Zeitschrift für Theologie, geistliches Leben und christliche Kultur
Die eucharistischen Gaben von Brot und Wein
Christus, geboren in Bethlehem, dem Haus des Brotes
von Klaus Mass
Und als die Stunde kam, setzte er sich zu Tisch, und die Apostel mit ihm. Und er sagte zu ihnen: Mich hat sehnlich verlangt, vor meinem Leiden mit euch dieses Passalamm zu essen. Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis es seine Erfüllung findet im Reich Gottes. Und er nahm einen Kelch, sprach das Dankgebet und sprach: Nehmt ihn und teilt ihn unter euch. Denn ich sage euch: Von jetzt an werde ich von der Frucht des Weinstocks nicht mehr trinken, bis das Reich Gottes kommt. Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach es und gab es ihnen und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Dies tut zu meinem Gedächtnis. Und ebenso nahm er den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das vergossen wird für euch. (Lk 22,14-20)
Mit diesen Sätzen beschreibt der Evangelist Lukas, hier in der Übersetzung der Zürcher Bibel, das letzte Abendmahl Jesu mit seinem Jüngerkreis. Einmal noch will der kurz vor der Verhaftung Stehende vom Passalamm essen und von der Frucht des Weinstocks trinken. Er ist sich seines baldigen Todes bewusst und beauftragt seine Jünger mit seinem Testament. Doch dieses hat es in sich, es geht nicht einfach nur um ein Abschiedsessen, welches über Phasen fröhlich, gesellig, aber auch traurig sein kann. Natürlich wird an diesem Abend über vieles gesprochen worden sein was die Weggemeinschaft in den vergangenen Monaten und Jahren erlebt hat. Womöglich wird auch der eine oder andere Apostel von seinen Zukunftsträumen gesprochen haben. Und dann ergreift Jesus das Wort:
Wir sind in der Stunde vor meinem Leiden und Sterben. Es ist unser Abschied.
Das, was wir essen ist das Passalamm, es ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Es ist mein Blut, das für euch vergossen wird. Der Tod des Passalammes, mein Tod, wird Erfüllung finden im Reich Gottes und das Reich Gottes wird zu euch kommen. Deshalb sollt ihr von heute an dies zu meinem Gedächtnis tun.
Der Tod Jesu erfolgte am Rüsttag, dem Vorbereitungstag des Pessachfestes. Die Lämmer werden geschlachtet, die ungesäuerten Brote gegessen, die Schaubrote im Tempel gebacken. Es ist der Tag, an dem die alten Israeliten in der Zeit vor dem Tempel ihre Türpfosten mit Blut bestrichen wie die Jünger Jesu nun ihre Lippen mit dem Kelch des Heiles benetzen.
Wenn in Israel das Opfertier geschlachtet wurde, dann war dies immer auch eine Erinnerung an Abraham und seinen Sohn Isaak. Im Vertrauen auf den Willen Gottes hätte Abraham seinen Sohn geopfert. Doch Gott wollte dieses Opfer nicht und sandte den Widder. Entsühnung kann nicht durch ein Opfer und sei es das des eigenen Kindes, sondern nur durch Gott selbst geschenkt werden. Die ungesäuerten Brote zeigen, dass die Ernte des vergangenen Jahres verbraucht ist, nun wird nur noch ungesäuert gegessen, damit Neues beginnen kann. Schnell muss das Brot zubereitet werden, ungesäuert, nur kurz durch die Glut des Feuers gezogen, damit Israel aus der Sklaverei aufstehen kann und sich in die Freiheit der Kinder Gottes begibt.
Sowohl die Mazzen, als auch die Schaubrote im Tempel wurden nicht aus der gewöhnlichen Gerste, sondern aus Weizenmehl gebacken. Merkwürdigerweise sprechen auch die Evangelien, wenn es um Getreide geht, nie von Gerste, sondern stets von Weizen. Sowenig das Weizenbrot eine gewöhnliche Speise war, sowenig war der Wein ein gewöhnlicher Trank. Zu jedem Brandopfer gehörte eine gewisse Menge Wein, die über dem Altar oder dem Opfertier vergossen wurde.
Jesus hat sein Leiden und Sterben in der tiefen Spiritualität Israels verankert und ihm damit eine unübertroffene Sinnfülle verliehen, die er seinen Jüngern zum bleibenden Gedächtnis aufgetragen hat.
Zumindest ist dies die Botschaft der Evangelien. Doch Paulus klagt noch im Korintherbrief wie wenig seine Gemeinde den Sinn des danksagenden Brotbrechens versteht. Er rügt, dass die reichen Familien während der Feier prassen und die Armen darben. Die Realität in Korinth ist weit von jedem angeblichen urkirchlichen Ideal entfernt. So schärft Paulus seine Gemeinde ein:
Nicht gut ist, worauf ihr stolz seid. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr ein neuer Teig seid; ihr seid doch Ungesäuerte! Denn als unser Passalamm ist Christus geopfert worden. Deshalb wollen wir nicht mit altem Sauerteig feiern, auch nicht mit dem Sauerteig der Schlechtigkeit und der Bosheit, sondern mit den ungesäuerten Broten der Lauterkeit und der Wahrheit. (1 Kor 5,6-8)
Ich rede doch zu Verständigen. Beurteilt selber, was ich sage! Der Kelch des Segens, über den wir den Lobpreis sprechen, ist er nicht Teilhabe am Blut Christi? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht Teilhabe am Leib Christi? Weil es ein Brot ist, sind wir, die vielen, ein Leib. Denn wir alle haben teil an dem einen Brot. (1Kor. 10,15-17)
So aber, wie ihr nun zusammenkommt, ist das Essen gar kein Mahl des Herrn. Denn jeder nimmt beim Essen sein eigenes Mahl vorweg, und der eine hungert, der andere ist schon betrunken. Habt ihr denn keine Häuser, in denen ihr essen und trinken könnt? Oder missachtet ihr die Gemeinde Gottes und wollt die beschämen, die nichts haben? Was soll ich euch sagen? Soll ich euch loben? In diesem Fall kann ich euch nicht loben. Ich habe nämlich vom Herrn empfangen, was ich auch an euch weitergegeben habe: Der Herr, Jesus, nahm in der Nacht, da er ausgeliefert wurde, Brot, dankte, brach es und sprach: Dies ist mein Leib für euch. Das tut zu meinem Gedächtnis. Ebenso nahm er nach dem Essen den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut. Das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis dass er kommt. Darum: Wer auf unwürdige Weise das Brot isst oder den Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn. Es prüfe sich jeder, und dann soll er vom Brot essen und aus dem Kelch trinken. (1Kor. 11,20-28)
Die Symbolik Jesu mag in Israel lebenden Juden, die mit Tora und Tempel aufs tiefste vertraut waren, unmissverständlich gewirkt haben, doch die Öffnung zu den Heidenchristen hin, welche unter dem gemeinsamen Mahl ein griechisches Symposium und unter dem Opferlamm, das Schlachtopferfleisch in heidnischen Tempeln verstanden, ließ die Symbolik Jesu zur Unkenntlichkeit verblassen.
Daher steuerte, die sich herausformende Kirche, sehr rasch entgegen, durch die schriftliche Fassung der Evangelien und deren Verkündigung im Gottesdienst, durch die Herausformung des dreigliedrigen Amtes, durch die Trennung von Eucharistiefeier und Agape, sowie durch ein deutliches Bekenntnis zum Weizenbrot. Der zum Tode verurteilte Ignatius von Antiochien bezeichnete sich selbst als „Weizen Gottes“.
Augustinus beschreibt die Gläubigen als Brot des Herrn. Während des Katechumenats wart ihr wie Korn im Speicher, in geistigen Übungen wurdet ihr gemahlen, im Taufbecken durch das Feuer des Hl. Geistes gebacken. (Augustinus Serm 229)
Mancherorts wurden noch lange die ursprünglich zur Agapefeier gehörenden Becher mit Milch und Honig mit auf den Altar gestellt, aus welchen gemäß der Traditio Apostolica (nach 200) die Neugetauften trinken sollten. Das Konzil von Karthago (397) musste noch einschärfen, dass es sich bei den Bechern mit Milch und Honig, nicht um eucharistische Gaben handle.
Hatten die ersten Christen noch das Brot mitgebracht, das sie zuhause gebacken hatten, also sowohl gesäuertes, als auch ungesäuertes Brot, aus heimischer Gerste, oder importiertem Weizen, so wurde das von den Klerikern selbstgebackene Weizenbrot schließlich zum Standard, erst im Osten und später auch im Westen. Diese Brote wurden nun mit Prägestempeln versehen, auf denen sich entweder das Christusmonogramm oder ein Lamm befand.
Beim Wein hingegen gab es so gut wie keinen Standard in der Antike. Es war in der Regel Rotwein, welcher als gut galt wenn er süß war. Üblicherweise wurde dem Wein Kräuter und Gewürze hinzugefügt, welche vor dem Trinken mit Hilfe eines Siebes wieder herausgefischt wurden. Lange Zeit wurden diese Siebe auch in der Liturgie verwendet. Ein ausdrückliches Verbot der Hinzufügung von Gewürzen oder Süßungsmitteln findet sich erst auf der Synode von Auxerre 585.
Meistens wurde Wein nicht pur getrunken, sondern im Sommer mit kaltem und im Winter mit warmen Wasser gemischt. Auch dieser Brauch hat sich in der Liturgie erhalten, während der Westen in der Regel kaltes Wasser hinzufügt, verwendet man im Osten stets warmes Wasser. In der Antike dürfte sich im Becher nicht selten mehr Wasser als Wein befunden haben, seit dem Mittelalter wurde Wert darauf gelegt, dass der Anteil des Weines, den des Wassers deutlich übersteigt.
Bereits im zweiten Jahrhundert gab es Christen, welche den Alkoholgenuss strikt ablehnten, die sogenannten „Aquarier“ (Hydroparastaten) verwendeten Wasser statt Wein, anderswo wurde Milch oder Traubensaft verwendet. Ein Grund den Alkohol in der Eucharistiefeier abzulehnen, bestand auch darin, während der Christenverfolgung nicht an der „Fahne“ als Christ erkannt zu werden. Alle diese alternativen Praktiken wurden stets durch die kirchlichen Synoden verurteilt.
Cyprian von Karthago begründete die Verwendung von Wein und Wasser als Praxis, die auf Jesus selbst zurückgehe. Wer den Wein weglasse, verzichte auf das Blut Christi und wer das Wasser auslasse, vergesse die Gemeinde. Wer hingegen das Abendmahl mit Wein und Wasser feiere mache die Einheit von Christus und der Gemeinde deutlich. (Cyprian Ep 63,17)
Ursprünglich war es üblich, dass die Gläubigen eucharistisches Brot aus der Messfeier mit nach Hause nahmen, um es dort während der Woche zu konsumieren. Seit dem fünften Jahrhundert wurde dieser Brauch aufgegeben. Nun durfte nur noch so viel Brot konsekriert werden, wie im Gottesdienst auch verzehrt wurde. Die Reste mussten unmittelbar nach der Feier von den Geistlichen gegessen werden. Wurden konsekrierte Gaben verunreinigt, von Schimmel oder Würmern befallen, so wurden diese verbrannt.
Ab dem neunten Jahrhundert gab es zwei wesentliche Neuerungen, zum einen wurde nun im Westen konsequent ungesäuertes Brot verwendet und dieses – zweitens – mit dem Hostieneisen gebacken. Es sollte nicht lange dauern, bis sich daraus die mittelalterliche eucharistische Schaufrömmigkeit mitsamt ihrer spitzfindigen scholastischen Theologie entwickelte.
Zwischen den Kirchen des Westens und des Ostens kam es an dieser Stelle zum Streit. Im Osten verwendete man gesäuertes Brot. Ungesäuertes Brot galt hier mittlerweile als ein abzulehnender jüdischer(!) Brauch. Um den Unterschied zwischen Christen und Juden deutlich zu machen, müsse gesäuertes Brot verwendet werden, zumal der Westen ja überhaupt kein Brot mehr verwende, sondern nur noch getrockneten Schlamm(!). Erst auf dem Einigungskonzil von 1439 sollte festgestellt werden, dass es legitim sei, sowohl mit gesäuerten, als auch mit ungesäuerten Broten die Eucharistie zu feiern, wenngleich dieser Kompromiss von Seiten der Ostkirchen auch sehr schnell wieder in Frage gestellt werden sollte.
Ganz praktische Probleme ergaben sich im Mittelalter mit der Mission der nordischen Länder, in denen es weder Wein-, noch Weizenanbau gab. In der Not wurde hier nicht selten entweder auf Bier, Obstwein und andere Getreidesorten zurückgegriffen. Die zuständigen skandinavischen Bischöfe warben wiederholt in Rom für ihre klimatisch bedingten Alternativen, welche jedoch von den zuständigen Päpsten stets abgelehnt wurden. Die Frage nach der Materie für die Eucharistiefeier wiederholte sich mit der Entdeckung und Missionierung des Erdballs bis heute immer wieder aufs Neue. Einerseits waren und sind Wein und Weizen nicht überall ohne weiteres verfügbar, andererseits sind Kaffee, Reis oder auch die Kokosnuss die naheliegenden kulturimmanenten Speisen. Aus diesem Dilemma kommt man nur heraus, wenn man sich vor Augen führt, dass Jesus beim letzten Abendmahl eben nicht den alltäglichen Gerstenbrei, sondern das aus der jüdischen Kulttradition stammende Weizenbrot verwendete, nicht das tägliche Brot, sondern das übernatürliche Brot wählte.
Ein makelloses, männliches, einjähriges Tier soll es sein. Von den Schafen oder Ziegen sollt ihr es nehmen. Und ihr sollt es bis zum vierzehnten Tag dieses Monats aufbewahren. Dann soll es die ganze Versammlung der Gemeinde Israels in der Abenddämmerung schlachten. Und sie sollen von dem Blut nehmen und damit die beiden Türpfosten und den Türsturz an den Häusern bestreichen, in denen sie es essen. Das Fleisch aber sollen sie noch in dieser Nacht essen. Am Feuer gebraten, zu ungesäuerten Broten, mit bitteren Kräutern sollen sie es essen. Nichts davon dürft ihr roh essen oder im Wasser gekocht, sondern am Feuer gebraten, den Kopf mitsamt den Schenkeln und den inneren Teilen. Und nichts davon dürft ihr bis zum Morgen übrig lassen. Was aber übrig bleibt bis zum Morgen, sollt ihr im Feuer verbrennen. Und so sollt ihr es essen: die Hüften gegürtet, die Schuhe an den Füssen und den Stab in der Hand; und ihr sollt es in Eile essen, ein Passa ist es für den HERRN. (Exodus 12, 5-11)
So lesen wir es in den Ostertagen und dies ist es, was Jesus seinen Jüngern zum Gedächtnis auftrug.
Sieben Tage sollt ihr ungesäuerte Brote essen. Gleich am ersten Tag sollt ihr den Sauerteig aus euren Häusern entfernen. Wer aber Gesäuertes isst zwischen dem ersten und dem siebten Tag, soll aus Israel getilgt werden. (Ex 12,15) Haltet den Tag der ungesäuerten Brote, denn an diesem Tag habe ich eure Heerscharen aus dem Land Ägypten herausgeführt. Haltet diesen Tag, von Generation zu Generation, als ewige Ordnung. (Ex12,17)
Nicht das gewöhnliche, alltägliche Brot, sondern das heilige Brot, wird zum Zeichen der Erlösung. Wer von diesem Brot isst, gehört zu dem von Gott aus der Sklaverei befreiten Volk.
Und sie backten aus dem Teig, den sie aus Ägypten mitgenommen hatten, ungesäuerte Brote, denn er war nicht durchsäuert. Sie waren ja aus Ägypten vertrieben worden und hatten nicht länger warten können und sich auch keine Wegzehrung bereitet. (Ex12,39)
So wird das heilige Brot dem Gottesvolk zur Wegzehrung durch die „Wüste des Alltags“. Zum Symbol und Sinnträger der Befreiung durch Gott und dessen bleibender, fürsorgender Gegenwart.
Bald breitete sich Hunger unter den Israeliten aus und Sehnsucht nach den Fleischtöpfen Ägyptens erwachte. Wir wollen lieber Sklaven sein und richtiges Brot essen als in der Wüste verhungern.
Da sprach der HERR zu Mose: Sieh, ich lasse euch Brot vom Himmel regnen, und das Volk soll hinausgehen und sammeln, was es für den Tag braucht, damit ich es auf die Probe stellen kann, ob es nach meiner Weisung lebt oder nicht. (Ex 16,4)
Mit dem himmlischen Manna wird das Brot des Heils gänzlich vom alltäglichen Brot unterschieden. Gott allein nährt das Volk, das nach seiner Weisung lebt. Und doch bleibt das Brot des Heiles ein Brot, welches täglich neu empfangen werden muss, welches sich in der täglichen Realisierung der Weisung verwirklicht. So wird das Brot Gottes mit dem Wort Gottes zuinnerst verknüpft.
Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch, nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist dasjenige, das vom Himmel herabkommt und der Welt Leben gibt. Da sagten sie zu ihm: Herr, gib uns dieses Brot allezeit! Jesus sagte zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr Hunger haben, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. (Joh. 6, 32-35)
Mit diesen Worten übersteigt Jesus die Exoduserzählung deutlich, indem er zwischen dem Brot des Himmels und dem wahren Brot des Himmels, welches er selber ist, unterscheidet. Ein Brot das nicht nur vorübergehend satt macht, sondern Leben gibt und jeden Hunger und Durst nach Leben für immer zu stillen vermag.
Neben den ungesäuerten Broten des Exodus und dem Manna der Wüste kennt Israel noch ein weiteres heiliges Brot, die Schaubrote im Tempel, das Brot im Angesicht Gottes.
Dann sollst du Feinmehl nehmen und daraus zwölf Ringbrote backen, ein Ringbrot aus zwei Zehnteln. Und du sollst sie in zwei Schichten hinlegen, sechs in jeder Schicht, auf den Tisch aus reinem Gold, vor den HERRN. Und auf jede Schicht sollst du reinen Weihrauch legen, und das soll der Teil sein, der von dem Brot genommen wird zum Verbrennen, als Feueropfer für den HERRN. An jedem Sabbattag soll er es vor dem HERRN herrichten, immer wieder, als ewige Bundesverpflichtung der Israeliten. Und es soll Aaron und seinen Söhnen zufallen, und an heiliger Stätte sollen sie es essen. Denn als Hochheiliges kommt es ihm zu von den Feueropfern des HERRN, als ewiges Anrecht. (Lev 24,5-9)
Dieses Brot wird jede Woche neu gebacken, der Weihrauch darauf wird als Brandopfer Gott dargebracht, doch das Brot selbst von den Priestern gegessen. So verbindet sich im Schaubrot das Brandopfer mit der Speise für ein priesterliches Volk.
Wer sich all dies bewusst macht, wird genau wie die Sterndeuter Jesus in Bethlehem suchen. Bethlehem bedeutet in unserer Sprache „Haus des Brotes“. Wo hätten die Weisen den Friedensfürst finden können, wenn nicht in Jesus, dem geistigen Haus des himmlischen Brotes.
Doch sie bedrängten ihn und sagten: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich schon geneigt. Und er ging hinein und blieb bei ihnen. Und es geschah, als er sich mit ihnen zu Tisch gesetzt hatte, dass er das Brot nahm, den Lobpreis sprach, es brach und ihnen gab. Da wurden ihnen die Augen aufgetan, und sie erkannten ihn. Und schon war er nicht mehr zu sehen. Und sie sagten zueinander: Brannte nicht unser Herz, als er unterwegs mit uns redete, als er uns die Schriften aufschloss? Und noch zur selben Stunde standen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück und fanden die elf versammelt und die, welche zu ihnen gehörten; die sagten: Der Herr ist tatsächlich auferweckt worden und dem Simon erschienen. Und auch sie erzählten, was unterwegs geschehen war und wie er von ihnen am Brechen des Brotes erkannt worden war. (Lk 24,29-35)
Literatur:
Anselm Schubert, Gott essen, München 2018
Eckhard Nordhofen, Corpora, Freiburg 2018
Impressum:
Redaktion: Klaus Mass, Kapellenstraße 7, 85254 Einsbach, pfarramt-christ-katholisch@web.de
Namentlich gekennzeichnete Artikel müssen nicht unbedingt die Lehrmeinung der Kirche wiedergeben.
Leserbriefe sind stets erwünscht.
Spiritualität und Mystik
Überlegungen von Fritz Hartmann
Spiritualität ist heute ein Modewort geworden. Ein schillernder Begriff. Spiritualität wird als eine Basisqualität des Menschen aufgefasst. Sinnsuche, Sinngebung und die Fähigkeit zur (Selbst-) Transzendenz sind Aspekte, die bei einer Definition von Spiritualität dominieren. Zum Teil wird Spiritualität als Synonym für Religion bzw. Religiosität gebraucht, meint aber die verschiedenen etablierten religiösen Traditionen genauso wie Formen individualisierter Spiritualität. Häufig gilt Spiritualität als eine zentrale, sinnstiftende Lebenseinstellung, die sich sowohl auf eine göttliche Dimension als auch auf nichtmaterielle Werte wie Humanismus, Kunst, Arbeit oder Selbstentfaltung beziehen kann. Zu erwähnen ist noch, dass im Rahmen einer psychologischen Lebensforschung Spiritualität als eine personale Ressource verstanden wird, die das subjektive Wohlbefinden stärkt. Vor diesem Hintergrund ist nicht verwunderlich, dass heute zahlreiche Spiritualitätsdefinitionen existieren. Einige von ihnen sind so breit gefasst, dass sie nahezu jede menschliche Erfahrung einschließen – vom Sieg in einem Fußballspiel über die Betrachtung des Sonnenuntergangs bis zu sexuellen Erfahrungen, einem tiefen Glauben aus vollem Herzen und einem Bekenntnis zu einer religiösen Tradition. Die verschiedenen Definitionen von Spiritualität sind keineswegs objektiv im Sinn einer rein sachlichen Beschreibung. Vielmehr geben sie Zeugnis über die weltanschauliche Position derer, die sich damit auseinandersetzen. Aus religionswissenschaftlicher Sicht bildet Spiritualität zunächst einen wesentlichen Teil der organisierten religiösen Tradition. Der ursprünglich im christlichen Kontext verwurzelte Begriff Spiritualität wird heutzutage auf nichtchristliche Religionen übertragen und macht deutlich, dass Spiritualität der Sache nach in den verschiedenen Religionen vorkommt, auch wenn sie dort anders bezeichnet wird. Im Folgenden geht es um Spiritualität und Mystik aus christlicher Sicht. Unsere heutige gesellschaftliche Situation ist gekennzeichnet von einem Überangebot an Sinnentwürfen bei einem gleichzeitigen Verlust an verlässlichen Normen und Werten. In den Kirchen hat der gesellschaftliche Veränderungsprozess zu großen Verlusten an traditioneller Kirchlichkeit bei den Gläubigen geführt. So ist zu fragen, wie der große Schatz an Wegweisung und Hilfen und an Übungen erschlossen werden kann, dass der einzelne sein Leben deuten kann und Lebenshilfe erfährt.
Begriffsklärung Spiritualität / Religiosität
Spiritualität taucht als Begriff erstmals im 19 Jhdt. auf, und zwar im Französischen. Mit spiritualitè ist das lateinische spiritus, das griechische pneuma und auch das hebräische ruach wiedergegeben und meint zunächst eine spezifisch christliche Geistigkeit, den Atem oder Hauch Gottes. Die französische Ordenstheologie führte den Begriff ein, um sich abzugrenzen von einer säkularen, politisch-humanistischen Haltung auf dem Hintergrund der Ideale der französischen Revolution. Neben diesem romanischen, enggefassten christlichen Spiritualitätsbegriff entwickelte sich aus der angelsächsischen Tradition im gleichen Zeitraum ein weiter gefasster Begriff von Spiritualität, mit dem die Verbundenheit mit etwas Heiligem, die allgemeine Bezogenheit auf ein großes, ein umgreifendes Ganzes gemeint war. So erweiterte sich der Begriff Spiritualität gegen Ende des 19. Jhdts. vom spezifisch christlichen Verständnis auf ein allgemein geistiges Prinzip. Im Gegensatz dazu wird Religiosität oft als eine bestimmte Form von Spiritualität, gebunden an eine Gruppe oder Institution verstanden. Dabei gilt es als wenig spirituell, wenn eine Gruppe oder Institution beansprucht den wahren Glauben zu verbürgen. Viele Menschen tun sich heute schwer mit dem Begriff Religion. In Europa wird er meist mit den christlichen Kirchen gleichgesetzt. Da die Kirchen mit Institutionen, Dogma, Hierarchie, Starrheit und, schlimmer noch, Gewalt und Missbrauch verknüpft sind, ist Spiritualität -in Europa – für einen Teil der Menschen zu einem Gegenbegriff von Religion geworden. Diese Neigung Spiritualität und Religion als Gegensätze zu deuten, wird durch den für die Postmodere typischen religiösen Pluralismus begünstigt. Umstandslos wird aus verschiedenen Traditionen geschöpft: von den hinduistischen Chakren über buddhistische Vijnanas, die jüdische Kabbala oder der christlichen Mystik. Deshalb ist ins Bewusstsein zu rufen, dass Spiritualität stets aus religiösen Traditionen schöpft. Spirituelle Praktiken wie Gesänge, Meditationen, Versenkung, sakraler Tanz, Imagination, Zitieren heiliger Texte, Feiern und Zeremonien werden innerhalb altehrwürdiger Religionen entwickelt und tradiert, angefangen vom Schamanismus bis zu den Weltreligionen. So ist Religion nicht per se minderwertig. Religion kann aber formal und ohne inneres Engagement bleiben. Religiosität kann zweckdienlich, extrinsisch praktiziert werden, aber genausogut kann Religion intrinsisch, um ihrer selbst willen gelebt werden, erfahrungsgesättigt und mit spirituellen Erlebnisqualitäten. Eine knappe Definition von Religiosität und Spiritualität stammt von Fulbert Steffensky (2005): „Spiritualität ist religiöse Aufmerksamkeit.“ Dabei ist zu beachten: geschulte Aufmerksamkeit für das Geheimnis Gottes ist etwas ganz anderes als die Wahrnehmung der Verbundenheit mit einem großen Ganzen. Es geht nicht um die populäre Suche nach veränderten Bewusstseinszuständen, sondern „Spiritualität ist eine bewusste im weiteren und überkonfessionellen Sinn verstandene religiöse Lebenseinstellung und –weise“ (Scharfetter 1999). In der Spiritualität drückt sich eine Haltung und Beziehungsweise zu dem den Menschen umgreifenden und übersteigenden Sein aus; das ihm unfassbare Geistige im Gegensatz zur materiellen Dingwelt. Allgemein lässt sich sagen: das Ziel von Spiritualität ist Welt-und Lebensorientierung und zwar auf sehr persönliche Weise. Spiritualität wirkt sich auf die Lebensgestaltung aus und wird ein bestimmter Lebens- und Übungsweg. Der Kern christlicher Spiritualität ist die Nachfolge Christi.
Begriffsklärung Mystik
Der schwer fassbare Begriff „Mystik“ meint im streng religionswissenschaftlichen Sinn „die das gewöhnliche Bewusstsein und die verstandesmäßige Erkenntnis übersteigende unmittelbare Erfahrung der göttlich transzendenten Wirklichkeit“. Das Wort Mystik ist vom griechischen „myein“ für schließen abgeleitet. Gemeint ist: Augen und Ohren schließen, damit nicht irritierende Eindrücke von außen in einen Menschen eindringen, etwa im Zustand der Meditation. Damit sind zwei wesentliche Punkte benannt: es geht um das Einüben einer inneren Haltung und die Bereitschaft eine nicht machbare Glaubenserfahrung zu erleben. Dabei werden nicht irgendwelche Zustände eines wohligen Außer-sich-seins angestrebt, sondern es geht um die Erfahrung Gottes als des Ganz-Anderen, nicht selten verbunden mit „Furcht und Zittern“. Es sei erinnert an die ganz unterschiedlichen Erlebnisse von Mystikern und Mystikerinnen. Die einen werden vom Innewerden der Gottesgegenwart ohne jede Vorankündigung überrascht, ja überwältigt. Andere verweisen auf einen Prozess, einen Stufenweg, den Mystik annehmen kann. Gemeint sind damit Vorbereitungen im Sinne geistlicher Übungen. Dennoch kommt es nicht auf besondere Frömmigkeitspraktiken, Methoden oder die Härtedosis einer disziplinierten Askese an. Mystik ist der Mut zu religiöser Empfindsamkeit und spiritueller Empfindlichkeit, die Bereitschaft persönliche, das eigene Leben verändernde Glaubenserfahrungen zu machen. Daher betrachten die etablierten Kirchen von jeher Propheten und Mystiker nicht nur mit Bewunderung, sondern auch mit Misstrauen, weil sie mit ihrer Spontanität Unruhe in festgefügte Ordnungen zu bringen pflegen. Die christliche Tradition kennt drei Wege oder Phasen, die zur inneren Quelle führen: purificatio (Reinigung), illuminatio (Erleuchtung), unio (Vereinigung). Damit wird ein Weg der Wandlung, der Verwandlung, charakterisiert, eine Seelenführung beschrieben. Es geht um einen spirituellen Entwicklungsprozess. Das Ziel ist die Integration aller Persönlichkeitsanteile um die verborgene Mitte des wahren Selbst – ausgedrückt in der Sprache der transpersonalen Psychologie. Oder als tradierte Erkenntnis der Seelenführung: nur was angenommen wird, kann erlöst werden. Ähnlich formuliert dieses auch die Psychoanalyse. Auch die geläufige Rede von der Schattenarbeit kann als Reinigung verstanden werden. Dieser höchste oder innerste Bereich im Menschen ist schon immer mit Gott bzw. der Quelle allen Bewusstseins verbunden, im Evangelium als „Ströme lebendigen Wassers“ überliefert, von den christlichen Mystikern aus eigener Erfahrung, mit je eigener Metapher beschrieben. Meister Eckart (1260-1328) nannte diesen Bereich „Seelenfunke“, Johannes Tauler (1300-1361) beschreibt ihn als „Seelengrund“, Teresa von Avila (1515-1582) spricht von „innerster Seelenburg“. Was das Interesse an christlicher Mystik angeht, so erhob sich eine lebhafte Diskussion über das Wesen christlicher Mystik, über das mystische Gebet, nicht zuletzt über die von Karl Rahner aufgestellte These, dass der Christ der Zukunft ein Mystiker sein müsse, einer, der etwas erfahren hat, wenn sein Christsein Bestand haben solle. Eine Weise der Seelenführung und spirituellen Übung stellt hierbei die Meditation dar, die vom Gegenständlichen (Bild, Wort, Symbol) ins Ungegenständliche, durch Schweigen in bestimmte Kontemplation einmündet. Die geistliche Sammlung erweist sich als eine unverzichtbare Übung des Glaubens. Gegenwärtig wird Spiritualität, im Trend der Gesellschaft, auf einen individuellen Weg verkürzt. Gemeinschaftliche Aspekte, überlieferte Erfahrungen früherer Mystiker und rituelle Klärungsprozesse werden dabei ausgeblendet. Risiken sind dadurch vorprogrammiert. Es gilt einst wie heute das Gebot „der Unterscheidung der Geister“.
Es sollen nun einige Texte von Menschen wiedergegeben werden, die„ wegkundig“ sind, die spirituelle Erfahrungen festgehalten haben. Diese wertvollen Mitteilungen können das Gehen des eigenen spirituellen Weges nicht ersetzten. Aber sie können helfen bei einer kritischen Überprüfung der eigenen spirituellen Praxis, können helfen auf den „Geschmack“ zu kommen, können die Sehnsucht im Herzen entfachen helfen.
Literaturempfehlungen ·Johannes Baptist Metz, Mystik der offenen Augen, Freiburg 2011 ·Christian Feldmann, Ein Gott zum Küssen, Freiburg 2012 ·Gerhard Wehr, Christliche Mystiker, Regensburg 2008 ·Gerhard Wehr, Nirgends Geliebte wird Welt sein als innen, Gütersloh2011 ·Richard Rohr, Hoffnung und Achtsamkeit, Freiburg 2010 ·Richard Rohr, Ins Herz geschrieben, Freiburg 2008 ·Andreas Ebert, Schwarzes Feuer, Weißes Feuer München 2018 ·Sabine Bobert, Mystik und Coaching, Kiel 2/2016 ·Sabine Bobert, Jesus-Gebet und neue Mystik, Kiel 2/2011 ·Leonardo Boff, Sehnsucht nach dem Unendlichen, Freiburg 2012 ·Hubertus Halbfas, Der Sprung im Brunnen, Ostfildern 18/2011 ·Thomas Merton, Christliche Kontemplation, München 2/2012 ·Jörg Zink, Die Urkraft des Heiligen, Kevelar 2017 ·Sam Keen, Das Feuer im Herzen entfachen, Freiburg 2011 ·Karl-Heinz Witte, Zwischen Psychoanalyse und Mystik, Freiburg 2/2014 ·Dorothee Sölle, Mystik und Widerstand, Freiburg 2014 ·Tanja Scagnetti-Feurer, Himmel und Erde verbinden, Würzburg 2009 ·Ken Wilber, Integrale Spiritualität, München 6/2007 ·Marion Küstenmacher, Integrales Christentum, Gütersloh 2018 ·Claudia Mönius, Feuer der Sehnsucht, Gütersloh 2018
Leserbriefe
zu Ad Fontes IV 2019 mit dem Schwerpunktthema Kirchenreform:
Einen ganz besonderen Dank für diese ganz besonderen Ausführungen zu Kirchenreform und synodalem Weg. Das hat uns sehr angesprochen.
Carl und Karin Holz, Regensburg
In der letzten Ausgabe von "Ad Fontes" wird ein umfangreicher "Offener Brief" des Herrn Axel Stark an die römisch-katholische deutsche Bischofskonferenz und an das Zentralkomitee der deutschen römisch-katholischen Christen veröffentlicht. Herr Stark mahnt darin völlig berechtigt Reformen in seiner Kirche an. Dies wohl auch vor der Tatsache, dass eine sorgfältige sowie umfangreiche und dringend notwendige seelsorgerliche Betreuung der römisch-katholischen Christen durch die Zusammenlegung von Gemeinden mangels fehlender Priester immer schwieriger wird und bald nicht mehr sein wird. Hierzu erschien inzwischen in der Ausgabe Nr. 46 der ökumenischen Wochenzeitung Christ & Welt vom 07.11.2019 unter der Überschrift "Die Letzten machen das Licht aus" ein Artikel von Jonas Weyrosta, worin auch über die katastrophale Altersstruktur der Franziskaner in Deutschland hingewiesen wird. Demnach sind von den gegenwärtig nur noch 240 Franziskanermönchen rund 100 über 80 Jahre alt und nur 15 unter 50 Jahren.
Völlig zu Recht kann nun gesagt werden, was geht dies alles die Christ-Katholiken in Deutschland an! Doch enthält der "Offene Brief" des Herrn Stark auch einen Hinweis auf den noch immer bestehenden Ausschluss der Frauen von allen geistlichen Ämtern in der Römisch-Katholischen Kirche! Und hier müssten eigentlich die christ-katholischen Alarmglocken schrillen! Wie ist es denn mit den Frauen in der Christ-Katholischen Kirche bestellt? Gibt es doch auch dort keine Frauen in geistlichen Ämtern! Die Begründung dafür, dass auch Christus keine Frauen zu Aposteln berufen hat und es demzufolge so bleiben müsse ist nicht stichhaltig! Damals war die gesellschaftliche Situation der Frauen gegenüber heute ganz anders! Frauen im öffentlichen Leben hatten nichts zu sagen und wurden nicht gefragt. Sie waren unterdrückt! Und heute? Die Verhältnisse haben sich grundlegend geändert! In der Bundesregierung haben wir eine (evangelische) Bundeskanzlerin! Nur auf gesamtkatholischer Seite tut sich wenig! Das müsste sich doch ändern lassen! So fordert die Initiative Maria 2.0 inzwischen die Frauenordination für die römisch-katholischen Christinnen!
Von christ-katholischer Seite habe ich von solchen Aktivitäten bisher nichts gehört. Es herrscht hierzu derzeit noch Grabesstille! Bedingt wohl auch durch den früheren Einfluss der Nordisch-Katholischen Kirche und der Union von Scranton, die bei den Christ-Katholiken das Sagen
haben wollten. Mir scheinen aber dringend eine Diskussion und entsprechende Beschlüsse darüber notwendig zu sein, wie man künftig mit den christ-katholischen Christinnen innerhalb ihrer Kirche umgehen will, damit sie mit den Männern völlig gleichberechtigt sind. Ich vermisse
auch in der Kirchenzeitung Beiträge der Christ-Katholikinnen zu theologischen Fragen! Doch sicher hätten sie auch manches Interessante beizutragen!
Natürlich kann und wird es wohl auch sein, dass die eine oder andere Partnerkirche der Christ-Katholiken eine Frauenordination derzeit noch nicht mittragen kann oder will und es deshalb zu einer Entfremdung kommen kann. Doch sollte dies die Christ-Katholische Kirche aushalten und ertragen können. Geht es doch darum die Frauen voll und ganz gleichberechtigt in die Kirche und vor Gott einzubinden!
Hierzu noch eine Anmerkung. Vor einigen Jahren besuchte ich die Mariaviten in Polen mit ihren zwei unterschiedlichen Kirchenkonstruktionen. Die größere Kirche ohne Frauenordination und die andere mit Christinnen als Priesterinnen und Bischöfinnen. Und es
klappte alles vorzüglich! Die Bischöfinnen waren Ordensschwestern und niemand nahm daran und an ihrem Frausein Anstoß!
Alles hat seine Zeit! So war es immer und so wird es auch mit den Christinnen in den katholischen Kirchen sein! Gott segne uns alle unabhängig von unserer Einstellung zum
Frauenpriestertum!
Alfons Fischer, Berlin
Leserbriefe sind persönliche Stellungnahmen der Leser und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
3. Teil der Serie
Einführung in die katholische Soziallehre
Von Klaus Mass
Caritas und Diakonie, die Armenführsorge ist so alt wie das Christentum selbst. Mit großer Wahrscheinlichkeit war die Zuwendung der frühen Christen zu den Witwen und Waisen, zu den Armen und Ausgegrenzten zu den Sterbenden eines, wenn nicht sogar das entscheidende Geheimnis des Missionserfolges der jungen aufstrebenden Religion. Die Christen, auch im „finsteren“ Mittelalter hielten es für ihre Pflicht Europa mit Hospitälern und Spitalen zu überziehen, bei den Reichen Almosen zu erbetteln und die Armen zu speisen. Nicht wenige Gläubige fanden ihre geistliche Berufung in einem Pflegeorden. Doch eine in sich stimmige und theologisch durchdachte Soziallehre hatte die Christenheit längst noch nicht.
Erst im 19. Jahrhundert, mit der industriellen Revolution, den sich rasant verändernden Wohn- und Arbeitsverhältnissen der Menschen und den sich daraufhin gründenden sozialistischen Parteien und Gewerkschaften entstand auch eine breitere theologische Auseinandersetzung mit der Verantwortung der Kirche für die Gesellschaft.
Einer der ersten, der sich noch ganz im Stil der alten Zeit, zum sozialen Handeln gedrängt fühlte, war Adolf Kolping. Kolping selbst stammte aus einfachsten Verhältnissen und absolvierte nach einer Handwerkslehre zum Schuster das Abitur. 1849 gründete er seinen ersten Gesellenverein in Köln. Der schlichte Grundgedanke des Priesters bestand darin den Gesellen Heimat zu geben. Eine Familie zu schaffen, die den jungen Männern, sowohl in materieller als auch in ideeller Hinsicht, Sicherheit und Rückhalt zu verschaffen vermochte. In den Gesellenhäusern sollte Bildung vermittelt werden, es sollten Krankenversicherungs- und Sparvereine entstehen und die Gesellen auf diese Weise Sicherheit erlangen. Zur gleichen Zeit engagierten sich die Protestanten Friedrich Wilhelm Raiffeisen („Was der Einzelne nicht schafft vermögen Viele“) und Hermann Schulze-Delitzsch mit ähnlichen Ideen für die soziale Sicherung der Landwirte und gründeten entsprechende Genossenschaften. Auf die Arbeit von Raiffeisen und Schulze–Delitsch gehen nicht nur die Genossenschaften, sondern auch die späteren Bausparkassen zurück. Kolping konnte für seine, innerkirchlich zunächst skeptisch gesehenen Ideen, durch die Herausgabe von Zeitschriften und Jahreskalendern eine breite Öffentlichkeit schaffen. 1862 wird er, drei Jahre vor seinem frühen Tod, durch Papst Pius IX empfangen und geehrt.
Ein weiterer Sozialreformer auf protestantischer Seite war zur gleichen Zeit Johann Hinrich Wichern, der Gründer der Inneren Mission, aus welcher später die Diakonie hervorgehen sollte. Zum einen setzte er sich für weniger Gewalt sowohl in Erziehung als auch im Strafvollzug ein, zum anderen engagierte er sich für die Armen. Arbeiter bräuchten keine Almosen, sondern eine gerechte Beteiligung am Unternehmensgewinn.
Mit den bisher genannten Persönlichkeiten schält sich ein erstes Profil christlicher Soziallehre heraus, welches mit den Stichworten Bildung, Eigentum, sozialer Sicherheit und Achtung der Menschenwürde umschrieben werden kann.
Der erste Katholik, der nicht nur eine systematische Ausarbeitung der christlichen Soziallehre vornimmt und diese als Bischof von Mainz auch offiziell vertreten kann, ist Wilhelm Emmanuel von Ketteler. Er formuliert den Dreiklang aus staatlicher Sozialpolitik, kirchlicher Caritas und persönlichem Engagement der Arbeiter in Gewerkschaften. Er spricht sich für die Einhaltung der Sonntagsruhe, den Schutz von Schwangeren und gegen die Kinderarbeit aus. Er beteiligte sich an der Gründung der katholischen Zentrumspartei, sowie an der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB). Mit Ketteler zeigt sich, dass die christliche Soziallehre, sowohl auf Kooperation als auch auf Konfrontation mit der staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik setzt.
Auf der Ebene der Weltkirche ist die katholische Soziallehre mit Leo XIII angekommen, indem dieser 1891 die Sozialenzyklika Rerum Novarum veröffentlichte. Leo XIII erkannte in den „neuen Dingen“, gemeint sind neue wirtschaftliche Verhältnisse und soziale Entwicklungen eine Gefahr für Gesellschaft und Staat. Seine Enzyklika ist in zwei Hauptteile unterteilt.
Im ersten Teil argumentiert er gegen die sozialistische Theorie der damaligen Zeit als Lösung der gesellschaftlichen Missstände. Die Aufhebung des Privateigentums und die Überführung des Einzelbesitzes in die Hand der Allgemeinheit seien nicht nur rechtswidrig und wider die natürlichen Gesetze, sondern würden der Arbeiterklasse zudem selbst schaden (RN 4, 5). Seit Bestehen der Menschheit sei der Beweggrund von Arbeit, Einsatz und Fleiß der Erwerb von Eigentum, um den nötigen Lebensunterhalt zu decken.
Der Mensch habe nach geleisteter Arbeit das Recht auf Lohn und auch das Recht, über diesen frei zu verfügen. Investiert der Arbeiter einen Teil seines Lohns in Sachgüter, so seien diese Güter der Ertrag seiner Arbeit in neuer Form. Die Umwandlung von Privatgut in Gemeingut beraube die Arbeiter demnach der Erträge ihrer Arbeit und missachte den Eigentumsanspruch, der „dem Menschen von Natur zukommt“ (RN 5). Gerade dies dürfe weder bei Einzelpersonen noch bei Familien geschehen. Die Familie als Gemeinwesen sei älter als der Staat und dürfe deshalb nicht von ihm abhängig sein. Sie „besitzt […] die gleichen Rechte wie die bürgerliche Gesellschaft“ (RN 10) und müsse eigenständig bleiben.
Die von den Sozialisten geforderte Verdrängung der elterlichen Fürsorge verletze die Erfüllung der Elternpflicht und schränke die „väterliche Autorität“ (RN 11) ein. Dem Menschen würde das Recht auf Ehe und Familie entzogen. Papst Leo XIII formulierte klar und unmissverständlich: „Die Lehre des Sozialismus […] widerspricht der naturrechtlich-christlichen Eigentumslehre, bringt Verwirrung in den Aufgabenbereich des Staates und stört die Ruhe des Gemeinwesens“ (RN 12).
Zur Lösung der Arbeiterfrage nimmt er im zweiten Hauptteil Stellung, in dem er den Anteil der Kirche, des Staates und der Arbeiterorganisationen bestimmt. Er beginnt mit der Unverzichtbarkeit der Religion und der Kirche. Sie ist für ihn zuständig, „die Ordnung der menschlichen Gesellschaft mitzugestalten“. Daher müsse ihre Lehre die Grundlage zur Lösung sein: Gleichheit unter den Menschen würde und dürfe es nie geben, Unterschiede seien naturgegeben, jedoch müssten die beiden Klassen Arbeit und Kapital in Eintracht und Frieden miteinander auskommen. Dabei habe der Angehörige der arbeitenden Stände die Pflicht, geschlossene Verträge einzuhalten und dem Arbeitgeber mit ihrer Arbeit zu dienen.
Gewalt und Aufstand verurteilt Papst Leo XIII scharf (RN 16). Der Arbeitgeber im Gegenzug müsse den Arbeiter würdevoll achten und dürfe ihn weder nur zur Vermehrung des Reichtums benutzen noch rein an seiner physischen Leistung messen. Schutz und Rücksicht auf Wohlergehen, Alter und Geschlecht seien erforderlich.
Ebenso müsse der Arbeiter gerecht entlohnt werden. Papst Leo XIII bezeichnet den Verstoß gegen diese für ihn „allerwichtigste Pflicht der Arbeitgeber“ (RN 17) als „großes Verbrechen, das um Rache zum Himmel schreit“ (RN 17). Zuletzt weist er auf die Bedeutungslosigkeit der irdischen Güter für das Jenseits hin und appelliert an den Gebrauch des Reichtums im Sinne der Nächstenliebe. Eine Rückkehr zur christlichen Ordnung und die helfende Rolle der Kirche in der Armenfürsorge (z. B. Caritas) sieht er als Lösung.
Bei den Aufgaben des Staates spricht sich der Papst für eine staatliche Sozialpolitik aus, welche für den Schutz des Privateigentums, Unterbindung von Streik, Schutz der Menschenwürde und Sonntagsruhe, Überwachung der Arbeitsverhältnisse – besonders für Frauen und Kinder –, Lohngerechtigkeit einzutreten habe.
Vierzig Jahre später wurde die katholische Soziallehre durch Papst Pius XI (1931) fortgeschrieben. Er veröffentlichte die Enzyklika „Quadragesimo anno“. Die Enzyklika spricht, über die Arbeiterfrage hinaus die gesellschaftliche Ordnung insgesamt an. Sie drängt auf Gesellschaftsreformen und entfaltet unter diesem Aspekt die Gedanken des Subsidiaritätsprinzips und der beruflichen Ordnung. Das Prinzip der Subsidiarität garantiert gesellschaftliche Freiräume. Sie sucht nach Wegen der angemessenen Hilfe durch staatliche oder kommunale Stellen. Das Subsidiaritätsprinzip legt eine genau definierte Rangfolge staatlich-gesellschaftlicher Maßnahmen fest und bestimmt die prinzipielle Nachrangigkeit der nächsten Ebene: Die jeweils größere gesellschaftliche oder staatliche Einheit soll nur dann, wenn die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist, aktiv werden und regulierend, kontrollierend oder helfend eingreifen. Hilfe zur Selbsthilfe soll aber immer das oberste Handlungsprinzip der jeweils übergeordneten Instanz sein.
Aufgaben, Handlungen und Problemlösungen sollten so weit wie möglich vom Einzelnen, von der kleinsten Gruppe oder der untersten Ebene einer Organisationsform unternommen werden. Nur wenn dies nicht möglich, mit erheblichen Hürden und Problemen verbunden oder der Mehrwert einer Zusammenarbeit offensichtlich ist und diese eine allgemeine Zustimmung erfährt, sollen sukzessiv größere Gruppen, öffentliche Kollektive oder höhere Ebenen einer Organisationsform subsidiär, das heißt unterstützend, eingreifen. Das sind meist nach den strittigen privaten Zwischenebenen (Familie oder Haushaltsgemeinschaft, das weitere persönliche Umfeld und andere private Gemeinschaften) territoriale, öffentliche Kollektive wie Gemeinden, Landkreise, Länder, Staaten und zuletzt Staatengemeinschaften und supranationale Organisationen.
Als einer der Hauptautoren von „Quadragesimo anno“ gilt der Jesuit Oswald von Nell Breuning, den man oft auch als „Nestor“, als „größten Vertreter der christlichen Soziallehre“ bezeichnet hat. Er hat sich nicht nur für das Subsidiaritätsprinzip, sondern auch für eine klare Unvereinbarkeit von christlicher Soziallehre und Sozialismus stark gemacht.
Die nachfolgenden Päpste Johannes XXIII und Paul VI ergänzten die christliche Soziallehre um das Thema der globalen Wirtschaftsgerechtigkeit (1961) und um das Thema der Bewahrung der Schöpfung (1971). Themen, die auch durch Benedikt XVI und Franziskus später wieder aufgegriffen wurden.
War die katholische Soziallehre lange Zeit durch den Gegensatz von Kapitalismus und Sozialismus geprägt und neigte mit „Quadragesimo anno“ noch dem dritten Weg eines „Ständestaates“ zu, so gab es mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften unter Johannes Paul II (Centesimus annus, 1991) ein eindeutiges Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft und einer entsprechenden Kritik am ungebändigten Kapitalismus.
Buchbesprechungen
von Axel Stark, Akademischer Oberrat i.R., Universität Passau
Elmar Altvater, Marx neu entdecken
Hamburg 2.Aufl. 2018, VSA-Verlag, 142 S.
Elmar Altvater, kürzlich verstorben, war Professor für Politikwissenschaft. Er wirft einige der brennenden Probleme der Gegenwart, insbesondere die Fragen nach Ursachen, Verlauf, Perspektiven und Lösungen der ökonomisch-ökologischen Krise der Gegenwart auf und diskutiert sie mit Hilfe der Marxschen Theorie und versucht Antworten zu geben. Sympathisch schreibt Altvater „Fehler, Unklarheiten oder Missverständnisse gehen auf des Autors Kappe.“ Dieselbe „Demut“ wünsche ich mir von Theologen, die sich über das Evangelium Jesu Christi äußern. Wer die Theologie der Befreiung bzw. die Neue Politische Theologie verstehen will, der sollte zu diesem Marx-Buch greifen.
Die Linke und die Religion. Geschichte, Konflikte und Konturen
Cornelia Hildebrandt/Jürgen Klute/Helge Meves/Franz Segbers (Hg.),
Hamburg 2019, VSA-Verlag, 237 S.
Kirche und sozialistische Arbeiterbewegungen hatten von Anbeginn ein schwieriges Verhältnis. Was heißt das für die Linke heute? Wie sehen sie das Verhältnis der Religionen zum Staat, im Streit um das Kopftuch, Militärseelsorge oder Religionsunterricht? Und was sind die Maßstäbe für eine linke Religionspolitik? Zu den Autoren dieses Sammelbandes gehören der Diplomtheologe Peter Bürger; die Abgeordnete Christine Buchholz, ev. Theologin und Sprecherin für Religionspolitik der Bundestagsfraktion Die Linke; Rainer Kessler, emeritierter ev. AT-Exegese-Professor in Marburg; die Pfarrerin i.R. Ilsegret Fink, der kath. Akad. Oberrat für Sozialethik H.-J. Große-Kracht; der kath. Religionslehrer Andreas Hellgermann; die kath. Religionslehrerin Barbara Imholz; der ev. Pfarrer und Ex-MdEP Jürgen Klute; der ev. Theologe Ulrich Peter und der altkath. Priester und Sozialethikprofessor Franz Segbers. Wer sich über die aktuelle religionspolitische Diskussion informieren will, die von allen deutschen Parteien mit unterschiedlichen Antworten geführt wird, der findet hier einen guten Einstieg.
Vom Nine-Eleven unseres Glaubens,
Georg Gänswein, Kißlegg 2019, fe-medienverlags GmbH, 214 S.
Das Buch von Titularerzbischof Gänswein enthält ausgewählte Texte von Vorträgen der letzten Jahre. Wer sich darüber informieren möchte, was Gänswein so denkt, kann hier fündig werden. Ein stabiler katholischer Glaube ist allerdings Voraussetzung, denn sonst wird man verunsichert. Der deutsch-äthiopischen Prinz Asfa-Wossen Asserate, äthiopisch-orthodoxer Christ, sieht es im Vorwort allerdings anders: Gänswein widerstehe der Diktatur des Zeitgeistes und lebe entschieden aus der Wahrheit des christlichen Glaubens heraus. (S.9)Der Buchtitel nimmt Bezug auf den Terroranschlag am 11. September 2001 („Nine-Eleven“) und stellt einen Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal und der allgemeinen Krise in der katholischen Kirche her. Er spricht u.a. von einer „Ökumene der Not und der Verweltlichung und eine Ökumene des Unglaubens und der gemeinsamen Flucht vor Gott und aus der Kirche quer durch alle Konfessionen. Und eine Ökumene der allgemeinen Gottesverfinsterung.“ (S.171/172) In diesem in einem apokalyptischen Ton gehaltenen Vortrag am 11.9.2018 im italienischen Parlament in Rom („Das Nine-Eleven der Kath. Kirche“) stellt Gänswein das Buch und Projekt „Die Benedikt-Option“ des US-Journalisten und Ex-Methodisten, Ex-Katholiken und jetzt russisch-orthodoxen Christen Rod Dreher vor. Dieses Projekt, von Gänswein gutgeheißen, gibt Antwort auf die Frage, wie die Zukunft der Christen in einer zunehmend entchristlichten Welt aussehen kann. Aber auf eine Art und Weise, die schon Papst Johannes XXIII. bei der Konzilseröffnung 1962 als Stimme von „Unheilspropheten“ negativ beurteilt hat. Wenn Gänswein Dreher so öffentlich unterstützt, zeigt er seine Unterstützung für die religiöse Rechte in den USA, zu der u.a. auch der frühere Trump-Unterstützer Steve Bannon gehört. Und er zeigt, dass er Papst Franziskus gegenüber illoyal ist. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass diese Position dem Evangelium Jesu Christi entspricht.
Doris Wagner / Christoph Schönborn,
Schuld und Verantwortung. Ein Gespräch über Macht und Missbrauch in der Kirche
Freiburg 2019, Herder-Verlag, 124 S.
Mit ihrem Buch über spirituellen Missbrauch hat Doris Wagner, 2003-2011 Mitglied einer sog. Neuen geistlichen Gemeinschaft, in der sie Missbrauch und den kirchenamtlichen Umgang damit erfahren musste, eine gewaltige Debatte ausgelöst. In Teilen wurde ihr Gespräch mit dem Wiener Kardinal Schönborn OP vom Bay. Fernsehen ausgestrahlt, in diesem Buch findet sich das vollständige Gespräch, das weit über die TV-Doku hinausgeht. Wagner und Schönborn reden über Macht und Missbrauch und Verantwortung. Schönborn ist insofern auch betroffen, weil er als Erzbischof von Wien Nachfolger eines Missbrauchstäters (Kardinal Hans Hermann Groer OSB) ist. Drei Teile beinhaltet dieses Buch: 1. Kirche als Heimat, 2. Wurzeln des Missbrauchs in der Kirche und 3. Macht, Missbrauch und Verantwortung. Was sich ändern muss.
Pfarrer Gerhards Kräuterkolumne:
Weit mehr als einfach nur Rettich: der MEERRETTICH
Eines der wenigen heimischen „Scharf-Kräuter“ –das ist eine meiner Wortschöpfungen – das es „in sich hat“ und das seine Kraft uns zukommen lässt. Allsamt dienen „die Scharfen“ dazu, das hinaus zu brennen, was sich an Üblem in uns angesammelt hat. Unterschiedliche Auffassungen gibt es zur Herkunft des Wortes „Meerrettich“. In seiner althochdeutschen Form lässt sich dieser Name erstmals im 10. Jahrhundert nachweisen. Heinrich Marzell, ein mit Vorsicht zu genießender Gelehrter, deutet den Name als „der über das Meer zu uns gekommene Rettich“. Die Meinung, dass Meerrettich aus „Mährrettich“ (von „Mähre“, das meint: „altes Pferd“) entstanden sei und so dem englischen „horse-radish“ bzw. dem französischen „radis de cheval“ entspräche, ist auch bedenkenswert. Der etymologische Duden vertritt die Meinung, dass die eigentliche Wortbedeutung wahrscheinlich lediglich einen „größeren Rettich“ bezeichnet.
Meerrettich („Armoracia rusticana“) gehört zur Familie der Kreuzblütengewächse (Brassicaceae). Die Wurzel der Meerrettichpflanze wird als Gemüse, Gewürz oder in der Pflanzenheilkunde verwendet. Mit den Rettichen aber ist er nicht näher verwandt. Seine ursprüngliche Heimat liegt in Ost-und Südeuropa, wo er „Kren“genannt wird. Eine fränkische Variante wird entsprechend der Aussprache auch „Kree“ geschrieben. Meerrettich war schon in der Antike bekannt. Pompejische Wandgemälde belegen dies. Plinius nennt ihn ein Kraut, das die Monatsblutung anregt, Wasser treibt und Steine in Bewegung bringt.
Cato befasste sich in seinen Abhandlungen zum Ackerbau ausführlich mit dieser Pflanze. In Deutschland soll der Meerrettich erst seit dem Mittelalter angebaut worden sein. Der Meerrettich soll zunächst als Heilpflanze und dann erst als Gewürz eingesetzt worden sein.
Hildegard empfiehlt das Kraut bei Lungen- und Herzschmerzen. Und in der Klostermedizin gilt es als wirksames Mittel, um Nasennebenhöhlenentzündungen zu behandeln und ein Zuviel an Schleim auszuscheiden. Der Genuss des Meerrettichs soll an das bittere Leiden Christi erinnern. Er hilft bei Ohnmacht, dient zum Orakeln des Geschlechts der Nachkommenschaft und hilft, dass der Geldbeutel niemals leer wird. Soweit einige Aspekte aus dem Volksglauben.
Insbesondere in den Meerrettichanbaugebieten gehören Gerichte mit Meerrettich zum Alltag. Die Meerrettichwurzel ist in unverarbeitetem Zustand geruchlos. Wird die Wurzel geschnitten oder gerieben, verströmt sie einen stechenden und zu Tränen reizenden Geruch. Vor der leichten Erhältlichkeit von Pfeffer waren Meerrettich, Kresse und Senf die einzigen scharfen Gewürze der deutschen Küche und fanden entsprechend viel Anwendung. 1597 schreibt der Engländer John Gerard, dass sich „der gestampfte und mit etwas Essig verrührte Meerrettich bei den Deutschen für Saucen zu Fischgerichten und bei Speisen, die wir mit Senf essen“, allgemeiner Beliebtheit erfreue. Meerrettich wird heute unter anderem zu Räucherfisch, Tafelspitz, Sauerfleisch, Roastbeef, zu Schinken und Frankfurter oder Wiener Würstchen serviert. Mit Meerrettich gewürzter Quark oder Frischkäse ist ein beliebter Brotaufstrich.
Die scharfe Wurzel des Meerrettichs hilft gegen allerlei Infektionskrankheiten und auch gegen Schmerzen. Sogar Grippeerregern bietet der Meerrettich Paroli, was ihn zu einem unschätzbaren Helfer in der Hausapotheke macht. Am besten verwendet man die Meerrettichwurzel frisch. Das Reiben der Meerrettichwurzel stellt bereits eine Art Therapie für die Nasennebenhöhlen dar, denn die ätherischen Öle steigen scharf auf und reizen zu Tränen und Sekretion aus den Nasenschleimhäuten. Wenn man diese Behandlung nicht braucht bzw. haben will, dann kann man eine Taucherbrille aufsetzen, um den scharfen ätherischen Ölen zu entgehen. Gegen Insektenstiche kann man den geriebenen Meerrettich auf die betroffene Haustelle legen und leicht einreiben. Auch bei Zahnschmerzen kann man den Meerrettich an Ort und Stelle bringen und dort belassen, bis die Schärfe nachlässt. Meerrettich-Auflagen helfen bei hartnäckigem Husten, Kopfschmerzen und neuralgischen Schmerzen, z.B. Hexenschuss oder Ischias.
Mit Meerrettich-Wein kann man Blasensteine austreiben oder auch die Menstruation stark fördern. Eine Meerrettich-Kur eignet sich, um das Immunsystem auf Trab zubringen. Besonders in der Erkältungszeit hilft eine Meerrettich-Kur, um Erkältungen zu verhindern.
Falls die Erkältung schon da ist, kann man sie mit einer Meerrettich-Kur lindern. Dazu nimm morgens und abends je einen Teelöffel - am besten frisch geriebenen - Meerrettich. Kombiniert mit dem Kraut der Kapuzinerkresse wird die Meerrettichwurzel in der Praxis zur Behandlung von Atemwegs - und Harnwegsinfekten eingesetzt. In -vitro- Studien belegen, dass eine Kombination der beiden Pflanzenstoffe ein breites antibakterielles Wirkspektrum gegenüber zumindest 13 klinisch relevanten Bakterienstämmen besitzt.
Früher ging man davon aus, dass bei Blasen-und Nierenleiden kein Meerrettich gegessen werden sollte, da große Mengen Meerrettich Nierenbluten auslösen könnten. In heutiger Fachliteratur wird dieses Problem nicht mehr berichtet. Aber Achtung: Meerrettich eignet sich nicht für Patienten mit Magen- oder Darmgeschwüren sowie Schilddrüsenfehlfunktionen.
Gott befohlen und herzlichst, Euer Kräuterpfarrer
Gerhard