas ändern.“ Er stellt fest, dass „nicht nur Kirche und Religion, sondern die gesamte Gesellschaft … längst „Diaspora“, ein zersprengtes Ganzes“ (ist). Schon im Jahr fragte Richard David Precht: „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“ Es ist Faktum: die sozialen Fliehkräfte wirken weit ins Individuelle hinein.
Es gibt nichts Neues unter der Sonne. 1954 schreibt Karl Rahner seinen berühmten Artikel „Theologische Deutung der Position des Christen in der modernen Welt“. Diese Situationsbeschreibung atmet mehr Aktualität und Frische als das meiste, was gegenwärtig zu lesen ist. „Die christliche Situation der Gegenwart ist … charakterisierbar als Diaspora … Die Diasporasituation ist für uns heute ein … heilsgeschichtliches Muss, das heißt, wir haben diese Diasporasituation nicht nur als leider Gottes bestehend festzustellen, sondern wir können sie als von Gott als Muss … gewollt anerkennen und daraus unbefangen Konsequenzen ziehen … Wir haben also durchaus das Recht, ja fasst die Pflicht, damit zu rechnen und nicht nur verstört zur Kenntnis zu nehmen, dass die Form des öffentlichen Daseins der Kirche sich wandelt. Dass die Kirche überall Diasporakirche wird, Kirche unter vielen Nichtchristen.“
Rahner zufolge ist es der geschichtliche Normalfall von Kirche, in „dispersione“ zu leben: In einer gottgewollten Zerstreuung in die Welt, stellt Christian Bauer fest. Diaspora ist kein konfessioneller Begriff mehr, sondern längst ein ökumenischer. Denn er verweist auf eine gesellschaftliche Minderheitensituation, die inzwischen von allen christlichen Kirchen geteilt wird.
Von dieser Prognose ausgehend gewinnt Rahner dann auch ein Kriterium für die Auswahl des kirchlichen Führungspersonals: „Wenn man in nächster Zeit … einen tüchtigen Pfarrer oder Bischof suchen will, müsste man sich nicht so sehr fragen, ob der Kandidat sich reibungslos in den herkömmlichen Betrieb der Kirche eingefügt hat … Man müsste vielmehr fragen, ob es ihm schon einmal gelungen sei, sich bei „Neuheiden“ Gehör zu verschaffen … Der Missionar in einer nichtchristlichen Diasporasituation wäre der beste Kandidat für ein kirchliches Amt, auch wenn er bisher vielleicht sehr unkonventionell und für manche bloß traditionelle Christen „anstößig“ gewirkt hat.“
Über die Aussagen des Konzilsdokuments „Licht der Völker“ (1964), die von den Gedanken Karl Rahners inspiriert sind, führt uns der Verfasser zu dessen Überlegungen über die Zukunft der christlichen Gemeinden. „Oasen in einer nichtchristlichen Welt“ werden sie sein. „Das Zeichen ist nie einfach identisch mit den Bezeichneten; die Kirche ist das Zeichen für das Heil der Welt – das Heil erstreckt sich natürlich weit über dieses sakramentale Zeichen hinaus. Diese Vorstellung vom Wesen der Kirche können wir auch auf eine einzelne Gemeinde anwenden … Diese Gemeinde ist eine christliche Oase in einer Welt, die im Geheimen immer noch von Gottes Gnade erfüllt ist … sich aber … (als Ganze) sehr profan … ausnimmt. Darin ist die Gemeinde das sichtbare Heilszeichen, das Gott in dieser … Welt aufgerichtet hat. Gott sagt durch diese Gemeinde: Hier in dieser Welt bin ich und bleibe ich mit meiner Gnade …“
Nach einem Ausflug in die Gedankenwelt Ratzingers und den Erfahrungen der Christen in der DDR lässt der Autor Hans Urs von Balthasar zu Wort kommen. Dieser beschreibt die Grundsituation einer in die Welt hinein zerstreuten Kirche von morgen folgendermaßen: „Die Kirche lebt in kleinen Strahlungszentren, die wie kleine Lichter in der Nacht über die Welt verstreut sind.“ Was dort von der kleinen Herde als Liebe Gottes erfahren wird, „kann von ihr … hinausgetragen werden in die nichtchristliche Welt. In diesem Hinaustragen aber wird der Christ die … Erfahrung machen, dass das, was er bringt, meistens in irgendeiner Weise schon vor ihm dort angekommen ist …“
In von Balthasars Werk „Schleifung der Bastionen“ ist zu lesen: Es geht um ein „Herabsteigen der Kirche in die Fühlung mit der Welt … Sinkende Mauern können vieles begraben, das durch sie geschützt zu leben schien; aber die Fühlung mit dem Raum, die sich herstellt, ist größer.“
Es ist der Preis dieser neuen „Weltfühligkeit“ der Kirche, dass sie Hans Urs von Balthasar zu Folge „im letzten keine Mauern mehr um sich“ hat und daher auch „wehrlos offen zur Welt“ steht. Mit einem Ratschlag Karl Rahners im Beitrag über die „Position des Christen in der modernen Welt“ beschließt Christian Bauer seine Erörterung. Da heißt es: „Du musst nicht viel mitnehmen, aber das Richtige.“
Christifideles laici oder der Kampf um die Ständekirche
Fehlt es an einer Theologie des Gottesvolkes?
von Klaus Mass
Papst Johannes Paul II entsprach 1988 dem Wunsch der Bischofssynode über die Laien aus dem Jahr zuvor ein päpstliches Dokument bezüglich der Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt vorzulegen. Dieses Schreiben trug den Titel Christifideles laici.
Bereits der Titel dieses Schreibens bezeichnet das Dilemma der katholischen Theologie positiv zu formulieren, was denn überhaupt ein Laie sei. Seit dem Zweiten Vatikanum gab es vereinzelte Forderungen auf den Begriff des Laiens komplett zu verzichten und stattdessen lediglich von Gläubigen (christifideles) zu sprechen. Als prominentester Vertreter dieser Ansicht darf der damalige Kardinal und spätere Papst Joseph Ratzinger gelten.
„Der Laie sei nicht Laie, sondern einfachhin Christ. Während der Priester wesentlich durch seine von Christus getragene Beziehung zur Gemeinde definiert sei, definiert sich der Laie nicht ebenso durch seine Beziehung zum Priester.“(1) Der Laie sei nicht in sich Laie, sondern lediglich in seiner Beziehung zur Gemeinde und dem Klerus.
Hintergrund dieser sicherlich hoch interessanten und doch letztlich nebulösen Formulierung des Präfekten der Glaubenskongregation ist die traditionelle Teilung von Klerikern als geistlicher Stand und Laien als weltlicher Stand. Die einen seien dem Heilsdienst, die anderen dem Weltdienst verpflichtet. In Anlehnung an Karl Rahner vertrat Ratzinger die Auffassung: „Wer beruflich eine Funktion auf Dauer in der Kirche bekleidet, ist in diesem Sinne kein Laie.“ (2)
Im Vorfeld der Synode tauchten Ängste auf, dass es zunehmend zu einer „Klerikalsierung der Laien“ und einer „Laisierung des Klerus“ kommen könnte. Dass sich also beide Stände der Kirche miteinander vermischten und sich damit irgendwann gegenseitig aufhöben. Die Aufgabe der Synode bestünde nun darin eine klare Abgrenzung zwischen beiden Ständen herzustellen. Der konziliare Begriff vom allgemeinen Priestertum sei nicht nur dem Grade nach, sondern von seinem Wesen her vom klerikalen Priestertum abzugrenzen.
Die Aufgabe des Laien bestünde nicht in einer Entweltlichung, sondern in einer konkreten „Verweltlichung“. „Die Laien sollen nicht vor den zeitlichen und irdischen Wirklichkeiten fliehen, um den Herrn zu suchen, vielmehr seinen Willen in den täglichen Pflichten erfüllen und so den Herrn finden, ihn lieben und andere zur Liebe zu ihm hinführen; die Laien sollen in der Welt, die vergeht, die christliche Hoffnung vorleben.“ (3)
Die Unterscheidung zwischen Laien und Klerikern wurde somit im „Weltcharakter“ der Laien festgemacht. Und tatsächlich entspricht diese Einordnung der historischen Entwicklung in Mittelalter und Neuzeit bis hin zum zweiten Vatikanum. Erst hier wurde wieder auf biblische und altkirchliche Grundlagen vom Volk Gottes zurückgegriffen. Welche jedoch weder durch das erneuerte Kirchenrecht von 1983, noch durch Christifideles laici konsequent umgesetzt wurden.
Joseph Ratzinger hatte dieser Tendenz 1987 noch deutlich widersprochen. Sollte seine Forderung nach einer „Entweltlichung der Kirche“ während seines päpstlichen Deutschlandbesuchs im September 2011 lediglich den Klerus („das Amt“) meinen, handelt es sich um eine Bestätigung der theologischen Entwicklungen unter Johannes Paul II, bezieht er die Laien ausdrücklich mit ein – spricht also von der Kirche als Ganzes - betont er damit seine Kritik von 1987 und verwirft die Trennung von „Weltlichkeit“ und „Geistlichkeit“.
„Die selige Mutter Teresa wurde einmal gefragt, was sich ihrer Meinung nach als Erstes in der Kirche ändern müsse. Ihre Antwort war: Sie und ich!
An dieser kleinen Episode wird uns zweierlei deutlich. Einmal will die Ordensfrau dem Gesprächspartner sagen: Kirche sind nicht nur die anderen, nicht nur die Hierarchie, der Papst und die Bischöfe; Kirche sind wir alle, wir, die Getauften. Zum anderen geht sie tatsächlich davon aus: Ja, es gibt Anlass, sich zu ändern. Es ist Änderungsbedarf vorhanden. Jeder Christ und die Gemeinschaft der Gläubigen sind zur stetigen Änderung aufgerufen.“
Was die Kirche betrifft, ist das grundlegende Motiv der Änderung aber die apostolische Sendung der Jünger und der Kirche selbst. …
Die Sendung gründet in der persönlichen Erfahrung: „Ihr seid meine Zeugen“…
Um ihre Sendung zu verwirklichen, wird sie immer wieder auf Distanz zu ihrer Umgebung gehen, sie hat sich gewissermaßen zu „entweltlichen“. (4)
Anders als dies häufig vertreten wurde, bezieht sich Ratzinger hier nicht nur auf die finanzielle Ausstattung der katholischen Kirche in Deutschland, oder – auch dies wurde ihm vorgehalten, auf eine Reklerikalisierung der Kirche. Nein, er bleibt bei seiner Kritik an der Unterscheidung von „Weltdienst“ und „Heilsdienst“, wie er es bereits 1987 begründet hatte. Allerdings stellt er sich gegen eine „Entklerikalisierung“ der Kirche. Die Kirche als Ganzes, und damit sowohl die Amtsträger, als auch die Laien haben sich zu entweltlichen.
Will er damit etwa einen Rückzug der Kirche aus der „Weltverantwortung“ bewirken? Der Papst wendet sich zwar deutlich gegen jede Tendenz der „Verweltlichung von Kirche. Nicht jedoch ohne die „Weltoffenheit“ der Kirche und damit des Christen zu betonen. Man könnte auch sagen, dass er hier mit Hans Urs von Balthasar die Verbürgerlichung der Kirche anklagt.
„In der geschichtlichen Ausformung der Kirche zeigt sich jedoch auch eine gegenläufige Tendenz, dass nämlich die Kirche sich in dieser Welt einrichtet, selbstgenügsam wird und sich den Maßstäben der Welt angleicht. Sie gibt Organisation und Institutionalisierung größeres Gewicht als ihrer Berufung zur Offenheit.
Um ihrem eigentlichen Auftrag zu genügen, muss die Kirche immer wieder die Anstrengung unternehmen, sich von der Weltlichkeit der Welt zu lösen. Sie folgt damit den Worten Jesu nach: „Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin“ (Johannes 17,16). …
Das missionarische Zeugnis der entweltlichten Kirche tritt klarer zutage. Die von ihrer materiellen und politischen Last befreite Kirche kann sich besser und auf wahrhaft christliche Weise der ganzen Welt zuwenden, wirklich weltoffen sein. Sie kann ihre Berufung zum Dienst der Anbetung Gottes und zum Dienst des Nächsten wieder unbefangener leben. Die missionarische Pflicht, die über der christlichen Anbetung liegt und die ihre Struktur bestimmen sollte, wird deutlicher sichtbar. Sie öffnet sich der Welt, nicht um die Menschen für eine Institution mit eigenen Machtansprüchen zu gewinnen, sondern um sie zu sich selbst zu führen, indem sie zu dem führt, von dem jeder Mensch mit Augustinus sagen kann: Er ist mir innerlicher als ich mir selbst (vergleiche Confessiones 3, 6, 11). …
Nur die tiefe Beziehung zu Gott ermöglicht eine vollwertige Zuwendung zum Mitmenschen, so wie ohne Zuwendung zum Nächsten die Gottesbeziehung verkümmert.
Offensein für die Anliegen der Welt heißt demnach für die entweltlichte Kirche, die Herrschaft der Liebe Gottes nach dem Evangelium durch Wort und Tat hier und heute zu bezeugen, und dieser Auftrag weist zudem über die gegenwärtige Welt hinaus; denn das gegenwärtige Leben schließt die Verbundenheit mit dem ewigen Leben ein.(5)
Indem die Rede des Papstes sich ausdrücklich von der Verweltlichung der Kirche distanziert und hier Laien wie Kleriker mit einbezieht, öffnet er zugleich die kirchlichen und theologischen Tore zur „Spiritualisierung“ des Laien. Damit bleibt er konsequent bei seiner Ablehnung des „Weltcharakters“ als Unterscheidungskriterium von Geistlichen und Laien und versucht damit die Kirche dennoch in eine andere Richtung als von vielen, zumindest im deutschen Katholizismus erhofft, zu führen.
Nichtsdestotrotz wurden die kirchenamtlichen Definitionen des Laien in der Kirche auch unter seiner Amtszeit nicht korrigiert. Hier gelten nach wie vor die unter Johannes Paul II geschaffenen Begrifflichkeiten, welche massgeblich weniger dazu dienten die Rolle des Laien im Bezug zum Kleriker positiv zu definieren, sondern viel mehr den Zweck hatten eine nach wie vor attraktive Definition des geistlichen Amts zu formulieren.
Diese Definitionen bestehen darin zu betonen, dass allen Christen die gleiche priesterliche Würde des Gottesvolkes zukomme und dass diese auf unterschiedliche Weise praktiziert werde. Die Kleriker üben als Hirten der Kirche Ämter aus, während die Laien Dienste praktizieren. So finden wir z.B. in den Gemeinden Menschen mit gleichen theologischen Qualifikationen von denen der Ordinierte das Amt des Priesters ausübt, während der andere dem Dienst des Pastoralreferenten nachgeht. Während z.B. der Diakon das Amt des Krankenhausseelsorgers ausübt, praktiziert der Gemeindereferent den Dienst der Krankenhausseelsorge. Einziges Unterscheidungskriterium ist, dass der Amtsträger ordiniert ist und der Dienstleister nicht.
Als Unterscheidungskriterium schlechthin gilt nach wie vor der sogenannte „Weltcharakter“ der Laien. Laien leben weltlich. Dies bedeutet sie sind verheiratet, haben Kinder, gehen einer beruflichen Tätigkeit nach und engagieren sich in Politik und Gesellschaft. Die Geistlichen hingegen leben „geistlich“, sie sind unverheiratet, tragen Standeskleidung, praktizieren ein umfangreiches Gebetsleben, sind frei von der Sorge um ihren Broterwerb und politisch neutral.
Diese Unterscheidung von Menschen mit und ohne „Weltcharakter“, dürfte der wesentliche Grund sein, warum die Kirche nach wie vor mit aller Gewalt am Pflichtzölibat festhält. Dabei ist der Kirche natürlich stets bewusst, dass die Unterscheidung zwischen weltlichem und geistlichem Leben eine künstliche ist.
Wie in gar nicht so seltenen Fällen, ist es der Ordensstand, welcher die Trennung ad absurdum führt. Sind doch Ordensschwestern unverheiratet, tragen Standeskleidung und leben für ihren Gebetsdienst. Alles Kriterien, die eigentlich den Klerikern vorbehalten sein sollten.
In der Zeit des Übergangs vom Altertum zum Mittelalter war die Differenzierung von Laien und Klerikern zwar bereits voll ausgebildet, dennoch setzten Unterschiede in der Lebensführung erst jetzt mit voller Kraft ein.
- So begannen die Geistlichen in dieser Zeit eine eigene Standeskleidung und die Tonsur zu tragen.
- Die von den iroschottischen Mönchen eingeführte Ohrenbeichte wurde ursprünglich offenbar auch von nicht ordinierten Ordensleuten gespendet und war künftig den Priestern vorbehalten.
- Wurde den Priestern bereits in der Antike das Ideal des ehelosen Lebens empfohlen, so konnte die Zölibatspflicht jedoch erst im Hochmittelalter allgemein durchgesetzt werden.
- Wurde die Ehe zwar stets als Sakrament betrachtet, galt die ehelose Lebensform doch als höherwertig.
- Wurde die Krönung des Königs bis dato als Sakrament betrachtet, welches der Priester- und Bischofsweihe in nichts nachstand, so galt der König nun als Laie, der sich in die inneren Belange der Kirche (inklusive Ernennung der Bischöfe) nicht mehr einzumischen habe.
- Mit Aufkommen der Armutsbewegungen in Italien folgte das ausdrückliche Verbot der Laienpredigt. Die aufstrebenden reformatorischen Bewegungen in Böhmen und den deutschen Ländern führte zum Verbot des Laienkelches.
- Im 14./15. Jahrhundert war der eine Leib Christi faktisch in zwei Körper zerbrochen. Auf der einen Seite stand der Papst mit den Bischöfen, Priestern und Ordensleuten und auf der anderen Seite der Kaiser mit den Fürsten und Bürgern.
„Faktisch waren nun die Laien all dessen beraubt, was für ihr kirchliches Leben von Bedeutung war. Dies gehörte nun alles dem Klerus an. … Die Laien verarmten, religiös wie geistig. Sie waren völlig von dem abhängig, was der Klerus ihnen bot, ganz auf die Versorgung durch ihn angewiesen, sie erschienen allein als Objekt der Betreuung.“ (6)
Da auch das Bildungsmonopol weitgehend in den Händen des Klerus lag, wurde der Laie in dieser Situation zum Ungebildeten, zum Nicht-Fachmann.
Theologische Neuaufbrüche in der Laienfrage gab es erst im 19. Jahrhundert mit Theologen wie Johann Adam Möhler, John Henry Newman oder Ignaz von Döllinger. Deren Perspektiven wurden jedoch weder durch das erste Vatikanum, noch durch das Kirchenrecht von 1917 aufgegriffen:
- Die Rechte des Laien bestehen, so formulierte es das Kirchenrecht damals darin, von den Hirten geleitet und unterrichtet zu werden. Mit diesen zu verkehren und von diesen beerdigt zu werden. Durch Straf- und Ordnungsmaßnahmen können diese Rechte verloren gehen.
Mit Pius X setzte die sogenannte katholische Aktion ein, er förderte das Laienapostolat und wollte, dass Laien in allen gesellschaftlichen Bereichen Verantwortung übernehmen. Durch die Laien sollte die Kirche an alle Orte zurückkehren zu denen sie im 19. Jahrhundert den Kontakt (und damit auch jeden Einfluss) verloren hatte. Doch die Laien sollten im Sinne des Papstes nicht selbständig arbeiten, sondern durch die Hierarchie – im Sinne des Antimodernismus - geführt werden.
Das Problem der Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien hat sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Entstehung neuer geistlicher Gemeinschaften weiter zugespitzt.
- Als Beispiele seien hier die französischen Arbeiterpriester genannt, welche ganz bewusst ihre geistliche Kleidung ablegten und als Arbeiter in die Fabriken gingen. Ein ganz ähnliches Konzept entwickelten die kleinen Brüder von Charles de Foucauld. Geistliche verlasssen den sakralen Habitus und tauchen in die säkulare Lebenswelt ein, um auf diese Weise das Licht des Evangelium an völlig unerwarteter und bis dahin auch in völlig unbekannter Weise aufleuchten zu lassen. Den selben Weg von der anderen Seiter herkommend beschritten das Opus Dei von Josemaría de Escrivá in Spanien, oder auch die Schönstattbewegung von P. Josef Kentenich in Deutschland. In diesen Fällen ging es darum, dass Laien eine geradezu klösterliche Spiritualität in ihrem Alltag, in ihrer Familie und Zivilberuf verwirklichen. Die Gründung dieser Gemeinschaften, und weitere wären hier zu nennen, führte in der Kirche zur Einrichtung sogenannter Säkularinstitute (Was nach traditioneller Definition als Widerspruch in sich selbst verstanden werden müsste). Obwohl diese Gemeinschaften nicht selten als ausgesprochen konservativ gelten, stellen sie (auch wenn Hans Urs von Balthasar dies wohl anders sieht) faktisch doch in revolutionärer Weise die traditionelle Umschreibung des „Weltcharakters der Laien“ in Frage.
- Eine weitere Infragestellung war bereits zur selben Zeit von der Liturgischen Erneuerung ausgegangen. War die Liturgie bis dahin eine nahezu rein priesterliche Angelegenheit, welche ohne Not auch auf die Anwesenheit der Laien verzichten konnte, wurde nun der Laie als „Mitfeiernder“ entdeckt, ja die Gemeinde sogar als eigentlicher Ort und Träger des liturgischen Geschehens erkannt. Weder der Gemeindegesang, noch das Vortragen der Lesungen in der Landessprache galten als liturgischer Vollzug. Liturgie bestand allein in den vom Priester unter Umständen sogar nur leise gemurmelten lateinischen Gebeten.
In der liturgischen Bewegung erwuchs nun die Erkenntnis, dass die Gläubigen im Mitbeten z.B. des Glorias oder des Credos Anteil am liturgischen Geschehen gewannen. Die Reformen des zweiten Vatikanums führten nun nicht nur zum Verlust der priesterlichen Sakralsprache, sondern auch dazu, dass Laien mit aller Selbstverständlichkeit auch Lesungen vortrugen oder mit der Ausspendung der Eucharistie beauftragt wurden. In den Augen der Traditionshüter konnte die Liturgiereform gar nicht anders, als wie ein vollständiger Zusammenbruch der Trennungslinien von sakraler und säkularer Welt verstanden werden.
- Auch die Wiederherstellung des diakonalen Amtes in der Kirche führte zu einer weiteren Infragestellung der Weltentrennung zwischen Geistlichen und Laien. War der Diakonat bisher lediglich eine Durchgangsstation auf dem Weg zum Priestertum, so sollte es künftig ständige Diakone geben. Wenngleich der Diakon sein Amt auch nur als Gehilfe und in Zuordnung zu den Bischöfen und Priestern ausübt, so ist er doch ordinierter Kleriker. Er trägt geistliche Kleidung, übt liturgische Dienste aus und führt ein Leben des Gebets. Alles Aspekte, die ihn der traditionellen klerikalen Welt zuordnen. Zugleich jedoch kann er verheiratet sein und einen Erwerbsberuf ausüben. Womit die Merkmale der säkularen Welt auch ganz selbstverständlich zum Amt des Diakons gehören.
Sollte man davon ausgehen, dass die theoretische Trennung von „Weltdienst“ und „Heilsdienst“ nicht schon längst ad absurdum geführt wurde – möglicherweise bestand sie auch nie, man denke nur an die Existenz der Orden – so würde spätestens die Aufhebung des Pflichtzölibates, bzw. die Einführung der oft geforderten Viri probati diese Unterscheidung vollends zur Makulatur machen. Somit wird die innerkirchliche Diskussion um den Begriff des Laien zu einem Symptom für die Krise des geistlichen Amtes.
Unter diesen Grundvoraussetzungen formulierte Johannes Paul II sein Schreiben Christifideles laici, welches bis heute das umfangreichste kirchenamtliche Dokument zur Stellung des Laien in der Kirche ist. Bereits der Titel des Dokumentes zeigt die innerkirchliche Verunsicherung in dieser Frage. Zwar mochte der Papst nicht auf den Terminus Laie verzichten, dennoch berücksichtigte er die Einwände – immerhin durch seinen „Chefideologen“ Joseph Ratzinger vorgetragen - indem er dem Begriff Laien das Christgläubig vorausstellte. Letztlich bestand die päpstliche Linie jedoch darin, dass die Attraktivität und Strahlkraft des geistlichen Amtes für junge Männer nicht durch eine zusätzliche Aufwertung des Laienstandes gefährdet werden dürfe.
Um Grenzen zwischen Ordo und Laiendienst nicht zu vermischen, mussten die Laien als „Nicht-Kleriker“ festgeschrieben werden. Damit setzte sich die Linie derer durch, die von Anfang an eine „Klerikalisierung der Laien“ und eine „Laisierung der Kleriker“ verhindern wollte.
Dieser Sieg kann mit Blick auf die globale kirchliche Wirklichkeit kaum anders, denn als ein Pyrrhussieg gesehen werden. Wenn wir die gesamte Diskussion als Symptom der Krise um das geistliche Amt bezeichnet haben, dann müssen wir das Schreiben Christifideles laici wohl sogar als Symptomverschlimmerung benennen.
Da wir gesehen haben, dass die kirchliche Wirklichkeit eine konsequente Trennung der Stände in Heilsdienst und Weltdienst nicht (mehr) zulässt, stellt sich die Frage ob sie denn theologisch überhaupt notwendig sein muss?
Das zweite Vatikanum löste sich von der traditionellen hierarchiebezogenen Ordnung die Kirche von Christus über die Ämter zum Volk hin zu beschreiben. Zunächst wurde formuliert, dass die Kirche Mysterium und Volk Gottes sei. Das Bild der Kirche als Communio des Gottesvolkes setzt die Ämter nicht voraus oder gegenüber, sondern schließt sie mit ein. Als Volk Gottes übt die Kirche in der Welt das priesterliche, prophetische und königliche Amt Christi aus und setzt es fort. Da der priesterliche Charakter dem Volk eigen ist, kann jeder Getaufte als Priester, Prophet und König bezeichnet werden. Schließlich sei es der Heilige Geist, welcher unter den Gläubigen jeden Standes seine Gaben verteilt.
Die Laien werden folglich vom Konzil in Lumen Gentium nicht als „Nicht-Kleriker“, sondern als Getaufte, als Gefirmte, als Glaubende angesprochen, die Anteil haben am Amt Christi und der Sendung der Kirche.
Und dann kommt das Konzil (LG31) doch zu dem Schluss, dass dem Laien der „Weltcharakter“ eigen sei.
Die Frage, welche sich hier an die katholische Theologie stellt, lautet natürlich, ob dieser Terminus als abwehrend verstanden werden darf, oder ob er im intergralen Kontext von Lumen Gentium nicht viel mehr im Sinne einer „Weltoffenheit“ erfasst werden muss. Womit sich zugleich die Frage auftut, wieviel „Entweltlichung“ dem geistlichem Amt und der Kirche als ganzer tatsächlich gut tut? Benedikt XVI jedenfalls hat die Begriffe „Entweltlichung“ und „Weltoffenheit“ auf die positive Seite gestellt und dagegen den Terminus der „Verweltlichung“ gesetzt.
In seinen Worten: Es sei nicht die Aufgabe der Kirche der Welt Skandale zu bieten, sondern das Skandalon des Kreuzes zu verkündigen!
Blicken wir nun vom Zweiten Vatikanischen Konzil aus auf die Rolle des Laien in Hl. Schrift und Altertum.
Der griechische Begriff Laie kommt von „laos“, das Volk. Mit der Übertragung der alttestamentlichen Schriften ins Griechische wird „laos“ zu einem biblischen Terminus, welcher nicht irgendein Volk, sondern das außerwählte Volk bezeichnet. Während das Volk Israel als „laos“ beschrieben wird, werden andere Völker als „ethne“ benannt. Es gibt also das Volk (Israel) und die Ethnien (Heiden). Allerdings unterscheidet das AT auch an einigen wenigen Stellen zwischen den Priestern und dem Volk (Exodus 19,24) und gibt damit die im späteren Sprachgebrauch verwendete Terminologie bereits vor.
Im NT (Mk. 6,3) erfahren wir zunächst, dass Jesus und auch sein Jüngerkreis aus dem einfachen Volk stammten (am haarez). Wodurch eine Gegnerschaft, oder doch zumindest eine Unabhängigkeit von der Priesterklasse signalisiert werden könnte. Auf einer zweiten Ebene wird laos dann wie im AT als Abgrenzung zu den Ethnien verwendet. Schließlich wird der Begriff laos auf die christliche Gemeinde übertragen. Wer sich Christus anschließt, gehört zum Volk, gleichgültig welcher Ethnie er auch angehört. Folglich bezeichnet laos nun die ganze christliche Gemeinde, gleichgültig ob Amtsträger oder nicht.
„So gesehen ist laos, in der Eindeutschung „der Laie“, in biblischer Terminologie der höchste Ehrentitel, der einem Christen überhaupt gegeben werden kann. Alle, die zum laos gehören, sind Laien, selbstverständlich auch die Amtsträger und jene, die mit einem besonderen Charisma ausgestattet sind, wie immer diese Ämter und Charismen in den neutestamentlichen Schriften auch bezeichnet sein mögen.“(7)
Edward Schillebeeckx beschreibt es so: „Das laikale Gottesvolk war sozusagen zuerst selbstverständlich; dann erst erhob sich die Frage nach der Aufteilung von Ämtern und Charismen. Deshalb wurde der Laie nicht auf die Hierarchie bezogen, sondern umgekehrt, die Hierarchie auf die Laien, so dass das kirchliche Amt sich aufgrund seiner Dienstbarkeit gegenüber dem Gottesvolk rechtfertigen mußte.“ (8)
Der Begriff Laie (als Nicht-Kleriker) taucht in der Kirche erst im dritten Jahrhundert auf und bezieht sich auf das Adjektiv „laikos“ mit welchem im außerbiblischen griechisch das profane (weltliche) bezeichnet wurde. Der Begriff Laie kann daher sowohl im Sinne von Gottesvolk, als auch im Sinne von weltlich, nicht Gott geweiht, verstanden und genutzt werden.
Innerhalb des Gottesvolkes sind zwar alle gleichwertig, doch gibt es unterschiedliche Berufungen. Ein Leib ist es, aber viele Glieder, und jedes Glied dient dem anderen, keines steht über den anderen. In diesem Kontext entstehen nun Ämter wie Episkopus, Presbyter oder Diakon. Diese Leute gehören jedoch zum Volk und bilden keinen eigenen Stand.
Anfänge für eine klerikale Entwicklung finden wir bei Cyprian. Hatten sich bis dahin alle Christen als Brüder (und Schwestern) verstanden, so taucht jetzt die Bezeichnung Bruder im Sinne von „Amtsbruder“ auf. Clemens von Alexandria spricht ganz selbstverständlich von Priester, Diakonen und Laien. Origenes stellt dann die Laien den Klerikern gegenüber. Tertullian unterscheidet die Stände den ordo sacerdotalis vom ordo ecclesiae. Diese Unterscheidung ist jedoch eine rein funktionale die Dienstämter betreffende. So heißt es bei ihm: „Sind nicht auch wir Laien Priester? … Das was den Unterschied zur Hierarchie und dem Volk ausmacht, ist die Autorität der Kirche und der Vorsitz in den Versammlungen. Da, wo der Klerus nicht zugegen ist, opferst du, taufst du, bist du dein eigener Priester. Denn da wo es drei Gläubige gibt, da ist die Kirche.“ (9)
Indem die Kirche jetzt von Ordo (Klasse oder Stand) spricht, zeigt sie, dass sie die römische Gesellschaftsordnung bereits übernommen hat. Und damit geriet die neutestamentliche Ehrenbezeichnung einer königlichen Priesterschaft in Vergessenheit. Spätestens mit der Konstantinischen Wende bezeichnete der Begriff Laie keine Abgrenzung zu den Heiden mehr, sondern eine Differenz zwischen Klerikern und nicht-ordinierten Christen.
Noch gab es jedoch keine klare Trennung zwischen einer sakralen und profanen Welteinteilung. Noch wurden die Bischöfe durch die Laien gewählt und konnten Laien zu Bischöfen gewählt werden. Noch Leo I verfügte (458), dass niemand Bischof gegen den Willen des Volkes werden könne. Die Gleichheit der christlichen Berufung kommt zu dieser Zeit besonders im Verhältnis des Volkes zu seinem Bischof – und damit in der gemeinsamen Feier der Eucharistie - zum Ausdruck. Dadurch, dass wir einander den Friedensgruß austauschen und die gleiche Eucharistie empfangen. Die enge Beziehung des Amtsträgers zu seiner Gemeinde kam auch dadurch zum Ausdruck, dass es keine „absolute Ordination“ gab. Man wurde nicht zum Bischof oder Priester geweiht und dann in unterschiedlichen Gemeinden eingesetzt. Sondern man wurde für eine bestimmte Gemeinde eingesetzt und diente ihr. Amtsversetzungen waren nicht vorgesehen. Augustinus drückte dieses Verhältnis so aus: Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ.
Die Unterscheidung zwischen dem ekklesialen und dem säkularen Charakter vollzog sich erst durch die Machtkonflikte des Papstes und der Bischöfe mit dem Kaiser und den Königen. Jetzt entstand das Bild vom geistlichen und vom weltlichen Schwert und damit der Kampf um die letzte Dominanz.
Die Erklärungen des Zweiten Vatikanums griffen in erheblichem Umfang, inklusive der Bezeichnung des „Weltcharakters der Laien“ auf die theologischen Vorarbeiten von Yves Congar (10) zurück. Damit konnte den Laien Wert, Würde und Eigenverantwortung in der Kirche zugesprochen werden. Die Kluft zwischen Klerus und Laien blieb jedoch bestehen.
Einen weitergehenden und mit den Bedingungen unserer altkatholischen Realität besser übereinstimmenden Ansatz, findet sich beim belgischen Theologen Gerard Philips. Dieser kritisierte die geradezu undurchdringbare Trennung von Weltdienst und Heilsdienst, indem er auf die kleinste ekklesiale Einheit zurückgriff.
Worin besteht die kleinste Manifestationsform, sowohl von Gesellschaft, als auch von Kirche? Seine Antwort: In der Familie.
Aus den Familien entsteht die christliche Gemeinde, in den Familien leben Laien und Geistliche, aus den Familien wirkt die Kirche in die Gesellschaft hinein. Aus den Familien heraus werden die Bischöfe gewählt, die Familien sind es, die der episkopalen Autorität folgen.
Die Einbeziehung der Geistlichen und damit auch des Episkopates ist von unabdingbarer Notwendigkeit, um auf diese Weise jede „Laikologie“, zu vermeiden. Oder wie sich Gerard Philips ausdrückt: „ein bloßer laizistischer Wind würde die Kirche verpesten.“ (11)
Eine ähnliche Überschreitung der Zuordnungen von Laien als weltbezogen und Klerikern als weltfremd findet sich bei Alfons Auer (12), welcher beide Stände zur Weltoffenheit (sic!) führen will. Besondere Betonung findet bei ihm eine Theologie, die den Wert der menschlichen Arbeit herausstellt.
Noch deutlicher als Gerard Philips lehnt Hans Urs von Balthasar (13) jede „Klerikalisierung der Laien“ ab. Der Laie ist für ihn per definitionem kein Amtsträger, daher sollte es aus seiner Sicht auch keine Laientheologen wie z.B. Pastoralreferenten, ständige Diakone oder Drittordenschristen geben. Dies alles verwirft er als Klerikalisierung des Laienstandes. Und doch vertritt er ein allgemeines Priestertum, welches sich für ihn durch den Empfang der Sakramente, den Beruf des Religionslehrers, des Kirchenbauers, des christlichen Künstlers oder auch der Laienpredigt ausdrückt. Ordenschristen gehören für Balthasar dem Stand der Laien an und sollten eigentlich keine Priester sein, eine besondere Hoffnung in diesem Sinne setzte er auf die Säkularinstitute. Die Mitglieder der Säkularinstitute werden nicht klerikalisiert und leben ihr Christsein dennoch mit voller Entschiedenheit. Das größte Greul bestand für Balthasar in einer Verbürgerlichung des Christseins. Die Verbindung beider Stände beschreibt Balthasar wie folgt: „Der Laie schaut mit Ehrfurcht zum Amt auf, ohne dessen Vermittlung er keinen Zugang zum Heilsquell hätte. Der Priester aber schaut mit Ehrfurcht zum Laien auf, in welchem er Zweck und Ziel seiner dienenden Funktion sieht.
Conclusio:
Walter Kasper kam bereits 1987 zu folgender Erkenntnis: „Das genaue Verhältnis von Klerikern und Laien ist trotz des Zweiten Vatikanums und trotz der Fortschritte im neuen kirchlichen Recht weder theoretisch, noch praktisch befriedigend gelöst worden.“ (14)
Der italienische Dogmatiker und Erzbischof Bruno Forte fordert inzwischen sogar, gänzlich auf den Terminus des Laien zu verzichten und stattdessen nur noch von Christen zu sprechen. (15) Zunächst kommt das Volk Gottes, innerhalb dessen das Amt seinen Ort hat. Aber jene die ein Amt innehaben, gehören zum Volk, sind Laien im Dienst des Volkes. Daher muss nach Bruno Forte nicht so sehr der Laienstand, sondern das Dienstamt neu in seiner Begründung bestimmt werden. Oder, um es abschließend mit Cyprian von Karthago zu sagen: „Nichts ohne den Rat des Klerus, nichts ohne die Zustimmung des Volkes.“
Literatur: Peter Neuner, Abschied von der Ständekirche, Freiburg 2015
Anmerkungen:
1 Peter Neuner, Abschied von der Ständekirche, Freiburg 2015, S.158
2 Ebd.
3 Peter Neuner, Abschied von der Ständekirche, Freiburg 2015, S.154
4 Benedikt XVI, 25.09.11 in Freiburg (Presseamt des Hl. Stuhls)
5 Benedikt XVI, 25.9.2011 in Freiburg (Presseamt des Hl. Stuhls)
6 Peter Neuner, Abschied von der Ständekirche, Freiburg 2015, S. 78f.
7 Peter Neuner, Abschied von der Ständekirche, Freiburg 2015, S. 34
8 Edward Schillebeeckx, Gott, Kirche, Welt, Mainz 1970
9 Tertullian, De exhort. cast.7
10 Congar, Der Laie, Stuttgart 1957
11 Gerard Philips, Der Laie in der Kirche, Salzburg 1955
12 Alfons Auer, Weltoffener Christ, Düsseldorf 1960
13 Hans Urs von Balthasar, Der Laie und der Ordensstand, Freiburg 1949
14 Walter Kasper, Berufung und Sendung des Laien in Kirche und Welt, Freiburg 1987
15 Bruno Forte, Laie sein, München 1987
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„Handelt Gott, wenn ich ihn bitte?“
Ausgewählte Aspekte zur Frage nach der Wirkkraft des Gebetes
von Dr. Daniel Gerte
Das Gebet – zwei Zugänge
Die Bestimmung dessen, was ein Gebet ist, kommt einer Sisyphusarbeit gleich. Wann ist ein Gebet ein Gebet? Muss es vorformuliert sein und einem Bekenntnis gleich nachgesprochen werden? Oder ist bereits ein Gedanke ein Gebet? Wie steht es um Kunst oder Musik? Ist das gesungene Kirchenlied schon ein Gebet oder das religiös intendierte Bild eines Malers? Zweifellos kann die Beterin oder der Beter selbst bestens darüber Auskunft geben, wie sich ihr oder sein Gebetsleben gestaltet. Es wäre auch vermessen, Gebetsvorschriften detailliert vorzugeben und von außen zu reglementieren, wann ein Gebet ein Gebet ist. Beten ist immer ein sehr individuelles Geschehen. Zudem ist die Frage berechtigt, ob ein theologisches Nachsinnen darüber überhaupt vonnöten ist und nicht vielmehr der Spiritualität des Einzelnen überlassen werden sollte. Dazu ließen sich gute Gründe anführen. Aber dennoch: Die Individualität des Betens entlastet den Theologen keineswegs, es fordert ihn auf, einerseits Gebetstraditionen zu bewahren und andererseits stets neue Zugänge aufzuzeigen. Einige Aspekte sollen folglich zur Frage nach der Wirkkraft des Gebetes aufgezeigt werden.
Beten ist ein zutiefst religiöser Akt, ein Ausdruck des Glaubens an jemanden oder etwas, sowie die Kultivierung der eigenen Reflexionsfähigkeit. Dem Gebet wird unterschiedliche Bedeutung zugemessen: ob vorformuliert, gedanklich, künstlich, musikalisch – der Zuwege gibt es viele. Grundlegend kann davon ausgegangen werden, dass sich Menschen, in welcher Form auch immer, über die Immanenz hinauszustrecken und den Kontakt zu einem höchsten, absoluten Wesen ersehnen. Eine präzise und angemessene Formulierung zum Gebetsbegriff bietet H. Vorgrimler:
„Gebet geschieht, wenn ein Mensch sich auf die Tiefendimension u. Transzendenz seiner selbst einläßt, darin wahrnimmt, daß er ganz und umfassend angesprochen ist, dieses Angesprochensein antwortend bejaht und sich so in seinem ganzen Dasein auch subjektiv betroffen sein läßt von dem unausweichlichen, göttlichen, personalen Geheimnis.“ (1)
Signifikant an dieser Bestimmung ist ein Aspekt: Der Handelnde beim Beten ist demnach einzig der Mensch, ihm allein kommt vorerst die aktive Rolle zu. Er wird sich im Gebetsakt seiner Tiefendimension bewusst und öffnet sich von dort aus dem Wirken Gottes an seiner Person.
Etwas anders definiert K.-H. Menke kurz und treffend: „Beten heißt: Sich mit den Augen einer unbedingten Liebe – mit den Augen des trinitarischen Gottes – sehen lernen.“ (2)
Das Gebet fordert auf, eine liebende Haltung einzunehmen, sich selbst mit einem liebenden Blick anzuschauen, welcher der Blick Gottes ist. Liebend schauen heißt dann: mit den Augen Gottes schauen.
Hinsichtlich der Praktikabilität dieser Ausführungen treten aber gewiss Probleme zu Tage. Was soll mit solchen, sehr theoretischen Bestimmungen erreicht werden? Mit anderen Worten: Sind diese theologischen Definitionen der Beterin und dem Beter überhaupt zugänglich? Um sich diesen Fragen anzunähern, sollen in einem nächsten Schritt verschiedene Gebetsformen aufgeführt werden.
Beten hat viele Formen
Aus dem reichhaltigen Schatz kirchlicher Traditionen sind viele Gebetsformen bekannt:(3) Dankgebete, Anbetung, Lobpreis (Doxologie), Schuldbekenntnis, Klage, Bittgebete, Fürbitten usw.
Während Dankgebete, Anbetung und der Lobpreis ohne eine zu erwartende „Gegenleistung“ zu Gott getragen werden, implizieren Klage- und Bittgebete sowie das Schuldbekenntnis die Hoffnung auf eine positive Antwort Gottes. Der Blick in das Buch der Psalmen gibt Bestätigung: Während bspw. der Psalm 130 (4) ein Bittpsalm ist und einen Rettungsakt Gottes verlangt, ist Psalm 135 (5) einzig ein Loblied auf die Schöpfung Gottes. Die Psalmen in ihrer Ganzheit betrachtet sind ein Spiegelbild dessen, was der Mensch alles zu Gott tragen kann. Klage, Bitte, Dank, Lob sind dabei die vier Größen, auf denen das Gebetsleben Israels fußt und die bis heute Gültigkeit haben. (6)
Handelt Gott? Zum Dilemma eines Glaubensaktes
Wer betet, steht bewusst oder unbewusst vor einem Dilemma. Um dieses deutlich zu plakatieren, werden im Folgenden zwei provokant formulierte Positionen ausgearbeitet. Simpel, aber von enormer Tragweite, lässt sich die Fragestellung wie folgt skizzieren: Erhört Gott die Anliegen der Menschen und handelt er danach, oder bleiben die Gebete unerhört und verstummen vor Gott?
Der ohnmächtige Gott
Erste These:
Der Mensch betet zu Gott, da dieser zu Heilstaten aufgefordert werden muss!
Einen theologischen Zugang zu dieser These bietet die Heilige Schrift. An mehreren Stellen machen die verschiedenen Verfasser darauf aufmerksam, welch gewichtigen Einfluss der Mensch auf eine Handlung Gottes haben kann. In Gen 18 plant der Herr, das Volk der Städte Sodom und Gomorra zu vernichten. Abraham aber beginnt eine Intervention: „Das kannst du doch nicht tun, die Gerechten zusammen mit den Ruchlosen umbringen. Dann ginge es ja dem Gerechten genauso wie dem Ruchlosen“ (Gen 18, 25). Abrahams mühsamer Einsatz für die Erhaltung der menschlichen Leben ist erfolgreich. Der Herr lässt von seinem Plan ab.
Das Matthäusevangelium lässt Jesus im siebten Kapitel sagen: „Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet“ (Mt 7, 7). Demnach hat der Mensch nichts zu befürchten wenn er nur Gott aufsucht mit seinem Anliegen vertrauend aufsucht. Jesus sagt den Menschen hier zu, alles zu bekommen, was sie erbitten.
Angenommen, der Mensch bekäme hinsichtlich des Weltverlaufes eine Art „Verhandlungsstatus“ zugesprochen, so müsse er sich den Vorwurf gefallen lassen, er wäre mitverantwortlich für das Leid der Welt, falls er sein Gebet unterlassen sollte. Oder provokanter ausgedrückt: Durch das unterlassende Gebet würde der Mensch Mitschuld an dem Leid der Welt tragen. Insofern würde seine Bedeutung für das Heil aller Menschen unermesslich steigen. In letzter Konsequenz aber würde dies auch bedeuten, dass Gott nichts anderes ist als eine Marionette des Menschen, ein Schöpfer mit eingeschränktem Handlungsspielraum, kurzum: Gott wäre ohnmächtig. Wie verhält es sich aber dann mit dem Heilshandeln Gottes in dieser Welt? Wie ist es dann um Begriffe wie Gnade oder Erlösung bestellt? Finden diese dann noch tatsächlich statt oder sind sie Fiktion?
Der ohnmächtige Mensch
Zweite These:
Gott weiß alles Gute zu geben. Er allein lenkt, fügt und verantwortet!
Ein Blick in die Heilige Schrift untermauert auch diese These. Eine zentrale Bitte des „Vater unser“ lautet: „…dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden“ (Mt 6,10). Jesus betet im Kontext der Bergpredigt, dass der Wille Gottes geschehen möge; nicht nur im Himmel, sondern ebenso auf der Erde. Hieße dies im Umkehrschluss, dass der Mensch von Gottes Ratschluss abhängig bliebe? Später in Mt 6, 32 weist Jesus darauf hin, dass der Vater im Himmel sowieso alles Gute zu geben weiß.
Träfe das Geschilderte tatsächlich zu, so wäre die menschliche Freiheit im vollen Maße eingebildet und ein dialogisches Geschehen mit dem Schöpfer wäre schlichtweg Utopie. Das Bittgebet verlöre die Legitimität, einzig das Lobgebet wäre noch zulässig. Die Bedeutung des Menschen würde in diesem Fall kaum Stellenwert erfahren. Er wäre die Marionette Gottes, dem Geschehen dieser Welt vollkommen ausgeliefert. Der Mensch wäre ohnmächtig. Ist also die menschliche Freiheit eine Fiktion?
Theologische Lösungsperspektiven
Zu den Eigenschaften Gottes
Ist man versucht, aus diesem Dilemma eine Synthese herbeizuführen, ist es an dieser Stelle sinnvoll, einige Eigenschaften Gottes zu bestimmen. Das ist wichtig, da aus dieser Perspektive das Ausgangsproblem eine Wendung erfährt. Eine angemessene Interpretation der Eigenschaften Gottes ermöglicht den Glaubenden eine Reflexion ihrer Gebetspraxis und ggf. auch eine Läuterung überhöhter Vorstellungen. Folgende Übersicht ist teils dem Lexikon der katholischen Dogmatik entnommen und beruft sich auf W. Breuning (7):
Allmacht: Sie bezieht sich auf die Wirklichkeit Gottes, in der die Liebe der Maßstab seines Handelns ist. (8) Er möchte somit das Wohlergehen seiner Geschöpfe. Dabei ist Allmacht Ausdruck seiner absoluten Unabhängigkeit.
Allwissenheit: Gott weiß um den Verlauf der Welt und möchte durch seine gütige Führung den Menschen in seiner Freiheit bestärken und diese letztlich vermehren. (9)
Ewigkeit: Weniger Ausdruck der „Zeitlichkeit“, als vielmehr Inbegriff innerster Lebendigkeit. Ewigkeit als Zustand im Angesicht Gottes, der Herkunft und Zukunft der Geschöpfe mit einschließt.
Gnädigkeit: Gottes Selbstmitteilung aus Liebe an die geschaffene Wirklichkeit. Darin impliziert ist das offenbarte Heilswirken Gottes.
Gerechtigkeit: Eigenschaft des Willen Gottes, bei der er durch äußeres Wirken die Menschen gerecht macht. Die Sorge um seine Geschöpfe gipfelt in dem Kreuzestod seines Sohnes.
Grundsätzlich macht die Theologie unter der Bezeichnung „Eigenschaften Gottes“ Aussagen über Gottes Wesen und über seine Offenbarungen. Welche Deutungen diesen Aussagen zugeschrieben werden können, liegt sehr oft im Verstehenshorizont des einzelnen Betrachters. Insofern bedingen Eigenschaftsbeschreibungen das Gottesbild, oder gewendet formuliert: Das individuelle Gottesbild manifestiert sich an der Interpretation einzelner Eigenschaften Gottes.
Gebet als Geschehen
K.-H. Menke definiert:
„Beten – gerade ausdauerndes, existentielles Beten – geschieht meistens wortlos. Beten, wenn es still geworden ist, bittet nicht mehr um dies oder das, will den Gott, der absolute Liebe ist, nicht zu etwas ,Liebem‘ veranlassen […] sondern Öffnung, Subjekt, Täter dessen sein, der in Christus die unbedingte Anerkennung des Anderen ist.“ (10)
Wie gerade erwähnt, übersetzt die dogmatische Theologie den Begriff der „Allmacht Gottes“ mit dem Hinweis auf die „Liebe Gottes“. Von diesem Gesichtspunkt aus lässt sich dann auch Menkes Zitat verstehen: Das Gebet als solches ist qualitativ weniger ein gesprochener Text – oder ein Gedanke, als vielmehr ein Geschehen, ein subjektives „Hineinlassen“ der gekreuzigten Liebe Gottes. (11)
Ein Einwand an dieser Stelle könnte dennoch lauten: Gott ist also doch machtlos hinsichtlich des Leidens in der Welt. Ist dem letztendlich wirklich so oder handelt es sich objektiv um eine Fehleinschätzung? Mit K.-H. Menke kann dies entkräftet werden, denn wenn Jesus betet, dass der Wille des Vaters in Erfüllung gehen soll, so hat er die uneingeschränkte Liebe Gottes zu den Menschen im Blick – auch in Bezug auf die Menschen, die die Freiheit pervertieren. (12) Mit anderen Worten: Gott kann das Leid nicht verhindern (er konnte es ja sogar bei seinem eigenen Sohn nicht), aber es bekommt aus dem Blickwinkel des Ostergeschehens einen neuen Bedeutungshorizont. Der wahrlich „allmächtige Gott“ hat in der Osternacht den Tod durch die Liebe besiegt.
Folgen für die Gebetspraxis
Welche Folgen für das Gebetsleben lassen sich aus dem bisher Gesagten ableiten? Beten kann – z.B. mit Blick auf die Fürbitten, die in einem jeden Gottesdienst vor Gott getragen werden – Lerncharakter besitzen. Es lehrt die Betenden, die Mitmenschen mit ihren Sorgen und Problemen wahrzunehmen und verleiht so ein Gespür für die Anliegen der Nächsten. Ferner hält es den Blick wach für universelle Anliegen und Herausforderungen (Hungersnöte, Klimakatastrophen etc.). Insofern sensibilisiert es, macht hellhörig für das Geschehen in der unmittelbaren Umwelt.
Ein weiteres Moment darf ebenso nicht verkannt werden. Beten eröffnet die Möglichkeit zur Selbstreflexion. Von hier aus bekommt das Gebet auch „therapeutischen“ Charakter. Es kann die Selbstkenntnis vertiefen; hilft persönliche Ängste, Nöte aber auch Freuden und Bedürfnisse zu verbalisieren und transparent zu machen. Lässt das Gebet den Betenden zur Ruhe kommen, überwindet er die Hast des Augenblickes und gewinnt meditative Momente. So wird Beten zu einem Geschehen zwischen Menschen und schließlich zum „Geschehen an mir selbst“. Und eben darin liegt das Wirken Gottes: Es ist ein dialogisches Geschehen zwischen Schöpfer und Geschöpf; es ist eine liebende Verbindung, in welcher sich der Mensch in seiner Tiefendimension bewusst wird und darin Gott entdeckt.
Auch wenn diese Ansätze einen mehr oder minder zufriedenstellenden Eindruck vermitteln, so darf dennoch nicht vergessen werden, dass die Frage nach der Wirkkraft des Gebetes letztlich eine Aporie ist und bleiben wird. Gottes Wesen in seiner Tiefe zu ergründen, ist nicht das Bestreben der theologischen Disziplinen. Dies wäre ihr auch unmöglich.
Fazit
Einige Aspekte der Ausgangsfrage konnten umrissen und dargelegt werden. Dass das Gebet nach wie vor innerhalb des Glaubens eine gewichtige Rolle einnimmt, ist trivial. Der Auftrag aller Christen ist es daher, die Betenden immerfort zum Gebet zu ermutigen.
Die Ausführungen sollen mit einem Bildwort von K.-H. Menke abgeschlossen werden, welches sich zugleich als Zusammenfassung eignet:
„Die in Christus inkarnierte Liebe des trinitarischen Gottes ist wie das Wasser, das in einen völlig ausgetrockneten Boden eindringen und das überall erstorbene Leben neu ermöglichen will. Der trockene Boden ist unsere Welt. Und jeder Mensch ist in diesem Boden eine Pore, die sich für das Wasser öffnen oder sich ihm verschließen kann. Je mehr Poren sich – quantitativ und qualitativ betrachtet – öffnen, desto mehr kann das Wasser in diesem Boden wirken, was es immer schon wirken will.“ (13)
In diesem Sinne gilt:
„Bete nicht so, als ob du Gott belehren müsstest, sondern bete so, dass er dich lehren kann.“
Anmerkungen:
1 Vorgrimler 2000, S. 205.
2 Menke 2001, S. 50.
3 Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
4 Ps 130: „Aus der Tiefe ruf ich, Herr, zu dir: Herr, höre meine Stimme!“ Der letzte Teil dieses Verses
ist als Imperativ formuliert. Der Verfasser erwartet insgeheim somit eine Antwort Gottes.
5 PS 135: „Halleluja! Lobet den Namen des Herrn, lobt ihn, ihr Knechte des Herrn.“
6 Vgl. Zenger 2005.
7 Vgl. Breuning 1997, S. 106 – 109.
8 H. Küng schlägt vor, dieses Attribut für die heutige Zeit mit „all-gütiger“, „all-erbarmender“ oder
schlicht „lieber Gott“ zu ersetzen (vgl. Küng 2000, S. 43). K.-H. Menke führt dazu aus, dass Allmacht
und Liebe eine Identität bilden (vgl. Menke 2001, S. 19ff).
9 Exemplarisch nennt Breuning hier u.a. einen Vers aus dem Römerbrief (vgl. Röm 11, 33).
10 Menke 2001, S. 27.
11 Vgl. Menke 2001, S. 22.
12 Vgl. ebd. S. 20.
13 Menke 2001, S. 27.
Literatur
Menke, Karl-Heinz: Handelt Gott, wenn ich ihn bitte? Regensburg ²2001.
Breuning, Wilhelm: Eigenschaften Gottes, in Beinert, Wolfgang (Hg): Lexikon der Katholischen Dogmatik. Freiburg i. Br. ²1997, 106-109.
Die Bischöfe des deutschen Sprachgebietes: Die Bibel, Einheitsübersetzung. Stuttgart 1980.
Küng, Hans: Credo. Das Apostolische Glaubensbekenntnis – Zeitgenossen erklärt. München ²2000.
Vorgrimler, Herbert: Neues Theologisches Wörterbuch. Fr. i. Br. 2000.
Zenger, Erich: Stuttgarter Psalter. Stuttgart 2005
SPIEL DES SCHÖPFERS (Pater Gerhard)
Nimm diesen Frühlingstag – ganz zeitig am Morgen
Grün leuchtet auf in unzählbaren Varianten und Nuancen.
Lebensenergie macht sich breit.
Leben bricht aus vermeintlich Totem hervor und macht mich lebensfroh
Nimm einen Sommertag, ganz in der Frühe.
Die Nacht verschenkt Tautropfen.
Die Blüten fragen, ob es Zeit ist sich zu verduften.
Die ersten Sonnenstrahlen kosen wärmend Haut und Haar.
Nimm einen Herbsttag, ganz in der Frühe.
Nebelschwaden schwängern die Fluren.
Die Blätter verschwenden ihre Farben.
Der Wald duftet –
und angesichts des Vergehens ist Ernte angesagt.
Die Früchte der Erde sind reif.
Nimm einen Wintertag, ganz in der Frühe.
Nacht und Tod tanzen den Reigen des Schöpfers.
Tief drinnen erahnt man
was das wortlose Kind der Mutter erzählt.
Das Amen wird geboren.
So ist es.
Sprich es aus.
Nimm einen Frühlingstag
Ökumene
Christkatholische Kirche der Schweiz gegen Wiederaufnahme
der Mariaviten in die Utrechter Union
Die Synode der Christkatholischen Kirche der Schweiz äußerte am 6. Juni starke Bedenken gegen eine Wiederaufnahme der altkatholischen Kirche der Mariaviten in die Utrechter Union. Als Hauptargument wurde die Unvereinbarkeit der Existenz zweier altkatholischer Kirchen in einem Land genannt. Zuvor hatte sich bereits der Altbischof der christkatholischen Kirche der Schweiz Hans Gerny in einem Beitrag für die christkatholische Kirchenzeitung gegen eine Aufnahme der Mariaviten in die Utrechter Union ausgesprochen.
Weder scheinen ihm die theologischen noch die spirituellen Konzepte beider Kirchen kompatibel zu sein. Der Kern der mariavitischen Frömmigkeit bestünde in der Nachahmung des Lebens der unbefleckt empfangenen Jungfrau Maria. In einer fast biblischen Wertschätzung der Offenbarungen der Maria Franziska Koslowska, sowie in der ununterbrochenen Eucharistischen Anbetung.
In Plock herrsche eine Atmosphäre, wie in einer römischen Kirche des fernen 19. Jahrhunderts. Mit Ausnahme der Papstdogmen von 1870, sei die ganze römisch-katholische Lehre bewahrt und werde die Messe nach wie vor in tridentinisch, altrömischer Form gefeiert. Eine theologische Entwicklung sei dem Schweizer Altbischof bei den Mariaviten, die er über Jahrzehnte aus zahlreichen Begegnungen gut kenne, nie aufgefallen. Ausdrücklich erwähnt Gerny auch die deutliche Ablehnung einflussreicher Mariaviten gegenüber der Frauenordination. Abschließend fragt er skeptisch welche theologische oder spirituelle Bereicherung von den Mariaviten für die Utrechter Union ausgehen könne?
Serie 125 Jahre Utrechter Union - Schluss
Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland
von Alfons Fischer
Der amtliche Name der Altkatholiken in Deutschland lautet: „Katholisches Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland“. Die Schreibweise mit Bindestrich ist Teil der Selbstbezeichnung, während der offizielle Name der beiden anderen zur Utrechter Union gehörenden deutschsprachigen Kirchen „Christkatholische Kirche der Schweiz“ bzw. „Altkatholische Kirche Österreichs“ ist
In Deutschland gab es nach der Statistik vom 31.12.2013 zu diesem Zeitpunkt 15.840 Alt-Katholiken. Einen deutlichen Schwerpunkt an Alt-Katholiken ist in Süddeutschland festzustellen. Vor allem in den badischen Regionen - und hier wiederum in Südbaden - befinden sich verhältnismäßig viele Gemeinden. Aber auch in Bayern sind die Alt-Katholiken gut vertreten. In den fünf badischen Raumordnungsgebieten und in Bayern sollen allein fast die Hälfte aller deutschen Alt-Katholiken wohnen. Die einzigen größeren Konzentrationen von Alt-Katholiken im ländlichen Raum gibt es am Hochrhein sowie im Allgäu. Hier liegen die Gebiete mit dem höchsten Anteil an Alt-Katholiken, so im Kreis Waldshut, im Schwarzwald-Baar-Kreis und im Kreis Konstanz. Einen noch höheren Alt-Katholikenanteil weist die Stadt Kaufbeuren im Allgäu auf. Die dortige Gemeinde in Kaufbeuren-Neugablonz war nach dem Zweiten Weltkrieg eine sogenannte Flüchtlingsgemeinde aus dem Sudetenland. Nach dem Zerfall der Donaumonarchie hatten die Alt-Katholiken des Sudetenlandes im Jahre 1918 das Bistum Warnsdorf mit zahlreichen Gemeinden errichtet. Bei der Volkszählung 1930 gaben in Tschechien 22.000 Deutsche ihre Kirchenzugehörigkeit mit alt-katholisch an.
Gab es Ende des 19. Jahrhunderts im gesamten Nordwesten des Deutschen Reiches lediglich zwei alt-katholische Gemeinden, so existieren heute in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen und Niedersachsen immerhin sechs Gemeinden. Sie sind überwiegend durch Flüchtlinge entstanden. Der Anteil der Alt-Katholiken in den Bundesländern der ehemaligen DDR ist sehr niedrig. Das überrascht nicht, da die Alt-Katholiken – sofern sie nicht gleich nach der Geburt alt-katholisch getauft werden - zumeist von der Römisch-Katholischen Kirche herkommen und diese in Ostdeutschland nur schwach vertreten ist.
Zahlenmäßig größte alt-katholische Gemeinde in Deutschland ist seit dem Jahresende 2013 Berlin mit 764 Mitgliedern, von denen 688 im Land Berlin, 50 im Land Brandenburg und 25 im Land Mecklenburg-Vorpommern wohnen sowie 1 nach SGO § 39,4 in Hamburg beheimatet ist. Der Mitgliederzuwachs gegenüber 1912 betrug 157, vor allem bedingt durch Zuzüge. Berlin löst damit Bonn als mitgliedermäßig stärkste Gemeinde ab.
Mit Ausnahme von Südbaden liegen die meisten alt-katholischen Gemeinden im großstädtischen Raum. Allein 34 Hauptgemeinden befinden sich in Großstädten.
Bei der ersten alt-katholischen Synode 1874 ging man von insgesamt 70.000 Alt-Katholiken aus. Von den 121 Gemeinden lagen 44 in Baden, 34 in Bayern, 21 im Rheinland, 10 in Schlesien, 5 in Hessen, 4 in Ostpreußen, 2 in Oldenburg und 1 in Württemberg. Bei der 1925 stattgefundenen Volkszählung in Deutschland gaben 33.042 Leute an, zu den „Alt-Katholiken und verwandten Religionsgesellschaften“ zu gehören. 1933 waren es hingegen nur noch 21.904. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Anzahl der Alt-Katholiken rapide ab. Gab es 1953 nach dem Zuzug der sudetendeutschen Alt-Katholiken noch 36.000 Mitglieder, so reduzierte sich diese Zahl im Jahre 1966 auf nur noch 30.000 und nach dem heutigen Stand auf knapp 16.000.
Nach den Daten des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland gab es am 31.12.2012 5 Dekanate, 40 Pfarrämter, 55 staatskirchenrechtlich errichtete Pfarrgemeinden, 72 weitere Gottesdienststellen, 93 haupt- und nebenamtliche Priester/innen sowie 16 nebenamtliche Diakone bzw. Diakoninnen. Das Bistum wird geleitet durch Bischof Dr. Matthias Ring. Assistenzbischöfe im Ehrenamt sind Geoffrey Rowell (Church of England) und Pierre Whalon (Episcopal Church der USA). Als Generalvikar fungiert der Kölner Pfarrer Jürgen Wenge.
Dienstsitz des Bischofs ist Bonn, wo sich auch das Bischöfliche Konvikt Johanneum und das in die Universität integrierte Alt-Katholische Seminar mit einem Lehrstuhl für Theologie befindet. Die Namen-Jesu-Kathedralkirche ist gleichfalls in Bonn.
Das Bistum hatte seit seiner Gründung bisher 10 Bischöfe. Es sind dies
Joseph Hubert Reinkens (1873 – 1896),
Theodor Weber (1896 – 1906),
Josef Demmel (1906 – 1913),
Georg Moog (1913 – 1934),
Erwin Kreuzer (1934 – 1953),
Johann Josef Demmel (1953 – 1966 ),
Josef Brinkhues (1966 – 1986),
Sigisbert Kraft (1985 – 1995),
Joachim Vobbe (1995 – 2010) und
Matthias Ring (seit 2010).
Nach der Exkommunikation von Katholiken, die die beim ersten Vatikanischen Konzil beschlossenen Dogmen von der Unfehlbarkeit des Papstes in Sachen des Glaubens und der Moral sowie dessen Universalepiskopat ablehnten, war – wie schon eingangs erwähnt - in dessen Folge in Deutschland das Katholische Bistum der Alt-Katholiken entstanden. Der Priester Joseph Hubert Reinkens wurde zum Bischof gewählt und erhielt am 11.08.1873 in Rotterdam durch den niederländischen Bischof Hermann Heykamp von Deventer die Bischofsweihe. Danach ging die alt-katholische Synode an die Arbeit und beschloss im Laufe der Jahre - sowie oft gegen erheblichen Widerstand aus den eigenen Reihen - umfangreiche Reformen. So wurden die Stolgebühren und Messstipendien, der Gebrauch von Skapulieren und Medaillons, das Ablasswesen sowie die Auswüchse der Heiligenverehrung beseitigt. An die Stelle der Privatbeichte – ohne dass sie abgeschafft wurde – trat die Bußandacht.
Deutschsprachige Liturgie
Der Synode war mehrheitlich klar, dass die Gottesdienstsprache geändert werden muss, denn mit Latein konnten die meisten Kirchenmitglieder nichts anfangen. Nach so manchem Hin und Her setzte die Synodalrepräsentanz im Januar 1875 eine Kommission ein, um die Sprachenfrage einer Klärung zuzuführen. Vordringlich war es dabei für viele Synodale, dass die Sakramente künftig in deutscher Sprache gespendet werden können. Jedoch fehlten zunächst geeignete Texte für Taufen, Firmungen, Trauungen und Beerdigungen.
Eine lebhafte Debatte mit widersprüchlichen Aussagen über die Einführung der deutschen Sprache bei der Eucharistiefeier gab es bei der 3. und 4. Synode 1876 und 1877. Gegen den Willen der Synodalrepräsentanz beschloss die Synode schließlich die allmähliche Einführung der deutschen Sprache in den Gottesdiensten derjenigen Gemeinden, die das wünschten. Dies bezog sich vorläufig auf dafür geeignete Teile der Eucharistiefeier: Gloria, Präfation, Sanctus und Vaterunser.
Den größten Verdienst bei der Abschaffung des Lateinischen und die Übernahme des Deutschen in die alt-katholische Liturgie hatte der Theologe Adolf Thürlings. 1885 brachte er im Auftrag der deutschen alt-katholischen Synode ein deutsch-liturgisches Gebetbuch mit Liedern heraus. Gesangbücher für die Christkatholische Kirche der Schweiz folgten 1893 und 1894. Thürlings war ein Mann der Ökumene. Umfassend bezog er das Erbe des lateinischen Ritus und das evangelische Liedgut in seine Arbeit mit ein.
Abschaffung des Zölibates mit Schwierigkeiten
Gleich nach Konstituierung des deutschen alt-katholischen Bistums kam die Frage nach der Abschaffung des Zwangszölibates auf. Einen diesbezüglichen Antrag für die erste Synode brachten die Gemeinden Mannheim und Säckingen ein. Für heutige alt-katholische Verhältnisse nicht mehr vorstellbar, gab es dagegen erheblichen Widerstand und der Antrag wurde abgelehnt. Zur zweiten Synode brachten die Gemeinden Mannheim, Säckingen und dazu noch Karlsruhe den Antrag wiederum ein mit dem Ergebnis einer erneuten Verwerfung. Eine sogenannte Erklärung der Synodalrepräsentanz fand hingegen Zustimmung in der es u.a. heißt: „Die praktische Frage, ob verheiratete Geistliche als Seelsorger in alt-katholischen Gemeinden sollen fungieren dürfen, ist, solange die gegenwärtigen Verhältnisse nicht wesentlich verändert sind, zu verneinen.“
Für die dritte Bistumssynode gab es zum Zölibat zahlreiche Anträge aus verschiedenen Gemeinden, die aber alle nichts brachten. Inzwischen hatten die Anhänger des Zölibats Unterstützung von den niederländischen Altkatholiken erhalten, die im Grundsatz gegen alle Reformvorhaben Bedenken hatten und dies sich erst in späteren Jahren änderte. Erst bei der fünften Synode änderte sich alles. Die Synode beschloss mit 75 gegen 22 Stimmen
1. dass der Eingehung einer Ehe durch einen Geistlichen vom Subdiakon aufwärts entgegenstehende Verbot des kanonischen Rechts bildet in der alt-katholischen Gemeinschaft weder ein Hindernis für die Ehe von Seiten der Geistlichen, noch für die Verwaltung der Seelsorge durch einen verheirateten Geistlichen,
2. die dieser Bestimmung entgegenstehenden Beschlüsse der 2. und 3. Synode sind aufgehoben. Im Einzelnen stimmten von den Laien 56 mit Ja sowie 16 mit Nein und von den Geistlichen 19 mit Ja sowie 6 mit Nein.
Interessant an dem Abstimmungsergebnis über die Zölibatsfrage ist die Niederlage von Bischof Dr. Joseph Hubert Reinkens und seines Generalvikars Prof. Dr. Franz Heinrich Reusch, die beide für die Beibehaltung des Zölibates stimmten. Weiter sprachen sich für die Beibehaltung des Zölibates noch die Geistlichen Braun, Friedrich, Kopp und Hochstein aus. Als Konsequenz aus der Schlappe bei der Abstimmung über das Zölibat legte Prof. Dr. Reusch sein Amt als Generalvikar nieder.
Katholisch - Nationalkirchliche Bewegung (KNB)
Leider war das deutsche alt-katholische Bistum in der Hitlerzeit nicht frei vom nationalsozialistischen Gedankengut. Eine ganze Reihe von Alt-Katholiken sahen in Hitler und seiner Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) Möglichkeiten zur Profilierung der Kirche und Mitgliedergewinnung. So gab es das Verlangen nach einem „völkischen Christentum“ mit Abschaffung des Alten Testaments. Auch einige alt-katholische Pfarrer traten der NSDAP in der Hoffnung bei, Nationalsozialisten für die Alt-Katholiken zu gewinnen.
Dies alles führte 1934 zur Gründung der „Katholisch - Nationalkirchlichen Bewegung (KNB)“, die sich später in „Katholisch - Nationalkirchlichen Volksverein (KNV) umbenannte. Reichsleiter wurde des Essener alt-katholische Pfarrer Heinrich Hütwohl. Erfolge bezüglich Mitgliedergewinnung konnte die KNB vor allem innerhalb der Arbeiterschaft in den Ballungsgebieten der Kohleförderung und Schwerindustrie im Ruhrgebiet sowie in Oberschlesien verbuchen. 1939 soll es 3.350 Mitglieder, darunter 18 alt-katholische Pfarrer, gegeben haben. Das ist zwar nicht viel, doch bestimmten diese Leute vielfach das Bild des deutschen Alt-Katholizismus!
Die KNB war als überkonfessionelle „Kampforganisation der Alt-Katholischen Kirche“ gegen den politischen Katholizismus Roms und für eine deutsche sowie katholische Nationalkirche anzusehen. In einem Brief vom 03. November 1937 an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerrl, wies Bischof Erwin Kreuzer darauf hin, dass von 62 Geistlichen seines Bistums 16 der Nationalsozialistischen Partei angehören und weitere 8 Anwärter seien.
Natürlich gab es auch Widerstand gegen nationalsozialistische Auswüchse und hier speziell in der KNB. Besonders Pfarrer Pfister aus Blumberg war öfters das Sprachrohr derjenigen, die den unchristlichen Stil der KNB ablehnten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg legte Bischof Erwin Kreuzer in einem Hirtenbrief zu Ostern 1946 ein Schuldbekenntnis der deutschen Alt-Katholiken ab und schrieb:
„In diesem Sinne geben auch wir als deutsche Alt-Katholiken uns heute Rechenschaft vom besonderen Geschehen der letzten 12 Jahre im Leben unseres Volkes. Wenn wir darüber ganz von innen her unser Gewissen erforschen, dann finden wir wohl alle so oder so in uns ein schmerzliches Gefühl der Beschämung, das es uns verbietet, uns außerhalb der Verantwortung und damit außerhalb jener Schuld zu stellen, die sich in diesen Jahren so furchtbar über unserem Volk aufgetürmt hat. Es gab doch von Anfang an gewisse Worte und Erscheinungen, die beschämend und erschreckend waren und die uns hätten wacher finden sollen. Von daher verstehen wir, dass auch wir mitschuldig geworden sind.“
Alt-Katholiken in der ehemaligen DDR
Im Gebiet der ehemaligen DDR gab es bis zum Kriegsende nur wenige Alt-Katholiken. Im Zuge der Vertreibung kamen 1945 aber eine ganze Anzahl von alt-katholischen Christen in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands (SBZ), die einige Jahre später zur Deutschen Demokratischen Republik (DDR) wurde. Die Alt-Katholiken stammten vor allem aus dem jetzt polnischen Schlesien sowie dem tschechoslowakisch gewordenen Sudetenland. Es war schwer für sie, eine alt-katholische Gemeinde in der Nähe ihres neuen Wohnortes zu finden. So kam es dazu, dass so manche Alt-Katholiken aus ihrer religiösen Notlage heraus und in einem damals überwiegend evangelisch geprägten Land sich einer evangelischen und weniger einer römisch-katholischen Gemeinde anschlossen oder aber auch konfessionslos wurden. In seinem Buch „Die Geschichte der Alt-Katholischen Kirche in Mitteldeutschland“ geht Dekan i.R. Johannes Josef Urbisch von etwa 8.000 bis 9.500 vertriebenen Alt-Katholiken in der ehemaligen SBZ bzw. DDR aus.
Doch wo waren die ebenfalls vertriebenen alt-katholischen Geistlichen aus Schlesien und dem Sudetenland geblieben? Zwei von ihnen, der ehemalige Generalvikar des Warnsdorfer Bistums, Josef Siehr, sowie der Warnsdorfer Pfarrer Franz Billich, kamen nach Mecklenburg. Sie waren jedoch nicht sonderlich daran interessiert, die alt-katholische Sache in der SBZ zu vertreten. So siedelten sie bald nach Westdeutschland über und traten dort in den kirchlichen Dienst des deutschen alt-katholischen Bistums. Andere Geistliche, die gleich in den Westen Deutschlands gelangt waren, gliederte das Bistum ebenfalls in den alt-katholischen Klerus ein.
Es war von Anfang an nicht leicht, genügend Geistliche für den Dienst in der Alt-Katholischen Kirche der SBZ bzw. DDR zu gewinnen. Jeder Pfarrer hatte ein großes Gebiet mit nur wenigen aktiven Alt-Katholiken zu betreuen. Der Gottesdienstbesuch war jedenfalls nicht „zum Bäume ausreißen“. Die Anzahl der Sterbefälle überwog mit der Zeit beträchtlich den der Taufen und Beitritte. Die heimatvertriebenen Alt-Katholiken wurden älter und älter und starben allmählich. Ihre Kinder zeigten wenig - wenn überhaupt - Interesse am kirchlichen Leben und wussten mit dem Alt-Katholizismus der Eltern nichts mehr anzufangen. Die Entkirchlichung nahm mit der Zeit - auch aufgrund der politischen Verhältnisse sowie der Jugendweihe - bei allen Kirchen immer mehr zu.
Es gab aber auch Lichtblicke. Pfarrer Klemens Haas organisierte in seiner Leipziger Gemeinde ab Mitte der siebziger Jahre neben einem Rentnerkreis auch einen „Jugendtreff“, zu dem er aus der Ökumene besonders bekannte Persönlichkeiten einludt.
Die Alt-Katholiken aus der Bundesrepublik Deutschland und die aus der Deutschen Demokratischen Republik bildeten über viele Jahre noch ein gemeinsames Bistum mit dem Bischofssitz in Bonn. Dies missfiel mit der Zeit jedoch den DDR-Behörden. So mussten schließlich die Alt-Katholiken in der DDR aus der Jurisdiktion des alt-katholischen Bischofs in Bonn ausscheiden. Für sie war nun ohne Widerspruch der DDR-Behörden der niederländische Erzbischof von Utrecht zuständig. Da für den Bereich der DDR kein eigenes alt-katholisches Bistum gegründet werden sollte, kam es 1970 zur Bildung des „Gesamtverbandes der Alt-Katholiken in der DDR“. Dieser konnte nun die alt-katholischen Angelegenheiten beim Staat - und hier besonders gegenüber dem Staatssekretär für Kirchenfragen - besser als vorher vertreten. Letzte Vorsitzende des Gesamtverbandes bis zur „Wende“ in der DDR war die Blankenburger Sanitätsrätin Ursula Buschlüter, Ehefrau des im Jahre 1980 verstorbenen Dekans Franz Buschlüter.
Finanziell wurden die Alt-Katholiken in der DDR - und hier deren Gesamtverband - nachhaltig aus der Bundesrepublik Deutschland unterstützt. Nun sollte man meinen, dass die Alt-Katholiken bei den wenigen Geistlichen, die es bei ihnen gab, aus innerer Not heraus fest zusammenhalten würden. Doch dem war nicht so. Es gab erhebliche Unzuträglichkeiten, die sich mit der Zeit immer mehr steigerten! Dies führte in letzter Konsequenz dazu, dass Pfarrer Klemens Haas seinen Dienst in der Leipziger Gemeinde am 29. Mai 1984 beendete, die er seit dem 01. Januar 1976 geleitet hatte. Mit Genehmigung der Behörden verließ er zusammen mit seiner Familie die DDR und reiste nach Österreich aus. Hier wurde er zunächst altkatholischer Pfarrer einer Wiener Gemeinde und danach bis zu seinem Ruhestand 2004 Seelsorger der Altkatholiken in Linz.
Doch auch andere Pfarrer kamen mit dem alt-katholischen Gemeindeverband nicht zurecht. Der ehemals römisch-katholische Pfarrer Manfred Klaubert war zwischenzeitlich evangelisch geworden. 1981 wurde er alt-katholisch sowie Pfarrer für den Bereich Dresden. Doch hielt er es bei den Alt-Katholiken nur knapp zwei Jahre aus und konvertierte am 01.08.1983 wieder zur Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg.
Der von der Römisch-Katholischen Kirche zum Alt-Katholizismus übergetretene Pfarrer Dieter Johannes Morawietz hatte 1979 nebenamtlich die Seelsorge für die Alt-Katholiken in Schwerin und Waren-Müritz übernommen. Auf Veranlassung des Gemeindeverbandes der Alt-Katholiken wurde ihm im Juni 1985 vom Erzbischof von Utrecht die religiöse Betreuung der Alt-Katholiken wieder entzogen.
Mit der Zeit wurde der Pfarrermangel bei den Alt-Katholiken in der DDR immer bedrohlicher. 1983 gab es mit Manfred Gersch nur noch einen einzigen hauptamtlichen Pfarrer. In großer Not entschlossen sich die Verantwortlichen zu einem ungewöhnlichen Schritt. Unter Vorwegnahme der 1985 vom Katholischen Bistum der Alt-Katholiken in der Bundesrepublik Deutschland und den Evangelischen Kirchen abgeschlossenen Vereinbarung über eine gegenseitige Einladung zur Teilnahme an der Feier der Eucharistie wurde der evangelische und den Alt-Katholiken sehr verbundene Pfarrer Erich Schweidler ohne vorangegangene Priesterweihe mit der Betreuung der alt-katholischen Harzgemeinden beauftragt und hielt die Eucharistiefeier nach alt-katholischem Ritus. Der zuständige evangelisch-lutherische Landesbischof war mit dieser ökumenischen, doch nach katholischer Auffassung mehr als fragwürdigen Regelung, einverstanden.
Im Oktober 1989, also „fünf Minuten vor dem Fall der Mauer in Berlin“ weihte der damalige Utrechter Erzbischof Antonius Glazemaker den Diplom - Physiker Wilfried Büchse in der Hallenser Marktkirche zum Diakon. Er sollte nebenamtlich Pfarrer Manfred Gersch in der Seelsorge für die Alt-Katholiken in Köthen, Halle und Umgebung unterstützen. Sechs Jahre später nach einem theologischen Fernstudium und Priesterexamen erhielt Diakon Büchse am 18. Februar 1995 in der evangelischen St.-Jakobs-Gemeinde in Köthen durch Bischof Dr. Sigisbert Kraft die Priesterweihe. Seit dieser Zeit wirkt er in Sachsen-Anhalt als alt-katholischer Pfarrkurat.
Evangelisch / alt-katholische Einladung zur gemeinsamen Eucharistiefeier
Nach der vollen Kirchengemeinschaft zwischen Alt-Katholiken und Anglikanern wollten vor allem die Alt-Katholiken in Bezug auf eine Interkommunion mit den Evangelischen Kirchen etwas Ähnliches auf die Beine stellen. Und dies trotz katholischerseits vieler Zweifel daran und auch offener Ablehnung. Natürlich mit gewissen Einschränkungen, da den Evangelischen Kirchen die apostolische Sukzession fehlt. Schließlich muss Rücksicht auf die römischen Katholiken und Orthodoxen genommen werden, mit denen man gern eine volle oder wenigstens eingeschränkte Sakramentsgemeinschaft herstellen möchte. Schließlich ist es im Allgemeinen bei den Gottesdiensten nach der Lima-Liturgie immer so, dass ihnen jeweils ein Priester oder Bischof in apostolischer Sukzession vorsteht und ein Geistlicher ohne apostolischer Sukzession die Predigt hält.
Also verständigten sich am 29. März 1985 in Hannover der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in Absprache mit der Arnoldshainer Konferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands sowie das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland auf eine sechs Punkte umfassende „Vereinbarung über eine gegenseitige Einladung zur Teilnahme an der Feier der Eucharistie“.
Im Punkt 6 der Vereinbarung heißt es u.a.: „Sie feiern die Eucharistie, das von Jesus Christus eingesetzte Mahl des neuen Bundes, in dem er seinen Leib und sein Blut unter den sichtbaren Zeichen von Brot und Wein der Gemeinde schenkt. In dieser Feier erfährt die Gemeinde Gottes Liebe in Jesus Christus, verkündet den Tod des Herrn und preist seine Auferstehung, bis er wiederkommt und sein Reich zur Vollendung bringt. Dies findet seinen Ausdruck im Eucharistiegebet, in dem der Einsetzungsbericht mit dem Dank an den Vater, dem Gedächtnis des Heilswerkes Christi (Anamnese) und der Anrufung des Heiligen Geistes (Epiklese) verbunden ist.
Gemäß der Lehre der beteiligten Kirchen wird die Eucharistiefeier von Ordinierten geleitet. Gemeinschaft im Herrenmahl verpflichtet die Kirchen darauf zu achten, dass die Praxis dieser Lehre entspricht.“
Frauenordination
Die Zulassung von Frauen zum geistlichen Amt (Diakonin, Priesterin, Bischöfin) in den Altkatholischen Kirchen der Utrechter Union - und hier besonders im Katholischen Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland - zog sich über viele Jahre hin.
1976 lehnt die Internationale Altkatholische Bischofskonferenz der Utrechter Union (IBK) bei einer Gegenstimme die Zulassung von Frauen zum dreifachen geistlichen Amt mit der Begründung ab, dass die Kirchentradition keine Frauen im sakramentalen Amt kennt. Jesus habe nur Männer zu Aposteln berufen. Im Gegensatz zu 1976 stellt sich die IBK 1982 auf den Standpunkt, dass dem Diakonat der Frau nichts im Wege steht, dies aber den einzelnen Ortskirchen überlassen bleibt. 1987 wird in der Schweiz eine Frau zur Diakonin geweiht, 1988 in Deutschland und 1991 in Österreich. 1989 spricht sich die deutsche Bistumssynode für die Einbeziehung der Frau in das dreifache geistliche Amt aus. Unter Berücksichtigung der Lage in den anderen Altkatholischen Kirchen wird auf die sofortige Weihe von Frauen verzichtet, wobei der Bischof den Auftrag erhält eine Einvernehmlichkeit in der Utrechter Union anzustreben. 1991 kommen die Bischöfe im Schweizer Ort Wislikofen zu keinem Ergebnis bezüglich der Frauenordination. Die deutsche Bistumssynode beschließt auf Antrag von Bischof Dr. Sigisbert Kraft einen nochmaligen Aufschub der Frauenordination.
1994 erklärt die 51. deutsche Bistumssynode, dass in der Kirche Frauen und Männer die gleichen Rechte haben und sie infolgedessen zum apostolischen Dienst des Diakonats, Presbyterats und Episkopats ordiniert werden können. Dies wurde mit 124 gegen 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen beschlossen und in die Synodal- und Gemeindeordnung des deutschen Bistums eingefügt. 1996 weiht der deutsche Bischof Joachim Vobbe am Pfingstmontag die Diakoninnen Regina Pickel-Bossau und Angela Berlis zu Priesterinnen.
Die IBK tritt im Juli 1997 zum zweiten Mal zu einer Sondersitzung über die Frauenordination zusammen und stellt fest, dass in der Frage der Frauenordination zur Zeit keine einstimmige Entscheidung möglich ist. Die Mehrheit der Bischöfe stimmt dafür, die Einführung der Frauenordination den einzelnen Mitgliedskirchen zu überlassen.
Die Synode der Altkatholischen Kirche Österreichs beschließt im Oktober 1997 die Einführung der Frauenordination und Frau Dr. Elfriede Kreuzeder wird noch im selben Jahr geweiht.
Im Juni 1998 stimmt die Synode der Christkatholischen Kirche der Schweiz in erster Lesung dafür, dass mit dem apostolischen Amt von Bischof, Priester und Diakon sowohl Männer als auch Frauen betraut werden können. Dieser Beschluss erhält aber erst nach Bestätigung durch die nächste Synode im Jahre 1999 Rechtskraft. Im Oktober1998 empfiehlt die Synode der Altkatholischen Kirche der Niederlande den Bischöfen die Einführung der Frauenordination. 1999 bestätigt die Synode der Christkatholischen Kirche der Schweiz in zweiter Lesung den im Jahre zuvor gefassten Beschluss über die Einführung der Frauenordination. Ebenfalls 1999 wird in der Altkatholischen Kirche der Niederlande die erste Frau zur Priesterin geweiht. Im Jahre 2000 erhält in der Christkatholischen Kirche der Schweiz die erste Frau die Priesterweihe.
Abgeordnete alt-katholischer Konfession
Natürlich ist es immer wünschenswert, wenn sich in ihrer Kirche engagierte Alt-Katholiken auch u.a. in Parteien, Gewerkschaften, sozialen Verbänden und sonstigen Organisationen betätigen und ihre Kirchenzugehörigkeit nicht ängstlich verschweigen. Besonders eine mitgliedermäßig so kleine Kirche wie die der Alt-Katholiken ist in ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf das Bekanntwerden der positiven Arbeit ihrer Mitglieder mehr als angewiesen um selbst bekannter zu werden. Dies gilt natürlich auch für die politische und parlamentarische Arbeit von Alt-Katholiken.
Nun ist es kein Geheimnis, dass im Kaiserreich nach 1870 und in den deutschen Kleinstaaten viele Alt-Katholiken bis 1918 politisch zu den Nationalliberalen tendierten.
Nach dem ersten Vatikanischen Konzil mit seinen nicht allen Katholiken zusagenden Beschlüssen traten in Baden alle römisch-katholischen Landtagsabgeordneten der Nationalliberalen Partei zum Alt-Katholizismus über. Ihr Wortführer war dabei der Landtags- und Reichstagsabgeordnete Johann Baptist Roder. So gehört er auch mit zu den Gründern der alt-katholischen Gemeinde in Meßkirch.
Bekanntester alt-katholischer Reichstagsabgeordneter der Nationalliberalen Partei war jedoch der langjährige stellvertretende Synodalratsvorsitzende Dr. Johann Friedrich Freiherr von Schulte.
Noch ein weiterer Reichstagsabgeordneter aus den Anfängen des deutschen alt-katholischen Bistums findet sich mit Richard Hasenclever aus Bayern. Er gehörte allerdings nicht zu den Nationalliberalen, sondern war Mitglied der nur sehr kurzlebigen Liberalen Reichspartei.
Doch bereits kurz nach der Gründungsphase des Alt-Katholizismus findet man in Deutschland zunächst keine Zugehörigkeit mehr von Abgeordneten, die der Alt-Katholischer Kirche angehören.
Mit dem Ende des Kaiserreiches und dem Beginn der Weimarer Republik ist bei den alt-katholischen Christen vielfach ein politisches Umdenken festzustellen. Man ist jetzt politisch nicht mehr vor allem nationalliberal, sondern fühlt sich bei den konservativen Deutschnationalen besser aufgehoben. Dies umso mehr, da es bei den Deutschnationalen auch einen für Alt-Katholiken offenstehenden sogenannten Reichskatholikenausschuss gab. Allen voran geht dabei auch der spätere Bischof Erwin Kreuzer diesen Weg mit, der - wie bereits im Abschnitt über den „Sozialen Alt-Katholizismus“ erwähnt - neben seiner Haupttätigkeit als Pfarrer von Freiburg im Breisgau sich noch der dortigen Kommunalpolitik annimmt und so in zweifacher Weise als Seelsorger sowie deutschnationaler Stadtverordneter sich für das Wohl der Menschen einsetzte.
Es gab in der Weimarer Republik aber auch einen kirchlich zu den Alt-Katholiken gehörenden Landtagsabgeordneten in Bayern und späteren Reichstagsabgeordneten. Es handelt sich dabei um den Universitätsprofessor in Erlangen Dr. med. et phil. Arnold Spuler mit Wohnsitz Aidenried/Ammersee. Er war für die Bayerische Mittelpartei, wie die Deutschnationalen damals in Bayern hießen, von 1920 - 1924 Mitglied des bayerischen Landtages. Von 1924 - 1928 vertrat Spuler dann als Abgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei den Wahlkreis Oberbayern - Schwaben im Reichstag.
Über den Alt-Katholizismus während der Zeit des Nationalsozialismus ist in dem Kapitel über die „Katholisch-Nationalkirchliche Bewegung (KNB)“ ausführlich berichtet worden. Es soll allerdings hier nicht verschwiegen werden, dass es damals mit Dr. jur. Hans Frank in den Jahren von 1934 - 1945 auch einen nationalsozialistischen Reichsminister ohne Geschäftsbereich sowie Generalgouverneur des polnischen Generalgouvernements gab, der der Berliner alt-katholischen Gemeinde angehörte und im Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg zum Tode verurteilt wurde.
Mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und Gründung der Bundesrepublik Deutschland sowie der Deutschen Demokratischen Republik begann auch für die deutschen Alt-Katholiken ein neues Kapitel ihrer Geschichte. Außer einigen Bürgermeistern und Gemeinderäten kam nur ein einziges Mal ein Alt-Katholik in den Bundestag. Bei den Wahlen zum ersten Deutschen Bundestag im Jahre 1949 wurde der Oberbibliotheksrat Dr. phil. Conrad Warmund Christian Maria Fink für die Bayernpartei im Wahlkreis Pfarrkirchen direkt gewählt. Vorher war er Landrat in Pfarrkirchen gewesen. 1952 schloss er sich der CSU an und gehörte damit zur CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Buchbesprechungen:
Karl Heinz Voigt, Ökumene in Deutschland.
Internationale Einflüsse und Netzwerkbildung – Anfänge 1848-1945, Göttingen 2014,
Vandenhoeck&Ruprecht (Reihe: Kirche-Konfession-Religion Bd. 62), 311 S., 44.99 €.
Kirchlich ist das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Ökumene. Es hat alle Kirchen verändert.
Die vorliegende Studie des ev.-methodistischen Pastors Voigt untersucht die Voraussetzungen
dieses Prozesses: Wie verhielten sich die früheren Staats- und späteren Landeskirchen, die seit Jahrhunderten in territorialen Grenzen gelebt hatten, zu den weltweiten Entwicklungen? Wie wirkte sich das „Eindringen“ der international organisierten Freikirchen in ökumenischer Hinsicht aus? Zu welchen frühen Gruppierungen fand die innerdeutsche Ökumene? Diese in der kirchengeschichtlichen Forschung bisher nur marginal beachteten Entwicklungen werden aus der Sicht einer ökumenisch selbstbewussten Minderheitenkirche – der Methodisten – entfaltet. Der frühere ACK-Deutschland-Vorsitzende Friedrich Weber schreibt: „Die Arbeit Karl Heinz Voigts, sorgfältig erarbeitet und wissenschaftlichen Kriterien verpflichtet, dennoch gut lesbar, ist für mich ein Meilenstein auf dem Weg des ökumenischen Miteinanders. … dass es genau dies ist, was Ökumene ausmacht: der empathische Blick der je anderen auf das, was die anderen Konfessionen sind. Empathie wird es uns ermöglichen, auch in schwierigen Zeiten beieinander zu bleiben. Und zugleich lehrt diese Arbeit, dass es nicht so sehr auf das je eigene Selbstverständnis der Konfessionen ankommt, sondern auf das gemeinsame Zeugnis in einer säkularisierten Welt.“
Ein zweiter Band über die Ökumene-Geschichte ab 1945 ist im Erscheinen.
Axel Stark
Wolfhart Pannenberg, Systematische Theologie,
Göttingen 2015, 3 Bde, 515 S.+564 S.+ 767 S., Verlag Vandenhoeck&Ruprecht, 79.99 €.
Gunther Wenz, emeritierter Münchner Professor für ev. Systematische Theologie und jetzt Leiter der Wolfhart Pannenberg-Forschungsstelle an der Münchner Hochschule für Philosophie SJ, gibt die zwischen 1988 und 1993 erschienenen drei Bände der Gesamtdarstellung der Dogmatik von Wolfhart Pannenberg ( 1928-2014 ) neu heraus. Das ist insofern gerechtfertigt, weil diese dreibändige Systematische Theologie zu den „bedeutendsten dogmatischen Entwürfen des ausgehenden 20. Jahrhunderts zählt“. Das aktuelle Hauptthema ist die offene Frage nach der Wahrheit der christlichen Lehre. Der erste Band befasst sich mit der Gotteslehre: Behandelt werden neben den Prolegomena zur Theologie die Wirklichkeit Gottes, die Offenbarung Gottes, der trinitarische Gott sowie die Einheit des göttlichen Wesens und seine Eigenschaften. Problemgeschichtlich orientiert und in konsequenter Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen Kritik unterzieht Pannenberg die christliche Lehre einer anspruchsvollen wissenschaftlichen Rechenschaft, evangelisch und ökumenisch. Im zweiten Band geht es um die Schöpfungslehre,
die Anthropologie, die Christologie und die Versöhnungslehre. Die Ekklesiologie, das Sakramenten- und Amtsverständnis, die christliche Existenz des Einzelnen und die Eschatologie bilden die Themen des letzten dritten Bandes. Alle diese Themen werden im Zusammenhang einer Entfaltung des trinitarischen Gottesgedankens besprochen.
Pannenberg, der im letzten Jahr Verstorbene, hat dieses Werk für alle diejenigen geschrieben, denen die Frage nach der christlichen Lehre und ihrer Wahrheit ein ernstes Anliegen ist. Der christliche Glaube an Gott begegnet in unserer Zeit ernsten Herausforderungen wie den verschiedenen Formen der Religionskritik, innerhalb des Christentums den konfessionellen Gegensätzen und den weltweiten verschiedenen Religionen und Weltanschauungen. Da hilft es wenig, die traditionelle Sprache modischen Denkweisen anzupassen. Man muss der Herausforderung standhalten und zeigen, dass der christliche Glaube keineswegs intellektuell obsolet ist.
Axel Stark, Passau
Michael Fiedrowicz, Handbuch der Patristik
Quellentexte zur Theologie der Kirchenväter, Freiburg 2010, 688S.42 €
(K.M.) Bereits im Jahre 2010 legte der Autor, Professor für Alte Kirchengeschichte in Trier, den zweiten Band seines Standartwerkes zur Patristik vor. 2007 war schon mit der Theologie der Kirchenväter der erste Teil erschienen. 2015 bietet nun der Herder Verlag beide Bände in einer preiswerten Sonderausgabe für zusammen 49,99 an. Das Werk bietet eine fundierte Einführung in die systematische Theologie der Alten Kirche und liefert die entsprechenden Quellenangaben hinzu. Neben dem Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche (2002) von Karl S Frank ein Muss für jeden der sich mit der Vätertheologie gründlich beschäftigen will. Als negative Anmerkung mag man lediglich auf das etwas zu knapp gehaltene Sachregister hinweisen.
Leserbrief:
Zum Beitrag: Nur ein innerkatholisches Problem, oder doch ein Modell für den ökumenischen Dialog? Anfragen, die sich aus dem Rezeptionsprozess von Kirche und Kirchengemeinschaft auch an die Kirchen der Union von Scranton stellen. Von Klaus Mass
Ich lese Ihre Beiträge mit großem Interesse. Bitte gestatten Sie mir eine Anmerkung zur letzten Ausgabe: Prof. Suttner ist kein orthodoxer sondern katholischer Theologe und Ostkirchenkundler, der in einem byz. Ritus dient. Natürlich stellt er die orthodoxen Positionen richtig dar, aber er ist selbst nicht orthodox.
Prof. Dr. Reinhard Thöle, Halle
Anmerkung der Redaktion:
Herzlichen Dank für die Klarstellung. Professor Suttner hatte auf der Tagung des Ökumenischen Instituts Luzern lediglich die orthodoxen Positionen vertreten ohne natürlich Mitglied eines östlichen Patriarchats zu sein.
Professor em. Dr. Ernst Christoph Suttner wurde 1933 in Regensburg geboren. Am 5. Juni 1960 wurde er in Rom nach byzantinischem Ritus für die Diözese Regensburg zum Priester geweiht.
1962 wurde Suttner Assistent am Würzburger Lehrstuhl für Theologie und Geschichte des christlichen Ostens.
Von 1975 bis 2002 ging Suttner an die katholisch-theologische Fakultät der Universität Wien, an welcher er Professor für Patrologie und Ostkirchenkunde war. Er veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Bücher. Von 1979 bis 2000 gehörte Suttner der internationalen gemischten Kommission für den offiziellen theologischen Dialog zwischen der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche an.
Kräuterkolumne von Pater Gerhard
Lorbeer, Laurus nobilis – der „Edle von Laurus“:
Uralt und mächtig ist’s was uns da entgegenwächst. Wo „Laurus“ zu finden ist? – Niemand weiß es. Seine Quellen liegen im Dunkeln der Schöpfungsgeschichte.
Mit diesem aromatischen Baum bringen Fachleute die kultische Verehrung von Muttergottheiten im Griechenland der vorhellenistischen Zeit in Verbindung. Ursprünglich war wohl der heilige Lorbeer-Hain für Männer tabu. Später finden sich Hinweise, dass mit seinen Blättern Reinigungsriten für vergossenes Blut abgehalten wurden. Der Ort, an dem dies geschah, ist Delphi, der berühmteste griechische Orakelplatz. Mit dem Wechsel von Mutter- hin zu „männlichen“ Gottheiten wurde Apollon, der Sohn des Zeus, für das Orakeln und mithin auch für den Lorbeer zuständig. Die Seherin von Delphi kaute Lorbeerblätter und berauschte sich am Rauch der Blätter. Lorbeer ist so gesehen die Quelle dieser Weissagungen: Verborgenes wird im ekstatischen Rausch sichtbar.
Bis heute sind diese Blätter ein Zeichen der Dichtkunst und Musik, und Apoll ist der Gott der Musen. Lorbeer ist uraltes Sinnbild für Sieg und Triumph. Siegreiche Olympioniken und römische Feldherren wurden mit dem Lorbeerkranz belohnt.
Im Christentum lebt diese Symbolik weiter: Immergrün wird er zu den Marienkräutern gezählt und steht für Unvergänglichkeit und das ewige Leben. „Erkenne dich selbst!“ - diese zu Delphi in Stein gemeißelte Maxime, wird durch diese Pflanze wirkmächtig. „Vergiss nicht, dass du sterblich bist!“: Im Totenkult der vergangenen Jahrhunderte spielte der Lorbeer - zusammen mit Rosmarin und Zitrone - eine bedeutsame Rolle.
Genug der Mythen und der Historie. Wenden wir uns dem gebräuchlichen Umgang zu.
Unsere hochgeschätzte Kräuterfreundin Hildegard von Bingen empfiehlt Lorbeerblätter und die Rinde dieses Baumes um „deinen Magen von allem Unrat zu reinigen“. Weiter erfahren wir bei ihr: „Mach aus Blättern und Rinde eine Salbe. Und wenn du Kopfschmerzen hast, oder Schmerzen in der Seite oder im Rücken, dann salbe dich damit und es wird dir besser gehen – so Gott will. Und wenn du Kopfweh hast, zerstoße die Körner der Frucht und gebe etwas Wein dazu und salbe den Scheitel und die Schläfen. …“ Schon die „alten Römer“ nutzten ihn als Arznei bei Leberleiden. Er soll Übelkeit beseitigen, das Gedächtnis und unser Nervenkostüm stärken. Er hat sich in Salben bei Rheuma, Blutergüssen und Hautproblemen bewährt. Heute wissen wir, dass Lorbeer entzündungshemmend, durchblutungsfördernd, antiseptisch, appetitanregend und verdauungsanregend wirkt. Damit kommen wir von der Apotheke in die Küche. Wir haben ja verinnerlicht, was schon die alten Griechen lehrten: „Wenn wir das richtige essen können wir Krankheiten vorbeugen. Essen wir das Falsche, leisten wir ihnen sogar Vorschub.“
Als Gewürz sind Lorbeerblätter fester Bestandteil in der großen und kleinen Küchenwelt.
Das kraftvolle und belebende Aroma übertönt weniger einnehmende Geschmacksnuancen in ausgiebig gekochten Brühen und unterdrückt „fischige“ Noten, bereichert also alle Brühen und Suppen. Die Blätter gehören zusammen mit Thymian, Sellerieblättern und dem Grün von Lauch zum berühmten „Bouquet garni“. Vor allem an herzhaften Zubereitungen ist Lorbeer rund um den Globus beteiligt. Kraut, Lamm, Hering, alles vom Wild - alles gewinnt durch sein Aroma. Alles Säuerliche wird nicht nur geschmacklich bereichert, sondern profitiert auch von seinen keimtötenden Eigenschaften. Lorbeer ist ein natürliches Konservierungsmittel. Bratkartoffeln – auch die figurfreundliche Variante, die im Backrohr zubereitet wird – mit Lorbeerblatt und Rosmarin: ein Hochgenuss! Bei uns wenig bekannt ist die Aromatisierung von Milchspeisen, vor allem Milchreis. Es ist wirklich wert, dies einmal auszuprobieren. Auch warme, gesüßte Milch schmeckt mit Lorbeer einfach besser.
Ich meine es lohnt sich für jeden, diesen Edlen aus Laurus wieder oder neu für sich zu entdecken.
Gott befohlen und herzlichst, Ihr Pater Gerhard