Zeitschrift für Theologie, geistliches Leben und christliche Kultur
__________________________________________________________________________________
Kirchenvorstandswahl 2013
Vom 21. Juni bis zum 05. Juli fand in unserer weitläufigen Gemeinde die erste Kirchenvorstandswahl statt. Neben den Geistlichen, die qua Amt diesem Gremium angehören, wurden folgende Laien in den Kirchenvorstand gewählt. Sr. Britta Alt (1978), Regensburg, Nicole Holmer (1973), Gemünden, Monika Koch (1966), Königsberg; Dr. Jörg Marienhagen (1957), Lappersdorf; Gabriele Seidler (1961), Weidenstetten; Jörg Simon (1972), Ansbach
Grüße aus dem Vatikan
Sehr geehrter Herr Generalvikar Mass,
anlässlich der Wahl zum Nachfolger des Apostel Petrus haben Sie Papst Franziskus im Namen der Christ-Katholischen Kirche in Deutschland herzliche Glück- und Segenswünsche übermittelt und ihn Ihres Gebetes versichert. Seine Heiligkeit hat sich über diese Aufmerksamkeit sehr gefreut und mich beauftragt, Ihnen dafür aufrichtig zu danken.
Gerne erwidert Papst Franziskus Ihre guten Gedanken mit seinem Gebet um den Frieden in der Welt und um die Einheit der Christen. In diesem Sinne erbittet er Ihnen sowie Ihrer Gemeinschaft von Herzen Gottes Schutz und Segen.
Mit besten persönlichen Wünschen
Prälat Peter B. Wells
Was kümmert uns der Papst?
Kommentar von Ottar M. Myrseth:
Anlässlich der Papstwahl konnten wir (in Norwegen) in zahlreichen Meldungen unerwartet viele nützliche Informationen über die römisch-katholische Kirche finden. Üblicherweise verbuchen die meisten (skandinavischen) Protestanten entsprechende Meldungen unter Kuriositäten. Spielt die Papstwahl für Christen außerhalb der röm.-kath. Kirche überhaupt eine Rolle?
Ich möchte mehrere Gründe nennen, warum die Antwort "Ja" lauten sollte. Die römisch-katholische Kirche ist trotz all ihrer internen Probleme, immer eine Institution, welche mit Autorität über die Fragen des Alltags hinausweist. Sie lässt sich, im Gegensatz zu vielen protestantischen Kirchen, ihre Agenda weder von den Massenmedien vorlegen, noch schwankt sie in ihrem Urteil mit der öffentlichen Meinung.
Der Papst als kirchliches Oberhaupt ist ein wichtiger Signalgeber für diese klare Linie. Die letzten beiden Päpste waren moralische und theologische Riesen. Durch ihre furchtlose Predigt gegen die zeitgenössische Kultur des Todes und des Relativismus, haben sie auch außerhalb der römisch-katholischen Kirche Gehör gewonnen. Mit ihrer Betonung des Evangeliums des Lebens (Evangelium Vitae), prägten sie sowohl das Vokabular als auch den intellektuellen Rahmen bezüglich der Diskussionen über den christlichen Glauben in unserer Zeit. Stets erinnerten sie daran, dass zur Entwicklung des Menschen nicht nur materielle, sondern auch geistige und moralische Werte gehören.
Der Papst ist ein wichtiger Partner im Kampf für die Wahrheit. Er verweist auf Wahres und Falsches, nicht nur für den einzelnen Menschen, sondern auch für ganze Gesellschaften. Der wachsende Säkularismus und die sich auflösenden traditionellen Milieus verunsichern die Menschen. Welchem Weg sollen sie in Zukunft folgen? Der Papst ist ein hervorragender Verbündeter in dieser kulturellen und politischen Kontroverse. Die gesellschaftlich dominierenden Trends ignorieren häufig ethische Normen und verzichten auf die Verwendung von Kategorien wie richtig oder falsch. Oft waren es dann die Päpste, die furchtlos den Finger in entsprechende Wunden legten.
Daher genießt der Papst auch aus gutem Grund hohe Wertschätzung, sowohl bei orthodoxen und protestantischen Christen, als auch bei unabhängigen Katholiken.
Wir brauchen solche Allianzen gegen den aggressiven Säkularismus. Der Papst ist ein Partner im Kampf um die Würde und den Wert des menschlichen Lebens von dessen Anbeginn bis zu seinem Ende. Wir stehen zusammen in der Behauptung der christlichen Ehe zwischen einem Mann und einer Frau. Last but not least, der Papst ist ein wichtiger Verbündeter für die ökumenische Bewegung, der wir alle verpflichtet sind, auf, „dass sie alle eins seien" (Joh 17). Als Christen brauchen wir solche Vorbilder und Signalgeber.
Ottar M. Myrseth, Probst der Nordisch-Katholischen Kirche, designierter Generalvikar für Skandinavien
350 Jahre[1] Book of Common Prayer – eine „erweckliche“ Liturgie
Prof. Dr. Samuel Leuenberger[2]
Meine Auslandssemester in England und den USA brachten mich in Verbindung mit der Anglikanischen Kirche und ihrem heute noch offiziell gültigen Liturgiebuch, dem Book of Common Prayer 1662[3]. In diesem „Allgemeinen Gebetbuch“ sind sämtliche Gottesdienste, auch die, welche man bei uns als „Kasualien“ bezeichnet, mit enthalten.
Die Liturgien im Book of Common Prayer begannen auf mich eine Anziehungskraft auszuüben, weil mir auffiel, dass diese die legitimen kultischen Elemente der Alten Kirche aufgenommen hatten im Sinne ästhetischer Qualität, wobei das Wichtigste nicht fehlte, nämlich: Diese altkirchlichen kultischen Formen sind mit einer genuin reformatorischen Theologie gefüllt und in eine durch und durch von biblischen Elementen durchsetzte Liturgie integriert. Vor allem in den drei Hauptgottesdiensten, im Morning- und Evening Prayer [4] (Morgen- und Vespergottesdienst) sowie in der Abendmahlsliturgie[5] (Holy Communion) entdeckte ich eine ausgesprochen erweckliche Mentalität. Da mir im angelsächsischen Raum gerade durch das Zeugnis erwecklicher Kreise der Weg zum lebendigen Glauben gezeigt wurde, sah ich die Wichtigkeit einer evangelistisch orientierten Liturgie. Dabei ist es mir auch ein wichtiges Anliegen, aufzuzeigen, dass evangelikal-erwecklich orientierte Theologie und Liebe zu Liturgie einander nicht zu widersprechen brauchen.
I. Woher kommen die erwecklichen Elemente im Book of Common Prayer
Wir müssen zunächst sehen, dass das Book of Common Prayer einen Wachstumsprozess durchmachte, der uns sehr interessante Stationen aufzeigt. Der Hauptreformator Englands, Thomas Cranmer (1489 – 1556), hat im Jahre 1549 einen ersten Entwurf eines Allgemeinen Liturgiebuches vorgelegt. Cranmer benutzte Elemente aus dem „Sarum Missal“ (Sarisches Missale aus dem 11. Jahrhundert), aber auch aus lutherischen Liturgien. Das von Erzbischof Cranmer kompilierte Book of Common Prayer von 1549[6] hatte bereits viel Reformatorisches, doch gab es noch genuin römisch-katholische Elemente darin, welche zusammen mit den reformatorischen Eigenheiten dieses Allgemeine Gebetbuch von 1549 zu einem Kompromiss machten. Das zeigte sich besonders deutlich in der Abendmahlsliturgie[7], wo im großen Konsekrationsgebet die Heiligen und Maria noch eine Rolle spielen und ein Gebet für die Verstorbenen Verwendung findet.[8]
Im Morgen- und Abendgebet (Morning- und Evening Prayer) fehlte ein eigentliches Sündenbekenntnis und eine Exhortation (Vermahnung). Das Taufformular schrieb das römisch-katholische Zeremoniell der Verwendung von Salz und Öl vor, wobei auch der am Säugling vorzunehmende Exorzismus nicht fehlen durfte.[9] Dieses Kompromissdenken Cranmers haben verschiedene bedeutende reformatorische Theologen kritisiert, welche Erzbischof Cranmer nach England bat, um ihm bei der weiteren Durchführung der Reformation auf der Insel behilflich zu sein. Es handelt sich vor allem um drei wichtige Theologen, welche die erwecklichen Anliegen auf den Leuchter stellten und in besonderem Maße Cranmers Denken befruchteten, nämlich: Petrus Martyr Vermigli (1500 – 1562), Martin Bucer ( 1491 – 1551), und John Hooper (1495 – 1555)
II. Die erweckliche Liturgie
Bevor wir uns den drei genannten reformatorischen Theologen zuwenden, soll der Begriff „erwecklich“ kurz erläutert werden. Mit dem Begriff erwecklich[10] ist jene theologische Haltung gemeint, die Bekehrung und persönliche Aneignung des Heils in Christus durch Entscheidung betont, dann aber auch besonderes Gewicht auf die Sammlung der Gläubigen zur herzlichen Gemeinschaft legt. Erweckliche Mentalität stellt das Missionieren stark in den Vordergrund und proklamiert die Zuverlässigkeit der Hl. Schrift als eine die Menschen ihrer Sünde überführenden Kraft. Es gehört zur erwecklichen Mentalität, immer wieder den Akzent auf Buße, Wiedergeburt, Heiligung und das Ablegen von Zeugnissen zu setzen. Es geht um verbindliche biblische „pietas“.
1547 hat Cranmer Petrus Martyr Vermigli[11] als theologischen Berater für die weitere Vorantreibung der Reformation nach England berufen. Dieser Petrus Martyr hat als Augustinermönch in verschiedenen Klöstern Italiens gewirkt und das theologische Erbe des großen Kirchenvaters Augustin tief in sein Denken einfließen lassen. In den Jahren 1537 – 1540 hielt sich Vermigli (Petrus Martyr) in Neapel auf, wo sich eine große Wandlung an ihm zu vollziehen begann. In Neapel entstand gerade in diesen Jahren eine Art Erweckungsbewegung innerhalb der Römischen Kirche. Leute aus den gehobenen sozialen Schichten waren an dieser Neapolitanischen Erweckungsbewegung[12] aktiv beteiligt, wie z. B. Vittoria Colonna, Juan Valdes, Flaminio und Sadolet. Die wichtigsten in diesem erwecklichen Kreis vertretenen Anliegen waren: Die Betonung der Verdorbenheit des Menschen, die Hervorhebung von Gottes Wort als über der kirchlichen Lehre stehend, die Verwerfung oberflächlich gehandhabter kultischer Formen, Spiritualisierung des Kirchenbegriffes im Sinne der Betonung der Gemeinschaft unter den Gläubigen, Heiligung und ökumenische Weite im Sinne der Anerkennung aller Glaubensgeschwister unabhängig von der Konfessionszugehörigkeit.
Als Martyr, durch dieses Gedankengut geschult, 1547 dem Ruf nach England Folge leistete, durfte er die ersten drei Monate im Lambeth Palace als Ehrengast von Erzbischof Cranmer verbringen. Es liegt auf der Hand, dass Vermigli mit seinen von Neapel herrührenden erwecklichen Anliegen Cranmer befruchtete.
Während Martyr vor allem in Oxford seine akademische Tätigkeit entfaltete, arbeitete Martin Bucer[13] in den Jahren 1549-1551 vorwiegend in Cambridge. Bucer verfasst die sogenannte Censura[14]. In ihr geht es um Anregungen, wie das Book of Common Prayer zu einem glaubenserweckenden Liturgiebuch werden könnte. Einige wesentliche Punkte seien genannt: Bucer schärft in seiner „Censura“ ein, dass das in den liturgischen Gottesdiensten Gesprochene, seien es Bitten, Lobpreis oder Danksagungen, vom Herzensglauben[15] herrühren müsse. Eine unengagierte Teilnahme am Gottesdienst, wo man einfach gewohnheitsmäßig einem bestimmten liturgischen Ablauf beiwohnt, nützt einen alten Hut.
Bucer fordert die Geistlichen dazu auf, Gebete, Psalmen und Lesungen mit Hingabe und ausdrucksvoller Stimme vorzutragen. Die Teilnahme am Abendmahl muss im Zusammenhang mit einer strengen Kirchenzucht stehen. Das Hl. Abendmahl darf ja nicht zur Farce werden, wo Personen, die gegeneinander sind, trotzdem zum Abendmahl kommen aus reiner Tradition.[16] Weiterhin hat Bucer großes Gewicht auf die Gemeinschaft der Gläubigen gelegt, wo ein Austausch des Glaubens stattfinden soll. Dazu ist aber das regelmäßige Lesen der Bibel nötig, weshalb Bucer darauf bestand, dass alle Bürger den im Book of Common Prayer sich befindenden Bibelleseplan befolgen und so mindestens einmal im Jahre die ganze Hl. Schrift durchgehen.
John Hooper hat in den Jahren 1547-1549 unter Heinrich Bullinger, dem Nachfolger Zwinglis, in Zürich studiert. Die wirkungsvollste Anregung erhielt Hooper von der Dekalog-Theologie Bullingers. Die Zehn Gebote verstand Hooper als die Zusammenfassung der ganzen Hl. Schrift[17]. Hooper betont besonders stark den Zusammenhang von Dekalog und Bund. Jeder Gläubige ist Bündnispartner Gottes und hat als Bundesverpflichtung sich an die Zehn Gebote zu halten. Das gilt genauso für den Neuen Bund in Christus. Hooper hebt die Wichtigkeit der Zehn Gebote hervor, welche den Menschen seiner Sünde überführen müssen (usus elenchticus). Ganz im biblischen Sinn soll der seiner Sünde Überführte nun zur Entscheidung für Jesus gelangen. Der Bekehrte ist nun zur Heiligung im Kontext der Zehn Gebote aufgefordert. Als wichtiges Moment der Heiligung tritt bei Hooper die Retterliebe in den Vordergrund, die sich in jenem missionarischen Eifer zeigt, andere durch Zeugnis und Bekenntnis zum lebendigen Glauben an Jesus zu führen[18]. Hooper legt dabei großes Gewicht auf die Zelle der Familie[19], wo der Glaube gepflanzt werden muss durch die missionarische Tätigkeit der Eltern an den Kindern.
III Der Niederschlag der erwecklichen Anliegen im Book of Common Prayer 1552.
Im Gebetbuch von 1552[20], das Cranmer aufgrund der vielen befruchtenden Gespräche mit Martyr, Bucer und Hooper im Sinn einer gründlichen Überarbeitung des Book of Common Prayer von 1549 kompiliert hat, haben wir ein durch und durch reformatorisches und erwecklich-evangelistisches Meisterwerk der Liturgie. Betrachten wir diese genuin erwecklichen Elemente exemplarisch.
a) Das Morning Prayer (Morgengebet)
Der liturgische Aufbau des traditionellen anglikanischen Morgengottesdienstes[21] ist weitgehend den monastischen Tagzeiten des Mönchsbreviers entnommen, nämlich den Laudes und der Prim. Es handelt sich um Psalmtexte, biblische Lesungen und Gebete. Das Abendgebet[22] (Evening Prayer) oder die Vesper ist strukturell gleich aufgebaut, wobei die einzelnen Elemente aus der Vesper und Komplet des Mönchsbreviers entnommen sind. Das Neue, das nun so wichtig ist, besteht in einleitenden biblischen Sentenzen[23], die alle die radikale Sündenverfallenheit und Verdorbenheit des Menschen zum Ausdruck bringen. Es handelt sich um folgende Stellen: Hes 18, 27; Ps 51, 5.11.19; Jo 2, 13; Dan 9, 9.10; Jer 10, 24; Ps 6, 2; Mt 3, 2; Lk 15, 18-19; Ps. 143, 2; 1. Joh 1, 8.9. Durch diese Anordnung wird das Prinzip der Scriptura sui ipsius interpres (Selbstauslegung der Bibel) auf den Leuchter gehoben. Die vorbehaltlose Schriftbezogenheit ist unerlässlich für erweckliche Mentalität. Anschließend an diese Eingangssentenzen, welche Sündenverfallenheit und den Weg zur Vergebung durch Buße dem Gottesdienstbesucher vor Augen halten, folgt eine Exhortation. Exhortationen sind etwas genuin Reformatorisches in einer Liturgie. Obschon Ansätze zu Exhortationen in gewissen lutherischen Liturgien vorhanden sind, so hat doch Cranmer in ausgesprochen erwecklichem Sinn eine selbständige Exhortation verfasst. Eine Exhortation ist eine Ermahnungs- und Werberede, die in unserm Morning Prayer den Gottesdienstbesucher so anredet, dass an seine Herzenshaltung appelliert wird. Die Exhortation[24] fordert den Gottesdienstbesucher eindringlich dazu auf, seine Sünde vor Gott zu bekennen, weil nur durch die empfangene Vergebung echtes Loben und preisen möglich wird. Dabei wird deutlich auf die Hl. Schrift verwiesen, welche das Sündenbekenntnis fordert. Es war vor allem Martyr, der auf die Wichtigkeit der exhortativen Sprechweise hingewiesen hat. Interessant ist, wie vom stilistischen Gesichtspunkt aus die erweckliche Mentalität in Erscheinung tritt: Wichtige Hauptwörter werden im appositionellen Sinn von Adjektiven in der Art näher bestimmt[25], dass diese Substantive gleichsam ans Herz appellieren und den Menschen zu Ernst und Ehrlichkeit aufrufen. Ich zitiere einen Ausschnitt aus dieser Exhortation in Englisch:
„Dearly beloved brethren, the Scripture moveth us in sundry places to acknowledge and confess our manifold sins and wickedness; and that we should not dissemble nor cloke them before the face of Almighty God our heavenly Father; but confess them with an humble, lowly, penitent and obedient heart.”[26]
Es wird also gesagt, dass man Sünden mit einem demütigen (humble), bescheidenen (lowly), bußfertigen (penitent) und gehorsamen (obedient) Herzen (heart) bekennen soll. Wir sehen also, wie das Substantiv Herz näher durch diese verschiedenen Adjektive bestimmt wird, so dass die Aufforderung zum Sündenbekenntnis eindringlicher und verpflichtender wird. Dieses stilistische Merkmal, das typisch erwecklich ist, findet man in den drei Hauptgottesdiensten sehr häufig. Cranmer hat dieses Stilelement von Bucer übernommen und selbständig verarbeitet. Ebenfalls gehört zu diesem vor allem durch Bucer geprägten erwecklichen Stil die nähere Bestimmung von Verben durch Adverbien, um dadurch zu signalisieren, dass geistliche Tätigkeiten wie „bekennen“, „bereuen“, „glauben“ usw. sich niemals in oberflächlicher Weise abwickeln dürfen. So heißt es in der auf das Sündenbekenntnis folgenden Absolution:
„He pardoneth and absolveth all them that truly repent, and unfeignedly believe his holy Gospel.”[27]
Zu Deutsch: „Er verzeiht und löst von Schuld all jene, die wahrhaftig (truly) bereuen und ungeheuchelt (unfeignedly) an das heilige Evangelium glauben.“
b) Die Abendmahlsliturgie (Holy Communion)
Am Anfang der Abendmahlsliturgie steht der Dekalog. Die Zehn Gebote sollen den Gottesdienstbesucher seiner Sünde überführen. Nach einem Gebet für den Staat, Glaubensbekenntnis und Predigt folgen zwanzig zur Auswahl gegebene Schriftzitate, die sogenannten „offertory sentences“ (Offertoriumssentenzen = Bibeltexte zur Einsammlung der Kollekte)[28], welche wiederum die Selbstauslegung der Bibel demonstrieren. Die in diesen Schriftzitaten zum Ausdruck kommende Botschaft ist die Heiligung im Sinne guter Werke, welche als Frucht aus dem lebendigen Glauben hervorgehen. Das anschließende Gebet für die „Streitende Kirche“ (Christ’s Church militant here in earth)[29] weist viele erweckliche Elemente auf. Wichtig ist in diesem Gebet für die „Streitende Kirche“, dass das Verständnis von Einheit ganz auf die Hl. Schrift abstellt:
„And grant, that all they that do confess thy holy Name may agree in the truth of thy holy Word, and live in unity, and godly love …“[30]
Zu Deutsch: „Und gewähre es doch, dass alle, die Deinen Heiligen Namen bekennen, einverstanden sein mögen in Bezug auf die Wahrheit Deines Heiligen Wortes, und in Einheit und gottesfürchtiger Liebe leben…“
Die Art und Weise, wie die Gottesdienstbesucher dem Wort gegenüber sich einstellen sollen, ist wiederum typisch für erweckliche Mentalität:
„And to all thy people give thy heavenly grace; and specially to this congregation here present; that with meek heart an due reference, they may hear, and receive thy holy Word…“[31]
Zu Deutsch: „Und allen Menschen schenke Deine himmlische Gnade, insbesondere aber der hier gegenwärtigen Gemeinde, auf dass sie mit demütigem Herzen (meek heart) und gebührender Hochachtung (due reference) Dein Heiliges Wort hören und aufnehmen.“
Von besonderem Interesse sind nun aber die drei Exhortationen[32]. Eine davon stammt von Petrus Martyr[33] selber. Die erste Exhortation mahnt eindringlich, das Abendmahl nicht zu vernachlässigen, wenn Gott selber als der Gastgeben zu Seinem Bankett einlädt, um Seines Opfertodes zu gedenken. Sehr erwecklich ist die Steigerung im Einladungsruf:
„ … I bid you in the name of God, I call you in Christ‘s behalf, I exhort you, as ye love your own salvation, that ye will be partakers of this holy Communion. „[34]
Zu Deutsch: „Ich lade euch im Namen Gottes ein, ich rufe euch herbei um Christi willen, ich ermahne euch eindringlich, dass ihr am Hl. Abendmahl teilnehmt, so ihr eure eigene Rettung liebt.“
In der zweiten Exhortation wird deutlich, dass jeder streng anhand der Zehn Gebote Gewissenserforschung betreiben soll, damit es ja nicht zu unwürdigem Abendmahlsempfang kommt. Die Warnung vor dem Verlorengehen wird deutlich hervorgehoben, falls jemand unbußfertig mit Neid und Missgunst im Herzen zum Tisch des Herrn treten sollte.
In der dritten Exhortation wird bereits in den ersten beiden Exhortationen Gesagtes in verschärfter Weise wiederholt. Diese drei Exhortationen haben auf äußerst gewissenhafte Weise den Gottesdienstbesucher auf das Sündenbekenntnis [35] vorbereitet, welches sich nun an diese Ermahnungen (Exhortationen) anschließt. Das Sündenbekenntnis dringt auf Reue, die aus der Tiefe des Herzens kommen muss. Der Gnadenzuspruch wird von vier sich selber auslegenden Schriftzitaten[36] unterstützt. Es handelt sich um folgende speziell trostspendenden Stellen: Mt. 11, 28; Joh 3, 16; 1. Tim 1, 15; 1. Joh 2, 1.
Nach den Einsetzungsworten folgen die Austeilungsworte, welche im erwecklichen Sinn mahnen, dass Brot und Wein niemals ohne inneres Glaubensengagement empfangen werden dürfen.
Die ganze Abendmahlsliturgie hat alle wichtigen Elemente, wie sie für einen erwecklichen Gottesdienst im Sinne einer Evangelisation typisch sind. Wir haben bloß einige wenige liturgische Elemente aus dem Morning Prayer und der Abendmahlsliturgie herausgepickt. Würden wir alle Teile des Abendmahlsgottesdienstes analysieren, so begegneten uns folgende für erweckliche Predigt oder Evangelisation typischen Elemente in materialer Hinsicht: Die Verdorbenheit des Menschen[37] und dessen Hinfälligkeit, Hinführung zur persönlichen Sündenerkenntnis und Reue[38], die Aneignung des Heils in Buße und Wiedergeburt[39], Wichtigkeit der Zehn Gebote und des Wortes Gottes[40], Heiligung verbunden mit Gewissenserforschung, der reine Gottesdienst[41], Wichtigkeit der Seele[42], Warnung und Gerichtsdrohung[43], der Kontrast zwischen der hinfälligen Welt und den ewigen Gütern[44], das irdische Leben als Pilgerweg, die wahre Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen[45], das Bezeugen des Glaubens im Sinn missionarischer Tätigkeit.
In formaler Hinsicht treten folgende Elemente in Erscheinung: Die direkte Anrede als energische und exhortative Sprechweise, die ans Herz appellierende Sprechweise, Anschaulichkeit durch Verwendung sprechender Bilder, sehr häufige Verwendung der Bibel, Wiederholungen.
Die Intention der Abendmahlsliturgie ist es, durch Überführung der Sünde den Gottesdienstteilnehmer zur Buße und zum lebendigen Glauben zu bringen, so dass er schließlich im Abendmahl Jesus als das Verbum Visibile mit aufrichtiger Herzenshaltung dankbar empfängt, um dadurch zum Loben und Preisen des Herrn zu dessen Verherrlichung bereit zu sein. Das ist dann auch der Grund, weshalb das Gloria[46] am Schluss kommt. Gleichsam im Sinn eines Höhepunktes.
IV. Das Wunder des Book of Common Prayer von 1662
Cranmer hat die Anregungen Martyrs, Bucers und Hoopers in selbständiger Weise verarbeitet in der Fassung des Gebetbuches von 1552. So ist das Book of Common Prayer von 1552 zum größten Teil Wort Gottes, das liturgisch auf meisterhafte Weise arrangiert worden ist. Gerade darin liegt es vornehmlich begründet, dass das Book of Common Prayer von 1552 mit nur wenigen und geringfügigen Änderungen in die neue Fassung von 1662 sozusagen vollständig integriert wurde. Es ist jenes wichtige Prinzip von Jesaja 55,11, welches sich durchsetzt; dort wird verheißen, dass Gottes Wort nicht leer zurückkehrt.
In dieser Zeit zwischen 1552 und 1662 mussten noch gewaltige Kämpfe ausgetragen werden.
Nach dem Tode Edwards VI. trat die katholische Mary Tudor im Jahre 1553 ihre königliche Herrschaft an. Unter ihrem Schreckensregiment starben unzählige Protestanten, darunter auch die bedeutenden Reformatoren Hooper (1555) und Cranmer (1556). Petrus Martyr gelang die Flucht auf den Kontinent. Unter „Maria der Blutigen“ war das Book of Common Prayer (1552) strengstens verboten: Nach dem Tode der Mary Tudor trat 1558 Elisabeth I. die Herrschaft an. Obschon Protestantin, wollte sie die unter Mary gestärkten Katholiken nicht verlieren und sprach deshalb nicht einem konsequenten Protestantismus puritanischer Prägung das Wort. Ihre Sympathie galt dem Book of Common Prayer von 1549, welches eine theologisch vermittelnde Stellung einnimmt. Während der elisabethanischen Herrschaft trat ein Mann auf, der seine Anliegen mutig vertrat und ganz in der Linie von John Hooper stand. Es handelt sich um Bischof Edmund Grindal (1519-1583)[47]. Das Sola Scriptura, allein die Hl. Schrift, war Grindal über alles wichtig. Grindal hielt sich während der Verfolgung Marias auf dem Kontinent auf und setzte sich später als Bischof von London und dann als Erzbischof von Canterbury stark für die Puritaner ein. Grindal trat für lebendige Gemeinden ein, die sich ans Book of Common Prayer hielten. Ihm war bewußt, dass wahre Lebendigkeit nur über das Lesen der Bibel zustande kommt. Der gedankliche Austausch über das Schriftwort sollte allerdings unter Anleitung eines Geistlichen in der Gemeinde geschehen. Zu diesem Zweck führte Grindal die Prophezei[48] (prophesyings) ein, eine Art Bibelseminar für Geistliche und Laien. Grindal trat für eine volkskirchliche Struktur ein, wobei das Volk durch biblisch orientierte Kerngruppen evangelisiert werden sollte.
Unter den Nachfolgern Grindals gab es unter den Erzbischöfen kaum mehr Anwälte für die Puritaner. Der Nachfolger Elisabeths, Jakob I., verfolgte die Puritaner rücksichtslos. Dennoch setzten sich an der wichtigen Revisionskonferenz[49] für das Book of Common Prayer, an der Hampton Court Conference von 1604, merkwürdigerweise in den wesentlichen Belangen die reformatorisch-puritanischen Anliegen durch. Die Verfolgung verschärfte sich noch unter König Karl I. (1625-1649), bis unter Cromwell während des Bürgerkrieges (Civil War) von 1649 – 1660 eine Verschnaufpause für die Puritaner einsetzte.
Unter Karl II. (1660 – 1685) fand im Jahre 1661 eine weitere Revisionskonferenz für das Book of Common Prayer statt, die Savoy Conference[50]. Jene Kräfte, welche das Gebetbuch von 1549 im Wesentlichen restaurieren wollten, vermochten sich nicht durchzusetzen, obwohl sie in der Mehrzahl waren. So ist an der Savoy Conference 1661 jenes Gebetbuch fertiggestellt worden, welches mit nur geringfügigen Zusätzen praktisch das Book of Common Prayer von 1552 ist und 1662 als das Kanonische Liturgiebuch der Englischen Kirche verabschiedet wurde. Das Gebetbuch von 1662 gilt noch heute als das offizielle Book of Common Prayer.
Da dieses Book of Common Prayer 1662 gleichzeitig als Andachtsbuch für die Familie geeignet ist, geht noch heute eine Kraft davon aus, die trotz der Apostasie der Kirche in der Zelle des englischen Volkes lebendigen Glauben erwecken könnte. Zudem verfügt diese Liturgie über ein geniales ökumenisches Potential, das Brücken schlägt zu der katholischen sowie zu den reformatorischen Kirchen. Das BCP kann hochkirchlich zelebriert werden ohne Verrat der reformatorischen Substanz. Das ist die Stärke dieser einzigartigen Liturgie.
Dieser Beitrag erschien zuerst in: Diakrisis, Bd. 33, Nr. 3, 2012, S. 118-128. Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung
Jetzt zum Sonderpreis vorbestellen: Jubiläumsausgabe – 350 Jahre (1662–2012)
Book of Common Prayer – Deutsch
revidierte Ausgabe, ca. 640 Seiten – zweifarbig: rot/schwarz
Das Allgemeine Gebetbuch
Taschenbuch: _ 17,50, Gebundene Ausgabe: _ 25,50
gepl. Auslieferung: Juli 2013
Info & Bestellungen:
http://gebetbuch.anglikaner.de - http://www.rekd.de
Reformierte Episkopalkirche
Bekennende Anglikanische Kirche i.D.
Richbergstr. 11
34639 Schwarzenborn
Fon/Fax: 05686-9309235
E-Mail: kontakt@rekd.de
Dokumentation: Übersetzung Dieter Kniese
Voraussetzungen für die Sakramentsgemeinschaft mit den
Kirchen der Union von Scranton
Sucht eine katholische Jurisdiktion Gemeinschaft mit den Kirchen der Union von Scranton, muss sie im Einklang sein mit und ihre Treue bekennen zu:
- der authentischen Lehre, wie sie von den Aposteln gemäß der Heiligen Schrift und der heiligen Tradition überliefert wurde,
- einer gemeinsamen Feier des heiligen Messopfers als Re-Präsentation des Opfers von Golgatha, in der unser Herr und Heiland Jesus Christus wahrhaft und substantiell in der heiligen Eucharistie gegenwärtig ist,
- dem Nachweis einer identifizierbaren, gültigen und legalen apostolischen Sukzession.
Eine katholische Jurisdiktion, die Gemeinschaft mit den Kirchen der Union von Scranton sucht, muss ein gültiges und legales Bischofsamt (Episkopat) nachweisen. Ein gültiges Bischofsamt ist eines, das seine Sukzession auf eine der katholischen Kirchen entweder des Ostens oder des Westen zurückführen kann. Ein legales Bischofsamt ist eines, das auf einem von der entsprechenden Jurisdiktion akzeptierten Wahlverfahren beruht. Falls eine Jurisdiktion kein gültiges und legales Bischofsamt besitzt, muss sie die Einhaltung aller in diesem Dokument aufgeführten Anforderungen erklären, bevor eine Bischofsweihe in Betracht gezogen werden kann.
Eine um Gemeinschaft mit der Union von Scranton nachsuchende katholische Jurisdiktion muss die sieben Sakramente, die Lehre, dass die Feier der heiligen Messe ein Opfer ist und die katholischen Prinzipien und Glaubenswahrheiten akzeptieren, wie sie zu finden sind in:
- dem Apostolischen Glaubensbekenntnis
- dem Glaubensbekenntnis von Nizäa
- den Entscheidungen der ersten sieben Ökumenischen Konzilien
- der Erklärung von Utrecht
- der Erklärung von Scranton.
Die Sakramentsgemeinschaft (communio) basiert auf den drei folgenden Hauptpunkten:
1. Jede Kirche anerkennt die Katholizität und Selbständigkeit der andern und bewahrt ihre eigene.
2. Jede Kirche verpflichtet sich, den Mitgliedern der anderen Kirche die Teilnahme an den Sakramenten zu erlauben.
3. Die Sakramentsgemeinschaft erfordert von beiden Kirchen nicht die Akzeptanz aller Lehrmeinungen, sakramentaler Frömmigkeit oder liturgischen Praxis, die für die andere charakteristisch ist, sondern bedeutet, dass die jeweils andere alles Wesentliche des katholischen Glaubens festhält.[i][i]
Es gilt Gleichheit unter den Bischöfen der Kirchen, die in voller Gemeinschaft stehen, da durch Christi Vorbild jede Kirche durch ihren Bischof betreut wird. Eine volle Gemeinschaft versteht sich nur unter den Bischöfen, bei denen die apostolische Sukzession der Kirche existiert. Das Teilen der sakramentalen Natur der Kirche bedeutet für "Bischöfe in voller Gemeinschaft", dass eine bestimmte Beziehung oder Kollegialität bestehen muss. [ii]
Die Union von Scranton versteht diese umgreifende Kollegialität der Bischöfe wie folgt: "Wo der Bischof ist, da soll die Menge der Gläubigen sein; (so) wie die katholische Kirche da ist, wo Jesus ist."
Der Begriff "Kollegialität" wird verwendet, um die Beziehung zum Ausdruck zu bringen, welche die Bischöfe sich als Nachfolger der Apostel teilen. Jeder Bischof lehrt, heiligt und regelt in der Rolle des Hirten durch die Gnade des Heiligen Geistes.
Kirchen, die in eine Vereinbarung über die volle Gemeinschaft eintreten, erkennen an, dass unter einander Gleichheit gilt; an jedem Ort ist die Kirche das Organ, das alles für die Erlösung Notwendige bietet. Es ist dort, dass die Geheimnisse der Erlösung verkündet und gefeiert werden; dort wird das Wort (Logos), Jesus Christus, wirklich in der Eucharistie gegenwärtig; und es ist dort, dass der den Aposteln anvertraute Glaube weitergegeben wird. So ist überall, wo Kirche ist, wahrlich Christi Kirche in der Welt gegenwärtig; es ist nicht einfach ein Teil oder Stück von etwas, das größer ist.
Jeder Bischof hat teil an der Mission, die den Aposteln von unserem Herrn und Erlöser Jesus Christus anvertraut war. Dies ist wahre Amtsteilhabe, denn die Sendung der Kirche wurde nicht einem einzelnen Apostel, sondern allen Aposteln anvertraut. Während der Ermahnungen der Liturgie des Heiligen (Kar-) Samstag bekennt die Polish National Catholic Church:
"Wir sind gefragt, nicht einzeln, sondern vereint als eine Bruderschaft, durch Seine Liebe einer Heiligen Kirche beigefügt, die ihre Mission von Gott durch Jesus Christus erhielt, der den Aposteln befahl: "Wer euch hört, der hört mich" (Lukas 10.16 a) [iii]
"Indem wir deshalb solche Zusicherung des Erlösers selbst haben, dass er bei allen Aposteln ist, wenn sie versammelt sind (aber nicht nur mit einem einzelnen Apostel), lasst uns unseren Glauben stärken, dass es Sein Wille ist, dass der Heilige Geist sich Seiner Kirche offenbart. Solche Offenbarung findet nicht in einer Person, sondern in der Versammlung derer statt, die die Kirche sind." [iv]
Darum, wie die Apostel in Beziehung zueinander waren, besteht die gleiche Beziehung unter den Bischöfen der Kirche von heute. Nicht nur ist jeder Bischof Lehrer und Aufseher der ihm anvertrauten Kirche, sondern er trifft gemeinsam mit seinen bischöflichen Brüdern Entscheidungen und gibt den Glauben der ganzen Kirche weiter.
Genehmigt am 8. September 2009, PNCC Church Doctrine Commission
Angenommen von der PNCC National Clergy Conference 21. Oktober 2009 - PNCC Generalsynode - Oktober 2010
[i] The Constitution and Laws of the Polish National Catholic Church, pag. 67
[ii] St. Ignatius, Bischof von Antiochien, 1. Jh.
[iii] Karsamstags-Liturgie, Fourth Exhortation, PNCC Missale, 1990
[iv] ibid.
Die Kirche der Mariaviten
von Alfons Fischer
„Mariaviten? Nie gehört! Was soll denn das sein? Hört sich nach einer christlichen Sekte an.“ Diese Feststellung musste ich in der Vergangenheit mehrfach machen. Kaum jemand kannte sich hinsichtlich der Mariaviten aus und wusste die richtige Antwort! Doch worum handelt es sich wenn von den Mariaviten gesprochen und geschrieben wird?
Die Mariaviten gliedern sich in zwei unterschiedliche Kirchen. Die weitaus größte und bedeutendste ist die „Altkatholische Kirche der Mariaviten“ mit gegenwärtig etwa 30.000 Gläubigen, davon 25.000 in Polen und 5.000 in Frankreich. Ihr steht die „Katholische Kirche der Mariaviten“ mit etwa 2.200 Mitgliedern gegenüber. Bezüglich der Mitgliederzahlen werden in den Medien allerdings teilweise divergierende Zahlen genannt.
Die Bezeichnung „Mariaviten“ kommt im Übrigen vom lateinischen „Mariae vitam imitans“ mit der Bedeutung „dem Leben Marias nacheifernd“.
Ursache für das Entstehen des Mariavitismus und dessen Geschichte bis 1935
Die eigentliche Gründerin des Mariavitenordens und der daraus entstandenen Mariavitenkirche ist Maria Franziska Kozlowska, Oberin der römisch-katholischen Kongregation der Klarissenschwestern. Am 02. August 1893 soll sie eine Vision gehabt haben. Dabei wurde ihr aufgetragen innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche eine Priesterkongregation zu gründen. Sie sollte nach der ersten Regel des Heiligen Franziskus von Assisi leben, sich für die Ausdehnung des Kultes der Eucharistie einsetzen sowie die Gläubigen auf die immerwährende Hilfe der Mutter Gottes hinweisen. Die Offenbarungen bei Maria Franziska Kozlowska wiederholten sich mehrfach und dauerten bis zu ihrem Tode an. Darauf kam es bald zur Bildung einer Gemeinschaft von mariavitischen Priestern, die in keinem geschlossenen Kloster lebten, sondern als Pfarrer in der Seelsorge arbeiteten. Sie verlangten keine geldlichen Zuwendungen für ihre Dienste und waren wegen ihrer untadeligen Moral in der Bevölkerung sehr angesehen. Ihr Engagement in der Sozial- und Bildungsarbeit war vorbildlich.
Allmählich gab es erheblichen Widerstand bei den römisch-katholischen Geistlichen, die nicht mit Schwester Maria Franziska Kozlowska sympathisierten. Sie sahen ihre Interessen bedroht. Auch die polnischen Bischöfe schlossen sich dieser Ansicht an. Auf Veranlassung des römisch-katholischen Bischofs von Plock wandten sich die mariavitischen Priester schließlich an Papst Pius X. mit der Bitte um Anerkennung der Offenbarungen der Schwester Kozlowska, die bald darauf bei den Mariaviten den Ehrennamen „Mateczka - Mütterchen“ erhielt. Anfangs stand der Papst dem Ansinnen der mariavitischen Priester wohlwollend gegenüber. Doch änderte er seine Haltung aufgrund massiven Einspruches der polnischen Bischöfe. Pius X. verlangte die Auflösung des neuen Ordens. Damit erklärten sich die Mariaviten nicht einverstanden und gaben nicht nach. Als auch Versuche zu einem Kompromiss scheiterten, kam es zum Bruch mit der Römisch-Katholischen Kirche.
Am 05. April 1906 exkommunizierte Papst Pius X. Schwester Maria Franziska Kozlowska sowie ihren engsten Mitarbeiter Jan Michal Kowalski, der Vorsitzender der mariavitischen Priesterkongregation war. Dies war der Anlass zur Bildung einer romunabhängigen katholischen Kirche und des „Werkes der Großen Barmherzigkeit Gottes“. Die Duma, die russische Volksvertretung, ließ ab November 1906 das Wirken der Mariaviten zunächst als „geduldete Sekte“ und 1909 als einer eigenständigen Kirche zu. Die russische Besatzungsmacht – Polen war 1863 von Russland annektiert worden - veranlasste nun allerdings, dass die Mariaviten römisch-katholische Kirchengebäude nicht nutzen durften. Dies betraf auch Gemeinden, wo sich die Mehrheit der Gläubigen für die Mariaviten ausgesprochen hatte. Es mussten also neue Kirchen, Kapellen, Volksschulen, Pfarr- und Waisenhäuser sowie Werkstätten für Arbeitslose errichtet werden.
Der Aufbau der mariavitischen Kirche ging trotz Verfolgung durch die Römisch-Katholische Kirche zügig voran. Es wurden bald auch Verbindungen zur altkatholischen Utrechter Union geknüpft. Dies wohl auch um Bischöfe geweiht zu bekommen. Denn eine katholische Kirche ohne Bischöfe – undenkbar! Folgerichtig erhielt dann 1909 Jan Michal Kowalski durch den altkatholischen Erzbischof Gerardus Gul im niederländischen Utrecht die Bischofsweihe. Ein Jahr später wurden im polnischen Lowicz die beiden mariavitischen Priester Maria Roman Próchniewski und Dr. Maria Leon Golebiowski zu Bischöfen geweiht. Ebenfalls traten 1910 die Mariaviten der altkatholischen Utrechter Union bei und bezeichneten sich nun als altkatholisch.
In der Liturgie entschieden sich die Mariaviten viele Jahre vor der Römisch-Katholischen Kirche für die Muttersprache und gegen das Lateinische. Der Ritus im Gottesdienst ist tridentinisch. Es gibt also keinen sogenannten „Volksaltar“. Alle Gläubigen empfangen den Leib und das Blut Jesu Christi unter den Gestalten von Brot und Wein.
Einen großen Platz nimmt bei den Mariaviten die Schwester Maria Franziska Kozlowska wegen der Offenbarungen des Werkes der großen Barmherzigkeit ein. Sie gilt bei beiden mariavitischen Richtungen als so etwas wie eine Heilige. Sie wurde 1862 geboren und starb am 23. August 1921 in Plock. Zu dieser Zeit leisteten die Mariaviten Hervorragendes in ihrer Sozial- und Bildungsarbeit. Es gab 25 Grundschulen, 1 Vorgymnasium, 45 Kindergärten, 3 Analphabetenkurse, 14 Bibliotheken, 32 Handwerksbetriebe, 4 Waisenhäuser, 13 Altersheime, 4 Ambulatorien, 10 Freiküchen für Arme, 7 Bäckereien, 3 Sparkassen, 2 Feuerwehreinheiten sowie 48 Kinder-, Jugend- und Frauenhilfswerke. In ihren besten Zeiten sollen die Mariaviten um die 160.000 Anhänger gehabt haben.
Nach dem Tode der Schwester Maria Franziska Kozlowska im Jahre 1921 führte Bischof Jan Michal Kowalski die Mariavitenkirche. Sein Arbeitsstil wurde von vielen als „diktatorisch“ empfunden. Er führte verschiedene „Reformen“ ein, die nicht überall Beifall fanden. So ließ er 1929 Frauen zum Diakonen-, Priester- und Bischofsamt zu. Kowalski, der sich inzwischen Erzbischof nannte, heiratete die Nonne Maria Izabela Wilucka und machte sie zur „Erzbischöfin“. Das Fass zum Überlaufen brachten jedoch die von Kowalski als „mystisch“ bezeichneten Ehen von Priestern mit Nonnen. Die aus diesen Ehen hervorgegangenen Kinder seien „unbefleckt“ gezeugt worden, also ohne Sünde.
Ebenso wurde der übermäßige Kult um Schwester Maria Franziska Kozlowska zu einem Stein des Anstoßes. Erzbischof Kowalski verkündete, dass alle auf ewig verdammt seien, die das „Mütterchen“ nicht lieben. Er hielt Schwester Maria Franziska Kozlowska u.a. auch für die Christusgemahlin und Miterlöserin.
Dies alles war jedoch für die überwältigende Mehrheit der Mariaviten nicht hinnehmbar, zumal ihre Kirche bereits 1924 wegen der Irrungen und Wirrungen in ihr aus der altkatholischen Utrechter Union ausgeschlossen worden war. Schließlich kam es im Jahre 1935 zur Spaltung, denn eine Synode hatte Erzbischof Kowalski am 29. Januar 1935 als Oberhaupt der Mariavitenkirche abgesetzt.
Fortan gab es die „Alt-Katholische Kirche der Mariaviten“ mit Hauptsitz in Plock, der sich die große Mehrheit der Mariaviten anschloss, sowie die wesentlich kleinere „Katholische Kirche der Mariaviten“ mit Mittelpunkt in Felicjanów.
Altkatholische Kirche der Mariaviten nach der Synode ab 1935
Erster leitender Bischof der Altkatholischen Kirche der Mariaviten wurde in der Nachfolge von Jan Maria Michal Kowalski der am 24. März 1871 geborene Maria Klemens Philipp Feldmann.
Mittelpunkt für alle Aktivitäten der altkatholischen Mariaviten blieb wie bisher die von ihnen als „Tempel der Liebe und Barmherzigkeit“ bezeichnete neugotische Kathedralkirche in der Stadt Plock. Sie war 1911 fertiggestellt worden. Die Kathedrale ist sehr eindrucksvoll. Auffallend ist die Tiara über dem Altar und das Kruzifix mit zwei gekreuzten Schlüsseln. Es ist dies das Zeichen dafür, dass das Haupt der Kirche nicht der Papst, sondern Christus ist, der im Altarsakrament verborgen bleibt und angebetet werden soll. Neben der Kommunionbank ist in der Kathedrale rechts der Eingang zum Hinabsteigen in die Krypta, wo bedeutende Persönlichkeiten des Mariavitismus beigesetzt wurden. Unmittelbar rechts und links der Kathedrale schließen sich große und zumindest von außen renovierungsbedürftige Gebäude an, in denen einmal bis zu 500 Leute wohnen konnten. Die Häuser waren auch Unterkunft für eine Frauen- und eine Männerkongregation. Heute stehen die meisten Räumlichkeiten leer. Allerdings befinden sich hier die Amts- und Wohnräume des leitenden Bischofs. Dies alles ist umgeben von einer sehr großen und gepflegten Gartenanlage. Pfarrer der Kathedralkirche und zugleich für die Plocker altkatholische Mariavitengemeinde zuständig ist der leitende Bischof Maria Ludwik Jablonski.
Was die Weihe von Ordensschwestern zu Priesterinnen anbetrifft, so wurde dies nach der Kirchenspaltung bei den altkatholischen Mariaviten zunächst noch weiter praktiziert. Auf Druck der altkatholischen Utrechter Union stellte man dies dann später ein. 1938 gaben die zu Priesterinnen geweihten Ordensschwestern ihre priesterliche Tätigkeit auf. Daraufhin bedankte sich Bischof Feldmann bei ihnen für die der Kirche geleisteten Dienste. Im Übrigen wurde seitens der altkatholischen Mariaviten die Interkommunion mit der Altkatholischen Kirche in den Niederlanden, die die Frauenordination inzwischen eingeführt hat, bis heute nicht gekündigt. Allerdings wird die Auffassung vertreten, dass nur ein ökumenisches Konzil bezüglich der Frauenordination endgültig entscheiden kann.
Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen fügte auch den altkatholischen Mariaviten schweren Schaden zu. Zahlreiche Geistliche und Kirchenmitglieder wurden verhaftet und ermordet. Die Mitgliederzahl verringerte sich gegenüber früher erheblich. Viele Kirchengebäude überstanden den Krieg nicht. Auch gingen später kirchliche Gebäude durch Verstaatlichung der kommunistischen Behörden verloren. Trotz allem krempelten die altkatholischen Mariaviten die Ärmel hoch, ließen sich nicht unterkriegen und begannen mit dem Wiederaufbau sowie der Beseitigung der Kriegsschäden.
Vielfach unbekannt dürfte sein, dass die Nationalsozialisten es im Krieg Bischof Maria Klemens Philipp Feldmann untersagten, weiterhin die Altkatholische Kirche der Mariaviten in Polen zu leiten. Als Grund hierfür wurde angegeben, dass er „Volkdeutscher“ sei. Er musste Polen verlassen und nach Deutschland übersiedeln. Hier wurde er vom deutschen altkatholischen Bischof Erwin Kreuzer mit Wirkung vom 01. August 1942 zum Pfarrverweser der großen altkatholischen Gemeinde in Blumberg eingesetzt. Feldmann war im Übrigen am 15. August 1914 in Plock zum Bischof geweiht worden. Er blieb nach dem Zweiten Weltkrieg noch viele Jahre in Deutschland und kehrte erst 1957 nach Polen zurück, wo er seinen Wohnsitz in Plock nahm. Dort wurde er publizistisch mit der Herausgabe der alle Monate erscheinenden Zeitschrift Mariavita tätig. Er starb 1971 und wurde in der Krypta der Plocker Kathedrale beigesetzt.
Der Gottesdienst der altkatholischen Mariaviten orientiert sich nach wie vor am tridentinischen Ritus. Eine Änderung ist nicht in Sicht. Ebenso ist es allen Geistlichen freigestellt, ob sie heiraten wollen oder nicht.
Es gibt bei den Mariaviten auch einen ökumenischen Mariavitenorden. Er entstand als die Anzahl der Schwestern sich allmählich verringerte und die Priester mit der Gemeindearbeit überfordert waren. Zunächst trafen sich einige Mariaviten mit einem lutherischen Professor zu privaten Exerzitien. Doch man wollte mehr, nämlich den alten Mariavitenorden unter Beteiligung von Christen aus anderen Kirchen wiederbeleben. Nach Verhandlungen und Absprachen mit den Leitungen aus beiden mariavitischen Kirchen wurde der alte Mariavitenorden 1979 in Stoczek bei Lublin erneuert. Ihm traten Priester und Laien aus der Altkatholischen Kirche der Mariaviten, der Katholischen Kirche der Mariaviten sowie Christen aus anderen Kirchen bei, die das Werk der „Großen Barmherzigkeit“ unterstützen wollten. Es war nicht als Konkurrenzunternehmen zu den beiden mariavitischen Kirchen gedacht, sondern sollte das mystische Leben fördern. Der neue Mariavitenorden startete zahlreiche Initiativen wie die Neuauflage der Offenbarungen, die Herausgabe eines neuen Breviers, Exerzitien usw. Leiter des Ordens ist seit 1979 der inzwischen hochbetagte sowie sehr angesehene Astronom und Priester Prof. Dr. Maria Pawel Rudnicki aus Krakau.
Die Altkatholische Kirche der Mariaviten ist eine Wegbereiterin der Ökumene! Sie gehört dem Weltkirchenrat an und wird dort bei jeder Vollversammlung durch ihren leitenden Bischof vertreten. In Polen selbst zählen die altkatholischen Mariaviten zu den Gründungsmitgliedern des Polnischen Ökumenischen Rates. Eine eucharistische Gastfreundschaft gibt es mit der zur altkatholischen Utrechter Union gehörenden Polnisch-Katholischen Kirche. Mit der Römisch-Katholischen Kirche wird seit vielen Jahren ein Dialog geführt. Es ging dabei auch um die Offenbarungen von Maria Franziska Kozlowska sowie um das Eucharistieverständnis der altkatholischen Mariaviten und der Römisch-Katholischen Kirche.
Doch wie sieht es mit einer Wiederaufnahme der altkatholischen Mariaviten in die altkatholische Utrechter Union aus? Wahrscheinlich schlecht! Seit vielen Jahren liegt ein entsprechender Antrag „auf Eis“! Die Utrechter Union konnte sich bisher nur zu einem „Gaststatus“ für die Mariaviten durchringen. Dieser gilt für einen Zeitraum von 5 Jahren und läuft bald aus. Gründe für die bisher nicht erfolgte Wiederaufnahme sind vor allem die Jurisdiktionsfrage, aber auch das sogenannte „Filioque“ und die bisher sehr mangelhafte mariavitisch-synodale Struktur.
Unter der Jurisdiktionsfrage ist zu verstehen, dass es künftig in Polen nur noch eine altkatholische Kirche geben soll. Das sich daraus ergebende Verlangen der Utrechter Union nach einer Fusion der altkatholischen Mariavitenkirche mit der „Polnisch-Katholischen Kirche“ ist unter den gegebenen Umständen und der Tradition beider Kirchen für die Mariaviten nicht nachvollziehbar und wird es voraussichtlich in nächster Zeit auch nicht geben. In ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte haben die Mariaviten sehr unter dem nationalsozialistischen Terror sowie der kommunistischen Diktatur und auch den Misshelligkeiten seitens der Römisch-Katholischen Kirche gelitten. Die Polnisch-Katholische Kirche erfuhr hingegen zeitweise eine Förderung durch die kommunistisch gelenkten staatlichen Behörden. Dies alles ist auf mariavitischer Seite noch nicht in Vergessenheit geraten.
Merkwürdig ist es schon, dass die Jurisdiktionsfrage für eine Mitgliedschaft in der Utrechter Union so „hochgekocht“ wird. Gibt es doch in Europa bei den in voller Kirchengemeinschaft mit den Aktkatholiken stehenden Anglikanern amerikanischer und englischer Prägung ebenfalls zwei unterschiedliche Jurisdiktionen, die nicht zugunsten der Altkatholiken aufgegeben werden. Außer gelegentlichem Gegrummel war dazu von der Utrechter Union bisher nur wenig zu hören.
Weiter gibt es in den einzelnen Ländern viele orthodoxe Kirchen mit jeweils eigener Jurisdiktion (Russen, Griechen, Polen, Rumänen, Bulgaren usw.). Dies brachte keine negativen Folgen mit sich und wegen der Jurisdiktionsfrage wurde von keiner Seite interveniert.
Beim „Filioque“ geht es darum, ob der Heilige Geist vom Vater und vom Sohne ausgeht. Die Römisch-Katholische Kirche, die Evangelischen Kirchen und die Anglikaner halten daran fest. Die mit Rom unierten katholischen Kirchen sind nicht verpflichtet, den Zusatz „und dem Sohn“ zu übernehmen. Die Alt-Katholiken der Utrechter Union haben seinerzeit in der Hoffnung auf eine Union mit den Orthodoxen das Filioque im Glaubensbekenntnis gestrichen. Der ganze Streit um das Filioque scheint dem Laien eine theologische Spitzfindigkeit zu sein. Wenn schon die Anglikaner auf das Filioque nicht verzichten, so kann dessen Streichung nicht zu einer Bedingung für eine Wiederaufnahme der altkatholischen Mariaviten in die Utrechter Union gemacht werden.
Was die bisher nur mangelhaft bei den altkatholischen Mariaviten ausgeprägte Synodalität anbetrifft, so ist hier tatsächlich eine Änderung und Reform erforderlich. Es kann auf die Dauer nicht angehen, dass der Klerus allein entscheidet, „was Sache ist“. Die letzte Synode fand – und man kann es kaum glauben – 1935 statt. Gibt es wirklich bei den altkatholischen Mariaviten nichts bei einer Synode zu besprechen und beschließen? Ein Thema könnte doch zum Beispiel die Frage nach Möglichkeiten einer Wiedervereinigung mit der „Katholischen Kirche der Mariaviten“ in Felicjanów sein!
In Bezug auf die Wiederaufnahme der altkatholischen Mariaviten in die Utrechter Union kann und sollte auch hilfreich sein, dass früher nach der Spaltung das „Altkatholischsein“ der Plockschen Richtung der Mariaviten außer jedem Zweifel stand. Wie bereits erwähnt, nahm der deutsche altkatholische Bischof Erwin Kreuzer 1942 den altkatholischen polnischen Mariavitenbischof Maria Klemens Philipp Feldmann ohne Wenn und Aber in den deutschen Klerus auf und beauftragte ihn mit der Seelsorge in der südbadischen Gemeinde Blumberg.
Das Verhältnis der Altkatholischen Kirche der Mariaviten zum Staat hat sich nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in Polen wesentlich entspannt und verbessert. Ein Gesetz aus dem Jahre 1997 regelt vieles. Die altkatholischen Mariaviten haben ein Recht auf Religionsunterricht in den Schulen. Ebenso ermöglicht das Gesetz u.a. die Übertragung von Gottesdiensten und weiterer religiöser Sendungen im Fernsehen und Rundfunk. Hinsichtlich der Öffentlichkeitsarbeit erscheint monatlich die Kirchenzeitung Mariavita und berichtet aus dem Leben der Kirche.
Organe der Kirche sind die Synode, das Generalkapitel, der Kirchenrat sowie der leitende Bischof. In jeder Pfarrgemeinde findet mindestens einmal im Jahr eine Gemeindeversammlung statt. Sie wählt alle 7 Jahre den Gemeinderat, dessen Vorsitzender stets der Pfarrer ist. Die Altkatholische Kirche der Mariaviten gliedert sich in die drei polnischen Bistümer, hinzu kommt noch ein französisches Bistum mit 3 Gemeinden.
Mariavitische Kirchen unterschiedlichen Charakters gibt es auch in England, Gabun, Italien, Kanada, Kongo, Paraguay, Schweden und den USA. Sie werden jedoch sowohl von der Altkatholischen Kirche der Mariaviten als auch von der Katholischen Kirche der Mariaviten nicht anerkannt. Das Gleiche gilt für die sogenannte Auslandsjurisdiktion der Mariaviten mit Sitz in Köln, die im Internet ihre Dienste von der „Wiege bis zur Bahre“ anbietet.
Katholische Kirche der Mariaviten ab 1935
Nach seiner Absetzung durch die mariavitische Synode verließ Erzbischof Jan Maria Michal Kowalski das Mariavitenzentrum Plock zusammen mit einer Erzbischöfin, Bischöfinnen sowie Nonnen und siedelte in das 25 km von Plock entfernte kleine Dorf Felicjanów über, wo die verstorbene Schwester Maria Franziska Kozlowska einst ein größeres Landgut mit kleinem Palais und mehreren Wirtschaftsgebäuden erworben hatte. In dem Palais richtete Kowalski eine kleine Kapelle ein und gründete die „Katholische Kirche der Mariaviten“. Von den mariavitischen Gläubigen schloss sich ihm aber nur ein kleiner Teil mit damals etwa 2.800 Mitgliedern an. Felicjanów ist nun bis heute der Mittelpunkt der katholischen Mariaviten.
Das Landgut lässt ahnen, welch florierende Landwirtschaft es hier einmal gab. Die Ländereien sind inzwischen alle verpachtet worden, da den Nonnen der Nachwuchs fehlt und sie in die Jahre gekommen sind. In einer Gartenanlage vor dem Palais und gut gepflegt befinden sich die Gräber einiger Bischöfe.
In der Kirche der Mariaviten kam es bald zu Neuerungen. Erzbischof Kowalski sprach von der „Einwohnung“ des Heiligen Geistes bei Schwester Maria Franziska Kozlowska und auch von ihrer Göttlichkeit und Erlösungsfunktion. Der Kult um sie wurde immer größer und stieß manche Leute ab. Erzbischof Kowalski führte auch das „Volkspriestertum“ ein. Er hielt dabei die Weihe von Frauen und Männern zu Volkspriesterinnen und Volkspriestern nicht unbedingt für erforderlich. Es gab drei Arten der Volksmesse: die kurze Volksmesse, die allgemeine Volksmesse sowie die liturgische Messe mit meist von Priestern oder Priesterinnen gefeiert. Die kurze Volksmesse wird vor allem in Notsituationen gefeiert, dauert etwa eine Viertelstunde und besteht aus Gebeten und verkürzten Einsetzungsworten.
Erzbischof Kowalski wurde später von den Nazis verhaftet, nach Deutschland gebracht und in das KZ Dachau eingeliefert. Er feierte im KZ mehrmals die kurze Volksmesse. Empörend, beschämend und noch mehr ist, dass nach Erinnerungen des späteren römisch-katholischen Bischofs Franciszek Korszynski sowie katholischer Häftlinge der katholische Mariavitenbischof Kowalski im KZ Dachau nicht nur von den Nazis, sondern auch von römisch-katholischen Priestern und Bischöfen sowie anderen Häftlingen verhöhnt und verspottet wurde. Im KZ Dachau erklärte man ihn für arbeitsunfähig. Mit 100 weiteren Häftlingen kam er am 18. Mai 1942 in die Euthanasie- und Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz. Und wurde dort am selben Tag vergast und eingeäschert. Die Urne mit der Asche gelangte erst viele Jahre später nach Plock. Sie wurde dort in der Krypta der Kathedrale beigesetzt.
Kapelle in Felicjanów
Die Katholische Kirche der Mariaviten hat derzeit etwa 2.200 Mitglieder in 15 Gemeinden mit überwiegend Priesterinnen. Letzteres liegt daran, dass sich nicht genügend Männer für den Priesterberuf finden. Die Priesterinnen sind Ordensschwestern. Die katholischen Mariaviten feiern ihre Gottesdienste in Kapellen, die sich in Häusern befinden. Es gibt nur zwei gemauerte Kirchen in Dluga Koscielna sowie in Goclaw. Beide sind etwa 30 km von Warschau entfernt.
59 Jahre lang wurde die Kirche von Erzbischof Maria Rafael Wojciechowski geleitet. Er starb im Jahre 2005. Danach bestimmte das Generalkapitel die Ordensschwester Maria Damiana Beatrycze Szulgowicz zu seiner Nachfolgerin. Sie ist nach der Erzbischöfin Maria Izabela Wilucka - Kowalski die zweite Frau, die an der Spitze der Katholischen Kirche der Mariaviten steht. Mittlerweile gibt es in Warschau mit Maria Hanna Woinska noch eine weitere Bischöfin sowie mit Maria Alma auch eine vor Jahren schon gewählte aber noch nicht geweihte Bischöfin.
Die katholischen Mariaviten waren früher auch in den baltischen Staaten vertreten. Doch existieren die dortigen Gemeinden - bedingt durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse - heute nicht mehr. Es bestehen keinerlei ökumenische Beziehungen zu anderen Kirchen. Die Katholische Kirche der Mariaviten gehört daher keinem ökumenischen Gremium an, ist isoliert und auf sich allein gestellt. Trotz dieser Situation sind die beiden Bischöfinnen im Gespräch mit anderen Christen sehr freundlich, zugänglich und gastfreundlich. Das Verhältnis zu den altkatholischen Mariaviten ist allerdings verbesserungsbedürftig. So war am 20. Juni 2010 bei der Weihe des Pfarrers Maria Bernard Kubicki zum neuen altkatholischen Mariavitenbischof kein offizieller Vertreter der katholischen Mariaviten zugegen. Es gibt zurzeit keine offiziellen Kontakte, wohl aber bestehen freundschaftliche Beziehungen auf menschlicher Ebene.
Eine Kirchenzeitung mit Informationen aus dem Gemeindeleben und Übertragungen von Gottesdiensten im Fernsehen und Rundfunk gibt es nicht.
Die Katholische Kirche der Mariaviten hat jeweils ein Bistum in Felicjanów sowie in Warschau mit zusammen etwa 2.200 Mitgliedern.
Alfons Fischer aus Berlin ist Regierungsoberrat i.R.
Impressum:
Redaktion: Klaus Mass, Kapellenstraße 7, 85254 Einsbach, pfarramt-christ-katholisch@web.de
[1] Die 350 Jahre beziehen sich hier auf die Fassung des Book of Common Prayer von 1662, das seit dieser Zeit bis heute gültig ist. Im Aufsatz selbst wird gelegentlich auch auf Vorläuferversionen Bezug genommen.
[2] Pfarrer Dr. Leuenberger, wurde mit einer Arbeit über das Book of Common Prayer promoviert und ist Professor an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule in Basel.
[3] Vgl. Book of Common Prayer 1662, Taschenbuchausgabe der Oxford University Press, Oxford 1969.
[4] Ebd. S. 37-64.
[5] Ebd. S. 293-321.
[6] Vgl. The First and Second Prayer Books of Edward VI, Everyman’s Library, No 448, J. M. Dent & Sons LTD, London 1968
[7] Ebd. S. 212-230.
[8] Ebd. S. 222.
[9] Ebd. S. 240.
[10] Vgl. Otto Riecker, Das evangelistische Wort, Diss., Heidelberg 1935.
[11] Vgl. M.W. Anderson, Peter Martyr, a Reformer in Exile, Niewkop 1975.
[12] Vgl. E.M. Jung, On the nature of Evangelism in 16th cent. Italy, Journal of the History of Ideas, XIV, Nr. 1 (Jan. 1953), S. 511-527.
[13] Constantin Hopf, Martin Bucer and the English Reformation, Oxford 1946.
[14] Vgl. Martin Bucer, Censura, transl. by E.C. Whitaker, in: Martin Bucer and the BCP, Great Pikkering 1975.
[15] Ebd. S. 14.
[16] Ebd. S. 18.
[17] Ebd. S. 144.
[18] Ebd. S. 340.
[19] Ebd. S. 32. Vgl. auch William Haller, The Rise of Puritanism, New York 1938, S. 62 u. 92.
[20] Vgl. The First & Second Prayer Books of Edward VI, Everyman’s Library, No. 448, London 1968.
[21] Ebd. S. 347-355.
[22] Ebd. S. 356-360.
[23] Ebd. S. 347-348.
[24] Ebd. S. 348.
[25] Siehe Samuel Leuenberger, Cultus Ancilla Scripturae – das Book of Cammon Prayer als erweckliche Liturgie – ein Vermächtnis des Puritanismus, Diss., Stellenbosch 1984, S. 177.
[26] Obschon wir noch beim Book of Common Prayer 1552 sind, zitiere ich die Exhortation des Morning Prayer aus dem kanonischen Book of Common Prayer 1662, wie sie praktisch identisch ist mit jener im BCP von 1552, jedoch sprachlich keine Anklänge ans Mittelenglisch mehr hat. Siehe Book of Common Prayer 1662, Taschenbuchausgabe der Oxford Univ. Press. Oxford 1969, S. 38. Die übrigen Zitate liturgischer Elemente sind ebenfalls dem BCP von 1662 entnommen, weil sie mit denen im BCP 1552 identisch sind, jedoch in verständlicherem Englisch.
[27] Vgl. Book of Common Prayer 1662, Taschenbuchausgabe der Oxford University Press, Oxford 1969, S. 39.
[28] Ebd. S. 289-301. First & Second Prayer Books of Edw. VI. S. 380-81.
[29] Ebd. S. 301-303. First & Second Prayer Books of Edw. VI. S. 382.
[30] Ebd. S. 302. First & Second Prayer Books of Edw. VI. S. 382.
[31] Ebd. S. 302. The First & Second Prayer Books of Edw. VI., S. 382.
[32] Ebd. S. 303-308. The First & Second Prayer Books of Edw. VI., S. 382ff.
[33] Vgl. A. Beesley, An Unpublished Source of the Book of Common Prayer: Peter Martyr Vermigli’s „Adhortatio ad Coenam Domini Mysticam“, Journal of Ecclesiastic History, XIX (1968).
[34] Vgl. Book of Common Prayer 1662 S. 306. Im BCP 1662 ist diese Stelle in der zweiten Exhortation zu finden, im BCP von 1552 in der ersten Exhortation. Vgl. The First and Second Prayer Books of Edward VI., London 1968, S. 383.
[35] Book of Common Prayer 1662, Taschenbuchausgabe der Oxford Univ. Press p 309. Vgl. auch Ther First 6 Second Prayer Books of Edward VI p 386.
[36] Book of Common Prayer 1662, p 310! Vgl. Auch the First & Second Prayer Books of Edeard VI p 387!
[37] Siehe Samuel Leuenberger, Cultus Ancilla Scripturae – das Book of Common Prayer als erweckliche Liturgie – ein Vermächtnis des Puntanismus, Diss. Stellenbosch 1984, S. 176.
[38] Ebd. S. 178-180.
[39] Ebd. S. 209.
[40] Ebd. S. 195.
[41] Ebd. S. 220.
[42] Ebd. S. 212.
[43] Ebd. S. 205 u. 206.
[44] Ebd. S. 199 u. 200.
[45] Ebd. S. 221.
[46] Das „Gloria“ ist ein an den Engelsgesang von Luk 2, 15 anknüpfender Hymnus, der wahrscheinlich im 4. Jhdt. im Osten entstand und von Hilarius von Poitiers (gest. um 368) in die abendländisch-lateinische Tradition eingeführt wurde.
[47] Vgl. Patrick Collinson, Archbishop Grindal, London 1979.
[48] Vgl. G.R. Potter, Zwingli, Cambridge 1976, S. 223-224. Siehe vor allem auch Patrick Collinson, Archbishop Grindal, S. 207 u. 234.
[49] Siehe Edward Cardwell, A History of Conferences and other proceedings connected with the Revision of the Book of Common Prayer, Oxford 1849. Auf den Seiten 121-212 findet man alle wichtigen Details der Hampton Court Conference.
[50] Ebd. S. 314 – 335.