Zeitschrift für Theologie, geistliches Leben und christliche Kultur
Bischöfliche Verordnung zur Weiterentwicklung der Christ-Katholischen Kirche in Deutschland
Bischof Dr. Roald N. Flemestad
Präambel: Wir haben unsere Arbeit in Deutschland vor genau sechs Jahren begonnen. Damals konnten wir die Abtei St. Severin unter Leitung von Abt Klaus Schlapps OPR unter unsere Jurisdiktion nehmen und eine Administratur unter Leitung von Generalvikar Klaus Mass installieren. Am Anfang standen 24 Menschen, die zumeist ursprünglich der alt-katholischen Kirche in Deutschland angehörten, und sich entschlossen hatten, aus der Utrechter Union in die Union von Scranton zu wechseln. Auf Initiative von Abt Klaus Schlapps wurde die neue Gemeinschaft Christ-Katholische Kirche (CKK) genannt. Von Anfang an war es klar, dass die skandinavische Kirche sich nicht nach Kontinentaleuropa ausweiten, sondern lediglich Hilfe zum Aufbau einer eigenständigen Kirche in Deutschland leisten wollte. Schon bald kamen weitere Menschen hinzu, teils aus der alt-katholischen Kirche, teils aus anderen Kirchen, teils Menschen ohne bisherige kirchliche Bindung. Es entstanden in München, in Kaufbeuren, in Ebenweiler, in Karlstadt, in Bogen, in Düsseldorf, Warstein und Saarbrücken kleine Filialgemeinden. Menschen engagierten sich und wurden als Laien und Geistliche in den Dienst genommen. Einige der Gründungsmitglieder sind bereits verstorben. Klaus Schlapps, Marie Eimer, Gabriele Seidler und Liselotte Manka. Andere Menschen, die mit uns den Weg begonnen haben, sind weitergezogen, da sie bei uns nicht gefunden haben, was sie suchten. In den vergangenen sechs Jahren hat sich die Zahl der Gründungsmitglieder fast verzehnfacht und durch den Anschluss der Gemeinde St. Barbara die deutsche Administratur auf ein solides Fundament gestellt. Damit sind wir bereit, im Jahre 2018 einen erheblichen Schritt voranzugehen. Deshalb ergeht folgende Verordnung zur Weiterentwicklung der Christ-Katholischen Kirche in Deutschland.
1. Der bisherige Pfarrer der Christ-Katholischen Kirche in Deutschland, Klaus Mass, wird ab 1. Februar von seinem Amt entpflichtet und zugleich zum Propst der deutschen Administratur ernannt. Das Amt des Generalvikars bleibt hiervon unberührt.
2. Die Propstei (Administratur) wird zum 1. Februar in drei Pfarrgemeinden aufgegliedert. Hierbei handelt es sich erstens um die westdeutsche Gemeinde St. Babara (Saarbrücken) mit Zuordnung der Kuratie St. Willibrord (NRW) unter Leitung von Pfarrer Oliver van Meeren. Zweitens um die fränkische Gemeinde St. Patrick (Karlstadt) unter Leitung von Pfarrer Dr. Thomas Doell. Drittens um die süddeutsche Gemeinde St. Andreas (Ebenweiler) mit Zuordnung der Kuratie St. Michael (Dachau) unter Leitung von Pfarrer P. Gerhard Seidler OPR. Unverändert zur bisherigen Situation gehören zum Territorium der süddeutschen Gemeinde die Seelsorge für Einsatzkräfte beim BRK (Bogen) unter Leitung des Pfarrers beim BRK Klaus Klein, die exempte Abtei St. Severin (Kaufbeuren) unter Leitung von Abt Michael Meier OPR, sowie die Missionen in Österreich, Ungarn (P. Peter Kovats und P. Dr. Laszlo Kardon) und der Schweiz (Diakon Dr. Volker Schulte).
3. Priester Dr. Daniel Gerte trägt zukünftig den Titel Kurat, und Priester Dr. Frederik Herzberg den Titel Ordinariatsrat (Ökumene-Beauftragter). Bisher verwendete Titel wie Pfarr- oder Bischofsvikar werden künftig nicht mehr ohne ausdrückliche Bestätigung durch den Propst benutzt.
4. In allen drei Pfarrgemeinden sind während des ersten Halbjahres 2018 ein Kirchenvorstand (4-5 Laien), sowie jeweils ein Synodalabgeordneter (Laie) zu wählen. Der Pfarrer steht dem Kirchenvorstand jeweils vor. Die Pfarrer haben für ihre Gemeinden Mitgliederlisten und Matrikelbücher zu führen, welche bei Gemeindevisitationen dem Bischof, dem Propst oder dem Generalvikar vorzulegen sind. Auf der jährlichen Pfarrversammlung präsentieren die Pfarrer die Gemeindeentwicklung des vergangenen Jahres, sowie die Pläne für das kommende Jahr und leiten diesen Bericht dann an den Generalvikar weiter. In den Kuratien ist mindestens ein Kirchenvorsteher, welcher auch Synodalabgeordneter sein kann, zu wählen.
5. Ich berufe Herrn Diakon Dr. Volker Schulte zum Archidiakon (Vorsitzender der Finanzkommission) der deutschen Administration.
6. Nach der Errichtung der Pfarreien und der dortigen Pfarrversammlungen mit Wahlen der Kirchenvorsteher und Synodalabgeordneten soll ein synodales Schreiben des Propstes an die Kirche in Skandinavien (zu meinen Händen) mit der Bitte um Errichtung eines eigenen deutschen Bistums gesandt werden. Dieses Schreiben soll möglichst von Vertretern aller Gemeinden und der Abtei St. Severin unterschrieben werden.
7. Im zweiten Halbjahr 2018 soll eine erste Synode der deutschen Kirche einberufen werden, welche einen Synodalrat wählen wird. Dem Synodalrat werden neben dem Propst (Generalvikar) und dem Archidiakon jeweils drei Laien und drei Kleriker angehören, welche durch Wahl zu ermitteln sind. Die Synode wird das Kirchenrecht der Nordisch-Katholischen Kirche in deutscher Sprache übernehmen und einen Bischof electus für die Christ-Katholische Kirche erwählen, welcher durch die Bischöfe der Union von Scranton zu bestätigen und zu weihen ist. Ferner sollen nach Meinung der Synode jeweils drei, vier Fachleute in kirchliche Kommissionen (Finanzen, Liturgie, Diakonie, Ökumene, Jugend o.ä.) gewählt werden. Zu dieser ersten Synode sollen alle Kirchenvorsteher, Synodalabgeordneten, die zur deutschen Administratur gehörenden Mönche der Abtei St. Severin, sowie alle Diakone und Priester der Administratur stimmberechtigt eingeladen werden. Der Herr möge das begonnene Werk segnen und mit seinem lebendigen Geist erfüllen.
Es Segne Euch der dreifaltige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Am Fest der Bekehrung des hl. Paulus, im Jahre 2018
+ Bischof Dr. Roald N. Flemestad
Der Heilungsgottesdienst vom 15. Februar 1992
„Wir wollen den Bruch ausradieren und in Vergessenheit geraten lassen, welchen die Exkommunikation als Hindernis auf dem Weg zur Einheit bis heute darstellte.“ (Kardinal Cassidy)
Von Klaus Mass
Am 17. Februar 1992 berichtete die New York Times von einem historischen Ereignis mit Wortbildern, welche wohl nur eine Assoziation zuließen: Francis Hodur ein amerikanischer Martin Luther.
„Als das letzte Mal ein päpstliches Schreiben in der Stanislaus Kathedrale verlesen wurde, wurde es brennend aus der Kirche in den gegenüberliegenden Bach geschleudert. Diese dramatische Geste wurde von dem jungen Priester mit der Hoffnung verbunden, dass die Asche mit ihren verletzenden Worten nach Rom zurückfliegen möge.“ (NYT 17.02.1992)
Es war das Exkommunikationsschreiben vom 29. September 1898, mit welchem der polnisch- stämmige Priester Francis Hodur und seine Gemeinde unter die Beugestrafe der röm.-kath. Kirche gestellt wurden, welche ihnen verbot, zukünftig die Sakramente zu spenden oder zu empfangen.
Fast hundert Jahre später, am 15. Februar 1992, wird erneut ein päpstliches Schreiben in der Kathedrale der Polnisch-Katholischen Nationalkirche (PNCC) in Scranton verlesen. Diesmal ist es sogar ein Kardinal, der die Worte des polnischen Papstes Johannes Paul II. vorträgt. Der Bischof von Rom hat seinen Ökumene-Minister Kardinal Edward Cassidy in die US-Amerikanische Provinz entsandt. Es ist kein bloßer Höflichkeitsbesuch, sondern ein entscheidender Schritt des Papstes auf dem Weg der Versöhnung zwischen der röm.-kath. Kirche und der PNCC.
Es waren keine Glaubenslehren, die den Arbeiterpriester Hodur zum Bruch mit seiner Kirche brachten, sondern Fragen der kirchlichen Ordnung, wie der Verwaltung der Kirchengebäude und des Kirchenvermögens und die Frage nach den Mitbestimmungsrechten der Laien bei der Pfarrerwahl.
Da Polen als eigenständiger Staat zu dieser Zeit nicht existierte, wurde der Katholizismus in Abgrenzung gegen die protestantischen Preußen und gegen die orthodoxen Russen als Inbegriff polnischer Kultur und Identität verstanden. Nun stießen die Auswanderer in den USA allerdings auf irische Katholiken, die eine ähnliche Identität über ihren Glauben in Abgrenzung gegen den britischen Anglikanismus entwickelt hatten. Es gehört zur Tragik der Geschichte, dass die römisch-katholische Kirche im ausgehenden 19. Jahrhundert offensichtlich noch nicht in der Lage war, die unterschiedlichen ethnischen Identitäten in einen amerikanischen Katholizismus umzuformen. So fühlten sich die polnischen Auswanderer (nicht selten Arbeiter in den Kohlegruben) in ihren Rechten und in ihrer kulturellen Identität benachteiligt und fanden in Francis Hodur einen Sprecher für ihre Anliegen. Dem endgültigen Bruch ging eine erfolglose Vermittlungsreise Hodurs nach Rom voraus.
Nach dem Bruch schlossen sich Hodurs Gemeinde weitere polnischstämmige Katholiken vor allem im Nordwesten der USA an. Es war eine polnisch-katholische Auswandererkirche, die in der Fremde Heimat und kulturelle Identität bot, welche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sogar über zweihunderttausend Mitglieder zählte und über ein starkes soziales, kulturelles und ökonomisches Netzwerk verfügte. Mit der zunehmenden Assimilation der Emigranten in die US-Gesellschaft schrumpfte die Kirche auf einen kleinen religiösen Kern, heute nicht mehr ethnischer, sondern altkatholischer Identität.
Dieser Identitätsfindungsprozess hatte gleich nach der Gründung der PNCC begonnen. Um katholische Kirche sein zu können braucht es das apostolische Amt des Bischofs. Wie wenige Jahre zuvor die deutschsprachigen Altkatholiken um Ignatz Döllinger herum auf der Suche nach einem katholischen Bischof waren, so standen nun die Amerikaner vor dem gleichen Problem.
Beide Gruppen fanden die Lösung ihrer Schwierigkeiten in der Gemeinschaft mit dem Erzbischof von Utrecht. Woraus sich die Utrechter Union bildete, welcher die PNCC, weit über den Tod Bischof Hodurs hinaus, bis 2003 angehören sollte. Hodur wurde 1907 vom Erzbischof von Utrecht zum ersten Bischof der PNCC geweiht.
Wie alle altkatholischen Landeskirchen, so entwickelte auch die PNCC ihre eigene katholische Identität. Im Gegensatz zur nordeuropäischen Frömmigkeit war diese niemals „anti“. Während die europäischen Altkatholiken (auch später zumeist Konvertiten) oft ein sehr distanziertes Verhältnis zu Weihrauch, Eucharistischer Anbetung oder der Marienverehrung pflegten, so wurden diese Frömmigkeitsformen in der PNCC stets gepflegt und kaum infrage gestellt.
Als altkatholische Kirche hat sich die PNCC auf die Utrechter Erklärung verpflichtet, den landessprachlichen Gottesdienst eingeführt, den Pflichzölibat aufgegeben und eine synodale Ordnung errichtet.
Darüber hinaus kennt die PNCC noch zwei im europäischen Altkatholizismus nicht verankerte Besonderheiten. Zum einen hat die Kirche das Fest der brüderlichen Liebe eingeführt. Einen Tag der Versöhnung, an welchem man besonders der Schmerzen und Verleumdungen gedenkt, welche in zahlreichen Familien Wunden geschlagen haben, da auch diese durch die Spaltung der Kirche in römische und altkatholische Familienmitglieder zerrissen wurden. Neben diesem Versöhnungstag bekennt sich die PNCC auch zur Sakramentalität der Verkündigung des Gotteswortes.
Als Teil der Utrechter Union hat sich die PNCC unter Bischof Hodur auch dem Bonn-Agreement angeschlossen und in Kirchengemeinschaft mit der anglikanischen Kirche gestellt. Schließlich hat sich die amerikanische Kirche noch einer großen Missionsaufgabe gestellt. Von Amerika aus wurde die Polnisch Katholische Kirche, die altkatholische Kirche in Polen gegründet.
Francis Hodur starb am 16. Februar 1953 in Scranton. Während die leitenden anglikanischen Bischöfe in den USA an seiner Beerdigung teilnahmen, herrschte zwischen der PNCC und der röm-kath. Kirche eine Eiszeit.
Eine erste Auflockerung setzte mit den Reformen des II. Vatikanums ein. Die PNCC begrüßte die liturgische Erneuerung, die neue Wertschätzung der Hl. Schrift, sowie die Öffnung der röm.-kath. Kirche zur Ökumene hin als Schritte in die richtige Richtung. Einen konkreten Dialog zwischen beiden Kirchen gab es allerdings noch nicht.
Bereits unmittelbar nach dem Konzil schlug 1966 Prime Bishop Leon Grochowski der römisch-katholischen Kirche einen solchen Weg des Dialogs vor. Doch brauchte es bis zum Pontifikat Johannes Pauls II bis diese Weggemeinschaft tatsächlich zustande kam. Es war der persönliche Wunsch des polnischen Papstes den Weg der Versöhnung zu beschreiten. 1984 kam es zu einem ersten Treffen von Vertretern beider Kirchen, woraus sich ein kontinuierlicher Dialog bis heute entwickelte.
1989 wurde ein erster Zwischenbericht des Dialoges vorgestellt und darin festgestellt, dass es (bei Unterschieden in Details und Praxis) kein dogmatisches Hindernis gäbe, welches das Wachsen der Gemeinschaft zwischen den Kirchen belasten würde.
Ein erster Höhepunkt auf diesem gemeinsamen Weg war der Versöhnungsgottesdienst vom 15. Februar 1992. In diesem Gottesdienst bat Kardinal Cassidy im Namen von Papst Johannes Paul II um Vergebung für das Francis Hodur und den Mitgliedern der PNCC angetane Unrecht. Der Kardinal versprach an der endgültigen Überwindung der Spaltung zu arbeiten. „Wir wollen den Bruch ausradieren und in Vergessenheit geraten lassen, welchen die Exkommunikation als Hindernis auf dem Weg zur Einheit bis heute darstellte.“
Hier stellten sich nun eine Reihe von kirchenrechtlichen Fragen. Hat der Papst in dieser „Feier der Heilung und Versöhnung“ durch seinen Kardinal die Exkommunikation explizit oder implizit aufgehoben? Hodur und seine Gefolgsleute selbst waren ja bereits längst verstorben und dennoch lebte ihre Gemeinde in der PNCC fort. Jedenfalls wird man kaum behaupten können, dass die Heilung eines Bruchs dadurch gelingen könne, dass dessen Ursprünge und Umstände einfach vergessen würden. Hinzu kommt die juristische Frage nach dem Kirchenrecht selbst. Die Verurteilung erfolgte noch vor dem Recht von 1917, welches 1984 durch ein neues Recht ersetzt wurde. War 1992, also nur acht Jahre später, bereits geklärt, wie Verurteilungen durch das alte (und noch ältere) Recht(sverständnis) im neuen Recht(sverständnis) geheilt werden können?
Tatsächlich gibt es eine kleine kirchenrechtliche Arbeit von 2011 genau zu unserer Fragestellung, welche im Fach Kirchenrecht an der Saint Paul University (Ottawa) von Ramil E. Fajardo einem römisch-katholischen Priester des Erzbistums Chicago erstellt wurde.
Am Anfang dieser Arbeit steht die Feststellung, der Perspektivenverschiebung des Kirchenrechts, galt es 1917 noch jede Infragestellung der röm.-kath. Kirche abzuwehren (CIC Can. 1324), so verlangt der Parallelkanon des Kirchenrechts von 1984 (Can. 755) ausdrücklich die Pflege der Ökumene und die Arbeit der Bischöfe an der Einheit der Christen.
Das Kirchenrecht setzt hier das Ökumenedekret Unitatis Redintegratio des II. Vaticanums konsequent um. Galt es zuvor jedem Irrtum zu fliehen, so kommt es nun darauf an Methoden zu finden, die Gemeinschaft wieder herzustellen. Die katholische Kirche unterscheidet dabei zwischen zwei Formen von Gesprächspartnern, zum einen die Kirchen des Ostens, in denen die Ämter und Sakramente bewahrt wurden und zum anderen die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften des Westens, welche durch die Reformation und späteren Entwicklungen das bischöfliche Amt und die Fülle der Sakramente verloren haben.
Unter den Kirchen des Westens gibt es nun eine Gruppe von Kirchen, die besondere Aufmerksamkeit verlangen. Es sind die altkatholischen Kirchen der Utrechter Union, sowie die Polnisch-Katholische Nationalkirche (PNCC). In diesen Kirchen sind die Ämter und Sakramente, wie auch im Osten, bewahrt worden, wobei der Autor den Kirchen der Utrechter Union bescheinigt, diese mittlerweile verloren zu haben. Damit kommt der PNCC eine absolute Sonderstellung unter den Kirchen des Westens zu.
Im Folgenden beschreibt Fajardo die Geschichte des Altkatholizismus und stellt dabei fest, dass der Erzbischof von Utrecht (1724), auf dessen apostolische Autorität alle altkatholischen Bischöfe rückführbar sind, gültig, aber unerlaubt geweiht sei. Auch wird festgestellt, dass die Utrechter Kirche, obwohl exkommuniziert, nie die röm.-kath. Kirche verlassen habe, sondern in allem den Glauben, die Lehre, die Liturgie, die Frömmigkeit und die Disziplin der Kirche bis in die Zeit der Utrechter Union hinein, bewahrt habe.
Der Autor beschreibt die Weitsichtigkeit der altkatholischen Bewegung, die bereits lange vor dem II. Vaticanum wesentliche Reformanliegen entdeckt und realisiert hatte: die Beteiligung des Volkes an der Liturgie, die Theologie der Laien, die bischöfliche Kollegialität, die Sorge um die Einheit der Christen.
Doch haben die Altkatholiken der Utrechter Union durch ihre Anlehnung an anglikanische Positionen bezüglich der Weihe von Frauen eine erhebliche neue Schwierigkeit in der ökumenischen Beziehung geschaffen. Die Weihe von Regina Pickel-Bossau und Angela Berlis zu Priesterinnen am Pfingstmontag 1996 durch Bischof Joachim Vobbe war, aus Sicht des katholischen Kirchenrechtlers, ein echtes Novum in der deutschen alt-katholischen Kirche. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass ein Bischof, dessen apostolisches Amt außer Zweifel steht, eine solche Weihe vornahm und damit nicht nur zu einer erheblichen Störung des ökumenischen Dialogs beitrug, sondern auch der künftigen Sakramentalität und Apostolizität der altkatholischen Weihen schweren Schaden zufügte.
Schon der ersten Priesterinnenweihe gingen einige Jahre zuvor bereits Diakoninnenweihen voraus (1987 Schweiz, 1988 Deutschland, 1991 Österreich). Diese Entwicklung führte zu scharfen Auseinandersetzungen innerhalb der Utrechter Union. Bis 1976 bestand unter den altkatholischen Bischöfen Einigkeit darin, dass es nicht möglich sei, Frauen zu Diakonen, Priestern und Bischöfen zu weihen. Folgerichtig kündigte die PNCC 1978 aufgrund dieser Frage dann auch die Sakramentengemeinschaft mit den anglikanischen Kirchen auf. Die altkatholischen Bischöfe (mit Stimme der PNCC (!)) erklärten 1982, dass es möglich sei, den Diakonat der Frau in den einzelnen Landeskirchen einzuführen und dass gleichzeitig die Beschlüsse von 1976 in Kraft bleiben. Die Widersprüchlichkeit dieser Entscheidung solle zu späterer Zeit geklärt werden. Eine Lösung hätte z.B. darin bestehen können den Diakonat der Frau an der alt- und ostkirchlichen Tradition auszurichten, sodass sich die Ämter des männlichen und des weiblichen Diakons durchaus voneinander unterschieden hätten. Zu einer solchen Klärung ist es allerdings niemals gekommen.
Auf Initiative der Bischöfe wurde 1991 ein Dialogprozess bezüglich der Frauenfrage innerhalb der Utrechter Union gestartet, welcher 1997 mit der Feststellung endete, dass in dieser Frage keine einhellige Meinung unter den altkatholischen Kirchen festgestellt werden kann. Noch im selben Jahr erfolgte die erste Priesterinnenweihe in Österreich, 1999 in den Niederlanden und 2000 in der Schweiz.
Im Jahre 2003 verließ die PNCC die Utrechter Union.
Der Heilungsgottesdienst vom 15. Februar 1992 war die Konsequenz aus der miteinander erfahrenen spirituellen und theologischen Nähe zwischen der PNCC und der röm.-kath Kirche. Logischerweise konnten aus zwei Gründen die anderen Mitgliedskirchen der Utrechter Union an dieser Feier nicht beteiligt sein. Zum einen war zu dieser Zeit das Frauendiakonat in den westeuropäischen altkatholischen Kirchen bereits eingeführt und zum anderen hatte allein die PNCC die Kirchengemeinschaft mit den anglikanischen Kirchen bereits beendet.
Ramil E. Fajardo unterlässt zwar eine konkrete kirchenjuristische Bewertung des Versöhnungsgottesdienstes zeigt aber dessen unmittelbare Folge auf: die Zulassung der PNCC- Gläubigen zu den Sakramenten der röm.-kath. Kirche. Womit der Versöhnungs- und Heilungsgottesdienst tatsächlich als Aufhebung der Exkommunikation verstanden werden darf.
Bereits 1993 erklärte Kardinal Cassidy, dass die Mitglieder der PNCC die Sakramente der Eucharistie, der Buße und der Krankensalbung (gemäß CIC 844) in der röm.-kath. Kirche empfangen könnten. 1998 erfolgte eine entsprechende Erklärung der PNCC, durch welche römische Katholiken auch die entsprechenden Sakramente in der PNCC empfangen dürften.
2006 erfolgte dann die Joint Declaration , in welcher beide Kirchen nicht nur die Communicatio in sacris bestätigen, sondern sich ausdrücklich gegenseitig als Kirchen anerkennen. Die Sakramente der jeweils anderen Kirche werden anerkannt, auf gegenseitigen Proselytismus wird verzichtet und eine Neuordination von Geistlichen, welche in den Dienst der jeweils anderen Kirche wechseln, ausdrücklich untersagt.
Als offene Streitpunkte zwischen den Kirchen bleiben allerdings auch noch einige Fragen bestehen. So gibt es noch keine klare Vorstellung wie der Dienst des Bischofs von Rom durch beide Kirchen gemeinsam verstanden werden kann, weiterhin bleibt die Frage nach dem filioque im Credo offen sowie die Stellung der bischöflich-synodalen Union von Scranton im Gefüge der Universalkirche.
Der gegenwärtige Dialog zwischen der PNCC und der röm-kath. Kirche entspricht somit im Wesentlichen dem orthodox-katholischen Dialog.
Als kleine abschließende Anmerkung für die ökumenische Praxis zwischen beiden Kirchen in Europa sei auf ein brüderliches Angebot der röm.-kath. Prälatur Trondheim hinzuweisen. Nachdem zum Jahresende der Pfarrer der Nordisch-Katholischen Kirche (NKK) in Trondheim völlig überraschend verstorben ist, bot die röm.-kath. Kirche den Gläubigen der NKK die sakramentale Gastfreundschaft an, bis es wieder einen eigenen Priester in der nördlichsten altkatholischen Gemeinde der Welt gäbe.
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Redaktion: Klaus Mass, Kapellenstraße 7, 85254 Einsbach, pfarramt-christ-katholisch@web.de
Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht unbedingt die Lehrmeinung der Kirche wiedergeben.
Leserbriefe sind stets erwünscht.
Ökumenische Initiative Dublin 2018
Im Geist voranschreiten: Eine erneuerte Katholizität
von Bischof Dr. Roald Flemestad
Die gegenwärtige Herausforderung - die Krise des Glaubens
Es scheinen die Zeichen der Zeit zu sein, dass wir als letzte Generation in einer vom christlichen Glauben geprägten europäischen Kultur leben. Wo der christliche Glaube implodiert, muss auch die tradierte Kultur zusammenbrechen. Doch statt mit einem pessimistischen Blick in der Vergangenheit zu verbleiben, sollten wir die Frage nach den Herausforderungen der Zukunft stellen.
Bereits in den späten sechziger Jahren war sich Joseph Ratzinger dieses Zusammenbruchs bewusst. In seiner Schrift Glaube und Zukunft aus dem Jahre 1970 (Kösel-Verlag) prophezeite der künftige Papst, dass eine kommende Glaubenskrise wie ein Sturm auf uns herabkommen und die Kirche, wie wir sie kennen, niederreißen wird. Der Überlebensprozess werde schmerzhaft sein und die kleinen Gemeinschaften, die diesen Prozess überstehen, werden die Kirche und die christliche Kultur neu aufbauen müssen. Eine einfachere und geistlichere Kirche werde entstehen, welche größere Anforderungen an die einzelnen Mitglieder stellen werde.
Stimmt diese Analyse, so haben wir die Aufgabe, den Glauben hier und jetzt am Leben zu erhalten und Brückenköpfe in die Zukunft zu bauen. Die gegenwärtige Situation fordert von uns allen eine Antwort auf die Frage: Was müssen wir als Christen tun, um den Glauben in unseren Gemeinschaften aufrecht zu erhalten? Kurz gefragt, was ist die Vision, die erzielt werden will, wenn wir als Christen bestrebt sind, zusammen eine angemessene ökumenische Struktur in die Zukunft zu bauen?
Die wirkliche Gefahr
So treffend Ratzingers Analyse für unsere Zeit auch sein mag, müssen wir uns dennoch im Klaren sein, dass wir nicht die Ersten sind, die vor solchen Zukunftsfragen stehen. Um ein Beispiel zu nennen, schrieb der hl. Basilius der Große im 4. Jahrhundert: "Eine Dunkelheit voller Finsternis und Elend ist auf die Kirchen herabgestiegen ... Die Furcht der Allzerstörung hängt bereits über uns, doch sie (d.h. die Gläubigen samt den Kirchenleitern) genießen weiterhin ihre Rivalitäten und verwerfen die Wahrnehmung der Gefahr" (De Spiritu sancto 77 [Migne PG 32,214B]).
Seiner Zeit überlebte die Kirche die Krise, für uns aber ist es wichtig zu bemerken, dass der heilige Basilius auf den inneren Zustand der Kirchen als die wirkliche Gefahr in dieser herausfordernden Situation hingewiesen hat.
Wir erkennen eine ähnliche Situation in unserer eigenen Zeit. Wie damals untergraben Parteigeist und Stolz eine vereinte Antwort auf die Herausforderung von außen. Der jetzigen "Dunkelheit voller Finsternis" [wörtlich: „traurige Mondfinsternis“] muss auf zweierlei Art begegnet werden: erstens durch eine Versöhnung zwischen den Kirchen und zweitens durch die Erneuerung des christlichen Individuums. Es ist eine Tatsache, dass die Wiederbelebung der christlichen Gemeinschaft die Voraussetzung für die Wiederbelebung des Individuums ist.
Meiner Meinung nach manifestieren sich die äußeren und inneren Veränderungen gemeinsam im kulturellen Zusammenbruch unserer Zeit - der Verlust einer christlichen Gemeinschaft äußert sich in einer modernen Variante der Gnosis, wie der hl. Irenäus von Lyon Mitte des zweiten Jahrhunderts diagnostizierte, als er schrieb: "unter ihnen gibt es weder eine Gemeinde noch eine feste Lehre" (Adv Haer III 4,2) [lat.: nequedum enim congregatio fuit apud eos neque doctrina instituta, Migne PG 7,856B]. Diese Ansicht wird übrigens auch von der röm.-kath. Kirche im jüngsten Dokument der Glaubenskongregation Placuit Deo (Stellungnahme zu den Gefahren des Neu-Pelagianismus und Neo-Gnostizismus) vom 22.02.18 geteilt. Der Imperativ (die eingeforderte Vision), mit dem wir konfrontiert sind, ist daher, die Katholizität als Grundlage der christlichen Einheit unter uns neu zu entdecken und wiederherzustellen.
Der ökumenische Imperativ
Als Jesus für seine Jünger betete, "dass sie alle eins seien ... damit die Welt glaube" (Joh 17,21), gab er einen ökumenischen Imperativ. Um Frucht zu bringen, bedarf es der Einheit unter den Christen (15,4f). Die Frage ist, wie wir den Auftrag des Herrn zum Gebet erfüllen sollen. In der Ökumene bestehen zwei Gefahren, zum einen die Gefahr des "Indifferentismus" - der vorsätzlichen Vernachlässigung wirklicher Fragen -, umgekehrt aber auch die Gefahr des konfessionellen "Integralismus", einer Arroganz zugunsten der eigenen, alles andere verzehrenden Tradition.
Die Herausforderung der Jünger durch "die Christen"
Glücklicherweise haben wir im Neuen Testament ein Beispiel dafür, wie die frühe Kirche im Jahre 49, im sogenannten Apostelkonzil von Jerusalem, eine innere Spaltung behandelte und beilegte. Der Konflikt wurde durch die Mission des Paulus unter den Heiden verursacht; sie hatte zu einer radikal neuen Kategorie von Jüngern geführt, die "Christen" [griech.: Christianoi, wörtlich: „Christus-Anhänger“] genannt werden, da sie keine beschnittenen Juden waren (Apg 11,26). Der Streit wurde durch das Eingreifen des heiligen Petrus gelöst; da die Heiden den Heiligen Geist empfangen und ihre Herzen durch den Glauben gereinigt (beschnitten) hätten, folgerte er, dass ihnen kein Joch auferlegt werden sollte (Apg 15,8-10). Das Dekret des Konzils stellte demgemäß fest, dass es dem Heiligen Geist gut erschien, den getauften Heiden nur "folgende Pflichten, die unerlässlich sind" aufzuerlegen, nämlich "dass ihr euch vom Götzenopferfleisch, vom Blutgenuss, vom Fleisch erstickter Tiere und von Unzucht fernhaltet". (Apg 15,28f, vgl. Offb 2,14). Kurz gesagt, die Heiden-Christen sind verpflichtet, sich von Handlungen und Dingen fernzuhalten, die sie in den Augen der jüdischen Jünger unrein machen; aber wenn sie sich an die erwähnten Vorschriften halten, sind sie willkommen, mit ihren jüdischen Glaubensbrüdern dem Herrn nachzufolgen. Es ist explizit die Gegenwart des hl. Geistes, welche die Einheit zwischen den jüdischen und den heidnischen Gläubigen in der gemeinsamen Christusnachfolge ermöglicht.
Die Kirche der Heiden
In seinen neutestamentlichen Briefen benutzt Paulus seine Autorität als Heidenapostel, um die neuen christlichen Gemeinden zu unterrichten, die er "Kirchen" nennt. In der Tat ist das Wort "Gemeinde“ eng mit Paulus und den Menschen um ihn herum verbunden (1. Thess 2,14; 2. Thess. 1,4; Gal. 1,13, Apg. 9,31, 20,28). Seine Wahl des Wortes ist jedoch nicht willkürlich. In der Septuaginta wird das griechische Nomen ekklesia verwendet, um das hebräische Wort qahal zu übersetzen, was bedeutet, dass das Volk Israel am Sinai in den Bund mit Jahwe eintritt (Dtn 5,22, 9,10). Dies bedeutet eindeutig, dass die Kirche als das eschatologische Israel zu verstehen ist (vgl. Offb 21,12f). Es ist wichtig zu beachten, dass das griechische Wort im Lateinischen auch unassimiliert verwendet wird -Ecclesia. Das erste Mal, dass wir im Neuen Testament die Ekklesia finden, ist in Apostelgeschichte 9,31, wo wir lesen: "So hatte nun die Gemeinde in ganz Judäa, Galiläa und Samaria Frieden; sie baute sich innerlich auf, wandelte in der Furcht des Herrn und wuchs auch äußerlich durch den Beistand des heiligen Geistes." Es ist wichtig zu beachten, dass hier das gleiche Wort. „Gemeinde“ verwendet wird, um die christliche Gemeinschaft sowohl universell als auch lokal zu bezeichnen. Wenn die örtlichen Gemeinden in ganz Judäa, Galiläa oder Samaria zusammenkommen, ist überall die gleiche Kirche, die sich an den verschiedenen Orten manifestiert.
Institutionelle und charismatische Maßstäbe
Darüber hinaus besteht der Evangelist Lukas darauf, dass die verschiedenen Versammlungen, die "die Gemeinde" bilden, alle durch eine doppelte Grundlage der Unterstützung erbaut werden - in der Furcht des Herrn leben und vom Heiligen Geist gelabt werden. Die Furcht des Herrn drückt den institutionellen Aspekt des kirchlichen Lebens aus und die Stärkung des Geistes manifestiert die dynamische Seite. Im folgenden Kapitel der Apostelgeschichte wird diese Dualität am Beispiel der Taufe von Heiden gezeigt. Angesichts einer radikal neuen Situation besteht Petrus die Herausforderung, indem er sich auf die befehlende Autorität des auferstandenen Herrn bezieht, und während er spricht, wird uns gesagt, dass der Heilige Geist auch auf die Heiden herabkam und dadurch ihre Taufe legitimierte (Apg 10,39-45 , vgl. 11,15-18f). Der Bericht geht weiter mit der Ausbreitung der Kirche von Jerusalem nach Antiochia und von dort, geführt vom Geist, nach Zypern (Apg 12,24 – 13,1-5). So stellen die Erzählungen in der Apostelgeschichte (6,1-14) dar, dass die Kirche von Gott geführt wird, indem sie auf äußere und innere Herausforderungen reagiert.
Die Kirche als Baustelle
Interessanterweise drückt der Evangelist Lukas in dem erwähnten Zitat aus der Apostelgeschichte 9,31 diese Dynamik paradoxerweise dadurch aus, indem er die beiden Verben "bauen" und "bewegen" im Passiv benutzt, um zu zeigen, wie die Kirche geformt wird. Die Furcht vor dem Herrn verleiht der Institution Stabilität, die es möglich macht, dass die Kirche als ein Haus (oikodomouméne) aufgebaut wird, während der Beistand des Geistes sie in die richtige Richtung zieht (poreuméne). Die lateinische Übersetzung der Vulgata beschreibt diesen miteinander verbundenen Prozess mit dem Wortpaar „aedificabur ambulans“. Die Bedeutung besteht darin, dass die Kirche durch die Ehrung Christi vom Geist aufgebaut und vorangetrieben wird. Vielleicht können wir dies zusammenfassen, indem wir sagen, dass die Kirche eine "Baustelle" ist, die auf zwei Gewicht tragenden Säulen - der Furcht vor dem Herrn und der Unterstützung durch den Heiligen Geist - basiert und die Aktivitäten an ihrem rechtmäßigen Ort zusammenhält. Es gibt ein dynamisches Gleichgewicht, wenn die Kirche, die in ihrer Achtung vor Christus geformt ist und durch die Leben spendende Energie des Heiligen Geistes belebt und vorangebracht wird.
Kirche als Pilgerschaft
Wenn Paulus die Bedeutung des Kirchenlebens für die Korinther beschreibt, verwurzelt er die Kirche in der alttestamentlichen Vorstellung des Volkes des Bundes und erinnert die Gläubigen daran, dass auch sie Pilger sind: "Wir wandeln im Glauben, nicht im Schauen" (2 Kor 5,7). In dieser Welt sind wir vom Herrn getrennt. Dennoch besteht der Apostel darauf, dass wir Zuversicht haben, weil Gott uns „den Geist als Unterpfand gegeben hat" (2 Kor 5,5). "Auf dem Weg sein" ist einfach eine Umschreibung für die Zugehörigkeit zur Kirche (Apg. 9,2, 18,25, 19,9+23, 22,4, 24,14+22). Dieses Verständnis der Kirche als ein Pilgervolk schildert das kirchliche Leben sowohl innerlich als auch äußerlich. Die christliche Gemeinschaft inspiriert gegenseitigen Respekt und Liebe unter denen, die unterwegs sind. Auf der anderen Seite unterscheidet sie sich durch ihren spezifischen Lebensstil von denen außerhalb der Gemeinschaft (1 Kor 5,6, vgl. 1 Thess 4,12, 1 Tim 3,7). Es gibt eine Scheidelinie zwischen der Kirche und der Welt, wie der heilige Paulus die Gläubigen ermahnt: "Benehmt euch mit Weisheit im Verkehr mit denen, die draußen sind“ (= nicht zur Gemeinde gehören) (Kol 4,5). Christen sind Pilger - fremde Bürger (paroikoi) -, die sich in einem fremden Land aufhalten, um den hl. Petrus zu zitieren (1. Petr. 2,1).
Die Eucharistie als Manifestation der Kirche
Die Gläubigen konstituieren sich als Kirche, indem sie zusammenkommen, um die Eucharistie zu feiern, heißt es im Brief des Paulus an die Korinther (1 Kor 11,19f). Der heilige Paulus erklärt die konstituierende Bedeutung der Eucharistie durch die Aussage: „Das Brot, das wir brechen: ist es nicht die Gemeinschaft mit dem Leibe Christi? Weil es ein einziges Brot ist, sind wir trotz unserer Vielheit doch ein einziger Leib, denn wir alle haben Anteil an dem einen Brot." (1 Kor 10,16f). Das griechische Wort für Körper, soma, kann verwendet werden, um sowohl den menschlichen Körper als auch die menschliche Gesellschaft, die Familie, zu bezeichnen. Paulus gebraucht diese Dualität, um die Bedeutung des eucharistischen Brotes zu erklären und so den Opferleib Christi am Kreuz mit der Kirche als seiner sozialen Körperschaft hier und jetzt zusammenzubringen. Kurz gesagt, die Eucharistiefeier ist die Manifestation der Kirche, wo immer sie sich an einem bestimmten Ort versammelt und die Liturgie feiert (1 Kor 11,23ff).
Taufe und die Einheit der Charismen
Im folgenden Kapitel veranschaulicht Paulus den sozialen Charakter der Kirche, indem er auch auf die in der Taufe gegebene sakramentale Einheit hinweist: "Denn wie der Leib eine Einheit ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber trotz ihrer Vielheit einen Leib bilden, so ist es auch mit Christus. Denn durch einen Geist sind wir alle durch die Taufe zu einem Leibe zusammengeschlossen worden, wir mögen Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie sein, und wir sind alle mit einem Geist getränkt worden. Auch der Leib besteht ja nicht aus einem einzigen Glied, sondern aus vielen." (1 Kor 12,12-14). In seiner Argumentation lässt Paulus die Eucharistie, die Taufe und die vielfältigen Charismen in der Einheit des kirchlichen Körpers zusammenkommen.
Einheit im Glauben
Die Erzählung in Apostelgeschichte 9,31, die zeigt, wie die Kirche durch ihren Respekt für Christus und die lebensspendende Energie des Heiligen Geistes vorangebracht wird, spiegelt sich in der Unterweisung des Paulus an die Korinther: "keiner vermag zu sagen: ,Jesus ist der Herr!', außer durch den heiligen Geist."(1 Kor 12,3). Das Bekenntnis von Jesus als dem Herrn ist wahrscheinlich ein Zitat aus der katechetischen Unterweisung vor der Taufe. "Für uns", erinnert er die Korinther, "gibt es nur einen Gott, nämlich den Vater, von dem alle Dinge sind und wir für ihn, und nur einen Herrn, nämlich Jesus Christus, durch den alle Dinge geworden sind und wir durch ihn." (1 Kor 8,6). Daher wird von den Getauften erwartet, dass sie sich an den erklärten Glauben der Kirche binden (vgl. Röm 10,9). Darüber hinaus ist es Paulus als Apostel der Heiden, der darauf besteht, dass es seine Pflicht ist, trotz Widerstrebens den Glauben zu lehren (1 Kor 3,1ff), denn die Ortsgemeinde hat keine lehrmäßige Autonomie. Daher korrigiert er die Korinther: "Oder ist etwa das Wort Gottes von euch ausgegangen oder zu euch allein hingekommen? Wenn jemand sich für einen Propheten oder für einen Geistbegabten hält, so muss er erkennen, dass das, was ich euch hier schreibe, das Gebot des Herrn ist." (1 Kor 14,36f). In seiner Abwesenheit hält der Apostel seine Autorität aufrecht, indem er seinen Bevollmächtigten Timotheus sendet, "er wird euch an meine Wege in Christus Jesus erinnern, wie ich sie überall in jeder Gemeinde lehre." (1 Kor 4,17). Der heilige Paulus schließt seine Unterweisungen und empfiehlt Timotheus als treuen Sohn im Herrn, denn "er arbeitet ja am Werk des Herrn ebenso wie ich" (16,10). An der Stelle von Paulus wurde Timotheus durch Handauflegen eingesetzt, und dadurch erhielt er das Charisma für seine Arbeit anstelle des Apostels. Darüber hinaus weist der heilige Paulus Timotheus an, seine Mitarbeiter auf die gleiche Weise zu ordinieren (2. Tim 1,6, 1 Tim 4,22).
Katholische Kirche als lokale und universale Gemeinschaft
Offensichtlich verlangt Paulus, dass die Kirche "überall in jeder Gemeinde" in der gleichen Identität vereint ist, aber er benutzt daher nicht den Ausdruck "katholische Kirche". Das gehört zur nächsten Generation. Das erste Mal, dass wir dem Wort schriftlich begegnen, ist das sogenannte Martyrium von Polycarp. Laut dem hl. Irenäus wird Polycarp, der als junger Mann Johannes und andere, die den Herrn gesehen hatten, gekannt hatte, im Text als "Bischof der katholischen Kirche zu Smyrna" (XVI, 2 BKV, 1. Reihe, Bd. 14, München 1913) bezeichnet. Außerdem wird in der Erzählung gesagt, dass Polykarp vor seinem Tod den Herrn als "den Hirten der katholischen Kirche in der ganzen Welt" (XVIII, 1; XIX, 2) pries. Außerdem ist die Widmung zum Text an "die Fremde und Gäste (paraoikoi) der katholischen Kirche an jedem Ort" gerichtet. In der Verwendung des Ausdrucks "katholische Kirche", sowohl als lokale als auch als universale Gemeinschaft, erkennen wir das paulinische Verständnis der Ortskirche als "den Ort an, in dem die ganze katholische Kirche wohnt" (John Zizioulas, Eucharist, Bishop, Church: The Unity of the Church in the Divine Eucharist and the Bishop During the First Three Centuries, Brookline, Massachusetts: Holy Cross, 2001, S. 125).
Katholizität als qualitatives Attribut
Ebenso verwendet der hl. Ignatius von Antiochia, ein Zeitgenosse von Polykarp, in seinem Brief an die Smyrnäer (VIII) das Wort katholisch, um die allgemeinen Normen zu bezeichnen, die für das geistliche Leben in der örtlichen Kirche erforderlich sind. Katholikos (kat' + holos) bedeutet im säkularen Griechisch, was nach der Regel ist - ganz, vollständig und vollständig - und Ignatius betont, dass die liturgische Verkündigung des Evangeliums korrekte Verfahren erfordert: "Wo immer der Bischof sich zeigt, da sei auch das Volk, so wie da, wo Jesus Christus ist, auch die katholische Kirche ist." Die in der katholischen Kirche geforderte Einheit hat liturgische Folgen: "Nur jene Eucharistie gelte als die gesetzmäßige, die unter dem Bischof vollzogen wird oder durch den von ihm Beauftragten. [...] was immer er für gut findet, das ist auch Gott wohlgefällig, auf dass alles, was geschieht, sicher sei und gesetzmäßig." (Ignatius an die Smyrnäer, VIII; Übersetzung von Franz Zeller: Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 35, München 1918; Migne PG 5,713B). Für die Gültigkeit verwendet der Märtyrerbischof das griechische Wort bebaios, einen juristischen Begriff, der "sicher", "vertrauenswürdig" bedeutet (vgl. Röm 4,16, 2 Kor 1,7). Mit einem Wort, die Idee der katholischen Kirche ist von Anfang an mit "Gültigkeit" als Qualifikation für das wahre kirchliche Leben verbunden. Dies beinhaltet auch Kirchenaufträge: "Getrennt von diesen (der Diakonat, die Presbyter und der Bischof) kann man von keiner Kirche reden." (Ignatius an die Trallianer III,1; Migne PG 5,677). Aber auch der Bischof steht nicht singulär, er braucht das Volk zu seiner Legitimität und beide miteinander feiern die Eucharistie. Offensichtlich ist das Wort „Katholik“ hier ein qualitatives Attribut, das verlangt, dass die Dinge so gemacht werden, wie sie sein sollten.
Der Auftrag der Kirche
Wir begannen diese Überlegungen mit der Frage: Welche Vision braucht es, um die Kirche zu erneuern? Meine Absicht war, das paulinische Verständnis der Kirche als Vorlage zu präsentieren. Die Kirche ist als dynamisches Wechselspiel zwischen institutionellen und charismatischen "Säulen" gestaltet. Wie der Evangelist Lukas die frühe Kirche darstellt, existiert sie in der Einheit von Sein und Tun - aedificabur ambulans in timorem Domini et sancti Spiritus consolationem replebatur. Die nächste Frage lautet dann: Wie kann uns die Erkenntnis, dass "die Kirche immer im Entstehen ist" (eine stets zu erneuernde Baustelle), in unserer gegenwärtigen Situation voranbringen? Unsere unmittelbare Herausforderung besteht darin, ausgehend von unserer eigenen Persönlichkeit, die Wirklichkeit des Gottesreiches im hl. Geist für andere erfahrbar zu machen.
Die interne Herausforderung
Oben haben wir zwischen der Bedrohung von außen und der Bedrohung von innen unterschieden. Im Augenblick können wir der äußeren Gefahr nur wenig entgegensetzen, indem wir eine kulturelle Linie zwischen Gesellschaft und Kirche ziehen. Tatsächlich ist eine solche Kulturscheide sehr schwierig zu zeichnen, wird aber in bestimmten Situationen und in bestimmten Fragen dazu dienen, die Kirche vor Implosion zu schützen. Die innere Herausforderung der Neo-Gnosis und des Neu-Pelagianismus - eine Situation, in der es "weder eine Gemeinde noch eine feste Lehre gibt" - erfordert eine Solidarität, die sehr passend als "Ökumene in den Schützengräben" bezeichnet wird - eine Kirche, die auf die Furcht des Herrn und die Stärkung des Heiligen Geistes gegründet ist.
Die Notwendigkeit einer neuen Gemeinsamkeit
Der gegenwärtige Zusammenbruch des Modells der europäischen Volkskirchen – jener Versuchung, kirchliches Leben in bürokratischen und juristischen Begriffen zu definieren – erfordert, dass wir eine sichere Grundlage legen müssen, um unsere geistlichen Gaben an zukünftige Generationen weiterzugeben. Dies ist eine Herausforderung für uns über die konfessionellen Grenzen hinweg. Die Suche nach ökumenischer Katholizität als Grundlage für Gemeinsamkeit muss eine Anstrengung sein, die über die sogenannte "akademische Ökumene" hinausgeht. Eine liturgische Herangehensweise wäre konstruktiver, da die Eucharistiefeier gemäß Paulus die Kirche als eine soziale Realität hier und jetzt manifestiert (1 Kor 11,18). Vielleicht können wir die Grundlage für eine neue Gemeinsamkeit im Licht des Apostelkonzils zu Jerusalem finden, indem wir fragen: Was sind "die Pflichten, die unerlässlich sind" für den gemeinsamen Gottesdienst [vgl. Apg 15,28f]?
Einheit in der Vielfalt
Wenn liturgisches Tun und Handeln der wesentlich konstitutive Bestandteil der Kirche ist, könnte es auch hilfreich sein, die Praxis der ungeteilten Kirche in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends zu betrachten. Zu dieser Zeit wurde, ohne dass dies ein Schisma verursacht hätte, lehrmäßige Einheit in einer Vielzahl von Liturgien ausgedrückt - syrisch, alexandrinisch, byzantinisch, römisch und ihre vielen Abkömmlinge. So gehört die liturgische Einheitlichkeit nicht zu den "notwendigen Dingen" (Apg 15,28). Die Trennlinie ist die "tiefe", grundlegende Struktur - dass die Eucharistie dem Vater durch den Sohn im Geist dargebracht wird. Die Taufe bewirkt die Zulassung zur Eucharistie. Folglich sollte der Ausgangspunkt für unsere Suche nach Gemeinsamkeit die Zustimmung zum trinitarischen Glauben sein, wie er im Taufbekenntnis und Taufversprechen zum Ausdruck kommt. Das Bekenntnis von Nicäa geht wahrscheinlich auf katechetische Formeln zurück, auf die Paulus in den Briefen an die Kirchen in Rom und Korinth verweist (Röm 10,8-13, 1 Kor 8,6). Der normative Status des Bekenntnisses wird besonders deutlich in der korinthischen Version, die im Plural geschrieben und im Morgengebet des Alten Testaments verwurzelt ist (Dtn 6,4). Darüber hinaus bleibt das Nicänische Glaubensbekenntnis die ökumenisch akzeptierte Zusammenfassung der Erzählung des Evangeliums.
Kirchliche Affinität
Wenn die grundsätzlichen Fragen der Lehre geklärt sind, öffnet sich die Tür für eine genauere Klärung der sakramentalen Beziehung zwischen den eucharistischen Gemeinschaften. Die Prämisse muss sein, dass die Ortskirche der Ort ist, an dem die ganze katholische Kirche wohnt. Das paulinische Kriterium wäre, dass wir die gleichen Grundmuster des kirchlichen Lebens beibehalten - "überall, in jeder Gemeinde". Als apostolischer Bevollmächtigter hat der Bischof die Aufgabe, diese Einheit im Glauben zu wahren (1 Kor 4,17.16.10). In Übereinstimmung damit sollten wir beginnen, nach "Affinität" zu anderen kirchlichen Gemeinschaften zu suchen - angefangen mit jenen Kirchen, die uns am nächsten scheinen. Da jede Konfession die Last ihrer eigenen Geschichte trägt, müssen wir uns auch von dem Joch unnötiger Dinge befreien, das in unserem gewohnten Denken haften bleibt. Dennoch kann die Frage der "gültigen Weihen" nicht vermieden werden. Ein konstruktiver Ausgangspunkt könnte darin bestehen, die Rolle der Charismen in der Kirche im Allgemein zu erörtern und besonders auf die Rolle der Handauflegung in ihrer Übertragung einzugehen.
Apostolicae Curae
Die Frage der anglikanischen Weihen ist ein besonders schwieriges Problem: Die römische Ablehnung anglikanischer Weihen in Apostolicae curae (päpstliche Bulle Leo XIII. von 1896; DH 3315-3319) beruhte nicht auf fehlerhaften Sukzessionslinien, sondern auf einem Formmangel in der edwardianischen Weiheliturgie, welche nicht die Traditio instrumentarum hatte. Die Schwierigkeit mit dieser Argumentation wurde 1947 von Pius XII. anerkannt, da dies auch zur Ablehnung der orthodoxen Weihen führen würde. Außerdem hätte unter dieser Annahme die römisch-katholische Kirche selbst vor dem Mittelalter keinen gültigen Weihen gehabt! Nichtsdestoweniger besteht die römische Ablehnung, obwohl unlogisch, unverändert fort und kann nicht theologisch in Frage gestellt werden, da sie am Ende eine "politische" Aussage ist. Wenn also die Union von Scranton anglikanische Weihen formell anerkennen würde, würde dies sicherlich negative Auswirkungen auf zukünftige Beziehungen mit Rom haben. Ein zusätzliches Problem ist die Neuerung von Bischöfinnen; und jetzt, da die Weihen der Church of England mit der methodistischen Ordination "verschmolzen" werden sollen, werden anglikanische Weihen im Allgemeinen ernsthaft kompromittiert. Dies bedeutet, dass die Frage nach der Gültigkeit anglikanischer Ordinationen in einer weiteren ökumenischen Perspektive geklärt werden müssen.
Ein abschließender Vorschlag
Folglich müssen wir fragen: Wie können wir diese ökumenische Katholizität erlangen? Für nicht-päpstliche westliche Christen bietet sich die altkatholische Option der Union of Scranton als relevante Antwort an. Die Weihen der PNCC [Polnisch-Katholische Nationalkirche] werden von Rom und den chalcedonensischen Orthodoxen Kirchen anerkannt. Darüber hinaus gibt es ein theologisches Dokument, das den Konsens mit denselben orthodoxen Kirchen festellt, und unter dem Titel „Koinonia auf altkirchlicher Basis“ durch die Utrechter Union publiziert wurde [IKZ 79 (1989), Nr. 4, 46-105] Das Angebot der altkatholischen Position ist somit wie folgt: apostolische Sukzession, die Lehre der ungeteilten Kirche und Communio Ekklesiologie (Eucharistische Ekklesiologie und synodale Ordnung). Auf diese Weise werden die beiden Maßstäbe des hl. Paulus und des hl. Irenäus erfüllt - wir haben beides, "eine Gemeinde und eine feste Lehre"!
Koinonia auf altkirchlicher Basis: Zusammenfassung relevanter Punkte
Die „Koinonia auf altkirchlicher Basis“ [engl.: Road to Unity, d.h. „Weg zur Einheit“], welche die jahrzehntelangen Kontakte zwischen den altkatholischen Kirchen und der Orthodoxie zusammenfasst, ist das Ergebnis eines Dialogs zwischen den altkatholischen Kirchen und den chalcedonensischen orthodoxen Patriarchaten von 1973 bis 1987. Das Konsensdokument, gegliedert in sieben Abschnitte (mit römischen Ziffern gekennzeichnet), wurde ursprünglich in griechischer und deutscher Sprache veröffentlicht und später ins Englische und andere Sprachen übersetzt. Im Folgenden geht es in erster Linie darum, die in dem Dokument genannten oder implizierten ökumenischen Konsequenzen darzustellen. Wir beginnen jedoch mit einer kurzen Darstellung der grundlegenden ekklesiologischen Position als Ausgangspunkt für die Reflexion.
Die Katholizität der Kirche
Zusammenfassung der Abschnitte III / 1, 3; III / 2,5,9
In Abschnitt III wird die Kirche als ein Pilgervolk Gottes dargestellt, das in der Erwartung des kommenden Herrn lebt. So ist die Kirche in der Heilsgeschichte verwurzelt und in Israel vorgezeichnet. Als eine sichtbare Gemeinschaft auf der Erde, die den guten Kampf des Herrn kämpft, ist die Kirche vom Heiligen Geist beseelt, der alle Glieder in einem Leib mit Christus als seinem Haupt vereinigt. Darüber hinaus sind in diesem Leib alle Ortskirchen als synodale Struktur im Episkopat miteinander verbunden. Durch ein strukturell mit den Aposteln verbundenes pastorales Amt kommt die Einheit des Glaubens in bleibenden dogmatischen und ethischen Prinzipien und einem geordneten Gottesdienst zum Ausdruck. Auf diese Weise wird die Kirche im inneren qualitativen Sinn des Wortes „katholisch“ genannt, weil sie, obwohl sie über die Erde verstreut ist, immer und überall gleich ist. Die Ortskirchen erkennen die gleiche Realität in sich an und bekräftigen ihre wesentliche Gleichheit, vor allem durch die Einheit des Glaubens, des liturgischen Lebens und der Grundprinzipien der kanonischen Ordnung. Folglich müssen die Ortskirchen die ihnen gegebene grundlegende Einheit treu bewahren und beständig gegen die Kräfte der Sünde und Spaltung kämpfen.
Die eucharistische Gemeinschaft
Zusammenfassung des Abschnitts V / 4; 1,5,9
Der eucharistische Gottesdienst steht im Mittelpunkt des gesamten Lebens der Kirche. In diesem Sakrament ist Christus gegenwärtig, er opfert sich unblutig und teilt sich in einer realen Vergegenwärtigung seines blutigen, am Kreuz ein für allemal dargebrachten Opfers mit. Der Herr selbst ist der Priester, der bei jeder Eucharistie amtiert. Die Gläubigen, die Leib und Blut empfangen, sind mit Christus und durch ihn miteinander verbunden. Die Gesamtheit der eucharistischen Gemeinschaft - Geistliche und Laien - ist als ein Leib zusammengefügt und hat einen organischen Anteil an der Eucharistiefeier. "Weil es ein einziges Brot ist, sind wir trotz unserer Vielheit doch ein einziger Leib, denn wir alle haben Anteil an dem einen Brot." (1 Kor 10,17).
Der ökumenische Imperativ
Zusammenfassung des Abschnitts IV / 1,4,5
Diese wahre Kirche, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, hat ohne Unterbrechung dort existiert, wo der Glaube, die Anbetung und die Ordnung der alten ungeteilten Kirche unbeeinträchtigt bleiben. Dennoch kann die Frage nach den Grenzen der Kirche auch in einem größeren Licht gesehen werden. Wo auch immer die Dreifaltigkeit verkündet und die Inkarnation anerkannt wird, wird die Einheit der Kirche als Leib Christi in einem weiteren Sinne verstanden. Alle, die an Christus glauben, sind berufen, liebevoll, aufrichtig und geduldig danach zu suchen, miteinander in Dialog zu treten und unaufhörlich für die Wiederherstellung der Einheit im Glauben und voller Gemeinschaft zu beten, damit der Herr alles zur Fülle der Einheit führen kann.
Der ökumenische Ansatz
Zusammenfassung des Abschnitts VII / 2,4,7,8
Wenn nämlich die Kirche als Leib Christi die Eucharistiefeier vollzieht und alle, die daran teilhaben, ein Leib in Christus werden, dann bedeutet dies, dass der ökumenische Dialog auf die eucharistische Gemeinschaft als Ausdruck der Gemeinschaft im Glauben der einen Kirche ausgerichtet sein muss. Diese Gemeinschaft bedeutet jedoch nicht Einheitlichkeit in liturgischer Ordnung und Praxis, sondern weist darauf hin, dass in jeder der beteiligten Kirchen eine historisch legitimierte Glaubensentwicklung der alten und ungeteilten Kirche erhalten bleibt. Um jedoch eine Gemeinschaft zu etablieren, ist es notwendig, nicht nur sorgfältig zu prüfen, ob wir nahe genug sind, sondern auch, ob die Unterschiede so signifikant sind, dass die Trennung weiterhin bestehen muss. Diese Gemeinschaft erfordert nicht die Unterwerfung einer Kirche mit ihrer Tradition an die andere Kirche, denn dies würde der Wirklichkeit der Gemeinschaft widersprechen. Die Kirchen, die in voller Gemeinschaft vereint sind, erfüllen ihre Aufgaben nicht getrennt voneinander, sondern grundsätzlich gemeinsam.
Dieser Vortrag wurde im März 2018 vom Bischof der Nordisch-Katholischen Kirche auf einer ökumenischen Begegnung in Dublin in englischer Sprache gehalten. Auf Initiative der Union von Scranton trafen sich zahlreiche Vertreter der sogenannten „anglokatholischen Kirchen“ sowie der lutherischen schwedischen Missionsprovinz in Irland. Der gemeinsame Dialog wird im April 2019 in Scranton (USA) fortgesetzt. Übersetzung Dr. Frederik Herzberg.
GOTTES GESCHICHTE MIT UNS MENSCHEN ...
P. Gerhard Seidler
Drei Monate ist es her, dass ein Freund aus der Jugendzeit und seine liebe Frau mich gebeten haben, etwas ganz besonderes für jedes ihrer vier Kinder zu schaffen: Die „Zehn Gebote“ als Steintafeln. Geschenk und Lebensweisung für die Zeit der Selbstständigkeit und Unabhängigkeit vom Elternhaus. Die Schiefertafeln des „Dekalogs“, des „Zehnworts“ sind mittlerweile im Haus meiner Freunde und sollen wohl zu Ostern ihren „endgültigen Platz“ in den Wohnungen der Kinder finden.
Dies ist Grund genug für mich, ein Plädoyer für den Gott der Liebe, der die Menschen seit Anbeginn begleitet und umsorgt zu halten.
Gottes Geschichte mit uns findet sich in einer seit Jahrtausenden gelesenen und immer noch nicht ausgelesenen Sammlung von Texten: die Heilige Schrift des Ersten und des Neuen Bundes, des Alten und des Neuen Testaments. Menschen haben sie geschrieben und doch ist sie nicht reines Menschenwerk. Mit der Erschaffung von Himmel und Erde (Genesis 1,1) beginnt rückblickend dieses Werk. Mit dem Ausblick auf die Schaffung eines Neuen Himmels und einer Neuen Erde (Offenbarung 21,1) endet es. Beides ist Tun Gottes. Dazwischen ist Raum und Zeit für Gottes Geschichte mit uns Menschen. Sie läuft zielgerichtet auf die Vollendung zu: „Siehe das Zelt Gottes bei den Menschen! Ja zelten wird Er bei ihnen und sie werden sein Volk sein, und er, Gott, wird sein bei ihnen“ (Offenbarung 21.3).
Mit dem „Adlerspruch“ beginnt das Königtum Jahwes, wird das „Reich Gottes“ in Raum und Zeit grundgelegt und übersteigt doch alles irdisch Verfasste und weist hin auf das Sein in seiner Herrlichkeit: „Ihr habt gesehen, wie ich auf Adlerflügeln euch getragen und euch hergebracht zu mir... Nun sollt ihr mir ein Sondergut sein aus allen Nationen. Gewiss ist mein das All der Erde, doch sollt ihr mir sein ein Königreich von Priestern und das heißt ein heilig Volk“ (Exodus 19,4ff). In der lebendigen Geschichte manifestiert sich die unbändige Liebe dessen der Liebe ist und Wort. Im „Zehnwort“, am Sinai geoffenbart, und in und durch Jesus ist dies eingeritzt ins menschliche Herz. Die Quintessenz lautet: „Der Herr, unser Gott, ist einziger Herr. Und: Liebe den Herrn, deinen Gott, aus deinem ganzen Herzen und aus deinem ganzen Leben, aus deinem ganzen Sinnen und aus deiner ganzen Stärke! Das zweite ist dieses: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ (Markus 12,28b-34).
Doch zurück zum Ersten Bund: Der Herr umgarnt sein widerspenstiges Volk, dem die Verheißung gilt, die an Abram (das heißt: „der Vater ist erhaben“) ergangen war: „Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Land und aus deiner Verwandtschaft und aus dem Haus deines Vaters in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich will dich zu einem großen Volk machen und will dich segnen und deinen Namen groß machen, und du wirst ein Segen sein. Segnen will ich, die dich segnen, wer dich aber schmäht, den will ich verfluchen, und Segen sollen durch dich erlangen alle Sippen der Erde“ (Genesis 12,1-3). Und Abram ward zu Abraham“ (Vater der Menge an Völkern).
Doch lang ist es her. Die vergegenwärtigende Erinnerung trägt nicht mehr. Was ist aus seinem Volk geworden? Der wortgewaltige Theologe Friedrich Stier (1902-1981) stellte fest: „Das ist Israel: am dampfenden Fleischkessel wollte es die Gegenwart Gottes erfahren, am ‚Tischlein-deck-dich‘ sich als Volk Gottes bestätigt finden. Aber das Huhn im Topf ist nicht das Heil, und Sattheit nicht der Segen! ... Das bist du: ... ein Volk, das Gott mit der Peitsche in das Land der Verheißung treiben muss. ... Memoiren des Bauches sind dies unter der leuchtenden Wolke Gottes.“ Und Mose klagt: „Warum handelst du bös mit deinem Knecht? ... dass du mir die Last all dieses Volkes auflädst? Bin ich denn mit diesem ganzen Volk schwanger gewesen oder hab ich es geboren, dass du mir sagst: trags an deinem Busen? ... Nimmer vermag ich dieses ganze Volk allein zu tragen... und wenn du solches mir antust, so bring mich doch lieber um ..., dass ich dein Übeltun nicht mehr ansehn muss“ (Numeri 11,11.14f).
Doch Gott trotzt allem – eben, weil er der „Trotz-allem-Gott“ ist und an seinem Bund festhält. So kommt es zum Geschehen am Berge Sinai. Es war höchste Zeit. Das „Zehnwort“ („aseret ha-dibberot“) erwächst aus diesem Widerstreit. Heilsbotschaft ist’s, die dem „Sollen“ vorausgeht. Und noch eins muss festgehalten werden: der Liebende, Gott, wünscht sich die ungeteilte Aufmerksamkeit der Auserwählten, wünscht sich Erwiderung seiner Liebe. Jahwe begehrt indem er gibt, liebend schenkt und nicht nimmt! So sind die „Zehn Gebote“ eine heilsame Festsetzung, heilsame Zusage und verbindliche Verheißung. Für die Menschen jener Region, damals wie heute, klingt in diesen Worten, den Anordnungen, Grenzziehungen und Setzungen nicht nur dieses „Soll“ mit, nein, „Werden“, „Dürfen“ und „Können“ schwingen ebenfalls in dieser Begrifflichkeit mit.
Zwei Steintafeln sind’s. Die Satzung eingemeißelt, ein für alle Mal ins Gewissen Israels und der Menschen geschrieben. Mit der Erinnerung an die existenzbegründende Gottestat beginnt der Text der Ersten Tafel: „Ich bin der HERR, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus einem Sklavenhaus!“ (Genesis 20,2). Dieses Tun ist Grund für den totalen Besitzanspruch Jahwes auf und an Israel. Nur ihm allein sein Dasein verdankend haben wir nur einen Gott! „Es sei für dich kein anderer Gott über mir!“ (Exodus 20,3). Das können wir auch wie folgt buchstabieren: Du „wirst“ keine fremden Götter neben mir haben, wenn du dich daran erinnerst, was ich dir und deinen Vorfahren Gutes getan. Die Erinnerung ist der Schlüssel für das vergegenwärtigte Geschehen. Fridolin Stier schreibt: „ICH BIN DA, der mit starker Hand in die geschichtliche Welt der Menschen greift und seinen Erwählten sendet zu geschichtlicher Tat, ist ein völlig anderer als beispielsweise der Lebenstrahlen in die Welt verströmende ägyptische Aton, ein völlig anderer Er, der seinem Volk ganz personhaft gegenübertritt. In Jahwe lodert die Leidenschaft des Liebenden, der nicht gewillt ist, das Herz seines Volkes mit einer anderen Gottheit zu teilen: „Höre, Israel: Der HERR, unser Gott, ist der einzige HERR. Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft“ (Deuteronomium 6, 4f.). Keine der erhabenen Gottheiten des Umlands macht solchen Anspruch auf die ganze Liebeskraft des Menschenherzens: „Ja, ein eifernder Gott ist Jahwe, dein Gott, in deiner Mitte“ (Deuteronomium 6,15a).
Es geht um Sein und Nichtsein. Jahrhundertelang kämpft Jahwe um das Herz seines Volkes. Auch die zweite Forderung trennt Israel mit scharfem Schnitt von seiner religiösen Umwelt ab: „Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist“ (Exodus 20,4).“ Götterbilder sind also Tabu für die Adressaten dieser Forderung. Sobald „etwas“ darstellbar ist, ist es inhaltlich fixiert und zudem verfügbar. Da steht aber nicht nur das Verbot: Es ist schlichtweg unmöglich, JAHWE darzustellen. Wie kann oder soll man einen Gott darstellen, dessen Domäne die Geschichte ist? Es gibt literarische Vergleiche und „Bilder“, doch diese sind „1000 Seiten“, die aufgeblättert werden und oft gegensätzliches zum Vorschein bringen, ganz so wie es der Psalmist wusste: „Mir aber, wie schwer sind mir deine Gedanken, Gott, wie gewaltig ist ihre Zahl. Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand, wache ich auf, ist mein Sinn noch bei dir“ (Psalm 139, 17f). Eines aber ist ein ganz entferntes „Bild“: es ist die Bundeslade. Dieser „Kasten“ (das meint das hebräische Wort „Aron habrit“) ist der Schemel für seine Füße. Darüber erhebt sich sein Thron. Sein Thron aber ist der Himmel. Im dritten Gebot zieht Gott eine Grenze um sein Geheimnis und seine Freiheit: „Sprich den Namen Jahwes, deines Gottes, nicht zum Nichtigen, zum Unwesen aus“ (Exodus 20,7). Durch den Namen wird nicht nur eine Gottheit rufbar, vielleicht sogar abrufbar. Magisches Denken meint, mit dem Namen nicht nur die Gegenwart des Benannten zu erwirken, sondern auch sich seiner Macht bedienen zu können. Dem schiebt Gott den Riegel vor! Das letzte Gebot der ersten Tafel: „Gedenke des Sabbattages, ihn zu heiligen“ (Exodus 20,8-11). Jeden siebten Tag hat ER mit Beschlag belegt. „Es ist sein Tag. Die Macht der Stille Gottes durchbricht so die Laute menschlicher Geschäftigkeit“ (Fridolin Stier). Das Neue am Sabbat ist seine totale, Mensch und Tier, Freie und Knechte umfassende Geltung. Gott grenzt sich mit dieser „ersten Tafel“ entschieden von allen Göttern ab. Die Forderungen Gottes prägen Israel die Wesenszüge ein, die es im Kreis der übrigen Völker zu etwas Besonderem machen. Der Erwählte ist immer auch Gezeichneter und ein Zeichen. Und dazu ward Israel für die Welt berufen, sich als „Gottes Zeuge“ (Jesaja 43,10) und „Leuchte der Völker“ (Jesaja 42,6) zu bewähren.
Unantastbare Urordnungen der menschlichen Gemeinschaft finden sich auf der Zweiten Tafel des Zehnworts. Es geht um die Familie, das Leben, die Ehe, das Eigentum, die Wahrhaftigkeit und die Unbestechlichkeit in der Rechtsprechung. „Hier stehen die Dämme Gottes zum Schutz des Menschen gegen die auch in der zivilisierten Gesellschaft noch mächtigen Urtriebe: Besitzgier, Raubinstinkte, Missbrauch der Gewalt und Willkür gegen den Schwachen“ (Fridolin Stier). Erstaunlich und einzigartig im Umkreis der Völker ist der Blick fürs Wesentliche und die kurze und knappe Fassung, in der die „Wucht der Autorität Gottes“ übermittelt wird. Der Menschenbruder, so wird es ins Gewissen Israels buchstabiert, wird so zum Schützling Gottes.
Wörtlich hebt die Exodusfassung an: „ Ehren, deinen Vater und deine Mutter, damit lang sind-werden-währen deine Tage auf der Erde, in dem Land, das Jahwe, dein Gott, dir gebend ist“ (20,12). Das Land, alles was ist und zum Nutzen des Menschen gedeiht, ist eine immerwährende Gabe, nicht aber Eigentum. An Gottesstatt stehen die Eltern, sie sind Hüter und Vermittler des Glaubens an Gott und der Lebenstauglichkeit der Kinder, die angehalten werden das zu verinnerlichen was Erinnerung an das Heilstun Gottes in unserer Geschichte bewirkt. Das nächste Gebot, „Nicht den Wehrlosen und Unschuldigen hinterhältig töten“ (Exodus 20,13), regelt das menschliche Zusammenleben, denn Jahwe ist es, der den Unterdrückten, den Wehrlosen und den Ohnmächtigen hilft (Buch Amos). „Nicht ehebrechen“ (20,14) schützt die Ehe und ist Sicherung und Rechtsbund auch für die Nachkommen. Dem „Nicht stehlen“ (20,15) folgt „Nicht antworten gegen deinen Nächsten als falscher Zeuge“ (20,16), an Jahwe sollst du dir ein Beispiel nehmen: Er ist der wahrhaftige und zuverlässige Zeuge. Lerne aus der Geschichte! „Nicht begehren, was dem Nächsten gehört “ (20,17) Nur Jahwe ist’s der begehrt. Er begehrt indem er gibt und nicht nimmt! (vgl. Psalm 68,17). Hier endet der auf den beiden Tafeln genannte Reigen der Gebote.
Zwei Versionen sind uns davon überliefert: Die hier zugrunde gelegte Fassung findet sich im Buch Exodus, dem 2. Buch Mose (20,2-17) und die andere im Buch Deuteronmium, dem 5. Buch Mose (5,6-21). Entstanden und zusammengewachsen sind sie in einem jahrhundertelangen Prozess. Sie waren anfangs nur eine von mehreren formal wie inhaltlich verwandten Gebotsreihen, die JHWHs Willen zusammenfassten. Die einzelnen Sozialgebote stammen aus nomadischer Zeit (1500–1000 vor der Zeitenwende) und reflektieren deren Verhältnisse. Das Buch Deuteronomium („Devarim“) gilt heute als die ältere Fassung, die wohl zwischen dem 8. und 6. Jahrhundert vor Christus – entweder in der späten Königszeit oder im babylonischen Exil – entstanden ist. Das Buch Exodus („Schemot“), in dem mehrere ältere Texte zu einem neuen Ganzen vereint worden sind, ist in späterer Zeit geschrieben, zusammengefasst worden. Der sogenannte „Pentateuchredaktor“, der nach dem Exil (im 4. Jahrhundert vor Christus) einen geschlossenen Erzählzusammenhang herstellte, holte den Dekalog nach vorn an die Spitze der gesamten Bundesgesetzgebung am Sinai (Ex 20) und überarbeitete die ihm vorliegenden Texte. (Übrigens: „Pentateuch“ ist die griechische Benennung der „Tora“, der Fünf Bücher Mose.) Doch Gottes Geschichte mit uns Menschen geht weiter.
Schon in den Schriften des Ersten Testaments beginnt „Subversives“ und setzt sich dann, personifiziert in Jesus dem Christus, im Neuen Bund durch. Es beginnt die Umwertung der gängigen ach so menschlichen Werte.
Eine Ahnung vom Gemeinten und die Aktualität dieses Ansinnens zeigt ein Text von Václav Havel (1936-2011; von 1993-2003 Staatspräsident der Tschechischen Republik): „Ich würde Sie heute gerne um eines bitten: dass Sie alles Bittere, Geschmacklose, Abstoßende und Ungerechte, auf das Sie in unserem öffentlichen Leben stoßen, nicht einfach als gegeben akzeptieren – weil die Welt schlecht ist, immer schlecht sein wird und es gar nicht anders sein kann. Ich bitte Sie im Gegenteil zu versuchen, diese hässlichen Erscheinungen als Warnzeichen zu verstehen, die uns alle zu neuem und tieferem Nachdenken über den Sinn der uns gemeinsamen Dinge aufrufen. Und noch eines meiner Gefühle muss ich zum Schluss erwähnen: Ich bin mir mit jedem Tag gewiss, dass es überhaupt nicht schaden würde, wenn wir etwas dafür täten, dass hie und da trotz allem Wahrheit und Liebe über Lüge und Hass siegen.“
Doch nun zurück zu den Heiligen Schriften: Im 1. Buch Samuel (2,1-10) findet sich Erstaunliches: Das Loblied Hannas.
„Mein Herz freut sich am HERRN, mein Horn ist erhoben durch den HERRN, mein Mund ist aufgetan gegen meine Feinde, denn ich freue mich über deine Hilfe. Niemand ist so heilig wie der HERR, denn es gibt keinen außer dir, und kein Fels ist wie unser Gott. Führt nicht so viele hochmütige Reden, nichts Freches komme aus eurem Mund, denn der HERR ist ein Gott, der alles kennt, von ihm werden die Taten geprüft. Der Bogen der Helden hat Angst, Strauchelnde aber haben sich mit Kraft gegürtet. Satte machen sich dienstbar für Brot, Hungrige aber müssen das nicht mehr tun. Die Unfruchtbare gebiert sieben, die aber viele Kinder hat, ist verwelkt. Der HERR tötet und macht lebendig, er führt hinab ins Totenreich und führt wieder hinauf. Der HERR macht arm, und er macht reich. Er erniedrigt, aber er erhöht auch. Er richtet den Geringen auf aus dem Staub, hebt den Armen auf aus dem Kot, um ihn neben Edle zu setzen, und einen erhabenen Thron teilt er ihnen als Erbbesitz zu. Denn dem HERRN gehören die Pfeiler der Erde, und auf sie hat er den Erdkreis gelegt. Die Füße seiner Getreuen behütet er, die Frevler aber kommen um in der Finsternis. Denn aus eigener Kraft ist der Mensch nicht stark. Wer mit dem HERRN streitet, wird erschrecken, über ihn lässt er im Himmel Donner erdröhnen. Der HERR richtet die Enden der Erde. Seinem König gebe er Stärke, und er erhebe das Horn seines Gesalbten.“
Darin erkennen wir die Urform des marianischen Lobpreises, den nur Lukas (1,46-55) überliefert. Quellen für dieses Lied finden sich bei den Propheten Habakuk, Ezechiel, Jesaja, Micha und Hiob, im ganzen Psalter und in den Büchern des Mose (Genesis, Deuteronomium). Maria preist, auf Grund ihres Glaubens, Gott als den, der sich ihr und allen Geringen, Machtlosen und Hungernden zuwendet, um sie aufzurichten.
Dietrich Bonhoeffer schreibt: „Dieses Lied der Maria ist das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied, das je gesungen wurde. Es ist nicht die sanfte, zärtliche, verträumte Maria, wie wir sie auf Bildern sehen, sondern es ist die leidenschaftliche, hingerissene, stolze, begeisterte Maria, die hier spricht ... ein hartes, starkes, unerbittliches Lied von stürzenden Thronen und gedemütigten Herren dieser Welt, von Gottes Gewalt und von der Menschen Ohnmacht.“ Und Helmut Gollwitzer überschrieb eine Predigt über das Magnificat mit den Worten: Gott ist der Revolutionär und stellte dann fest: „Gott wirbelt immer wieder alles durcheinander, und das Wechselspiel der Geschichte, das wir zu allen Zeiten beobachten, ist sein Werk.“ (Wendung zum Leben. Predigten 1970–1980, München 1980, S. 115). Dem ist nichts hinzuzufügen.
Hier der Text in einer Übertragung von Fridolin Stier:
„Und Maria sprach: Groß rühmt mein Leben den Herrn, und mein Geist jubelt ob Gott, meinem Retter, weil er die Niedrigkeit seiner Magd angeblickt. Denn da! Von nun an preisen alle Geschlechter mich selig, weil Großes mir getan der Kraftvolle. Und heilig ist sein Name. Und sein Erbarmen: Geschlecht für Geschlecht über denen, die ihn fürchten. Gewaltiges tut er mit seinem Arm, zersprengt die im Herzen hochmütig Gesinnten. Machthaber stürzt er von Thronen und Niedrige erhöht er. Hungernde füllt er mit Gutem und Reiche sendet er leer weg. Er nimmt sich Israels an, seines Knechtes, des Erbarmens gedenkend, so wie er es unseren Vätern zugesprochen, dem Abraham und seinem Gesproß – auf Weltzeit hin.“
Jesus selbst, unser Herr und Meister, „Wort vom Wort, wahrer Gott vom wahren Gott“ und doch ganz Mensch, führt uns diese Umgewichtung der „Werte“ in den berühmten Seligpreisungen vor Augen. Als profunder Kenner des Alten Testaments, des jüdischen Tanach greift er dabei vor allem auf die Tora (die 5 Bücher Mose), das Buch der Propheten (die Nevi’im) und die Psalmen zurück, die sich in den Ketuvim finden.
Jetzt Jesu Worte in der Fassung, die Matthäus (5,1-12) überliefert hat:
„Als er nun die vielen Menschen sah, stieg er auf den Berg; und als er sich gesetzt hatte, traten seine Jünger zu ihm. Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie: Selig die Armen im Geist - ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden – sie werden getröstet werden. Selig die Gewaltlosen - sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit - sie werden gesättigt werden. Selig die Barmherzigen - sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig, die reinen Herzens sind - sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften - sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden. Selig, die verfolgt sind um der Gerechtigkeit willen - ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn sie euch schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen. Freut euch und frohlockt, denn euer Lohn im Himmel ist groß. Denn so haben sie auch die Propheten vor euch verfolgt.“
Beinahe am guten Ende dieser Erörterung angelangt meine ich, dass es wahrhaft für Alle und Alles not-wendig ist, sich nochmals das Erste aller Gebote zu vergegenwärtigen: Wir finden es unter anderem in den Schriften des Neuen Bundes bei Matthäus (22,36b-40): „In der Absicht, ihn auf die Probe zu stellen, fragte ihn einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer: Meister, welches Gebot ist das höchste im Gesetz? Er sagte zu ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand. Dies ist das höchste und erste Gebot. Das zweite aber ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten“ (vgl. Markus 12,28-31 und Lukas 10,25-28).
Wir wissen, dass der Geist Gottes weht wo ER will und dass die Kirche (gleich welcher Konfession) Fenster und Türen aufmachen soll, damit er in den grauen Gemäuern, den versteinerten Herzen und der dogmatischen Engführung Platz finden und wirken kann. Denn seit ewigen Zeiten gilt: „ER führt mich hinaus ins Weite, ER macht meine Finsternis hell!“ (Psalm18). So nimmt es nicht wunder, dass Konsequenzen aus dem „Zehnwort“ und dem „Ersten Gebot“ auch im außerbiblischen Bereich wirksam wurden. Die Rede ist von den Haupttugenden.
Die Gruppe von vier Haupttugenden ist erstmals bei dem griechischen Dichter Aischylos belegt, in seinem 467 vor der Zeitenwende entstandenen Stück „Sieben gegen Theben“ (Vers 610). Er scheint sie als bekannt vorauszusetzen; daher wird vermutet, dass sie schon im griechischen Adel des 6. Jahrhunderts v. Chr. geläufig waren. Aischylos charakterisiert den Seher Amphiaraos als tugendhaften Menschen, indem er ihn als verständig (sóphron), gerecht (díkaios), fromm (eusebés) und tapfer (agathós) bezeichnet. Der Begriff „agathós“ (gut) ist hier, wie in vielen Inschriften, im Sinne von „tapfer“ (andreios) zu verstehen. Auch im Judentum wurden dieselben vier Haupttugenden gelehrt; sie erscheinen zweimal in der Septuaginta (der griechischen Übersetzung des Tanach), nämlich im Buch der Weisheit (8.7) und im 4. Buch der Makkabäer (1.18). Der jüdische Philosoph Philon von Alexandria befasste sich ebenfalls damit; er deutete die vier Flüsse des Paradieses allegorisch als die vier Tugenden. Marcus Tullius Cicero, der sich hier auf ein nicht erhaltenes Werk des Stoikers Panaitios stützte, vertrat ebenfalls die Lehre von den vier Haupttugenden. Er machte die römische Welt mit ihr vertraut. In seiner Schrift „De officiis“ (Über die Pflichten) nennt und erörtert er die vier Tugenden Klugheit (Prudentia), Gerechtigkeit (Justitia), Tapferkeit (Fortitudo) und Mäßigung (Temperantia). Dazu gesellen sich im Laufe der Geschichte Gottes mit uns Menschen die „Christlichen Tugenden“: Glaube (Fides), Hoffnung (Spes) und Liebe (Caritas).
Es ist Zeit, dass ich zum Abschluss komme und dazu will ich den Text einer Postkarte zitieren, die ich in schwerer Zeit von einem lieben Menschen bekommen habe: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es auch noch nicht das Ende!“ Amen. Das sei das letzte Wort, oder wie Fridolin Stier es übersetzte: „Wahr ist’s“!
Quellen für diesen Text sind:
• eigene Vorlesungsmitschrift Exegese AT, Dr. Franz-Josef Helfmeyer, im Studienhaus St. Lambert, Lantershofen, 1985-1988 mit Verweisen auf Helen Schüngel-Straumann und Alfons Deissler.
• Die Bibel, Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, Stuttgart, 3/2016.
• Fridolin Stier, Geschichte Gottes mit dem Menschen, Stuttgart, 2011.
• ders., Mit Psalmen beten, Stuttgart, 2001.
• ders., Das Neue Testament, München, Düsseldorf, 1989.
• Internetausgabe der Zürcher Bibel: www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/zuercher-bibel
• Václav Havel in: Du unser Leben, Kevelaer, 2017.
• entsprechende Artikel im LThK und bei Wikipedia.
Ursprünge des Altkatholizismus (7.Teil)
Die Konstitutionskirche in Frankreich
Vorlesung von Mag. theol. Günther Thomann ThD (Hon)
Dozent für Kirchengeschichte am neuen Studienhaus St. Benedikt - Anglikanisch- Theologisches Seminar, Schwarzenborn (www.benedikt-seminar.de) und Pfarrer der anglikanischen Mission „King Charles the Martyr“ in Nürnberg. Zuletzt erschien von Günther Thomann, gemeinsam mit Arne Giewald: The Lutheran High Church Movement in Germany and its Liturgical Work, bei LuLu.
Die Schuldenkrise des ausgehenden 18. Jahrhunderts war nicht nur ein Problem Frankreichs, sondern auch zahlreicher anderer Staaten sowie vieler Territorien des Heiligen Römischen Reiches. Jahrelange Kriege mit stehenden Heeren, überhöhte Kosten der Hofhaltung (selbst kleine Staatsgebilde imitierten Versailles!), mangelnder Kapitalmarkt, verbunden mit veralteten Wirtschafts-und Gewerbestrukturen sowie Steuerprivilegien für Adel und Klerus trugen dazu bei. In den katholischen Ländern war zu viel Vermögen und Immobilienbesitz in der Hand kirchlicher Institutionen. Wir haben gesehen, daß der Josephinismus ein Versuch war, diese Strukturen aufzubrechen, eine ‚Revolution von oben‘. In Frankreich gelang dies nicht. Die Schuldenkrise Ludwigs XVI. hatte sich seit seiner Krönung zunehmend zugespitzt und führte ihn 1788 dazu, zum 1. Mai 1789 eine Versammlung der Generalstände (états généraux) einzuberufen, die am 5. Mai 1789 schließlich zusammentrat. Sie sollte ihm frisches Geld bringen, denn der Haushalt Frankreichs war schon nach dem Spanischen Erbfolgekrieg unter Ludwig XIV. in Unordnung geraten und hatte sich nicht mehr erholt. Die Versammlung der Generalstände war seit 1614 nicht mehr einberufen worden und tatsächlich kam es auf ihr zum Eklat. Erster (Klerus) und Zweiter (Adel) Stand weigerten sich, auf ihre Privilegien zu verzichten, der Dritte Stand (Bürgertum) forderte Wahlmitspracherecht und weniger Steuern. Die Ursache der Revolution war also eine Finanzkrise! Am 17. Juni 1789 erklärten sich die Vertreter des Dritten Standes zur Nationalversammlung, was der wirkliche Ausbruch der Revolution war. Klerus und Adel weigerten sich, der Nationalversammlung beizutreten, am 27. Juni zwang Ludwig XVI. sie aber, sich der Nationalversammlung anzuschließen. Bereits am 4. Juli wurden einschneidende Reformen beschlossen, die durchaus unter dem Eindruck der amerikanischen Verfassung von 1787 und dem Billof Rights von 1789 standen, nämlich die Abschaffung der Privilegien von Klerus und Adel, Städten und Provinzen, insbesondere die Abschaffung der Feudalherrschaft, der Leibeigenschaft und nicht zuletzt die Abschaffung der Steuerprivilegien von Klerus und Adel. Am 9. Juli erklärte sich die Nationalversammlung zur verfassungsgebenden Nationalversammlung, zur Konstituante. Am 14. Juli 1789 brach ein Sturm auf die Bastille aus, die den Mythos vom Beginn der Revolution begründete und der heute der Nationalfeiertag in Frankreich ist. Tatsächlich aber war diese Revolution zunächst eine Revolution derroyalistischen Konstitutionalisten. Bereits am 4. August 1789 wurden durch die Nationalversammlung die Rechtsgleichheit proklamiert und die Stände aufgelöst: Der Erste Stand, der Klerus, hörte zu existieren auf. Einer der ersten Kleriker, der den Übertritt zum Dritten Stand, also zum Bürgertum vollzog, war der Abbé Henri Grégoire (1750-1831) aus Lothringen, der zum führenden Denker und bald darauf zu einem Bischof der Konstitutionskirche werden sollte. Noch im selben Monat, am 26.8., erfolgte die Deklaration der Bürger- und Menschenrechte, die der König gezwungen war, zu unterschreiben. Am 10. Oktober 1789 brachte Charles -Maurice de Talleyrand- Périgord, der Bischof von Autun, einen Gesetzentwurf in die Nationalversammlung ein, der die Verstaatlichung (Säkularisation) der Kirchengüter vorsah. Am 2. November erfolgte bereits der Beschluß über die Säkularisation der Kirchengüter, der am 13. Februar 1790 in Kraft trat: Alle Klöster Frankreichs wurden an diesem Tag aufgehoben! Es ist nicht zu übersehen, daß man hier dem Vorbild Josephs II. in Österreich folgte, dessen Schwester Marie Antoinette (Maria Antonia) ja Königin von Frankreich war. Das Vorgehen war zwar radikaler als in Österreich, aber Ludwig XVI. hatte keine Möglichkeit, sich dieser Argumentation zu entziehen, da es ja auch zur Bildung eines Kirchenbudgets nach österreichischem Vorbild kommen sollte. Der Gesetzentwurf wurde von Talleyrands Freund Mirabeau (eigentlich Honoré Gabriel de Riqueti, Comte de Mirabeau, 1749-1791), dem antiklerikalen Schriftsteller und Wortführer des Dritten Standes, unterstützt und er sollte schließlich erhebliche Auswirkungen auf das Heilige Römische Reich haben: den Reichsdeputationshauptschluß von 1803, der die Reichskirche säkularisierte und alle Orden und ihre Besitzungen aufhob. Diese dahinter stehende negative Einstellung gegenüber dem monastischen Leben sollte sich zudem bis zur Entwicklung des Altkatholizismus im 19. Jahrhundert auswirken: Klöster gab es bis auf die jüngste Vergangenheit im Altkatholizismus der Utrechter Union, in der einige Versuche monastischen Lebens gemacht wurden, mit Ausnahme der Mariaviten, nie! Letztere waren aber bereits als Ordenskirche aufgenommen worden.
1790 begann man bereits mit der Reform der Kirche, an der Talleyrand und Grégoire maßgeblich beteiligt waren und bei der man sich auf die Gallikanischen Freiheiten berief. Am 12. Juli 1790 verabschiedete die Nationalversammlung die Zivilkonstitution des Klerus, am 24. August wurde sie von Ludwig XVI. unterschrieben und verkündet. Sie beinhaltete im Wesentlichen folgende Punkte: a) Die Bistumsgrenzen und Départmentsgrenzen wurden identisch. Die 83 Départments waren bereits im Dezember 1789 errichtet worden, die Zahl der Bistümer wurde dabei von 139 auf 83 reduziert. b) Bischöfe und Pfarrer wurden Staatsbeamte und wie Beamte von den Bewohnern der Départments gewählt, unabhängig davon, ob diese selbst katholisch waren oder nicht. c) Die Domkapitel wurden abgeschafft und durch Bistumsräte ersetzt, die ein Mitspracherecht hatten. Kapläne ohne Seelsorge und Präbendare gab es ebenfalls nicht mehr. d) Die Diözesen wurden an Stelle der alten Metropolitanverbände in zehn ‚arrondissements métropolitains‘ regruppiert. e) Alle Kleriker hatten den Eid auf die Zivilkonstitution abzulegen und durften ihr geistliches Amt auf Wunsch verlassen und ins säkulare Leben zurückkehren. f) Alle Kleriker durften keinen wesentlichen Besitz vererben; ihr Besitz fiel nach ihrem Ableben an den Kirchenfonds zurück. Die Zölibatsverpflichtung wurde in diesem (ursprünglichen) Sinne verstanden und solltedie Vererbung von Kirchengütern verhindern. Der Wohnsitz der Kleriker wurde festgelegt und war an ihr Amt in dem entsprechenden Départment gebunden. g) Der Papst hatte keinerlei Jurisdiktionsgewalt mehr und war nur noch symbolisches Oberhaupt der Kirche. Die Bischofswahlen wurden in Rom angezeigt, bedurften aber keiner päpstlichen Bestätigung mehr. Tatsächlich führte die Zivilkonstitution zu heftigen Protesten im Klerus, es kam zur Spaltung der Kirche in ‚jureurs‘(Eidesleister) und ‚réfractaires‘ (Eidesverweigerer).
Da der niedere Klerus reform-und revolutionsfreundlich war, leisteten etwa die Hälfte aller Kleriker den Eid auf die Verfassung, aber nur fünf Bischöfe,unter ihnen Talleyrand. Am Stärksten war naturgemäß die Zustimmung in Zentralfrankreich rund um Paris und in den französisch sprechenden Regionen im Südosten, die an die Schweiz angrenzten, was später Einfluß auf die Entwicklung des Schweizer Altkatholizismus haben sollte. In den Randgebieten, die Regionalsprachen oder stark abweichende Dialekte hatten, wie etwa im Westen mit der Bretagne, im Osten und Norden mit dem Elsaß und Lothringen und im Süden mit der Provence,war die Zustimmung gering bis hin zu sehr gering. Im deutschsprachigen Elsaß leisteten gerade acht Prozent aller Priester den Eid auf die Verfassung. Die Verweigerung des Eides hatte schwer wiegende Konsequenzen für die ‚réfractaires‘: Sie wurden aus ihren Ämtern zunehmend verdrängt. Die intolerante Sprachpolitik Frankreichs ist ebenfalls nicht zuletzt auf diesen Umstand zurückzuführen. Auch sie trägt den Stempel der Politik des Abbé Gregoire.
Pius VI. wollte sich diese Entmachtung durch die Zivilkonstitution nicht gefallen lassen und forderte Ludwig XVI. bereits am 10. Juli 1790 auf, die Zivilkonstitution zu verwerfen. Da Pius VI. keine Zugeständnisse machte, unterschrieb sie der König am 26. Dezember 1790, in dem er sich auf das Vorbild Josephs II. von Österreich berief. Am 4. Januar 1791 begannen bereits die Eidesleistungen und der Abbé Henri Grégoire war einer der ersten, der den Eid leistete. Die Konstitutionskirche wurde die vollkommene Staatskirche. Am 10. März 1791 antwortete Pius VI. mit der Breve ‚Quod aliquantum‘ und am 13. April 1791 mit der Breve ‚Caritas‘. Er bezeichnete die Bischofs- und Pfarrerwahlen als null und nichtig und die Bischofsweihen als ein Sakrileg. Dabei verurteilte er nichtnur die Zivilkonstitution des Klerus, sondern auch die Erklärung der Bürger-und Menschenrechte. Ein Dekret vom 29.11. 1791 erlaubte es hingegen dem Administrator des Départments, das ja in seinen Grenzen identisch mit dem Bistum war, eidesverweigernde Kleriker notfalls mit Gewalt zu entfernen. Die erste französische Verfassung wurde am 3. September 1791 von der Nationalversammlung angenommen. Frankreich wurde zur konstitutionellen Monarchie.
Die Konstitutionskirche mußte natürlich sicherstellen, daß ihre Weihen kirchenrechtlich gültig waren. Obwohl Talleyrand sein geistliches Amt haßte, mußte er die Konsekrationen der ersten Konstitutionsbischöfe selbst vornehmen, da sich kein anderer fand. Er überredete jedoch zwei Bischöfe, Jean-Baptiste Gobel (1727-1794,ein Elsäßer, ursprünglich Weihbischof von Basel unter dem Titel von Lydda, unterschrieb 1791 die Zivilkonstitution und wurde von 1791-1793 Konstitutionsbischof von Paris. 1793 gab er sein Priestertum öffentlich auf und starb bald darauf unter der Guillotine, da er von Robespierre für einen Atheisten gehalten wurde) und Jean-Baptist Miroudot de Bourg (1721-1798) Erzbischof von Babylon und französischer Konsul, ihm zu assistieren, damit die kanonisch vorgeschriebene Zahl von drei Konsekratoren erfüllt war und die Weihen nicht angefochten werden konnten. Am 24. Februar 1791 erfolgte die Weihe der ersten Konstitutionsbischöfe Louis - Alexandre Expilly dela Poipe (1743-1794) für Finistére (historisch die Diözese Quimper in der Bretagne) und Claude Marolles (1753-1794) für Aisne (die historischen Bistümer Soissons und Laon. Marolles gab später sein Priestertum auf und ging zu Robespierres Kult des Höchsten Wesens über). 14 weitere Bischofskonsekrationen sollten bald noch folgen. Mitte Januar 1791 hatte Talleyrand sein Bischofsamt eigentlich schon aufgegeben, Expilly de la Poipe überlebte den Terror Robespierres nicht. Er starb 1793 als Girondist unter der Guillotine. Die Konstitutionsbischöfe wurden von ihren Gegnern als ‚Talleyrandistes‘ bezeichnet. Bei Talleyrand stellte sich tatsächlich die Frage nach seiner Intention bei den Weihen, aber durch die Assistenz der Ko-Konsekratoren wurde ein möglicher Defekt vermieden, dessen Möglichkeit sich Talleyrand offensichtlich selbst bewußt war und der für die Gegner ein leichtes Argument gegen die Weihen der Konstitutionskirche gewesen wäre. Auch Pius VI. sprach zwar von ‚Sakrileg‘, aber nicht von Zweifelhaftigkeit oder Ungültigkeit.
Das Blatt für die Konstitutionskirche wendete sich aber bald und sie wurde selbst verfolgt. Ab 1793 begann sich die Revolution unter der Herrschaft der Jakobiner, zu denen auch etliche Kleriker der Konstitutionskirche gehörten, schnell zu radikalisieren. Frankreich wurde zunehmend und bewußt entchristlicht, 1400 Priester und frühere Ordensleute beider Richtungen fielen dem Terror der Wohlfahrtsausschüsse unter Maximilien de Robespierre zum Opfer. 40 000 Menschen waren es insgesamt- der erste Massenmord in der Geschichte der Neuzeit! Der Terror, von Robespierre mit Rousseau begründet, begann mit dem Septembermassaker in Paris 1793. Weitere ‚Säuberungen‘ sollten folgen. Im selben Jahr eroberten die Revolutionstruppen Mainz, säkularisierten es und zwangen Erzbischof Dalberg zur Flucht. Der christliche Kalender und die christliche Zeitrechnung wurden abgeschafft, einschließlich des Sonntags. Die Woche hatte nun zehn Tage, der zehnte Tag war der Feiertag. Die Kirchen wurden geschlossen oder für den neuen Kult des Höchsten Wesens und der Vernunft umgestaltet. Am 18. September 1794 wurde schließlich die Trennung von Staat und Kirche durchgesetzt und der Staat total laisiert. Das Budget für den Klerus wurde abgeschafft und damit implizit auch die Zivilkonstitution. Jeder Kult wurde unter die Aufsicht des Staates gestellt, Priesterkleidung verboten, öffentlich Gebäude durften keine religiösen Symbole tragen (was in Frankreich noch heute der Fall ist). Frankreich wurde der erste Staat in Europa, der bewußt entchristlicht wurde! Robespierre war sich aber durchaus bewußt, daß es für die Massen eine Art Kult geben müsse und führte den Kult des Höchsten Wesens und der Vernunft, die Théophilanthropie, die Gottesmenschenliebe, ein, einen deistisch-neuheidnischen Kult auf rationalistischer Basis. Die Religion sollte nach Robespierres Meinung nicht völlig verschwinden, sondern die Religion des Aberglaubens, das heißt des Christentums, sollte durch die Religion der Vernunft ersetzt werden. Die Atheisten fürchtete erwegen ihrer mangendeln Moral. Es zeigte sich auch bei Robespierre, daß die aufgeklärte Philanthropie eines Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) schnell in ihr Gegenteil verkehrt werden konnte, doch unter dem Terror begann ein großer Teil der Bevölkerung den Glauben an die Revolution zu verlieren und nach dem Sturz Robespierres und seiner Anhänger am 28.7. 1794 ergaben sich Möglichkeiten einer Rechristianisierung Frankreichs.
Alle Rechte vorbehalten. Copyright: Günther Thomann. Schwarzenborn , Studienhaus St. Benedikt, REKD, 2016 Fortsetzung folgt. Weiterführende Lektüre: alt-katholisch-zeitgemäß. Die Geschichte einer anderen katholischen Kirche, Nordstrand 2009
Buchbesprechungen zu fünf Jahre Papst Franziskus
Von Axel Stark, Akademischer Oberrat Universität Passau i.R.
Walter Kardinal Kasper, Die Botschaft von Amoris laetitia.
Ein freundlicher Disput, Freiburg 2018, Herder, 92 S. 15,00€
Das Apostolische Schreiben Amoris laetitia von Papst Franziskus setzt sich mit drängenden Fragen zu Ehe und Familie im kirchlichen Kontext auseinander. Von den einen als befreiend gute Botschaft begrüßt mit Lob und Dank für Franziskus, wird es von einer kleinen, aber lauten Gruppe hart kritisiert und Franziskus als „Häretiker“ verunglimpft.
Der emeritierte Kurienkardinal Walter Kasper zeigt in der Sache klar und bestimmt, dass Amoris laetitia auf dem Boden des Evangeliums eine schöpferische Erneuerung der Tradition darstellt, die der Sicht des Zweiten Vatikanischen Konzils und den beiden vorangehenden Pontifikaten voll entspricht und sie zugleich vorsichtig weiterführt. Er ordnet die Einzelaussagen des Schreibens in den Zusammenhang ein, verdeutlicht so die Gesamtintention und setzt sich „in freundschaftlicher Verbundenheit“ mit denen auseinander, die anderer Meinung sind.
Kasper: „Wir sollten uns durch eine enggeführte, eigensinnige Diskussion … nicht die Freude an den vielen guten Aussagen von Amoris laetitia verderben lassen. Wir sollten vielmehr die Herausforderung, welche das Apostolische Schreiben beinhaltet, dankbar aufgreifen und Amoris laetitia als Kairos verstehen, um die von Franziskus unter Weiterführung des Werks seiner Vorgänger eingeleitete Epoche der Barmherzigkeit, statt zu einer Epoche unseliger Konflikte, zu einer Epoche neuer Freude (laetitia) in der Kirche werden zu lassen.“
Diese Auseinandersetzung um Amoris laetitia zeigt, dass es in der Kirche noch an einer „barmherzigen und vernünftigen Streitkultur“ fehlt, die aber mehr als nötig ist in einer aus vielen Kulturen und Ortskirchen bestehenden Weltkirche.
Jürgen Erbacher, Weiter denken.
Franziskus als Papst und Politiker, Ostfildern 2018, Patmos, 175 S., 19 €.
Für Papst Franziskus gilt: "der Mensch zuerst". Sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft soll jeder Mensch seinen Platz haben und niemand ausgeschlossen sein. Die arme und barmherzige Kirche, die er anstrebt, ist zugleich auch eine zutiefst "politische Kirche". Damit ist Franziskus ein "politischer Papst", obwohl er kein Politiker sein möchte.
Franziskus orientiert sich konsequent an Jesus von Nazaret: er setzt Zeichen, arbeitet an Grundlagen und Strukturen für ein gerechtes Miteinander. Stärker noch als seine Vorgänger setzt er sich für einen nachhaltiegn Lebensstil ein. Ein "Weiter so wie bisher" reicht nicht aus. Auch die Kirche muss weiter gedacht werden, damit sie im 21. Jahrhundert bestehen kann - davon ist der Papst überzeugt.
Fünf Jahre hat der ZDF-Redakteur, Theologe und Politologe Erbacher den Papst beobachtet und begleitet und kann in seinem Buch den Papst mit seinen Anliegen und mit seiner Überzeugung uns nahebringen. Es geht um das "neue Selbstbewusstsein des Gottesvolkes", um die "arme und barmherzige Kirche", um die neue "Weltkirche", um die "Ränder, die Peripherie", um eine "synodale, dezentralisierte und ökumenische Kirche", um das prophetisch-politische Handeln und um die lebendige, dynamische Tradition. Erbacher macht deutlich, dass es für Christen sinnvoll ist, sich mit Papst Franziskus und seinen Anliegen auseinanderszusetzen und sich entsprechend zu engagieren.
Jürgen Werbick, Kleine Gotteslehre im Dialog mit Papst Franziskus,
Freiburg 2018, Herder, 159 S. 18,00€
Der emeritierte Fundamentaltheologe Werbick (Universität Münster) tritt in diesem Buch mit Papst Franziskus in einen Dialog über die Gottesfrage, wobei er sich in manche Hintergründe hineintastet, die in den Texten des Papstes nur angedeutet sind. Er zeigt: Franziskus kann uns dabei helfen, konzentriert bei der Sache zu bleiben, bei dem elementar Bedeutsamen, was heute mit so vielen glaubensferneren oder glaubensnäheren Zeitgenossen zu fragen und zu bedenken wäre. Und die Texte von Franziskus fordern zum Dialog heraus und billigen Leser(innen) und Hörer(innen) eine eigene Stimme zu.
Werbick: ich hoffe, dass dieser erneute Versuch (schon 2007 mit „Gott verbindlich. Eine theologische Gotteslehre“), eine theologische Gotteslehre zu entwerfen, theologisch Interessierten hilfreich sein kann, die sich über das theologische Profil des gegenwärtigen Papstes informieren und darüber hinaus – mit ihm – in die elementaren Fragen eines biblisch-christlichen Redens von Gott heute einarbeiten wollen.
Kardinal Ó.R.Maradiaga, Papst Franziskus und die Kirche von morgen.
Revolution im Zeichen des Evangeliums. Ein Gespräch mit Antonio Carriero, Gütersloh 2018, Gütersloher Verlagshaus, 139 S. 16,00€
Der Salesianer Maradiaga ist Koordinator des K 9-Gremiums, das den Papst in seiner Leitungsaufgabe unterstützt. Er ist auch seit Jahren ein Freund des Papstes und stammt wie dieser aus Lateinamerika. In Honduras amtiert er als Erzbischof von Tegucigalpa. In diesem Gespräch enthüllt er die Ziele, die Franziskus verfolgt, um die Leitung der Katholischen Kirche zukunftsfähig zu machen. Er macht auch sichtbar, welchen Widerständen dieses Bemühen begegnet. Denn nicht wenige in Rom haben Angst, dass das Herz der Kirche zukünftig nicht mehr allein in Rom, sondern an vielen Orten auf der Welt zugleich schlagen könnte, wenn es zu einer Dezentralisierung kommt statt einer Zentralisierung wie seit dem 19. Jahrhundert nach französischem Vorbild. Stichwörter des Gesprächs sind u.a.: die Salesianer ("Ich bin ein Kind Don Boscos"), die Befreiungstheologie, Vatileaks, Vatikanbank, "Revolution" im Zeichen des Evangeliums (= ein Lateinamerikaner verbindet mit dem Begriff Revolution eine andere Bedeutung als ein Deutscher bzw. Europäer), eine "arme Kirche für die Armen", die Debatte um Amoris Laetitia, Kurienreform, Dialog als Methode innerhalb und außerhalb der Kirche, die Botschaft der Barmherzigkeit, der Widerstand gegen die Reformen, die Theologie dieses Papsttums, das Evangelium im Internet. Maradiaga streitet deutlich für die Rechte der Armen und Unterdrückten und ist ein scharfer Kritiker entfesselter Märkte.
Buchbesprechung
Macht die Wahrheit frei oder die Freiheit wahr?
Eine Streitschrift von Karl Heinz Menke
Pustet Verlag 2017, 183 S. 19,95€
(K.M.) Dem emeritierten Bonner Dogmatiker Karl-Heinz Menke muss bei der Lektüre der theologischen Reihe Katholizismus im Umbruch speiübel geworden sein. Zumindest griff er zur Feder und legte die hier zu besprechende Streitschrift ausdrücklich gegen die Thesen der von Stephan Goertz und Magnus Striet im Herder Verlag herausgegebenen Reihe vor. Dass die Kirche unserer Tage in einer Krise steckt, scheint für alle Beteiligten unstrittig, was allerdings in Frage steht ist, wodurch die Krise verursacht wurde und was sind die angemessenen Mittel um dieser Krise zu begegnen.
Goertz und Striet benennen drei bereits aus dem 19. Jahrhundert stammende konkrete Gründe für die momentane Schwäche der Kirche. Erstens die strikte Hierarchiebetonung, zweitens der Zentralismus und drittens die antimoderne Haltung der Kirche. Das II. Vatikanum mag die Symptome der Krise vorübergehend gelindert haben, doch heilen konnte das Konzil die Problematik zumindest bisher noch nicht. Im Gegenteil, die Kirche unserer Zeit leide an einer neuen Modernismus-Krise. Es geht folglich um die Frage, wie kann, sollte oder müsste der Katholizismus sich zur modernen Welt verhalten?
Was wahr und recht ist, ergibt sich für den modernen Menschen nicht aus einer vorgegebenen Wahrheit (durch Gott oder Kirche), sondern aus dessen eigener Autonomität. Moralisch könne nur sein, was aus freier Selbstbestimmung als zu leisten erkannt wird. „An dieser Stelle entscheidet sich für Goertz und Striet ob jemand „modern“ oder „antimodern“ denkt, ob jemand durch die Aufklärung geläutert worden ist oder in die metaphysischen Konstrukte der „Vormoderne“ zurückfällt. Wahr ist das, was die praktische Vernunft des je einzelnen Menschen erkennt und gebietet. Karl Heinz Menke unternimmt es nun, theologisch tiefgründig wie stets, diesem Denken mutig und entschlossen entgegenzutreten.
Anfragen aus der Perspektive eines engagierten christlichen Laien
Wer darf sich Christ nennen?
Von Gabi Gerte
Schon immer interessierte mich die Frage, wer darf sich Christ nennen oder wer ist ein Christ? Zunächst einmal, ich habe nicht Theologie studiert und bin nur ein Laie, der an Theologie interessiert ist. Grundsätzlich wird jeder durch die Taufe ein Christ. Das Sakrament der Taufe darf jedoch in Notsituationen, z.B. an einem Neugeborenen, welcher kaum Überlebenschancen hat, durch Laien vorgenommen werden. Die Taufe ist und bleibt gültig. Niemand kann die Taufe rückgängig machen. Christen gibt es rund um den Erdball. Egal ob sie der evangelischen, anglikanischen, orthodoxen, römisch-katholischen oder der christ-katholischen Kirche angehören. Da beginnt aber die Diskussion: Welche Konfession ist die „richtige“? Wer hat den „richtigen“ Glauben?
Ein Christ ist für mich in erster Linie ein getaufter Mensch, der an Gott (Dreieinigkeit) glaubt und bemüht ist nach Jesu Lehren zu leben. Er baut auf die Dreieinigkeit und vertraut ihr, ihr allein ist er verantwortlich. Der Weg mit Gott und Jesus beeinflusst sein Leben und Handeln. Diese Beziehung ist seine persönlichste (intimste) Angelegenheit, die er mit sich und seinem Gewissen (Gott?) auszumachen hat. Niemand hat das Recht sich in diese Beziehung hineinzudrängen und sie infrage zu stellen. Somit bleibt es auch jedem Menschen überlassen wie und in welcher christlichen Glaubensgruppe er seinen Glauben verwirklichen kann und wo er sich wiederfindet. Keine Gruppe darf von sich behaupten, die einzig „Richtige“ zu sein. Eine Glaubensgruppe sollte begleitend, unterstützend und nicht diskriminierend sein. Sie sollte helfend zur Seite stehen. Wichtig ist doch, in welcher Gruppe (Konfession) man sich wohlfindet, wiederfindet und Gott entgegenreift. Den Weg zu Gott überhaupt finden und ihn weitergehen ist doch das Allerwichtigste. Was ist mit den Menschen, die von vornherein in eine bestimmte Glaubensgruppe (womöglich die „falsche“ Konfession) hineingeboren werden? Ist bereits mit der Geburt das religiöse Schicksal des Menschen besiegelt? Das wäre doch sehr traurig.
Christ nicht gleich Christ?
Der Weg der Christen war von Anfang an gekennzeichnet durch Uneinigkeit. Schon Petrus und Paulus stritten, wer die wahren Christen seien (Judenchristen/Heidenchristen). Wieviel Blut ist im Namen Gottes geflossen, wieviele Kriege haben in seinem Namen stattgefunden. Immer wieder spalteten sich Gruppen ab. Seit Jesu Himmelfahrt haben sich viele Konfessionen gebildet. Bis heute streiten sie sich, wer die „wahren“ Christen sind. Wenn dann eine Glaubensgruppe behauptet, nur sie sei die „richtige“ Kirche, nur sie seien die „wahren“ Christen und nur sie kämen in den Himmel, kann ich das einfach nicht glauben. Das würde ja bedeuten, dass alle anderen Christen nicht „richtig“ gläubig, also Ungläubige (zumindest nicht die richtigen Christen) sind. Kann man allein dadurch kein „richtiger“ Christ sein, wenn man in der „falschen“ Konfession lebt? Ich denke, das kann und darf keine Glaubensgruppe für sich behaupten.
Die Urchristen
Die christliche Urgemeinde bildete sich schon bald nach Jesu Auferstehung. Die Anhänger, die Jesus teils noch kannten, bemühten sich, ihm nach zu folgen, also so zu leben und zu handeln, wie er es ihnen gelehrt hatte. Umkehren, sich Gott zuwenden, sich seinem Nächsten annehmen, gemeinsam die Lasten des Alltags tragen, Hab und Gut teilen. Da ging es um Gottesliebe, Nächstenliebe, Caritas, Menschlichkeit. Das waren die Gebote der Stunde. Daran sollte die Menschheit sie erkennen: an ihrem Handeln am Nächsten, egal welcher Religion er angehört (siehe die Geschichte vom barmherzigen Samariter). Das waren für mich Christen. Für diesen Lebensweg gingen sie sogar in den Tod. Sie ließen sich durch nichts beeinflussen. Weder weltliche Macht, weder weltliche Güter, noch Priester der damaligen Religionen konnten sie von ihrem Glauben abbringen. Für ihren Glauben und nur für ihren Glauben, egal ob sie als Judenchristen, als Heidenchristen oder einfach als Gläubige der Lehre Jesu anhingen, gingen sie in den Tod. Diese Märtyrer werden noch heute von vielen Christenkirchen für ihren unerschütterlichen Glauben verehrt, d.h. für ihren Glauben an Gott und Jesus und nicht für ihre Konfession. Welche Art von Christen sie waren, spielte und spielt auch heute keine Rolle, ist schlichtweg unwichtig. Nur ihr fester Glaube ist bewunderungswürdig und vorbildlich.
Der Weg der Urchristen
Die Urchristen, zunächst schnell schon in Judenchristen und Heidenchristen getrennt, spalteten sich im Laufe der Zeit, dazu gehörten schon bald die römisch-katholischen Christen und die orthodoxen Christen. Im 16. Jahrhundert kam es durch Martin Luther zu einer weiteren Spaltung. Später folgte noch durch König Heinrich in England die Abspaltung der anglikanischen Christen. Der Gründe gibt es viele. Sicher hat die Gier nach Macht, Geld und weltlichen Gütern eine Rolle gespielt. Seitdem hat sich so einiges getan. Weitere Abspaltungen haben stattgefunden. Die Bibel wurde immer wieder neu ausgelegt. Dogmen und Riten wurden in Frage gestellt.
Was aber blieb?
Was bleibt ist der Glaube an Gott und Jesus und den hl. Geist. Jesu Wirken und seine Lehren haben bis heute Eindruck hinterlassen. Dieses Angenommensein, egal wie schwach und sündig wir sind, gibt uns Kraft das Leben zu meistern und Jesu Lehren zeigen uns, wie wir leben und handeln sollen. Gottesliebe und Nächstenliebe stehen hier an erster Stelle. Davon sollen wir uns leiten, und von keiner irdischen Macht beeinflussen lassen. Als Vorbilder haben wir Jesus und die Märtyrer. Ein Leben mit Jesus ist gewiss nicht immer leicht aber befreiend, trotz aller Widrigkeiten, die das Leben bereithält. Denn letztendlich sind wir nur Gott und Jesus verpflichtet. Aus diesem Grund sollten wir Christen uns wieder der Lehre Jesu annähern. Sie ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Und nur so kann eine Verständigung aller Christen, egal zu welcher Konfession (Institution), stattfinden und ein gemeinsamer Weg gefunden werden.