Zeitschrift für Theologie, geistliches Leben und christliche Kultur
Augustinus, ein Heiliger für unsere Zeit?
(K.M.) Im Gegensatz zu Papst Franziskus galt Benedikt XVI innerhalb des Vatikans als kommunikationsschwach. So wurde von ihm behauptet, dass der einzige Theologe, mit dem er sich berate und von dem er Ratschläge entgegennehme, der Heilige Augustinus sei. Also eine Persönlichkeit, die bereits vor gut 1600 Jahren verstorben ist. Nun könnte man dies Bonmot dahingehend verstehen, dass Benedikt nicht in der Gegenwart, sondern weit in der Vergangenheit lebe. Oder man müsste andersherum fragen. Kann es sein, dass Augustinus, weit über seine Zeit hinaus, bis in unsere Gegenwart hinein, tatsächlich von Relevanz ist?
Allein mit Blick auf die unglaubliche Fülle des augustinischen Schrifttums wird es leicht fallen, diese Frage mit Ja zu beantworten. Gibt es doch kaum ein theologisches Thema, zu dem er sich nicht in irgendeiner Weise geäußert hätte. Allerdings kann die Fülle des Materials doch kaum genügen, seine Relevanz für die heutige theologische Diskussion und kirchliche Erneuerung zu begründen. Lebte er nicht in einer vollständig anderen Zeit und Gesellschaftsordnung wie wir? Kann der kontextuelle Zusammenhang der augustinischen Schriften tatsächlich über seine Zeit hinaus Bestand haben?
Eine solche Fragestellung fordert dazu heraus, sich nicht nur theologisch, sondern auch historisch der Person des Augustinus und damit verbunden dem vierten und fünften Jahrhundert zu stellen. Und genau dies hat Prof. Dr. Klaus Rosen, emeritierter Ordinarius für Alte Geschichte an der Universität Bonn, mit seiner aktuellen Biographie, welche 2015 in der Reihe Gestalten der Antike herausgekommen ist, getan. Wenngleich Rosen einräumt, dass man sich Augustinus nicht stellen kann, ohne sich auch mit seiner Theologie auseinanderzusetzen, so betont er doch ganz deutlich, sich als Historiker und nicht als Theologe mit Augustinus beschäftigt zu haben.
Augustinus wurde am 13. November 354 im nordafrikanischen Thagaste in relativ wohlhabende Verhältnisse hineingeboren. Als Municipium verfügte seine Heimatstadt über eine innerstätische Selbstverwaltung. Sein Vater Patricius gehörte als Grundbesitzer zu den honestiores. Dem es durch ökonomischen Ehrgeiz gelang, in die Führungsgruppe der ratsfähigen Familien, der curiales, aufzusteigen. Damit wurde auch Augustinus per Gesetz mit 18 Jahren steuerpflichtiger Kuriale. Solange er als Professor in Karthago und Mailand tätig war, wurde er von seinen bürgerlichen Pflichten befreit, durch seine Heimkehr nach Thagaste 388 holten ihn seine Pflichten jedoch ein. Zu den damit verbundenen Aufgaben gehörte es, von seinen Mitbürgern Steuern einzutreiben und für deren Bezahlung mit seinem eigenem Vermögen zu haften. Augustinus fand eine Möglichkeit um sich dieser Pflicht zu entziehen. Er verschenkte seinen Grundbesitz, mit Ausnahme einer Rente für seinen persönlichen Lebensbedarf, an die örtliche Kirchengemeinde und fiel damit aus der Steuerpflicht heraus.
Mit diesen wenigen Strichen wird bereits deutlich, wie sehr der Familie des Augustinus um finanziellen Erfolg und gesellschaftliches Ansehen gelegen war. Sie wollten dazugehören. Augustinus sollte es einmal besser haben und deshalb entsprechend gefördert und gefordert werden. Daher wurde ihm, im Gegensatz zu seinem Bruder, eine kostspielige Schul- und Hochschulausbildung zuteil.
So schrieb er selbst wie er in der Schule, aus Angst vor den Schlägen der Lehrer, begann das Beten zu üben und die Erfahrung machen musste, unerhört zu bleiben. Noch als Siebzig-jähriger bekräftigte er lieber sterben zu wollen, als noch einmal in die Grundschule zu müssen.
Augustinus Vater war wie viele Menschen in der Mitte des vierten Jahrhunderts kein Christ, sondern altgläubiger Heide mit einem dafür typischen funktionalen Verhältnis zu den römischen Göttern. Für seinen Sohn erhoffte er wohl eine Stellung als Anwalt in Thagaste oder als Jurist in der kaiserlichen Verwaltung. Neben einer öffentlichen beruflichen Stellung hätte es zum Aufstieg des Augustinus gehört in eine entsprechende Familie einzuheiraten.
Seine Mutter Monika war Christin und vermittelte ihrem Sohn offenbar bereits als Kind die Grundlagen dieser Religion, doch taufen lies sie ihn nicht.
Schon früh setzten sich deutlich die Charaktereigenschaften seines Vaters durch, er war ein Macher, ein Anführer der sein Publikum, seine Gefolgsleute brauchte. Dazu kam ein ausgezeichnetes Gedächtnis, was er wohl eher von der Mutter als vom Vater geerbt hatte.
Mit 16 Jahren wurde Augustinus von seinen Eltern, unter großer finanzieller Anstrengung, nach Karthago zum Studium geschickt. Noch im selben Jahr starb sein Vater, was die finanzielle Anstrengung für seine Mutter umso größer werden ließ. Sicherlich konnte sich die Familie den weiteren Studienaufenthalt nur dank Unterstützung eines großzügigen Verwandten leisten.
In der Großstadt Karthago lernte er das Meer, den Hafen, alle Liebeslaster und das Theater kennen. Bald fand er eine feste Freundin, mit welcher der Achtzechjährige einen Sohn bekam. Da die Eltern ihn Adeodatus nannten, scheint es nahe zu liegen, dass die Lebensgefährtin des Augustinus selber auch Christin war. Augustinus hätte seine Partnerin heiraten können und damit aus seinem natürlichen Sohn, einen rechtmäßigen Sohn gemacht, doch offensichtlich war der gesellschaftliche Standesunterschied zu groß. Sollte und wollte Augustinus doch nach „oben“ und nicht nach „unten“ heiraten.
Augustinus studierte gerne und erfolgreich und fand über die Philosophie auch zu Glaubensfragen. Doch die Lektüre der Bibel, vor allem das Alte Testament, enttäuschte ihn. Der christliche Glaube erschien ihm verstandeswidrig zu sein, so öffnete er sich für die gnostische Lehre der Manichäer.
In religiöser Hinsicht war das römische Reich zu dieser Zeit eine „bunte“ Gesellschaft. Neben altgläubigen Heiden (nicht selten in den alten Adelsfamilien), Anhängern des Mitraskultes (im Militär) und Juden gab es nicht wenige Manichäer, die den Weg esoterischer Selbsterlösung anstrebten, und Christen. Die Christen wiederum waren gespalten in Katholiken, Arianer und Donatisten. Die unstetige staatliche Religionspolitik schwankte darin, einzelne dieser Gruppen zu verbieten, zu verfolgen oder zu fördern. Neben Phasen staatlicher Repression standen Phasen staatlicher Toleranz.
Nach seinem Studienabschluss in Rhetorik arbeitete Augustinus, mittlerweile 19, zunächst als Lehrer in seiner Heimatstadt Thagaste und kehrte, als sich ihm die Gelegenheit dazu bot, als Professor nach Karthago zurück.
Mit 29 Jahren wechselte er, zunächst als Privatdozent, von Karthago nach Rom. Wenn die Kaiser mittlerweile auch Konstantinopel aufbauten und ihre Residenzen zwischen Trier, Mailand und Ravenna hin- und herverlegten, so war die alte Kapitale immer noch die größte und führendste Stadt des Reiches. Die Umstände warum Augustinus von Afrika nach Italien wechselte, sind nicht ganz klar. Möglicherweise musste der Manichäer aufgrund staatlicher Repression Karthago verlassen, eine Festanstellung hatte er in Rom jedenfalls nicht, auch begann er jetzt über ernsthafte gesundheitliche Probleme zu klagen. Innerhalb der römischen Manichäergemeinde fand er Aufnahme, finanzielle und medizinische Unterstützung. Anderseits hatte seine intellektuelle Distanzierung von der Glaubensgemeinschaft bereits in Karthago begonnen und setzte sich in Rom nun weiter fort.
Die Chance auf einen Neuanfang bot sich ihm ein Jahr später. In Mailand wurde eine staatliche Professur für Rhetorik ausgeschrieben, auf welche sich Augustinus bewarb. Entscheidend für die Vergabe der Stelle war das Votum des Stadtpräfekten Symmachus. Symmachus gehörte dem alten Hochadel an und verehrte nach wie vor die alten Götter. Der Senator war nicht nur ein führendes Mitglied des römischen Senats, ehemaliger Prätorianerpräfekt und Konsul, sondern auch als hervorragender Rhetoriker bekannt. Im Laufe seiner Karriere war er unter anderem auch Prokonsul in Karthago gewesen, wo er auch über umfangreiche Ländereien verfügte. Daher scheint es nicht unwahrscheinlich, dass er auch über den ehemaligen Rhetorikprofessor Augustinus aus Karthago informiert war. Jedenfalls sorgte er dafür, dass Augustinus die Professur in Mailand erhielt.
Zu seinen Aufgaben gehörte es nicht nur die Studenten zu unterrichten, sondern auch bei feierlichen Anlässen die offiziellen Lobreden an der kaiserlichen Residenz zu halten. Augustinus kam bei dieser Gelegenheit mit den führenden politischen Personen des Reiches in Kontakt, unter vielen anderen auch mit Ambrosius, dem Bischof von Mailand.
Ambrosius entstammt im Gegensatz zu den meisten katholischen Bischöfen seiner Zeit aus der aristokratischen Oberschicht und war weitläufig auch mit Symmachus verwandt. Seine familiäre Herkunft macht deutlich, warum er in der Lage war, sich in vielfältigen Streitfragen auch gegen das Kaiserhaus und die hohen Beamten zu stellen. Es war seine hohe Position in der römischen Gesellschaftsordnung, die ihm diese Freiheit verlieh. Augustinus war von seiner Rhetorik beeindruckt und begann regelmäßig die Predigten des Ambrosius zu hören. Auch wenn er den christlichen Glauben noch nicht teilte, so legte er doch seine Skepsis der Bibel gegenüber nach und nach ab. Noch war er nicht überzeugt, ob der christliche Glaube mit der freien Vernunft des Menschen übereinstimmen könnte. In dieser Zeit erfuhr Augustinus von der, bereits einige Jahre zurückliegenden Bekehrung des hochgebildeten römischen Rhetorikers Viktorinus zum christlichen Glauben. Viktorinus war bis dahin nicht nur Heide, sondern auch der führende Lehrer der römischen Aristokratie, welche zu großen Teilen noch die alten Götter verehrte. Zum ersten Mal fragte sich Augustinus ob er nicht diesem Beispiel folgen sollte. Ein anderer Gedanke, der ihm zeitgleich kam: sollte er nicht den antiken Vorbildern gemäß eine Philosophengemeinschaft gründen? Eine Lebensgemeinschaft von Freunden, die sich beständig über geistige Themen austauschten? Dem entgegen stand sein Bedürfnis nach Sexualität. Ein Leben ohne Partnerin konnte er sich nicht vorstellen. Und wieder kam ihm der Gedanke zu heiraten, aber nach „oben“ nicht nach „unten“. So machte er sich auf die Suche nach einer passenden Partnerin, und glaubte auch diese in einem zwölfjahrigen Mädchen gefunden zu haben. Zwar hatte das Mädchen das gesetzliche Heiratsalter erreicht, dennoch bestanden seine Eltern darauf, dass das Brautpaar noch zwei Jahre bis zum üblichen Hochzeitsalter warten sollte. Augustinus willigte ein und gedachte bis dahin mit seiner bisherigen Lebensgefährtin zusammen zu bleiben. Diese jedoch sah es anders und verließ ihren bisherigen Partner nach fünfzehn gemeinsamen Jahren auf der Stelle. Augustinus reagierte, wie bereits bei seinem Aufenthalt in Rom, mit heftigen gesundheitlichen Problemen.
So musste er seine Lehrtätigkeit aufgeben und sich zum Erholungsurlaub in das Landhaus eines Freundes zurückziehen. Hier fand er tatsächlich zum Gebet und über die Predigten des Ambrosius auch intellektuell zum Alten Testament. Schließlich entschied er sich Katechumene zu werden und sich taufen zu lassen. Er begann mit seinen Freunden ein nahezu klösterliches Leben mit regelmäßigem Gebet und geistlichen Gesprächen. In der Osternacht vom 24. auf den 25. April 387 wurde Augustinus von Ambrosius in Mailand getauft. Augustinus und sein Freundeskreis beschlossen nun nach Nordafrika zurückzukehren, sicherlich auch in der Hoffnung durch Augustinus Grundbesitz dort versorgt zu sein. Noch während der Rückreise in Italien starb seine Mutter Monika, welche bei ihm lebte, seit er Professor in Mailand war.
Im Jahre 388 kehrte er mit 33 Jahren zurück in die Heimat. Anstelle einer Professur begann er nun unermüdlich zu schreiben und sich allen theologischen Fragen seiner Zeit zu stellen. Nach weiteren drei Jahren wurde er vom Bischof von Hippo zum Priester geweiht und ließ sich sofort für ein halbes Jahr beurlauben, um zunächst einmal gründlich die Bibel zu studieren. Noch vor Ablauf der Zeit kehrte er zurück und nahm seinen priesterlichen Dienst auf.
Der Priester von Hippo beließ es jedoch nicht nur beim Predigen, sondern er schrieb auch eifrig Briefe an die nordafrikanischen Bischöfe zu Fragen der Kirchenpolitik. So wurde er 393 auf der Synode der afrikanischen Bischöfe, obwohl nur Priester, mit dem Hauptreferat beauftragt und sorgte für ein klares Bekenntnis der Bischöfe zum Konzil von Nicäa und zur Heiligen Schrift von Altem und Neuem Testament. Auch auf den folgenden Provinzsynoden sollte stets Augustinus die theologische Linie vorgeben.
Im Jahre 395 zeigte sich jedoch, dass sich die afrikanischen Bischöfe auch souverän über die Beschlüsse von Nicäa hinwegsetzen konnten. Indem sie Augustinus mit nunmehr 41 Jahren zum Mitbischof von Hippo ernannten und konsekrierten.
Könnte er nun noch an seinem theologischen Werk weiter arbeiten, oder würden ihn seine pastoralen Verpflichtungen künftig daran hindern? War es die Arbeitsbelastung, die sich durch den Tod seines Mitbischofs Valerius zwei Jahre später einstellte, oder doch eher die Nachricht vom Tode des Mailänder Bischofs Ambrosius, die ihn wieder über erhebliche Gesundheitsprobleme klagen ließ? Um den Donatisten etwas entgegenzusetzen, beschlossen die lokalen Synoden eine deutliche Hebung der Märtyrerverehrung in den jeweiligen Memorialkirchen. Für Augustinus bedeutete dies eine intensive Reise- und Predigttätigkeit.
Um die kirchlichen Meinungsbildungsprozesse jener Zeit besser zu verstehen, ist es interessant zu wissen, dass es zunächst einmal Diözesansynoden unter der Leitung einzelner Bischöfe waren, welche aktuelle Entscheidungen trafen. Diese Entscheidungen wurden dann durch benachbarte Diözesen bestätigt, oder auch verworfen. Dann wurden die anstehenden Fragen durch eine regionale Synode der jeweiligen Kirchenprovinz verhandelt. Einzelne Theologen wie Augustinus, Ambrosius, oder auch der im Heiligen Land lebende Hieronymus wurden um ihre Stellungnahmen gebeten. Schließlich wurden die Entscheidungen der Regionalsynode durch Bezug auf die großen kirchlichen Konzilien, wie z.B. Nicäa abgesichert. Konnte die Regionalsynode die betreffende Frage nicht klären, oder nicht ohne Widerspruch anderer Provinzsynoden lösen, so wurden entweder der Bischof von Rom, oder der Kaiser hinzugezogen.
Am Ende des vierten Jahrhunderts war das Verhältnis zwischen Staat und Kirche noch längst nicht abschließend geklärt. Von einer durchgängig christlichen Gesellschaft konnte noch keine Rede sein. Sollten die Christen den Staat nun nutzen, um die Manichäer verfolgen zu lassen, oder um alte heidnische Tempel niederzureißen? Sollten die Christen ein staatlich respektiertes Kirchenasyl durchsetzen, um Glaubensgeschwister vor andersgläubigen Menschen zu schützen? Oder sollte die Kirche mittels staatlicher Hilfe Steuern eintreiben, um damit die Armen zu unterstützen? Alles Fragen, die um das Jahr 400 herum diskutiert wurden.
Die Lage des weströmischen Reiches verschärfte sich zwischen 408 und 410, als die Goten durch Italien zogen und bis nach Rom vordrangen. Der Fall der Stadt Rom wurde zu einem geradezu apokalyptischen Zeichen des Niedergangs. Die Stadt, die den Weltkreis erobert hatte, war nun selbst bezwungen. Lag es daran, dass man sich von den heidnischen Göttern abgewandt hatte? Oder lag es daran, dass man den christlichen Glauben nur halbherzig angenommen hatte?
Nordafrika war die Kornkammer des Reiches und wurde nun zur Zufluchtsburg vieler Flüchtlinge vor den Goten. Und es wurde zur Aufgabe des Augustinus, Geld und Sachleistungen für die Flüchtlinge zu organisieren, die Menschen moralisch aufzubauen und den Fall Roms theologisch zu deuten. In den folgenden Jahren kam der theologische Kampf gegen Pelagius und seine Gnadenlehre hinzu.
Mit 72 Jahren regelte Augustinus seine Nachfolge. Im Beisein zweier weiterer Bischöfe, sowie einiger Priester stellte er den Priester Eraclius der Gemeinde vor und ließ ihn durch Akklamation des Volkes zum Bischof wählen. Gleichzeitig ließ er sich von seinen Aufgaben entpflichten. Um den Vorschriften von Nicäa diesmal besser zu entsprechen, blieb Augustinus formal der Bischof, seine Amtsgeschäfte sollten jedoch bereits von Eraclius ausgeübt werden.
Im Jahre 428 erreichten die Wirren der Völkerwanderung auch Nordafrika, indem die Vandalen von Spanien kommend in die letzte Bastion des weströmischen Reiches eindrangen. Im Jahre 430 stellte sich die römische Legion mit einem letzten Aufgebot zur Entscheidungsschlacht und verlor den Kampf. Die Stadt Hippo mit ihrem sterbenskranken Bischof Augustinus war nun eingekesselt. Noch während der Belagerung starb Augustinus am 28. August 430.
Die kaiserliche Einladung aus Konstantinopel zum Konzil nach Ephesus 431 erreichte nur noch den toten Bischof. Neben dem römischen Bischof, hätte auch er, der nordafrikanische „Papst“ als Vertreter der Westkirche an der bischöflichen Versammlung teilnehmen sollen.
Später siedelte seine Ordensgemeinschaft, mitsamt seiner Bibliothek und seines Leichnams nach Sardinien über.
Bleibt die Frage nach der Relevanz dieses spätantiken Menschen für die Kirche heute? Er verfügte über klassische Bildung, kannte alle Höhen und Tiefen menschlicher Leidenschaft, scharte stets Freunde und Gleichgesinnte um sich, lebte in einer zwar „bunten“, doch nie gewaltfreien Gesellschaft, welche durch einen scheinbar allmächtigen, bürokratischen Staat zusammengehalten wurde. Er erlebte wie die Politik kurzfristig, unzuverlässige Entscheidungen traf und er erlebte den Zusammenbruch der damaligen Weltordnung. Er war mit Kirchenspaltung, Krieg, Flucht, Armut und Vertreibung befasst und bemühte sich, auf alles eine geistige, theologische Antwort zu finden. Auch wenn wir sicherlich nicht alle Fragen unserer Zeit mit Augustinus beantworten können, so dürfen wir doch, wie Benedikt XVI, einen bleibenden Gesprächspartner im Bischof von Hippo entdecken. Und vielleicht auch wieder einmal in einem seiner zahlreichen Werke lesen.
Literatur: Klaus Rosen, Augustinus, Genie und Heiliger, Darmstadt 2015
Die Quellen des „Ordens von Port Royal“ –
eine „geistliche Wurzelbehandlung“
von Br. Friedrich Hartmann OPR und P. Gerhard Seidler OPR
Frankreich im Jahr 1602. Vor gut 400 Jahren, 1204, wurde südwestlich von Versailles, in der Nähe des bestehenden Klosters Vaux-de-Cernay das Frauenkloster Port Royal des Champs gegründet und zeitnah in den Orden von Cîteaux aufgenommen. 400 Jahre beschauliches Klosterleben. Doch dann: 1602 wird Jacqueline Arnauld (1591–1661) unter ihrem Ordensnamen Angélique Äbtissin von Port Royal. Sie war das dritte von zwanzig Kindern des Anwalts Antoine Arnauld und eine der sechs Schwestern des Philosophen Antoine Arnauld. Als sie bei den Zisterzienserinnen in Port-Royal aufwuchs, wurde sie mit acht Jahren von Äbtissin Jeanne de Boulehart als Nachfolgerin ausgewählt. Einige Monate vor ihrem 12. Geburtstag wurde Angelika nun selbst Äbtissin von Port-Royal. Danach war sie eher als „La Mère Angélique“ bekannt. Und mit ihr begann „neues Leben“ in alten Gemäuern. Als sie 17 wurde, leitete sie einen Reformprozess ein, der die monastische Askese und die Umkehr mehr betonen sollte. Angélique vertrat die Ansicht, dass jede Nonne die Heiligkeit anstreben müsse, und das erreichte sie, indem sie ihre inneren Regungen beobachtete, betete, fastete, arm lebte und Werke der Nächstenliebe tat. Eine Zeitlang stand sie mit Franz von Sales in Verbindung.
Wichtiger für sie, ihren Konvent und auch uns als „Nachfolger“ ist jedoch das Gedankengut des Bischofs Cornelius Jansen, Jansenius genannt. Das meint: Alle in Port-Royal waren / sind von der Gnadenlehre des hl. Augustinus geprägt. Der Zugang zum christlichen Leben basierte auf persönlicher Anspruchslosigkeit und dem Vertrauen auf Gottes Gnade und nicht primär auf menschlichem Tun. So wurde die Abtei im 17. Jahrhundert zu einer bedeutenden Hochburg „jansenistischen Ideenguts“. Jansenius vertiefte und verbreiterte die Wieder-aufnahme der augustinischen „Psychologie der Liebe“ – „Liebe und tu was du willst“. Nur die wohltuende Lust an der göttlichen Liebe kann die unwiderstehliche Sucht der Sünde überwinden: Gnade wird psychologisch als Freude an Gottes Liebe, nicht mehr als mitwirkende Ursache eines nur zu glaubenden Heilswirkens Gottes verstanden. Das bloße Erkennen von Glaubenswahrheiten bekehrt nicht, weil nicht der Verstand, sondern das Herz des Menschen von der Macht der Sünde gefangen ist. Das Prinzip der „Siegreichen Gnade“ wurde zum Fundament einer innerkatholischen Reformation. Im Rückgriff auf die altkirchliche, insbesondere augustinische Auslegung des Evangeliums, stellte der Jansenismus sich jeder kirchlicher Praxis entgegen, durch die der Mensch sich selbst sein Heil zu schaffen sucht. Theologisch bestritt er deshalb den jesuitisch-scholastisch begriffenen Gott, weil er die Welt und ihre Geschichte sich selbst überlasse und damit dem Menschen sein Elend als Sünder ebenso verberge wie die Herrlichkeit seiner Erwählung.
Die jansenistische Reform traf den sich seiner selbst bewusst gewordenen Bürger der Neuzeit im innersten Grund seines Handelns, weil sie diesen aus seiner Beziehung von Gott her verstand und darin als entfremdet und heilsbedürftig festhielt. Gerade das fand damals in Frankreich und bis in die Niederlande viele Anhänger. Angezogen von der spirituellen Kraft, die von dieser Bewegung ausging, siedelten sich einige Intellektuelle in der Umgebung des Klosters an, die man in der Folge als Messieurs de Port-Royal oder auch als Solitaires (Einsiedler) von Port-Royal bezeichnete, unter ihnen der Mathematiker und Philosoph Blaise Pascal und der Dramatiker Jean Racine. Die Kreise um Port-Royal verstanden sich als streng katholisch und hatten Zulauf von den höheren Schichten des gebildeten Frankreich.
Pascal (1623-1662), den Nietzsche den „einzig logischen Christen“ hieß, musste nicht nur selbst, um seiner jansenistischen Bekehrung inne zu werden, die unendliche Freude der Begnadigung bis in sein Innerstes hinein kosten, er machte auch denkerisch die Gnadenerfahrung zum Prinzip der Metaphysik, die damit kritisch der wissenschaftlichen Selbstbegründung des Gott-Denkens, der Moral und der Unsterblichkeitslehre durch Descartes entgegentrat. Sein Spott über die Moral der Jesuiten zeigte die Konsequenz einer christlichen Handlungslehre, die sich dem Schwergewicht von Gnade und Schuld durch die Absolutsetzung der Wahlfreiheit entzieht. Pascal formulierte die Dissonanz, die den traditionell Glaubenden vom neuzeitlichen Menschen unterscheidet: Während der moderne Mensch sein Leben autonom in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik gestaltet, verliert er nicht nur jede Möglichkeit, sondern auch alle Notwendigkeit, sein Heil von Gott zu erwarten. Die jansenistische Alternative zur moralischen Selbstbegründung lag in der Auslieferung des Sünders an die unbegreifliche Liebe dessen, der uns bereits am Kreuz gefunden hat, noch bevor wir ihn überhaupt suchten.
Mit den Jesuiten kam es deshalb zu erheblichen Spannungen. Auf Veranlassung Ludwigs XIV. wurde schließlich das Kloster Port Royal de Champs 1710 zerstört. Es war nicht nur Ironie des Schicksals, dass die jansenistische Kritik die Aufhebung des Jesuitenordens von 1773 und die jesuitische Kritik die Verurteilung der jansenistischen Bewegung erzwangen, vielmehr zeigt sich in dieser Auseinandersetzung das tiefe Dilemma christlicher Existenz in der Neuzeit: Wie kann der Mensch in selbstbewusster Freiheit, noch an einen souveränen Gott glauben?
Unter veränderten Vorzeichen rückten die unerledigten Probleme von Freiheit und Gnade in der transzendentalen Reflexion und in der Theologie der Befreiung im 20. Jahrhundert wiederum ins Zentrum des theologischen Interesses.
Quellenangaben:
•LThK
•Neue Summe Theologie
•Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe
•Hanno Helbling, Port Royal Zeugnisse einer Tragödie, Zürich, 2004.
•Publikationen von Gerhard Seidler und Fritz Hartmann im Verlag Port Royal
Symposium: „Herr entrümple meinen Geist“
Am 12. März fand unter Beteiligung der Christ-Katholischen Kirche das Symposium „Herr entrümple meinen Geist“ in Warstein statt. Viele Menschen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten, aufgrund diverser Skandale, entsetzt vom Christentum abgewandt, wieder andere Menschen haben den Zugang zum christlichen Glauben niemals gefunden. Es scheint fast so, als ob die Kirchen ihren salzigen Geschmack im faden Alltag verloren hätten und kaum mehr über Leuchtkraft auf den oft dunklen Wegen der Sinnsuche verfügen würden. Die Christ-Katholische Kirche bemüht sich, neue Zugänge zum Christentum für die Menschen unserer Zeit zu entdecken und anzubieten. Nicht in einer anonymen Massenorganisation, sondern in kleinen familiären Kreisen. Nicht aus dem leeren Raum heraus, sondern aus den uralten Quellen der christlichen Tradition, nicht auf ausgetretenen Pfaden, sondern innovativ. Eine Kirche, die Menschen nicht nur zum Beitritt einlädt, sondern auch ganz konkret aus dem Engagement ihrer Mitglieder lebt.
Im folgenden dokumentieren wir einen Symposiumsvortrag von Dr. Daniel Gerte. Am Thema Interessierte können mit dem Referenten unter forum.reg@gmx.de Kontakt aufnehmen.
„Am Anfang war der Sinn“ – Religion und Sinnstiftung
Von Dr. Daniel Gerte
Ich möchte Sie zu einer kleinen Reise einladen. Reisen Sie gedanklich etwa 3500 Jahre zurück und stellen Sie sich vor, Sie befänden sich im ägyptischen Heliopolis, dem damaligen Hauptzentrum des Sonnenkultes. Der Tag hat sich geneigt und Ihr Blick richtet sich auf den überwältigenden Nachthimmel. Von einem Ende bis zum anderen Ende Ihres Blickfeldes sehen Sie eine mächtige Dunkelheit, die von kleinen leuchtenden Lichtern unterbrochen wird. Aus der Ferne hören Sie einen gewaltigen Himmelskrach, der von hellen Blitzen und drohendem Regen begleitet wird. Ein bedrohliches Szenarium verdrängt die friedliche Stille. Sie wissen nichts von der luftelektrischen Entladung, die sich ankündigt. Dass Wasserdampf kondensiert und dann als Wasser infolge der Schwerkraft auf die Erde fällt, ist Ihnen als Erklärungsmodell noch gänzlich unbekannt. Die Weiten des Weltalls mitsamt den unzählbaren Galaxien kennen Sie nicht. Sie sind Zeuge alltäglicher Naturschauspiele, die mal gewaltig, mal unauffällig daherkommen. Neulich erst waren Sie Zeuge einer Geburt und einige Tage später nahmen Sie anderorts an einer feierlichen Beisetzung teil. Sie haben Fragen, viele Fragen: Woher kommt das alles, wie ist es entstanden, was oder wer treibt es an? Oder: Woher komme ich, warum bin ich, wer oder was treibt mich an? Sie haben eingeschränkte bis gar keine Möglichkeiten, diesen Fragen auf die Spur zu kommen. Die Neugier aber bleibt. Sie machen sich Gedanken über das Woher und Wohin, über das seit wann und bis wann – und finden Ihre je persönlichen Antworten, ohne dabei auf ein wissenschaftlich fundiertes Wissen zurückgreifen zu können. Sie skizzieren großartige Bilder, in denen Götter als Urheber der Welt gesehen werden. Atum, der Selbstentstandene wird aus der Urflut geboren; Schu und Tefnut, Geb und Nut sind es, die Luft und Feuer, Himmel und Erde erschaffen. Die Sonne wird jeden Morgen in der Scham Nuts neu geboren und kehrt abends in ihren Mund ein. Nuts Leib ist mit Sternen übersät, während Geb als Erdgott den Boden bildet. All diese Bilder und konkreten Vorstellungen entstehen aus Ihrer Weltdeutung.
Orts- und Zeitwechsel: Jahrhunderte später machen sich Menschen an einem anderen Ort Gedanken über das Woher und Warum der Welt. Etwa ein halbes Jahrtausend vor der Geburt Jesu schrieb eine Gruppe Gelehrter wohl mit Hilfe einer Vorlage etwas auf, das uns heute gut bekannt ist. Die daraus entstandene Erzählung bildet heute den Anfang der Bibel, es ist die erste der beiden Schöpfungserzählungen der Genesis. Auch hier finden wir ein prächtiges Bild vor. Gott erschafft die Welt in sechs Tagen, am siebten Tag ruht er. Wasser, Land, Dunkelheit, Licht, Himmel, Erde, Tiere, Menschen – an alles ist gedacht, damit sich Leben entwickeln kann. Die Wertung dieser Szenerie fällt durchweg positiv aus, denn Gott sah, dass alles sehr gut war (vgl. Gen 1, 31). In diese bekannte Erzählung sind einige Inhalte anderer Schöpfungserzählungen eingeflossen und somit auch Inhalte der ägyptischen Versionen. Ein Beispiel: Die Genesis beginnt bekanntlich mit den Worten: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ (Gen 1,1). In einem ägyptischen Hymnus, der weit vor der biblischen Erzählung entstand, heißt es: „Göttlicher Gott […], der Himmel und Erde erschuf mit seinem Herzen […]“. Hierbei handelt es sich nicht um einen Zufall, sondern das war in jener Zeitepoche nicht mehr zu hinterfragendes Allgemeingut. Die jüdischen Gelehrten wussten von den ägyptischen Traditionen. Aber die entscheidende Frage ist doch an dieser Stelle, was denn diese Erzählungen eigentlich erreichen wollen. Die Antwort: Menschen deuten in den Schöpfungserzählungen mit Hilfe von Bildern und Symbolen all jenes, was sonst nicht in Worte zu bringen ist und was in letzter Gültigkeit nicht zu erklären ist. Diese Erzählgattung wird aus guten Gründen auch Schöpfungsmythos genannt. Es lohnt, einen Augenblick bei dem Begriff Mythos zu verweilen.
Das allgemeine Verständnis von Mythos, so wie es u. a. in den Medien oftmals präsentiert wird, ist schlichtweg falsch. Mythen sind demnach Lügen. Wenn etwas mythisch klingt, dann ist es vermutlich nicht wahr. In einer anderen Variation wird der Begriff auch mit Geheimnis übersetzt. Ein Mythos ist dann etwas Mysteriöses. Dies kommt der eigentlichen Sache schon näher, trifft sie aber nicht ganz. Sowohl die alten Ägypter als auch die Autoren der biblischen Schöpfungserzählungen hätten diese Übersetzungen so nicht mitgetragen. Was aber ist ein Mythos dann? Ich übersetze ihn mit Weltdeutungsschema. In einem Schöpfungsmythos wird nicht nach der wissenschaftlich korrekten Art und Weise der Weltentstehung gefragt, vielmehr wird die Welt in ihrem Dasein schon gedeutet. Und das bedeutet, dass Menschen mit Hilfe von Mythen der Welt und ihrem Leben Sinn geben. Ein Mythos deutet die Welt, er will Lebenssinn stiften. Der französische Schriftsteller Jacques Laccarière konkretisiert dazu treffend: „Sie [die Mythen, d. V.] wollten den Menschen versichern, dass sie keine Kinder des Zufalls waren. Die Menschen sind ‚Wunschkinder‘ einer höheren Macht, dazu bestimmt, fortan selbst an der Aufgabe der Schöpfung teilzuhaben. Die Mythen gaben den Menschen zumindest indirekt zu verstehen, dass die Welt sie braucht.“ Und das ist Wirklichkeit! Überflüssig und unnötig bezeichne ich die immer noch vorherrschende Meinung, einzig die Wissenschaften seien es, die Wirklichkeit angemessen erfassen und beschreiben können. Wie eine Ellipse jedoch zwei Brennpunkte hat, so besteht auch die Wirklichkeit neben dem wissenschaftlichen Brennpunkt aus einem weiteren Brennpunkt, meint Heinz Zahrnt. Und damit hat er Recht. Wirklichkeit ist auch all jenes, was ich der Welt und meinem Leben als Sinn zuschreibe. Wirklichkeit besteht also aus der Wissenschaft zum einen und dem – etwas anders ausgedrückt – nicht-Sichtbaren zum anderen, eben aus zwei Brennpunkten einer Ellipse. Ein kleines Beispiel soll dies verdeutlichen: Die mathematische Tatsache, dass 1 + 1 gleich 2 ergibt, ist richtig, stiftet aber keinen Lebenssinn. Wohl aber kann die Erfahrung eines tiefgreifenden Gefühls der Liebe Lebenssinn stiften. Dies wiederrum entzieht sich der Mathematik. Wer heute immer noch versucht ist, Wissenschaft und Sinnfragen bei jeder Gelegenheit zu vermischen, der hat das Leben unzureichend im Blick.
Was aber haben diese Ausführungen mit Religion zu tun? Der kurze Blick in das alte Ägypten ist nötig, um die Entwicklung des biblischen Gottesvolkes zu verstehen. Mythologische Elemente des Nilvolkes sind ein unübersehbarer Bestandteil biblischer Erzählungen. Dies lässt sich – wie gesehen – im ersten Buch der Bibel festmachen und zieht sich wie ein roter Faden bis hin in die ersten Jahrhunderte nach Christus. Sogar das christliche Glaubensbekenntnis kann aus der Brille ägyptischer Mythologie gelesen werden. Ich finde es faszinierend, wie offensichtlich Welt- und Lebensgeschichten zusammenhängen, wie selbstverständlich Menschen zu allen Zeiten von einem alles erschaffenden Urprinzip ausgingen, weit über Ländergrenzen hinweg. Die Welt hat sich im Laufe vieler Jahrtausende verändert, aber das Vertrauen in eine höhere Macht ist geblieben. Diese höhere Macht, die wir Gott nennen, erwidert die Sinn-Sehnsucht des Menschen, darum zeigte sich Gott in Jesus Christus. Ein Schüler der sechsten Klasse sagte neulich in unübertrefflicher Weise: „Nach all den verrückten Jahren musste Gott wieder auf sich aufmerksam machen und schickte deshalb Jesus.“ Ich denke, es gibt vorerst keinen Unterschied zwischen Glauben und Sinn erfahren. Mit Hilfe des Johannesprologes soll dies weiter vertieft werden.
Das Johannesevangelium beginnt – hier nach einer Übersetzung Fridolin Stiers – mit den Worten: „Im Uranfang war Er, das Wort. Und Er, das Wort, war bei Gott. Und Gott war Er, das Wort.“ Im griechischen Original steht für Wort Logos. Logos bezeichnet u. a. die grundlegende Vernunft und den Gesamtsinn der Wirklichkeit. Wenn wir diese Deutungsmöglichkeit eröffnen, ergibt sich folgende, etwas ausschweifende Übersetzung: Im Urananfang war die sinnstiftende Vernunft und die sinnstiftende Vernunft war bei Gott und Gott war die sinnstiftende Vernunft. Dadurch, so will es das Johannesevangelium wissen, ist alles geworden. Ist das nicht ein tröstender, gar heilsamer Zuspruch? Ist dieses Vertrauensangebot nicht grandios? Der Welt- und Lebenssinn besteht dann darin, entgegen jeglicher Verzweiflung und Angst, vertrauend Ja zum Leben zu sagen , weil alles Leben im Gesamtsinn schon immer aufgehoben ist. Genau dies bestätigen uns durch die Jahrtausende hindurch alle Hochkulturen in ihren Mythen. Die Welt besteht nicht nur aus wissenschaftlichen Fakten, sondern auch aus der Sinn-Welt. Das Vertrauen in den alles tragenden Gesamtsinn ist die Kollektivseele der Menschheit. So lange wie es Menschen gibt, wird es dieses Vertrauen geben. Alle Religionen dieser Erde bringen dieses Vertrauen in eine Sprache. Somit ist Religion auch immer schon eine ins Wort gebrachte Deutung der Welt. Dabei bezieht sie sich auf eine höhere Macht und somit auf den Gesamtsinn von allem. Die Stärke jeder Religion ist es, dass der Mensch nicht auf sich selbst zurückgeworfen bleibt, sondern Teil eines großen Ganzen ist.
Aber was ist dann Spiritualität in diesem Kontext? Spiritualität ist nichts anderes als die Beziehung des Menschen zu diesem Gesamtsinn. Das muss etwas verdeutlicht werden. Ich denke, ganz grundlegend stehen dahinter zwei Fragen: Befrieden mich die Gegebenheiten dieser Welt, der Konsum, das Geld, die Arbeit oder der Status? Oder öffne ich mich für all jenes, was mein Herz erwärmt, öffne ich mich für Hoffnung, Liebe, Vertrauen, Zuversicht usw.? Das ist, davon bin ich überzeugt, der entscheidende Punkt. Dabei gilt zu beachten, dass es auch lebenshinderliche Spiritualität gibt. Das heißt, es gibt spirituelle Praktiken, die nichts nützen und sogar schaden können. Alles was Hoffnung zerstört, Liebe einschränkt, Vertrauen unmöglich macht und Zuversicht trübt, das blockiert. Oder mit anderen Worten: Alles Unvernünftige ist mit der sinnstiftenden Vernunft bzw. mit dem Gesamtsinn nicht vereinbar. Denken Sie dabei nur an religiösen Fundamentalismus. Ein anderes Beispiel kommt direkt aus unserer Gesellschaft: Eine massive Konsumorientierung und nicht zuletzt der Materialismus stehen einer geistreichen Spiritualität entgegen. Nur ein entrümpelter Geist ist ein freier Geist! Ein nach Freiheit drängender Geist lässt sich nicht von vergänglichen Dingen einengen.
Ich darf mich abschließend an einer Zusammenfassung versuchen: Wir Menschen deuten stets unsere Wahrnehmungen. Die alten Ägypter gehörten zu einer der ersten Kulturen, die den Deutungen auch einen tiefgreifenden Sinn zugschrieben haben. Diese Motive finden wir in der Bibel wieder. Den Grundsinn von allem was ist nennen die Menschen seit jeher Gott. In diesem alles tragendem Sinn sind wir aufgehoben. Sich in diesem Vertrauen festzumachen nennen wir Glaube, die Beziehung zu Gott nennen wir Spiritualität. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Hören Sie auf Ihren Geist! Halten Sie stets Ausschau nach Sinn! Beachten Sie Ihre Träume! Genau das sind die Wege, die Gott geht, um Sie zu erreichen. Denn er braucht Sie! Die Welt braucht Sie!
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Traditio Apostolica, altkatholisches Eucharistiegebet I und römisches "Zweites Hochgebet" im Vergleich – Anregungen für einen christ-katholischen Messkanon?
Von Dr. Frederik Herzberg
Klaus Mass' Buchbesprechung von Helmut Hopings jüngster Monographie (Ad Fontes 1-2016) endet mit einem Hinweis auf Hopings Vergleich zwischen dem "Zweiten Hochgebet" der Ordentlichen Form des Römischen Ritus ("Novus Ordo") und dessen historischer Vorlage, dem "Messkanon" der Traditio apostolica (früher Hippolyt von Rom zugeschrieben, angesichts der Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte wohl aber eher alexandrinischen Ursprungs). Dies wirft die Frage auf, wie stark sich denn das altkatholische "Eucharistiegebet I", das sich ebenfalls an der Traditio apostolica orientiert, von seiner historischen Vorlage unterscheidet.
Die Differenzen zwischen dem altkatholischen Eucharistiegebet I und dem Kanon der Traditio Apostolica sind vergleichsweise gering:
1) Dem Eucharistiegebet geht (wie in fast allen gebräuchlichen Liturgien seit der so genannten " "Klementinischen Liturgie") die Präfation mit Sanctus voraus, während eine Rubrik in der Traditio apostolica verlangt, dass sich das Eucharistiegebet "unmittelbar" an das Sursum corda (bzw. dessen Abschluss: Dignum et iustum est.) anschließt.
2) Der Einsetzungsbericht ist ausführlicher und schließt, wie schon von Helmut Hoping bemerkt, die Wendung "pro omnibus" ("für alle") ein.
3) Vor der Epiklese ist wie auch im römisch-katholischen "Zweiten Hochgebet" die Versikel "Mysterium Fidei" eingeschoben. Statt dem (aus der Jakobusliturgie übernommenen) Responsum "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und Deine Aufstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit." lautet das altkatholische Responsum: "Christus ist gestorben. Christus ist erstanden. Christus wird wiederkommen." Allerdings trifft auch diese Akklamation der Einwand Albert Gerhards', sie "verdunkle den Zusammenhang zwischen Einsetzungsworten und spezieller Anamnese"
4) Vor der Doxologie ist die - auch aus der Didache und Apg 4,27.30 geläufige - Wendung "durch Deinen Knecht Jesus Christus" ersetzt durch: "durch Deinen Sohn Jesus Christus".
5) Die Doxologien unterscheiden sich, wobei die Doxologie der Traditio apostolica ohnehin in divergenten Textgestalten überliefert wurde.
Anders als im römischen "Zweiten Hochgebet" ist die Epiklese nicht in eine Wandlungsepiklese vor den verba institutionis und eine Kommunionepiklese aufgespalten. Wie auch die ostkirchlichen Liturgien sieht die eucharistische Liturgie der Traditio apostolica (und mit ihr das Euchastiegebet I) eine einzige, wenngleich etwas ausführlichere (Wandlungs- und Kommunion-) Epiklese nach dem Einsetzungsbericht vor.
Die Zweiteilung der Epiklese aus römischen "Zweiten Hochgebet", die sich auch in der Lima-Liturgie findet, ist wohl als Ergebnis scholastischer Diskussionen zwischen lateinischen und byzantinischen Theologen über den Zeitpunkt der Wandlung (transsubstantiatio bzw. metousiosis) zu sehen. Die lateinische Position knüpft bekanntlich an Thomas von Aquin an und behauptet den Zeitpunkt der Wandlung als die Rezitation der Einsetzungsworte. Theologen der byzantinischen Kontroverstheologie des 16. bis 19. Jahrhunderts haben den Moment der Wandlung dagegen in erster Linie der Epiklese zugeschrieben und konnten sich dabei teils auf Johannes von Damaskus berufen.
Schon der "Ausführliche christliche Katechismus" des hl. Metropoliten Philaret (Drozdov) von Moskau (1830) bezeichnet jedoch sowohl die Anamnese des Einsetzungsberichts als auch die Epiklese (sowie die damit verbundene Gabensegnung in der Chrysostomusliturgie) als die wesentlichen Handlungen der Eucharistiefeier . Der zeitgenössische orthodox-altkatholische Konsens lautet, dass das gesamte eucharistische Gebet (also spätestens ab der Präfation bis zur Doxologie, evtl. sogar schon ab evtl. sogar schon ab dem Offertorium bzw. im byzantinischen Ritus der Proskomidie) konsekratorische Wirkung hat .
Das römische "Zweite Hochgebet" schiebt schließlich zwischen Epiklese und Doxologie noch drei Interzessionen ein, die inhaltlich im Wesentlichen aus dem gregorianischen Messkanon bekannt sind: das Gedächtnis der Kirche (das inhaltlich in etwa dem Gebet Te igitur des gregorianischen Canon Missae entspricht), das Gedächtnis der Verstorbenen (Memento etiam, Domine) und schließlich die Bitte um Gemeinschaft mit den Heiligen. Derartige Kommemorationen finden sich in vielen eucharistischen Liturgien im ökumenischen Kontext, etwa in der Chrysostomusliturgie oder Lima-Liturgie, aber auch z.B. in der Klementinischen Liturgie, welche in den - von der Traditio apostolica sichtbar beeinflussten - Apostolischen Konstitutionen (Buch VIII) überliefert ist. Der große orthodoxe Liturgiewissenschaftler Alexander Schmemann sieht in diesen Interzessionen den "kosmischen, ekklesiologischen und eschatologischen Inhalt der Eucharistie" vereint . Denn in das Mysterium des in der Eucharistie hereinbrechenden Gottesreiches nimmt die versammelte Gemeinde ihre Fürbitten für die Kirche, für die Welt und für die Gemeinschaft aller Lebenden und Verstorbenen mit der ecclesia triumphans hinein.
Für ein eventuelles künftiges christ-katholisches Messbuch lassen sich aus dem Vergleich von Traditio apostolica, römischem "Zweiten Hochgebet" und altkatholischem Eucharistiegebet I folgende Schlüsse ziehen:
i) Die Wendung "für alle" aus dem Einsetzungsbericht sollte durch "für viele" ersetzt werden. Sie war eine Neuerung der postkonziliaren Liturgiereform, die sich in keiner historischen Liturgie findet - und isoliert die Christ-Katholische Kirche, nach dem Umdenken Roms in dieser Frage, nicht nur in der historischen, sondern auch in der ökumenischen communio sanctorum.
ii) Die Aufspaltung der Epiklese in eine Kommunion- und eine Wandlungsepiklese (nach dem Vorbild des römischen "Zweiten Hochgebets" oder der Lima-Liturgie) ist für uns theologisch nicht notwendig und würde einen Bruch mit der historischen Vorlage darstellen.
iii) Kurze Interzessionen oder Kommemorationen vor der Schluss-Doxologie sind dagegen aus liturgietheologischen Gründen bedenkenswert. Hier könnten die Interzessionen der Chrysostomusliturgie, welche die Interzessionen der (mit der Traditio apostolica verwandten) Klementinischen Liturgie zusammenfassen, die (evtl. gekürzten) Kommemorationen des gregorianischen Messkanon oder die Kommemorationen der Lima-Liturgie eingefügt werden.
Gedanken bezüglich der Laiendienste in der Kirche
Zur Wiedereinführung des Subdiakonates
Von Klaus Mass
In der liturgietheologischen Diskussion wurde immer wieder von unterschiedlichster Seite festgestellt, dass die notwendige nachkonziliare Reform der Laiendienste in der römisch-katholischen Kirche nicht optimal gelungen sei. Zunächst sei an dieser Stelle allerdings deutlich gemacht, warum eine Reform überhaupt notwendig war. Vor der liturgischen Erneuerung kam es beispielsweise immer wieder dazu, dass Geistliche ein Amt „spielten“, welches sie gar nicht (mehr) innehatten. So treten bis heute in den Gottesdiensten der traditionsverbundenen Gemeinschaften Männer im liturgischen Gewand eines Diakons oder Subdiakons auf und üben entsprechende liturgische Dienste (z.B. beim sogenannten „Drei-Herren-Amt“) aus, obwohl es sich bei diesen Personen um geweihte Priester handelt. Dies führt dann mitunter zu der skurrilen Situation, dass bei Priesterweihen auch scheinbare Diakone und Subdiakone den Neugeweihten die Hände auflegen. So sind es gerade die Traditionalisten, welche zwar einerseits ganz zu Recht eine würdevolle Umsetzung und Gestaltung der Liturgie einfordern und diese dann doch selbst zugleich karikieren. Wer derartige Situationen vor Augen hat, versteht warum das Konzil darauf bestand, dass jeder in der Liturgie sein Amt, aber eben auch nur dieses, auszuüben habe.
Papst Paul VI versuchte derartige Praktiken durch sein Motu proprio Ministeria quaedam von 1972 zu beseitigen. Mit diesem päpstlichen Schreiben wurden die sogenannten niederen Weihen mitsamt dem Subdiakonat abgeschafft und an deren Stelle die Ämter des Lektors und des Akolythen eingeführt. Mit selbem Schreiben wurde verboten, dass Priester künftig Diakonengewänder tragen und als solche fungieren. Der Papst wollte also, dass in der Liturgie die unterschiedlichen Weihegrade und Dienste tatsächlich zum Ausdruck kommen sollten. Soweit, so gut.
Doch mit den neueingeführten Ämtern der Lektoren und Akolythen wurde alles andere als Klarheit geschaffen. Wie die bisherigen „Niederen Weihen“ wurden nun auch diese Ämter durch den Bischof „auf Dauer“ lediglich an Männer verliehen, welche sich auf die Geistlichen Weihen vorbereiteten. Nur bei diesen Personen handelt es sich um „echte“ Lektoren und Akolythen, welche ihr Amt dann bis zur Diakonenweihe (im Priesterseminar) ausüben werden. Diese Personen hätten die Bischofskonferenzen nach römischer Vorschrift auch weiterhin als Subdiakone bezeichnet können, was jedoch nicht geschah und somit das Subdiakonat in der gegenwärtigen Westkirche verschwunden ist. Allein in den Ostkirchen und in einigen altkatholischen Kirchen, wie der Polnisch-Katholischen Nationalkirche (PNCC), wurde das Subdiakonat auch weiterhin bewahrt.
In den römisch-katholischen Diözesen wurden seit 1972 eine Fülle von Männern und Frauen als sogenannte Lektoren und Akolythen (Kommunionhelfer) beauftragt. Doch diese Beauftragungen unterscheiden sich deutlich von den „echten“ Lektoren und Akolythen. Während Ministeria quaedam davon ausgeht, dass lediglich Männer beauftragt werden und dass diese Beauftragungen unbefristet erfolgen, werden die „KommunionhelferInnen“ auf einige Jahre befristet ernannt. Ohne dass dies den Laien bewusst wäre, oder dass dies irgendwo (außerhalb der Liturgiewissenschaft) thematisiert würde ist unter demselben Label eine merkwürdige Zweiklassengesellschaft entstanden. So steht auch das „Kommunionhelfer (innen) Dekret“ Immensae caritatis von 1973 in einem gewissen Widerspruch, oder doch zumindest deutlichem Spannungsverhältnis zu ministeria quaedam von 1972. Warum sollte Frauen auf Dauer verwehrt sein, was ihnen auf Zeit gestattet ist? Eine wirkliche Reform der Laiendienste und deren Verhältnisbestimmung zum Klerikerdienst steht folglich noch aus.
Blicken wir nun auf das verschwundene Amt des Subdiakons zurück. Bereits in der Traditio Apostolica (um 215) werden Subdiakone erwähnt. Hier handelt es sich um Laien, die nicht zu den sakramentalen Stufen zählen, sondern als Gehilfen der Diakone fungieren. Wahrscheinlich war es so, dass dem römischen Bischof sieben Diakone zur Seite standen und dass jeder Diakon wiederum über sieben Gehilfen verfügte. Bruno Kleinheyer vermutet, dass es sich bei diesen sieben Gehilfen um einen Subdiakon und sechs Akolythen gehandelt haben könnte.
Rom war in der damaligen Zeit in sieben Diakonatsbezirke aufgeteilt. An der Spitze standen die Diakone und Subdiakone, ihnen folgten die Akolythen. Die Priester waren unabhängig von dieser Struktur organisiert. Die Diakone und Subdiakone hatten folglich zu jener Zeit echte Aufgaben und Kompetenzen in der Kirchenverwaltung, der Katechese und der Caritas.
Bis zu Papst Alexander II (1061-1073) wurden die Subdiakone den „minores“ zugerechnet und galten als Laien und nicht als Kleriker. In dieser Zeit begann ein Umschwung der Wahrnehmung, doch erst unter Innozenz III (1198-1216) wurden die Subdiakone dann auch offiziell überall als „maiores“, als Kleriker bezeichnet. Damit blieben sie zwar auch weiterhin Diener der Diakone, wurden jedoch, wie auch Diakone und Priester, als Bischöfe wählbar.
In dieser Zeit dürfte dann auch die Ausgestaltung der „Subdiakonenweihe“, der der Diakonen- und Priesterweihe, mit Überreichung der Tunicella, des Lektionars, sowie der heiligen Gefäße angeglichen worden sein. Zugleich wurden die Subdiakone zum Zölibat und zum Stundengebet verpflichtet. Michael Kunzler weist daraufhin, dass die Subdiakonatsweihe jedoch im Gegensatz zur Diakonen- und Priesterweihe niemals als sakramental verstanden wurde, da den Subdiakonen nie die Hände aufgelegt wurden.
Der subdiakonale Dienst bestand nun wohl nur noch im liturgischen Dienst als Lektor und Akolyth. Während des eucharistischen Gebetes standen die Subdiakone einen Schritt hinter dem Diakon und hielten die leere Patene. Der Dienst des Subdiakons war nur noch Durchgangsstufe auf dem Weg zum Priesteramt. Wo es keine Priesteramtskandidaten gab, wurde der Dienst des Subdiakons von einem bereits geweihten Priester übernommen.
Seit 1972 wurden in der römischen Kirche keine Subdiakone mehr bestellt, mit dem neuen Kirchenrecht von 1983 verschwanden sie (fast) vollständig aus der lateinischen Kirche. Denn in den altkatholischen Kirchen der Union von Scranton werden nach wie vor Subdiakone bestellt, allerdings werden diese, wie im ersten Jahrtausend üblich nicht den Klerikern zugerechnet. Erneuerungsbestrebungen bezüglich des Subdiakonates sollten meines Erachtens auch genau in dieser Perspektive ansetzen.
Unbeschadet des oben bereits erwähnten notwendigen Klärungsbedarfs bezüglich der Laiendienste, insbesondere auch der Rolle der Frau im Laiendienst, sollen hier nun einige immer noch aktuelle Vorschläge (die sich nicht unbedingt ergänzen oder widersprechen müssen) zur weiteren Ausgestaltung der Laiendienste erfolgen:
In der Argumentation und Schule des 2002 verstorbenen ehemaligen Eichstätter Liturgikers Th. Maas-Ewerd:
Lektoren lesen nicht nur während des Gottesdienstes aus der Heiligen Schrift, sondern leiten auch den Religionsunterricht und die Sakramentenkatechesen zur Vorbereitung auf Taufe, Erstkommunion, Firmung und Ehebund.
Akolythen sind nicht nur erwachsene Ministranten und außerordentliche Kommunionhelfer, sondern auch in der Lage priesterlose Wortgottesdienste (auch Beerdigungen) zu leiten.
Subdiakone üben nicht nur die Dienste der Lektoren und Akolythen aus, sondern sorgen sich auch, unter Anleitung der Diakone, um die Alten, Schwachen, Kranken und Ausgegrenzten im Umfeld der Gemeinde. Die aus der Gemeindepastoral erwachsenen laikalen Subdiakone könnten später zu Diakonen ordiniert werden.
Der Paderborner Liturgieprofessor Michael Kunzler schlug hingegen 2011 vor, alle bisher lediglich zeitlich beauftragten Männer und Frauen zu echten Akolythen und Lektoren zu machen und die Priesteramtskandidaten, nach Abschluss der akademischen Studien, wieder als Subdiakone zu bezeichnen. Diese Subdiakone sollten jedoch noch keine Kleriker sein (sondern lediglich ernsthaft versprechen Kleriker werden zu wollen), mit dem Subdiakonat in diesem Sinne wären weder Zölibatsversprechen, noch die Pflicht zum Stundengebet verbunden. Es wäre eine reine Durchgangsstufe zum Klerikeramt, welche vollständig konfliktfrei neben den für Männer und Frauen gleichermaßen offenen Laienämtern stünde.
Wenngleich ohne weitere Resonanz, hatte Kardinal Walter Kasper 2013 ein Amt der nichtordinierten Gemeindediakonin ins Gespräch gebracht. Faktisch würde es sich hierbei um die Wiederbelebung des Subdiakonates, allerdings ausdrücklich auch offen für Frauen handeln.
Unabhängig von der Ausgestaltung der Laiendienste schlägt Kunzler als liturgisches Gewand für alle Laiendienste die Albe vor. Die Albe ist im Gegensatz zum Talar kein klerikales Gewand, sondern das Grundgewand der Getauften. Eine Erinnerung an das Taufkleid, ein Ausdruck des allgemeinen Priestertums. Die traditionelle Tunicella (schlichte Dalmatik) lehnt der Liturgiker – weil dem Klerikeramt zugehörig - ausdrücklich als unpassend ab. So könnten Lektoren(innen) und Akolythen(innen) die Albe ohne Manipel tragen, Subdiakone die Albe mit Manipel und Diakone und Priester die Albe ohne Manipel, aber mit Stola.
Abschließend: Das Amt des Subdiakons gehört fast von Anfang an zur kirchlichen Tradition. Im ersten Jahrtausend war es noch ein in die kirchliche Pastoral eingebundener und eindeutig laikaler Dienst. Im zweiten Jahrtausend wurde daraus ein klerikaler Dienst, welcher zunehmend allein von liturgischer Bedeutung war. Schließlich wurden Subdiakone häufig nur noch von Priestern gespielt (in der griechischen Kirche heute übrigens nicht selten von Ministranten). Aufgrund seines Alters und seines kontinuierlichen Bestehens, vor allem in der russischen Kirche (und einigen altkatholischen Kirchen) scheint eine Erneuerung des Amtes (im Kontext der weiteren klerikalen und laikalen Dienste) denkbar und wünschenswert.
Literatur: Michael Kunzler, Liturgisches Jahrbuch 61 (2011) 250-272
Zur liturgischen Diskussion:
Die große Wasserweihe an Epiphanie
Segnung des Dreikönigswassers
Die Segnung des Dreikönigswassers kann als Vigilfeier oder während der ersten Vesper, der Laudes oder im Anschluss an die Eucharistiefeier von Epiphanie stattfinden. Auch ist es möglich, wie in der Ostkirche seit dem 4. Jahrhundert üblich, ein offenes Gewässer zu segnen, wodurch nicht nur die ökumenische Verbundenheit mit den Kirchen des Ostens deutlich wird, sondern auch jeder Irrtum im Sinne eines magischen Verständnisses ausgeschlossen wird. Die exorzistische Beschwörung des Wassers und seine Verwendung zur Abwehr des Bösen findet sich ebenfalls in der griechischen und slawischen Taufliturgie sowie in Weiheformularen syrischen Ursprungs (Apostolische Konstitutionen). Im Westen lässt sie sich mindestens bis auf die merowingisch-fränkische Liturgie zurückführen und wurde durch die karolingische Reform - für mehr als tausend Jahre - Teil der Liturgie der gesamten Westkirche. Die Segnung der Elemente von Wasser und Erde (Salz und Kreide), sowie der Pflanzen (Weihrauch und Myrre) stellt die Feier der Epiphanie deutlich in den Kontext der Schöpfung. Das Erlösungswerk Christi geschieht nicht durch einzelne Taten wie die Taufe oder den Tod des Herrn, sondern durch seine gesamte Inkarnation, durch die Epiphanie Gottes auf Erden. Gott ist nicht identisch mit seiner Schöpfung, und doch vermag sein Geist alle Elemente zu durchdringen und in seinen Dienst zu stellen, auf dass sie im Glauben der Kirche zu Zeichen (Sakramentalien) seiner liebenden Zuwendung zur Welt zu werden.
Das ganze Jahr über kann Weihwasser mit folgenden Segensgebeten – in sinnvoller Auswahl – geweiht werden. Alternativ stehen die Weihegebete für das Wasser in der Osternacht oder der Taufwasserweihe zur Verfügung.
(Die nachfolgenden Texte orientieren sich, unter Beachtung des „Rituale Passaviense“ von 1774, am römischen Ritus vor 1970, das Wasserweihegebet entstammt der Apostolischen Konstitution (um 400), anstelle der Allerheiligenlitanei erklingt eine Anrufung zur Wasserweihe nach Patriarch Sophronius von Jerusalem (634-638).)
V Unsere Hilfe ist im Namen des Herrn. A Der Himmel und Erde erschaffen hat.
Anrufung:
V Wir preisen Dich Einziger, menschenfreundlicher Herr, Allherrscher, König von Ewigkeit!
Wir preisen Dich, Vater, den Schöpfer und Gestalter des Alls!
Wir preisen Dich, Gottes eingeborener Sohn, den Vaterlosen aus der Mutter, den Mutterlosen aus dem Vater.
An Weihnachten schauten wir Dich als Kind; heute sehen wir Dich, gemeinsam mit dem Chor der Heiligen und der Schar der Engel als Vollendeten, als unseren Gott.
Wir preisen Dich, Heiliger Geist, da Deine Gnade heute in Gestalt einer Taube über die Wasser kommt.
Heute erstrahlt die nie sinkende Sonne und erleuchtet die Welt im Licht des Herrn.
Heute erstrahlen der Mond und die lichten Gestirne die Welt.
Heute rieseln die Wolken der Gerechtigkeit, wie Tau vom Himmel.
Heute wandeln sich die tosenden Wellen zu Quellen des Heils durch das Erscheinen des Herrn.
Heute öffnen sich die Ströme des Paradieses den Menschen.
Heute werden die Sünden der Menschen in den Gewässern des Jordan getilgt.
Heute öffnen sich die Tore der rettenden Arche.
Heute teilt sich das Meer um dem Volk einen Weg in die Freiheit zu weisen.
Heute wandelt sich wie bei Moses das bittere Wasser in süßes Trinkwasser.
Heute öffnet sich der Quell des Lebens, welcher der Frau am Jakobsbrunnen verheißen wurde.
Heute ist die Trauer verklungen und wir jubeln als neues Israel.
Heute werden wir der Finsternis entrissen und vom Licht der Gotteserkenntnis erleuchtet.
Heute erstrahlt die ganze Schöpfung in himmlischem Licht.
Heute ist jede Verwirrung zerstört und der Weg des Heiles errichtet.
Heute jauchzt die heilige Versammlung und drängt zum Wasser der Taufe.
Heute erhalten wir Anteil am Erbe, das Reich des Vaters.
Zurück wich der Jordan, als er der Gottheit Feuer sah, welches körperlich niederkam und in ihn hineinstieg.
Zurück wich der Jordan, als er den Heiligen Geist in Gestalt einer Taube sah.
Zurück wich der Jordan, als er den Unschaubaren als Schaubaren schaute, den fleischgewordenen Schöpfer und Gebieter in der Gestalt eines Knechtes.
Zurück wich der Jordan, und es hüpften die Berge, als sie Gott im Fleische erschauten:
Erschienen ist das Licht vom Lichte, der wahre Gott vom wahren Gott.
Heute feiern wir das Fest, wie er alle Schuld und Sünde und den Stachel des Todes im Jordan versenkte und der Welt das Leben schenkte.
Aus dem Heiligen Evangelium nach Markus
4 So trat Johannes der Täufer auf in der Wüste und verkündigte eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden.
5 Und das ganze judäische Land und alle Bewohner Jerusalems zogen hinaus zu ihm. Und sie liessen sich von ihm taufen im Jordan und bekannten ihre Sünden.
6 Und Johannes trug ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um seine Hüften, und er ass Heuschrecken und wilden Honig.
7 Und er verkündete: Nach mir kommt, der stärker ist als ich; mir steht es nicht zu, mich zu bücken und ihm die Schuhriemen zu lösen.
8 Ich habe euch mit Wasser getauft, er aber wird euch mit heiligem Geist taufen.
9 Und es geschah in jenen Tagen, dass Jesus aus Nazaret in Galiläa kam und sich von Johannes im Jordan taufen liess.
10 Und sogleich, als er aus dem Wasser stieg, sah er den Himmel sich teilen und den Geist wie eine Taube auf sich herabsteigen.
11 Und eine Stimme kam aus dem Himmel: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.
Segnung des Salzes
V Ich rede dich an mit heiligen Worten, Geschöpf Salz, durch den lebendigen Gott, deinen Schöpfer und Urheber aller Geschöpfe, der dich gnädig seinen übrigen Geschöpfen beigesellte, dem er die Kraft der Sonne und des Feuers beigab, damit du durch den Geist himmlischer Flamme gerüstet, den schlimmsten Feind verfolgst.
Daher verfolge auch jetzt, Geschöpf, versehen mit der Kraft unseres Herrn Jesus Christus, die bösen Mächte, verjage alles Widerwärtige, wo auch immer die Flamme der Gottesliebe verdunkelt werde. A Amen.
V Lasset uns beten. Allmächtiger, ewiger Gott du hast den Menschen das Salz gegeben, dass es ihre Speisen würze und vor Fäulnis bewahre. Darin schenkst du uns ein Zeichen deiner Weisheit und Gnade, die du uns im Heiligen Geist verliehen hast. Denn dein Prophet Elisa warf Salz in schlechtes Wasser, da machtest du es gesund zum Segen aller, die es brauchten. Und dein Sohn, unser Herr, sprach zu seinen Jüngern: Habt Salz in euch und haltet untereinander Frieden. So bitten wir dich in Demut: segne und heilige in Deiner Vaterhuld dieses Salz und nimm es in den Dienst deiner heiligen Gnade. Erfülle alle, die es mit gläubigen Sinn benutzen, mit deiner Weisheit und erhalte sie in deinem Frieden. Durch unsern Herrn Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir lebt und herrscht in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. A Amen.
Jetzt wird ein Kreuz (feierlich durch Leuchter begleitet) zum Wasser getragen.
Lesung aus dem Buch Exodus:
22 Und Mose liess Israel vom Schilfmeer aufbrechen, und sie zogen hinaus in die Wüste Schur. Und drei Tage gingen sie durch die Wüste und fanden kein Wasser.
23 Da kamen sie nach Mara, aber sie konnten das Wasser von Mara nicht trinken, denn es war bitter. Darum nennt man den Ort Mara.
24 Und das Volk murrte gegen Mose und sprach: Was sollen wir trinken?
25 Da schrie er zum HERRN, und der HERR zeigte ihm ein Holz. Und das warf er ins Wasser, und das Wasser wurde süss.
Segnung des Wassers
V Ich rede dich an mit heiligen Worten, Geschöpf Wasser, durch den lebendigen Gott, der dich am Anfang durch das Wort vom Trockenen schied, dessen Geist über dir schwebte und der dir vom Paradies aus zu fließen befahl, in vier Strömen die ganze Erde zu bewässern.
Er brachte dich aus dem Felsen hervor, um das vor Durst ermattete Volk, das er aus Ägypten befreit hatte, zu stärken.
Durch das Holz machte er dich, das Bitterwasser, süß.
Ich rede dich an mit diesen heiligen Worten, durch Jesus Christus seinen Sohn, der dich zu Kana in Galiläa in einem ersten, wunderbaren Zeichen durch seine Macht in Wein verwandelte.
Er wandelte mit den Füßen über dir und wurde von Johannes im Jordan getauft.
Er brachte dich zusammen mit Blut aus seiner Seite hervor, und er gebot seinen Jüngern und sprach: Geht, lehret alle Völker und tauft sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Dir also gebiete ich, jeder unreine Geist, jedes Gespenst, jeder Trug werde ausgerottet und vertrieben aus dir Geschöpf Wasser, damit du zur Quelle ewigen Lebens werdest.
A Amen.
Der Zelebrant taucht das Kreuz dreimal ins Wasser und teilt dieses mit dem Kreuz in alle vier Himmelsrichtungen und spricht:
V Lasset uns beten. Herr Sabaoth, Gott der Mächte, Schöpfer der Gewässer, Barmherziger und Menschenfreundlicher, Du hast das Wasser zum Trinken und zur Reinigung gegeben. Heilige auch jetzt dieses Wasser und verleihe wirksame Kraft der Gesundheit, verleihe Kraft zur Vertreibung der Krankheiten, verleihe Kraft zum vollen Siege über die bösen Geister und zum niederschlagen jedes Hindernisses durch Christus, unserer Hoffnung, mit welchem Dir und dem Heiligen Geist Ehre, Ruhm und Anbetung sei in Ewigkeit. A Amen
Nun streut der Priester dreimal in Kreuzesform Salz in das Wasser und spricht dabei einmal:
Die Mischung von Salz und Wasser geschehe im Namen des Vaters + und des Sohnes + und des Heiligen Geistes +. Amen.
V Der Herr sei mit euch. A Und mit deinem Geiste.
V Lasset uns beten. O Gott, Du Urheber unbesiegter Kraft, Du unüberwindlicher König des Reiches und allzeit erhabener Herrscher, Du brichst die Kraft der gegnerischen Gewalt, Du überwindest den grausam wütenden Feind und vertreibst mit mächtiger Hand seine Bosheit: Dich, Herr, bitten wir und flehen wir in tiefer Ehrfurcht an: schau dieses Salz und Wasser, das Du geschaffen, gnädig an, überstrahle es in Güte und heilige es mit dem Tau Deiner Gnade. Wo immer es hingesprengt wird, möge durch die Anrufung Deines heiligen Namens abgewehrt werden jeder Anschlag des unreinen Geistes und weit vertrieben werden die Schrecknis der giftigen Schlange; der Heilige Geist aber sei uns allerorten nahe, die wir um Dein Erbarmen flehen. Durch unsern Herrn Jesus Christus, Deinen Sohn, der mit Dir lebt und herrscht in der Einheit des Heiligen Geistes, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. A Amen.
V Am letzten, dem grossen Tag des Festes aber stand Jesus da und rief: Wenn jemand Durst hat, komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, aus dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fliessen.
Nach der Segnung besprengt der Priester das Volk mit dem geweihten Wasser.
Segnung von Kreide, Gold, Weihrauch und Myrrhe
V Segne, Herr und Gott, dieses Geschöpf der Kreide. Lass sie dem Menschengeschlecht zum Heil gereichen und gewähre durch die Anrufung Deines heiligsten Namens, dass alle, die davon nehmen oder damit das Segenswort (Christus Mansionem Benedicat) auf die Türen ihres Hauses schreiben, durch deren Fürbitte und Verdienste Gesundheit des Leibes und das Heil ihrer Seele empfangen. Durch Christus, unseren Herrn. A Amen.
V Segne, Herr und Gott, die Geschöpfe Gold, Weihrauch und Myrrhe, damit jene, die sie bei sich haben, vor jeder Gefahr durch Krankheit oder Verletzung sicher seien, und alle Krankheiten des Leibes und der Seele weichen. Keine Gefahr soll über sie Gewalt haben. Freudig und wohlbehalten mögen sie Dir in Deiner Kirche dienen, der Du in vollkommener Dreifaltigkeit lebst und herrschest, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.
A Amen.
V Der Segen des allmächtigen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes steige herab auf diese Geschöpfe des Goldes, des Weihrauchs und der Myrrhe, und bleibe allezeit.
A Amen.
Der Priester besprengt die geweihten Gegenstände mit Weihwasser, diese werden an die Gemeinde ausgeteilt und deren Häuser durch die Bewohner selbst, oder durch Sternsinger gesegnet.
Schriftbetrachtung zu Richter 11,29-40
Jiftachs Gelübde und sein Sieg über die Ammoniter
Von P. Gerhard Seidler
29Und der Geist des HERRN war auf Jiftach, und er zog durch das Gilead und durch Manasse, und er zog durch Mizpe im Gilead, und von Mizpe im Gilead zog er hinüber zu den Ammonitern. 30Und Jiftach legte dem HERRN ein Gelübde ab und sprach: Wenn du die Ammoniter wirklich in meine Hand gibst, 31so soll, wer herauskommt, wer aus der Tür meines Hauses heraus mir entgegenkommt, wenn ich wohlbehalten zurückkehre von den Ammonitern, dem HERRN gehören: Ich will ihn als Brandopfer darbringen.
32Dann zog Jiftach gegen die Ammoniter, um gegen sie zu kämpfen, und der HERR gab sie in seine Hand. 33Und er brachte ihnen eine sehr schwere Niederlage bei …
34Und Jiftach kam nach Mizpa zu seinem Haus, und sieh, da kam seine Tochter heraus, ihm entgegen, mit Trommeln und im Reigentanz. Und sie war sein einziges Kind; außer ihm hatte er weder Sohn noch Tochter. 35Und als er sie sah, zerriss er seine Kleider und sprach: Ach, meine Tochter! Du hast mich tief gebeugt! Du gehörst zu denen, die mich ins Unglück stürzen! Ich habe dem HERRN gegenüber meinen Mund aufgerissen und kann nicht zurück. 36Sie aber sprach zu ihm: Mein Vater, du hast dem HERRN gegenüber deinen Mund aufgerissen, mach mit mir, wie dein Mund es gesagt hat, nachdem der HERR dir Rache verschafft hat an deinen Feinden, den Ammonitern. 37Und sie sagte zu ihrem Vater: Dies sei mir vergönnt: Lass mir zwei Monate, und ich will weggehen und hinab in die Berge gehen und über meine Jungfräulichkeit weinen, ich mit meinen Freundinnen. 38Und er sprach: Geh! Und er entließ sie für zwei Monate. Und sie ging mit ihren Freundinnen und weinte auf den Bergen über ihre Jungfräulichkeit. 39Und nach zwei Monaten kam sie zurück zu ihrem Vater, und er erfüllte an ihr sein Gelübde. Sie hatte aber mit keinem Mann verkehrt. Und das wurde Brauch in Israel: 40Jahr für Jahr gehen die Israelitinnen, um die Tochter Jiftachs, des Gileaditers, zu besingen, vier Tage im Jahr.
Übertragung der Zürcher Bibel
Ihr Lieben,
es ist der pure Wahnsinn über was uns der biblische Erzähler da berichtet und er hat noch nicht einmal einen Namen für die junge Frau. Sie ist und sie bleibt Jiftas Tochter. Wusste der biblische Erzähler ihren Namen nicht? Oder wollte er ihn bewusst nicht nennen? Zeitsprung.
1751 komponiert Georg Friedrich Händel sein vorletztes Oratorium „Jephtah“. Es wird ein Jahr später, am 26. Februar im Royal Theater zu London uraufgeführt. Dort erst gibt sein Textdichter, der Reverend Thomas Morell, dem Mädchen einen Namen: Iphis nennt er sie. Wir gehen nicht fehl, wenn wir dabei an die antike Erzählung von der Iphigenie denken. Diese wurde geopfert, damit die Winde günstig sind und die Griechen nach Troja segeln konnten. In der Tat ist es das Opfer, das beide Erzählungen miteinander verbindet.
Das Buch der Richter ist eine Art Bilderbuch zur Frühzeit Israels. Nicht historische Details werden berichtet, vielmehr stellt es uns eine andere Art von Wirklichkeit vor Augen: die Geschichte des arg gebeutelten Volks Israel, das in der Region Palästina Lebensraum gewinnen konnte.
Jifta gehört zu den Richtern Israels. Diese Richter in vorstaatlicher Zeit waren vor allem Heerführer und Kriegsherren, die immer dann die Soldaten aus allen Stämmen sammelten, wenn es darum ging, Israel gegen Angreifer von außen zu verteidigen. Die Krieger muss er von Fall zu Fall zusammensuchen. Das ist kein leichtes Unterfangen. Auch wenn jeder israelitische Mann gezwungen werden kann, zur Verteidigung Israels zu den Waffen zu greifen, es gibt keinen gleichen Ausbildungsstand. Ein solches Heer ist kaum mehr wie eine Herde aufgescheuchter Rinder. Der Ausgang eines Kriegszugs mit so einem zusammengewürfelten Haufen ist deutlich ungewisser als militärische Unternehmungen es ohnehin schon sind. Es kommt auf den jeweiligen Oberbefehlshaber, eben den Richter an. Er muss ein charismatischer Mensch sein, einer, der andere führen und begeistern kann. Er weiß auch, dass die Siege, die er und seine Leute errungen haben, nicht allein auf sein Konto gehen. „Der Herr wird für euch streiten, und ihr werdet stille sein!“ – das ist seit den Tagen des Mose der wichtigste Kriegsgrundsatz Israels. Darin hören wir schon den Versuch, die Macht und den Schrecken des Krieges zu begrenzen: Wenn Gott streitet, dann kann der Krieg kein „totaler“ Krieg werden, schon gar kein „Vernichtungskrieg“ und erst recht kein „Kreuzzug“ gegen Moslems oder Ketzer, gegen Terroristen oder gegen wen auch immer. Krieg bleibt immer militärisch riskant und moralisch anfechtbar, er bleibt die äußerste Entscheidung, nachdem alle anderen, wirklich alle Möglichkeiten, der Politik und der Diplomatie ausgeschöpft sind, die den Krieg noch hätten verhindern können.
Ganz möchte sich Jifta aber doch nicht auf den ersten und letzten Kriegsgrundsatz Israels verlassen: „Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein!“ Er will Einfluss nehmen, nicht nur auf seine Soldaten, er möchte auch Einfluss nehmen auf die göttlichen Entscheidungen, sein Kriegsglück betreffend.
In der Antike weiß man für gewöhnlich, was man in solchen Fällen zu tun hat: ein möglichst aufwendiges Opfer wird dargebracht. In der Regel wird ein Ochse geschlachtet. Das Fleisch wird von den Anwesenden bei einem Festmahl verzehrt, das Fett wird dem Gott als Opfer dargebracht, wobei gerade das Fett der wichtigste Teil eines Tieres war, und das sollte Gott dargebracht werden. Diese Delikatesse sollte Gott vorbehalten werden.
Jifta weiß von der Wirkung so eines Opfers. Aber er zahlt nicht im Voraus! Erst wenn er die Ammoniter besiegt hat, dann will er das erste, das ihm entgegenläuft, wenn er nach Hause kommt, auf den Altar legen und feierlich verbrennen. Es soll ein Ganzopfer werden. Bei dem alles für Gott bestimmt ist. Großzügig ist unser Richter. Aber er will erst den Erfolg sehen.
Jifta hat Erfolg, Die Ammoniter, ein kanaanäisches Volk, das östlich des Jordans siedelt und immer wieder in das Gebiet der Israeliten einfällt, werden besiegt. Das war es, was der Richter und seine Leute gewollt hatten. Jetzt konnte er unbeschwert daran gehen, den großen Dankgottesdienst vorzubereiten und das erste Lebewesen zu schlachten, das ihm bei der Rückkehr nach Hause entgegenlaufen würde.
Nicht im Traum hatte Jifta daran gedacht, dass dies ein Mensch sein könnte, ein Mädchen, seine eigene Tochter gar. Jifta ist in die Falle geraten, die er sich selber gestellt hatte. Niemand hatte ihn gezwungen, ein solches ungewisses Gelübde abzulegen. Auch und schon gar nicht Gott hatte das von ihm verlangt. Er hätte auch seinen besten Ochsen versprechen können. Aber vielleicht wollte er sich doch ein Hintertürchen offen lassen und er hatte fest damit gerechnet, dass ihm wahrscheinlich als erstes ein Huhn entgegenlaufen würde, oder bestenfalls eine Ziege, vielleicht auch ein Schaf. Aber jetzt ist es die Tochter! Gesagt ist gesagt, versprochen ist versprochen, ein Gelübde ist ein Gelübde: gegeben, um es zu halten. Und einer, der Gelübde bricht, der kann sich weder vor Gott noch vor den Menschen sehen lassen. Einer, der Gelübde bricht, der ist nichts mehr wert.
Es gibt mehrere Geschichten in der Antike, in der Menschen in die Falle tappen, die sie selbst gestellt haben und wir nennen es „Tragik“, wenn ein Mensch Gutes will und Schlechtes dabei herauskommt, und er es nicht mehr ändern kann. Wir modernen Menschen haben uns diese Sichtweise längst abgewöhnt. Für uns gäbe es im Falle Jiftas die Tragödie überhaupt nicht: Natürlich bleibt die Tochter am Leben. Das Leben eines Menschen ist das höhere Rechtsgut. Ihm gebührt unbedingter Schutz. Das bedeutet aber auch, dass feierliche Versprechungen, Gelübde oder gar Eide bei uns deutlich an Gewicht verloren haben. Es ist ja auch kein Wunder: wo die Wörter überhand nehmen, wo man uns überall und mit allem möglichen zu-textet, von morgens bis abends auf allen Kanälen. Da kann das einzelne Wort nicht mehr das Gewicht haben, das ihm eigentlich zukommt. Ein Eheversprechen hatte einmal Gewicht. Es hatte lebenslange Folgen. Manchmal mit schlimmen oder sogar unerträglichen Konsequenzen. Vielleicht hatte es zu viel Gewicht, um das Zusammenleben der Menschen zu fördern.
Doch zurück zur Erzählung: Jifta muss sich entscheiden. Entscheidet er sich für das Leben seiner Tochter, dann ist er vor Gott und den Menschen ehrlos. Entscheidet er sich für sein Gelübde, stirbt seine Tochter einen qualvollen Feuertod. Und Gott? - Er schweigt. Wenn man so will, war es Jifta, er allein, der IHN in Anspruch genommen und zu-getextet hatte. Hat Gott ihn zu dem Gelübde gezwungen oder nur genötigt? Hat Gott den Sieg der Israeliten an ein entsprechendes Opfer gebunden? – keine Rede davon. Auch keine Rede davon, dass Gott mit aller Macht auf der Erfüllung des Gelübdes bestehen würde. Unser Richter hat das ganz allein getan. Von sich aus hat er geredet. Von sich aus hat er Gott mit einem Gelübde behelligt, das weder gefördert noch nötig war.
Nach biblischen Maßstäben fällt Jiftas Gelübde unter das 3. Gebot: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht missbrauchen! Martin Buber übersetzt: „Trage nicht SEINEN, deines Gottes Namen auf das Wahnhafte.“ – das bedeutet: den Namen Gottes entleeren, ihn zu missbrauchen, damit ich seinen Namen nicht vor meinen Karren spanne. Damit ich meine Interessen nicht für die seinen erkläre, als könnte ich ihn durch meine Worte binden, dass er mir etwas Bestimmtes, etwas Gutes tue. Ein Eid im Namen Gottes hat Gewicht. „Rabbi Hiskijah lehrte: Wer schwört, dass zwei zwei sind, erhält die Prügelstrafe wegen eines unnötigen Schwurs.“ (J.Petuchowski: die Stimme vom Sinai) und ein anderer Rabbi sagt: „Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes nicht missbrauchen. Ehe du noch das Schwören auf dich genommen hast, bin ich dein Gott. Aber nachdem du das Schwören auf dich genommen hast, bin ich dein Richter. (ebd.) Achte darauf: deine Worte wiegen schwer!“
Die Tochter, nennen wir sie mit Thomas Morell Iphis, nimmt ihr Schicksal gelassen. Aber sie sagt auch, was wirklich geschehen ist: Mein Vater, du hast dem HERRN gegenüber dein Maul zu weit aufgerissen, mach mit mir, wie du gesagt hast … Lediglich zwei Monate Trauerzeit erbittet sie sich für sich selbst und für ihre Freundinnen, damit sie ihre Jungfernschaft betrauern kann: Sie wird sterben, ohne selbst Kinder zu haben und ohne Jifta Nachkommen zu schenken. Es war der Wahn ihres Vaters, der meinte, mit Gott spielen zu können, oder noch besser: ihn durch sein wahnsinniges Gelübde an die Kette legen zu können.
Gott gegenüber das Maul aufreißen, sich großtun mit dem eigenen Gerede, vor Gott und den Menschen den großen Mann markieren, der alles in der Hand hat und der sich letztlich auch alles leisten kann? Israels Gott lässt sich nicht vor diesen Karren spannen.
So sagt uns diese Geschichte: Wer viel redet, muss nicht Recht haben. Wer viel redet, der kann sich um Kopf und Kragen reden. Wer leichtfertig mit dem Schwur bei der Hand ist, gegen den kann sich der Schwur auch kehren. Er kann zum Opfer der Falle werden, die er sich selbst gestellt hat. Er fällt in die Grube, die er selbst gegraben hat.
Und Jesus ist kritisch gegenüber dem Schwören, gegen den leichtfertigen Umgang mit den Worten. Klar „Ja“ und klar „Nein“ zu sagen, das erwartet er von den Menschen, die ihm nachfolgen wollen. Daran haben wir, so denke ich, noch lange zu lernen und zu arbeiten.
Aus der Ökumene
Utrechter Union
Internationale Altkatholische Bischofskonferenz spricht sich für eine Reflexionsphase über die „Kompatibilität“ der bisherigen zwischenkirchlichen Beziehungen und der bilateralen Dialoge der Kirche aus.
Auf ihrer Jahreskonferenz im Juni 2015 in Prag / Tschechien beschloss die Internationale Altkatholische Bischofskonferenz (IBK) Kirchengemeinschaft mit der Kirche von Schweden. Gleichzeitig befasste sie sich mit ihren zwischenkirchlichen Beziehungen und bilateralen Dialogen in einer Gesamtschau. Es stellte sich die Frage, wie die Prioritäten zu setzen sind unter welchen theologischen, kirchenpolitischen und finanziellen Aspekten diese anzugehen seien. Für die IBK sind folgende Grundsatzüberlegungen wichtig:
Nach wie vor stehen ekklesiologisch im Hinblick auf das Einheits- und Strukturmodell der sogenannten Alten Kirche die orthodoxen Kirchen (1987) und die anglikanischen Kirchen (1931) der Utrechter Union am nächsten. Bereits 1931 kam es zu einer Kirchengemeinschaft mit den Anglikanern weltweit, ohne dass bisher die anfangs ausgeklammerte Frage der sogenannten „overlapping jurisdictions“ gelöst werden konnte. Der 1987 mit den orthodoxen Kirchen abgeschlossene Dialog auf Weltebene mit dem Ziel der Kirchengemeinschaft konnte bis heute nicht realisiert werden, da die orthodoxen Kirchen Bedenken erhoben sowohl gegen die bestehende Kirchengemeinschaft mit den Anglikanern als auch gegen die Frauenordination bei Altkatholiken und Anglikanern. Gleichzeitig scheint auf orthodoxer Seite in der derzeitigen Phase des orthodox-anglikanischen Dialogs auf Weltebene diese Frage nicht mehr als Glaubensfrage eingestuft zu werden. Daher bietet sich eine Klärung zu Dritt an. Hinzu kommen im Kontext der Globalisierung andere autonome katholische Kirchen. Nachdem bereits 1965 eine Kirchengemeinschaft mit der Philippinisch Unabhängigen Kirche und 2015 mit der Kirche von Schweden erzielt wurde, steht nun die Mar Thoma Kirche in Indien (Malankara Mar Thoma Syrian Church) im Fokus. Die IBK wird voraussichtlich auf ihrer regulären Tagung 2016 eine Kirchengemeinschaft mit der Mar Thoma Kirche beschließen, insofern bis dahin die jeweils innerkirchlichen Rezeptionsprozesse abgeschlossen sind. Auf einer anderen Ebene liegen der Dialog mit der Römisch-Katholischen Kirche auf Weltebene und der lokale Dialog der Altkatholischen Kirche Deutschlands mit der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).
In den nächsten Jahren sollen keine weiteren Dialoge begonnen werden, sondern statt dessen die vorhandenen zwischenkirchlichen Beziehungen und ökumenische Dialoge unter folgenden drei Gesichtspunkten geklärt und vertieft werden:
1. Inwieweit stimmen die bisher erreichten Ergebnisse inhaltlich wirklich überein? Welche Modifikationen in den verschiedenen Beziehungen und Texten bedürfen einer gemeinsamen Klärung aller Beteiligten? Z.B. sind die ersten 3 Ökumenischen Konzilien für eine „gemeinsame Kirche“ konstitutiv? Oder die ersten 4 oder die ersten 7?
2. Eigentlich müssten zwei Kirchen, die miteinander Kirchengemeinschaft geschlossen haben und durch Migration auf dem gleichen Territorium vorkommen, daraus „strukturelle Konsequenzen“ ziehen. Inwieweit ist dieser Wille und dieses Ziel wirklich vorhanden und unter kulturellen Aspekten sinnvoll bzw. im Hinblick auf die bisher erzielten Konsenstexte überhaupt möglich?
3. Inwieweit stellen neue ethische Fragen die bisher erzielten Übereinstimmungen in Frage, wie z.B. der Umgang mit Gleichgeschlechtlichkeit und die Bedeutung von Ehe und Familie heute?
Mariaviten
Frischer Wind durch neuen Leitenden Bischof?
Wie Ad Fontes International (4-2015) berichtete, haben die Mariaviten mit Marek M. Karol Babi im vergangenen Jahr einen neuen leitenden Bischof gewählt. Eine der größten Herausforderungen für das neue Kirchenoberhaupt dürfte in der innerkirchlichen Konfliktlösung zwischen Laien und Klerus liegen. Daher verwundert es auch nicht, dass die Mariaviten vom 22.-24. April zu einem Laienforum nach Plock einladen. Gerahmt durch die tägliche Eucharistiefeier und die eucharistische Anbetung werden zahlreiche Vorträge und Workshops zu folgenden Themen angeboten: Die Rolle der Laien in der Geschichte der Kirche, Laien in Kirchenverwaltung und Gottesdienst, die Mariaviten im 21. Jahrhundert und die Bedeutung des Tempels der Barmherzigkeit als Quelle des Mariavitentums.
Buchbesprechungen
Von Axel Stark, Akademischer Oberrat i.R. Universität Passau
Bernd Jochen Hilberath / Hans Küng / Johanna Rahner (Hg.), Damit sie alle eins seien.
Programmatik und Zukunft der Ökumene, Ostfildern 2015, Grünewald-Verlag, 171 S., 17.99€.
Mitten im Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils gründete 1964 Hans Küng in Tübingen das erste Institut für Ökumenische Forschung im deutschsprachigen Raum. Es hat die Impulse des Konzils für die Versöhnung der Kirchen mutig aufgegriffen und in zahlreichen Publikationen und öffentlichen Stellungnahmen unerschrocken weitergedacht. Fünfzig Jahre später ist es angebracht, nach der heutigen ökumenischen Situation zu fragen: Sind theologische Spitzfindigkeiten ökumenischer Dialogpapiere noch bedeutsam für heutiges Denken und Glauben? Letztlich: Hat die Ökumene überhaupt noch Zukunft?
Dieses Buch zeigt Perspektiven auf, wie gegenwärtige Blockaden überwunden und die Einheit der Kirchen trotz aller Konflikte verwirklicht werden könnte. Zu den Autoren gehören die Direktoren dieses Instituts Hans Küng (1964-1996), Bernd Jochen Hilberath (1996-2014) und Johanna Rahner (seit 2014) sowie die Mitarbeiter Urs Baumann, Hermann Häring, Karl-Josef Kuschel, Vladimir Latinovic und Annemarie C. Mayer. Für ökumenisch Interessierte und Engagierte eine wichtige Lektüre.
Klaus Krämer / Klaus Vellguth (Hg.), Theologie und Diakonie.
Glauben in der Tat, Freiburg 2013, Herder-Verlag, 315 S., 25 €, Reihe: Theologie der einen Welt Bd.3.
Missio Aachen lädt mit der Reihe „Theologie der einen Welt“ Theologen aus unterschiedlichen Ländern ein, sich aus der spezifischen Perspektive des eigenen, regional geprägten Kontextes heraus mit einem theologischen Thema zu befassen. Es soll also ein theologisch-weltkirchlicher Dialog entstehen. Der Anspruch, Weltkirche zu sein, ist alt, er muss aber immer neu umgesetzt werden. In fünf Abschnitten wird in Bd. 3 der Reihe das Thema „Theologie und Diakonie“ behandelt. Das ist gut so, denn dieses Thema wurde bisher „sträflich vernachlässigt“ (so Kardinal Kasper 2012). Im ersten Abschnitt wird Diakonie als Nachfolge Jesu identifiziert. Darin zeigt u.a. der Argentinier Carlos Fernández, wie eine prophetische Diakonie angesichts von neoliberalen Wirtschaftsstrukturen und ökologischen Bedrohungen gestaltet werden kann. Im zweiten Abschnitt wird das Verhältnis von Diakonie und dem Sendungsauftrag der Kirche näher beleuchtet. Drittens geht es um Diakonie in der Reflexion der Ortskirche, z.B. formuliert Kardinal Woelki Konsequenzen sowohl für die verbandliche Caritas als auch für das Leben der Christen und der christlichen Gemeinde aus einer „Mystik des offenen Blicks“ für die verschiedenen Notsituationen der Menschen. Die Verbindung von Diakonie mit Liturgie und Katechese im vierten Abschnitt reflektiert u.a. Victor Hernández: Ausgehend von der johanneischen Fußwaschungs-Überlieferung sieht er eine enge Verknüpfung von Eucharistie, Liturgie und Diakonie. In einem weiteren Schritt zeigt er Perspektiven für eine inkulturierte Katechese auf, die Raum schafft für eine personale religiöse Erfahrung.
Da eine diakonische Kirche bisher nur in Umrissen verwirklicht ist, wird im letzten Abschnitt eine „Vision einer diakonischen Kirche“ entwickelt. Die Wiederentdeckung bzw. Realisierung einer diakonischen Kirche betrachtet Olga Caro als die zentrale Herausforderung und Chance zu Beginn des dritten Jahrtausends. Die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Kirche reflektiert der deutsche Caritaspräsident Peter Neher. Auch er betrachtet eine stärkere Betonung des diakonischen Dienstes um der Menschen willen als eine Chance für eine Neuorientierung der Kirche als ecclesia semper reformanda.
Martin Leitgöb, Bernhard Häring.
Kirche im Zeichen der Barmherzigkeit, Innsbruck-Wien 2015, Tyrolia-Verlag, 105 S., Reihe:
Spiritualität und Seelsorge Bd.9
Der Moraltheologe und Redemptoristenpater Bernhard Häring (1912-1998) gehört zu den wichtigen theologischen und kirchlichen Erneuerern im 20. Jahrhundert. Anstatt auf abgrenzende Normen zu setzen, konzentrierte er sich auf die lebensfördernde Kraft des Evangeliums und auf das Hauptgebot der Liebe. Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) hatte er als Berater einen großen Einfluss auf die Pastoralkonstitution Gaudium et spes. Der Ordensbruder Martin Leitgöb beleuchtet unter der unter Papst Franziskus wieder neu und verstärkt entdeckten Perspektive der Barmherzigkeit verschiedene Impulse und Anregungen aus der theologischen Arbeit Härings. Die vier Kapitel beschäftigen sich mit „biographischen Perspektiven“, mit dem „theologischen Hauptaugenmerke“ ( Christozentrisch – am Menschen orientiert – biblisch fundiert – ökumenisch offen), mit der „Kirche im Zeichend der Barmherzigkeit“ und mit der „Lebenswirklichkeit Ehe und Familie“. Leitgöb: „Als Ordensmann, Seelsorger und Moraltheologe verkörperte Häring in besonderer Weise den für das christliche und kirchliche Leben unerlässlichen Typus des Propheten.“ (S.95)
Wolfgang Pauly, Gotthold Hasenhüttl.
Theologie und Kirche im Konflikt, Darmstadt 2015, Wiss. Buchgesellschaft, 240 S.
Hasenhüttl, 1933 in Graz geboren, studierte am Germanicum in Rom, wurde Priester, beschäftigte sich mit Bultmann und Sartre in zwei Dissertationen und habilitierte sich an der Universität Tübingen bei Hans Küng und Joseph Ratzinger mit „Charisma. Ordnungsprinzip der Kirche“ in Dogmatik. In Saarbrücken lehrte er als Professor, er war immer auch als Seelsorger aktiv und hat sich besonders für die von Gesellschaft, Wirtschaft und Kirche Ausgeschlossenen eingesetzt.
Sein ökumenisches Engagement führte 2003 zu einem Konflikt, weil er einen ökumenischen Gottesdienst mit Eucharistiefeier nach katholischem Ritus und offener Kommunion feierte.
Sein Schüler Pauly hat sowohl die Biografie und Werkgeschichte, den theologischen Neuansatz und die Rezeption der theologischen Arbeit Hasenhüttls nachgezeichnet, verbunden mit der Einladung zum Diskurs mit einem eigenständigen, umstrittenen und interessanten Theologen. Jesus Christus ist für Hasenhüttl ein „Modell befreiten Lebens“ und die Kirche sollte deshalb eine „Lebensgemeinschaft befreiter Menschen“ sein.
Ulrich Schneider (Hg.), Kampf um die Armut.
Von echten Nöten und neoliberalen Mythen, Frankfurt/M 2015, Westend Verlag, Frankfurt/M 2015, 205 S., 14.99 €.
Es wird ein erbitterter Kampf in Deutschland geführt. Emotionen kochen hoch, Kritik wird persönlich. Vordergründig geht es um Definitionen und wissenschaftliche Methoden – tatsächlich um knallharte Interessenpolitik. Es ist die Armut in unserem Land, um die verbissen gestritten wird. Je größer sie wird, umso hartnäckiger wird sie geleugnet von denen, die ihren Reichtum und/oder Macht bedroht sehen. Einige der Kritiker dieses neoliberalen Mainstreams plädieren engagiert gegen Ausgrenzung und für eine Gesellschaft, die keinen zurücklässt: Ulrich Schneider und Rudolf Martens vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, Stefan Sell von der Hochschule Koblenz-Remagen, Christoph Butterwege von der Universität Köln und P. Friedhelm Hengsbach SJ von der Phil.-Theol. Hochschule Frankfurt/M bzw. Kath. Akademie Ludwigshafen. Die auch von Papst Franziskus vertretene christliche Option für die Armen und für eine arme, dienende Kirche findet hier wichtige Argumente gegen die (neoliberale) „Wirtschaft, die tötet“.
Pater Gerhards Kräuterkolumne
CALENDULA
Die Ringelblume (Calendula officinalis) ist eine Pflanzenart aus der Familie der Korbblütler. Pflanzenteile werden in der Naturheilkunde verwendet. So oder ähnlich beginnen die meisten Pflanzenbeschreibungen. Ich finde, viel zu lapidar, zu gewöhnlich für dieses lebenshungrige einjährige Kraut, das auch „Butterblume“, „Sonnenwendblume“, „Ringelrose“, „Goldblume“ oder „Totenblume“ genannt wird.
Schon die alten Ägypter nutzen dieses Blümlein als Jungbrunnen, das immerwährende Jugend verleihen soll. Die „Ringel, Ringel Rose“ (so der Titel eines altes Spiellieds aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert) war einst den Sonnenbräuten geweiht, die der nordischen Göttin Freya und später auch der „Maria Himmelskönigin“ unterstellt waren. Calendula ist ein Sinnbild der Erlösung nach dem Tod und Zeichen des ewigen Lebens. Ihr Name „Totenblume“ ist in ihrem Geruch begründet, der manche an Verwesung erinnert. Calendula, die Ringelblume, war immer schon mit der Liebelei verknüpft. Sie soll sich auch zur Liebesweissagung im Traum verwenden lassen: Sie wird gemeinsam mit Sommerkräutern getrocknet, gemahlen und mit Honig und Essig zu einer Salbe verarbeitet. Junge Frauen trugen die Salbe auf, bevor sie zu Bett gingen und riefen den Heiligen Lukas an, sie von ihrer großen Liebe träumen zu lassen. Es ist die Blume, die man klassischerweise für die Frage „Er liebt mich, er liebt mich nicht“ verwendet. Das Abpflücken der Blumen soll allerdings Gewitter heraufbeschwören. Die sonnengleiche Blume vollzieht den Lauf der Sonne nach: mit dem Anbruch des Tages öffnet sie ihre Blüten und verschließt sie, sobald die Sonne untergeht. Bei Bauern stand die Ringelblume in hohem Ansehen, weil sich mit ihrer Hilfe das Tageswetter voraussagen ließ. Waren die Blüten zwischen 6 und 7 Uhr bereits geöffnet, so versprach dies einen schönen sonnigen Tag. Waren sie jedoch nach 7 Uhr noch geschlossen, so musste mit Regen gerechnet werden. Die Ringelblume ist nicht nur als Heilpflanze bekannt, sondern steht auch in vielen Gärten als besonders üppig blühende Zierde. Ab Juni taucht sie viele Bauerngärten in leuchtendes Orange.
Hildegard von Bingen weiß: „Die Ringelblume ist kalt und feucht und hat viel Grünkraft in sich. Und sie ist gut gegen Gift. Denn wer Gift isst, oder wem es verabreicht wurde, der koche Ringelblume in Wasser. Das Ausgedrückte auf den Bauch gelegt und das Gift entweicht... Und wer den Grind am Kopf hat, der nehme Blüten und Blätter und er drücke den Saft davon aus, und dann bereite er mit diesem Saft und etwas Wasser und Semmelmehl einen Teig, und dann lasse er damit seinen ganzen Kopf mit Tuch und Mütze verbunden, bis er sich erwärmt und bis der Teig zerrissen wird, und dann nehme er ihn weg. Und so tue er es während neun Tagen. Und sooft er den Teig von seinem Kopf wegnimmt, sooft habe er eine Lauge aus Ringelblumensaft bereit, und er wasche seinen Kopf ebenso oft damit, und er wird geheilt werden.“ (Physica, Heilkraft der Natur, Cap. 1-122)
Ringelblumen werden in der Form von Teeaufgüssen, wässrigen Auszügen, Tinkturen, Extrakten und Salben verabreicht. In der Volksmedizin wird die Ringelblume als schweiß-, harntreibendes Mittel, das krampflösende, wurmtreibende Wirkung zeigt und gegen Leberleiden eingesetzt. Pharmazeutisch werden die getrockneten ganzen, bzw. die zerkleinerten Blütenkörbchen, oder die getrockneten Zungenblüten verwendet. Die pharmazeutische Droge wirkt entzündungshemmend und fördert die Bildung von Granulationsgewebe und damit die Wundheilung. Bei Magen- und Darmgeschwüren wird sie innerlich angewendet. Äußerliche Anwendung findet sie bei Hautentzündungen, schlecht heilenden Wunden, bei Quetschungen, Furunkeln und Ausschlägen. In der Lebensmittelindustrie wird die Ringelblume als Farbstoff eingesetzt, unter anderem bei Käse und Butter. In Teemischungen dient sie als Schmuckdroge. In der Vergangenheit diente sie zum Verfälschen von Safran. Im Garten vertreibt Calendula durch Wurzelausscheidungen im Untergrund wirkende Schadorganismen.
Ein in allen Belangen heilsames Schöpfungsgut begegnet uns in der kinderfreundlichen „Ringel, Ringel Rose“.
Gott befohlen und herzlichst – Ihr Pater Gerhard.