012014


Diakonen- und Priesterweihe in Ungarn


Bischof Dr. Roald N. Flemestad konnte auf seiner Pastoralreise durch Ungarn im November 2013 nicht nur einigen Jugendlichen das Sakrament der Firmung spenden, sondern auch Herrn Peter Kovats zum Diakon und Dr. Laszlo Kardon zum Priester ordinieren.



Das Gewissen. Ein katholischer Standpunkt


Von Josef Bordat


Der Begriff Gewissen wird oft von uns verwendet: ein gutes oder schlechtes Gewissen haben, eine Gewissensentscheidung treffen, in einen Gewissenskonflikt geraten. Gleichzeitig sind wir unsicher darüber, was das Gewissen überhaupt ist. Fest steht: Im Gewissen trifft die subjektive Perspektive des Individuums auf die objektive Normativität der Gemeinschaft. Während aus dem Blickwickel des Subjekts Beliebiges erkannt wird und der Gewissensgebrauch damit in einen „So sehe ich das!“-Relativismus herabzusinken droht, kann die objektive Ordnung durch zu starke Verbindlichkeit jeden Spielraum eigener Verantwortungsübernahme zunichte machen. Wird der Gewissensgebrauch im Subjektivismus durch Relativität und fehlende Verbindlichkeit in Bezug auf die objektive Norm- und Wertordnung in seiner Unberechenbarkeit zur Gefahr für die Allgemeinheit, so wird er im Objektivismus vom Vorrang der Normativität im Keim erstickt. Polemisch gesagt: Das subjektivistisch formierte Gewissen ist zu allem fähig, das objektivistisch eingefasste Gewissen zu nichts zu gebrauchen.


Der Grundkonflikt zwischen Subjektivismus und Objektivismus bedarf eines Ausgleichs. Gesucht ist ein Rückbindungsmodus des Gewissens (auch „Information“, „Formung“ oder „Bildung“ genannt), der den Einzelnen befähigt, gegebene Normen kritisch zu reflektieren, der ihn jedoch soweit binden, dass er sich nicht gleich selbst zur einzig gültigen Norm macht. Dabei muss neben der Anerkennung der Bedingungen Freiheit und Verantwortung weiterhin sichergestellt sein, dass sich der Vernunftgebrauch der Wahrheitssuche verpflichtet weiß. Denn wer die Wahrheit als Zielgröße der praktischen Rationalität ablehnt, nimmt letztlich auch das Gewissen nicht ernst. Der Schlüssel für den Rückbindungsmodus liegt folglich in der Beziehung des Gewissens zur Wahrheit. Wer zudem davon ausgeht, dass es eine gemeinsame Quelle von Vernunft und Wahrheit gibt, die auch für das Gewissen gesorgt hat, nämlich Gott, hat den Grund einer Objektivierung gefunden, die jedoch nur durch das Subjekt wirksam wird (eben in Gestalt des Gewissensgebrauchs) und die damit von der Zustimmung des Menschen abhängig bleibt.


In der katholischen Morallehre wird einerseits an der Erkennbarkeit und dem Bindungscharakter objektiver ethischer Wahrheit festgehalten, andererseits wird beachtet, dass der Einzelne in seiner Freiheit nie von außen gezwungen werden kann. Aber eben von innen bzw. von einem „verinnerlichten Außen“, vom Gewissen, einem durch göttliche Norm informierten Gewissen. Im Glauben an den Gott der Bibel, der Gebote erlässt und zugleich qua Vernunft Teilhabe an der Einsicht in ihre Notwendigkeit gewährt, konvergieren Freiheit und Wahrheit und damit letztlich die subjektive menschliche Sittlichkeit und das objektive göttliche Gebot. Gewissen und Gesetz werden nicht als Gegensätze gedacht, sondern als Bezugsgrößen, die im Naturrecht eine gemeinsame Rechtfertigungsbasis haben. Dies ist die Grundannahme der katholischen Morallehre. Das Zusammenspiel von autonomer (aber von Gott durchdrungener) Rationalität sowie heteronomer (aber in die menschliche Natur eingewobener) Normativität setzt freilich die ständige „Weiterbildung“ des Gewissens voraus – ein sich selbst verstärkender Prozess in Richtung moralische Wahrheit.


Dr. Josef Bordat arbeitet an der Freien Universität Berlin und ist einer der bekanntesten katholischen Blogger im deutschsprachigen Raum. In seinem Weblog „Jobo72“ behandelt er philosophische und theologische Fragen und bezieht engagiert Stellung zu den Themen Kirche, Medien und Politik. In seinem jüngst erschienen Buch „Das Gewissen“ (Lepanto-Verlag, Euro 16,80) setzt er sich vor allem mit dem Gewissen im katholischen Glauben und den einschlägigen Debatten im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils auseinander. Schließlich wird die verfassungsrechtliche Dimension des Begriffs in Gestalt der Gewissensfreiheit des Bürgers und insbesondere des Mandatsträgers aufgezeigt. Aktuelle Fallbeispiele von konkreten Gewissensentscheidungen aus den Bereichen Lebensschutz und Politik ergänzen die Abhandlung.



Die Sprache Spielt mit uns: Leichtsinnliche Aphorismen


Dr. Manfred Gies, 19,80 € bei BloggingBooks 2013


Gute Aphorismen sind listige Verführungen. Anders als Wein entwickeln sie ihre Blume erst, wenn man sie bereits geschluckt hat. Und anders als Schokolade warten sie nicht auf der Zunge, bis sie zergehen. - Heraklit, der erste Meister der Kunst des aphoristischen Schreibens, konnte nicht ahnen, dass mit dem Mikroblog “Twitter“ für eine große Zahl von Autoren eine neue, willkommen aufgenommene Form der Herausforderung entstehen würde. Denn die unmittelbare Publikation ohne Zeitverzögerung und nicht zuletzt die erzwungene Beschränkung der “Tweets“ auf 140 Zeichen provozierte auch zahlreiche neue rhetorische Stilmittel und twitter-typische Formen der Textgestaltung. So finden sich durch paradoxe oder sinnverfremdende Spiele mit Worten, Buchstaben oder Alltagssprache, in sarkastischen Mini-Dialogen oder selbstironischen Kommentaren, aber auch in dramatischer oder liebevoller Poesie überraschende Ausblicke auf Alltägliches und Einblicke in zwischenmenschliche Turbulenzen und intime Innenwelten. Auch die meisten der hier gesammelten Aphorismen des Autors sind in dieser kreativen Atmosphäre zuerst entstanden.



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Aus der Ökumene


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Unitas in veritate:


Die Zweite Weltweite Konferenz zur Zukunft des Anglikanismus


(GAFCON 2013)


Von Dr. Frederik Herzberg


Einheit in der Wahrheit: Die 2. Weltweite Konferenz zur Zukunft des Anglikanismus (GAFCON 2013)


Einheit in der Wahrheit (vgl. Joh 17, 17.21). Dies könnte ein nachträglich gewähltes Motto der nunmehr zweiten Global Anglican Future Conference (GAFCON) sein, welche vom 21. bis 26. Oktober in der kenianischen Hauptstadt Nairobi stattfand. Die Gemeinsamkeit, ja familiäre Gemeinschaft im apostolischen Glauben ist denn auch der Gegenstand des Schriftworts, mit dem die diesjährige GAFCON ihr Communiqué überschrieb: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist.“ (Eph 2, 19f) Im Folgenden soll skizziert werden, wie es zu den GAFCON-Konferenzen gekommen ist und welche Bedeutung – sowohl für die Anglikanische Kirchengemeinschaft selbst, als auch für ihre ökumenischen (insbesondere: traditionsverbundenen) Partner – diesen Konferenzen zukommt.


Die erste GAFCON (Jerusalem 2008)  war ein bedeutendes Ereignis der jüngsten anglikanischen Kirchengeschichte, da sie erstmals in aller Deutlichkeit die latente Spaltung der Anglikanischen Kirchengemeinschaft vor Augen führte. Bekanntermaßen gibt es schon seit vielen Jahrzehnten Spannungen in der Anglikanischen Kirchengemeinschaft: Manche Provinzen praktizieren bereits seit den 1970er Jahren die Frauenordination, andere lehnen sie bis heute unter Verweis auf die Schrift und darin wurzelnde apostolische Tradition ab; die Vorsitzende Bischöfin der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten, Katherine Jefferts Schori, hat sich durch Äußerungen hervorgetan, die noch weit über die Rahnersche Lehre vom „anonymen Christentum“ hinausgehen und als Allversöhnungslehre verstanden werden können; den Glauben an das stellvertretende sühnende Leiden Jesu Christi am Kreuz und Seine Auferstehung sieht sie offenbar neuprotestantisch als „Werk“ ohne Gnade an; manche Provinzen betrachten die Sexualethik des Neuen Testaments (z.B. 1 Kor 6, 9f) als überholt. Letztere – in Teilen des Anglikanismus und Protestantismus verbreitete – Haltung geht oft einher mit einem irrigen Schriftverständnis und gerade dadurch ist dieses ansonsten ja eher periphere Thema kirchlicher Verkündigung zu einem Schibboleth, einem Lackmustest der Orthodoxie, im Anglikanismus und auch anderen Konfessionsfamilien geworden. Gleichwohl verdienen Lehrabweichungen in Soteriologie, Kirchenverfassung (z.B. Frauenordination) und Sakramentsverwaltung (z.B. fragwürdige eucharistische Praxis) ebenso große Aufmerksamkeit.


Die Hoffnung moderat-konservativer Kreise im Anglikanismus bestand lange Zeit darin, dass durch fortwährenden innerkirchlichen Dialog trotz aller Divergenzen ein faktisches Schisma abgewandt würde und sich schließlich doch noch die rechtgläubige Position durchsetzen könnte. So zumindest lautet die wohlwollende Interpretation der diversen (von offizieller Seite unter den – diplomatisch geschickt gewählten – Zulu-Begriff Indaba gefassten) Bemühungen mehrerer Erzbischöfe von Canterbury (insbesondere des inzwischen emeritierten Primas Rowan Williams), die jeweils als primus inter pares der Anglikanischen Kirchengemeinschaft vorstehen. In diesem Sinne wurde auf der alle zehn Jahre stattfindenden internationalen anglikanischen Bischofskonferenz im Jahre 1998 eine Resolution verabschiedet (Resolution I.10 on Human Sexuality), in welcher die Ehe als lebenslange Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau definiert wird, das zölibatäre Leben jedem, der sich nicht zur Ehe berufen fühlt, nahegelegt wird und sowohl von der Genehmigung von Liturgien zur kirchlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften als auch der Ordination von Personen in solchen Partnerschaften abgeraten wird. (Nota bene: Die sogenannte Lambethkonferenz ist keine wirkliche Synode und kann daher keine kirchenrechtlich bindenden Beschlüsse fassen, vgl. LThK³ VI,619.)


Der 1998 erreichte Kompromiss hielt keine fünf Jahre: Im Jahr 2003 wurde V. Gene Robinson zum Bischof von New Hampshire (Vereinigte Staaten) konsekriert und im gleichen Jahr approbierte Bischof Michael Ingham von New Westminster (Kanada) Liturgien zur kirchlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Da sich ja gesunde Lehre und Ethik nie von heilsamer Seelsorge trennen lassen, war dies erwartungsgemäß auch pastoral eine Katastrophe: Viele homosexuell empfindende Christen und Christinnen, die sich jahrzehntelang um ein Leben nach Gottes guten Geboten auch in diesem Lebensbereich bemüht hatten, mussten dies als enorme Verunsicherung, wenn nicht gar als kirchenoffiziellen Hohn, empfinden. Die nachfolgende Konferenz der Primasse anglikanischer Kirchenprovinzen in Daressalam 2007 rief die Episkopalkirche der Vereinigten Staaten und die kanadische Kirchenprovinz dazu auf, ihr Bedauern für ihr liebloses Verhalten gegenüber den anderen Provinzen auszudrücken, hinfort auf die bischöfliche Konsekration von Personen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu verzichten und Liturgien für die Segnung solcher Verbindungen zurückzuziehen (Communiqué of the Primates' Meeting in Dar es Salaam 2007, §17).


Auch dieser Beschluss war – wie so viele vor ihm – von den modernistischen Kirchenprovinzen ignoriert worden, als 2008 die nächste Lambethkonferenz nahte. Statt sich jedoch abermals mit modernistischen Bischöfen in endlose Diskussionen über Beschlüsse, die dann doch ignoriert würden, verwickeln zu lassen oder gar eucharistische Gemeinschaft mit Häretikern zu pflegen, zog es ein Drittel der anglikanischen Bischöfe weltweit vor, ein gemeinsames Bekenntnis zum überlieferten Glauben im Heiligen Land abzugeben. So kam es zur ersten GAFCON im Jahr 2008 mit Teilnehmern aus allen Kontinenten; die meisten Provinzen Schwarzafrikas sowie die Provinzen Naher Osten, Südostasien, Südliches Lateinamerika und die Diözese Sydney entsandten fast ihren ganzen Episkopat, so dass gewiss die Hälfte aller praktizierenden Anglikane weltweit bei er ersten GAFCON vertreten war. Die dort verabschiedete Jerusalemer Erklärung, die von der Internationalen Konferenz Bekennender Gemeinschaften auch ins Deutsche übersetzt worden ist (http://www.ikbg.net/pdf/JerusalemGAFCON2008.pdf), bekennt sich: zur Heiligen Schrift als dem geschriebenen Wort Gottes; zu den dogmatischen Definitionen der vier Ökumenischen Konzilien und der drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse als Ausdruck der Glaubensregel der ungeteilten Kirche; zu den 39 Artikeln der Kirche von England von 1562/1571; zur Gottessohnschaft und einzigartigen Heilsmittlerschaft Jesu Christi sowie zu Seinem Sühnetod; zum Allgemeinen Gebetbuch von 1662 als liturgische Norm; zum Episkopat in historischer Sukzession; zur (heterosexuellen) Ehe als einzigem legitimen Ort geschlechtlicher Vereinigung; zur (Verkündigungs-) Mission; zu guter Haushalterschaft über Gottes Schöpfung, zum Eintreten für Gerechtigkeit in der Gesellschaft und dem Dienst an Armen und Notleidenden; zur Einheit im Glauben trotz unterschiedlicher Ausdrucksformen desselben (wobei an anglokatholische, charismatische und evangelikale Frömmigkeit zu denken ist). Die geistlichen Ämter und die Rechtmäßigkeit der Jurisdiktion aller glaubenstreuen Anglikaner – auch solcher, die nicht mehr mit Canterbury in Kirchengemeinschaft stehen – werden anerkannt. Die geistliche Autorität heterodoxer Kirchenleiter hingegen wird explizit verworfen; diese werden vielmehr zu Umkehr und Buße gerufen und zugleich der Fürbitte versichert.


Seit der ersten GAFCON 2008 hat sich manches in der Anglikanischen Kirchengemeinschaft ereignet: Als rechtgläubige Alternative zur Episkopalkirche der Vereinigten Staaten und der Anglikanischen Kirche Kanadas ist 2009 die Anglikanische Kirche in Nordamerika gegründet worden, zu der auch die in Deutschland vertretene Reformierte Episkopalkirche zählt (bei GAFCON 2013 unter anderem repräsentiert durch Bischof David Hicks). Die Anglikanische Kirche in Nordamerika wird von den (gemessen an der Zahl aktiver Mitglieder) größten anglikanischen Kirchenprovinzen – insbesondere Nigeria, Uganda, Kenia, Sudan – als der einzige legitime Vertreter der anglikanischen Kirchengemeinschaft in Nordamerika betrachtet. Mit der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten und der Anglikanischen Kirche Kanadas unterhalten diese Provinzen keine Kanzel- und Sakramentengemeinschaft mehr, und die Drift jener Kirchenprovinzen fort vom apostolischen Glauben und überlieferter Kirchenverfassung hat sich seit 2008 fortgesetzt. Leider liefert inzwischen auch die Kirche von England mehr Grund zur Sorge als zur Hoffnung. Fast alle theologisch konservativen Diözesanbischöfe Englands – besonders bekannt: Michael Nazir-Ali, ebenfalls Teilnehmer von GAFCON 2013, oder auch Geoffrey Rowell (bis November Bischof von Gibraltar) – sind inzwischen emeritiert.


Die Bedeutung der zweiten GAFCON 2013 lag nun darin, dem vor gut fünf Jahren entstandenen Netzwerk eine festere Struktur in Form einer Art „Teilkirche“ zu geben. Aufgrund der evangelikalen Prägung einer Mehrzahl der Teilnehmer (insgesamt 331 Bischöfe, 482 Priester und Diakone sowie 545 Laien aus 38 Staaten), die von den anglokatholischen Vertretern der westafrikanischen Kirchenprovinz und aus Nordamerika nur bedingt ausbalanciert wurde, konnte von dieser Konferenz zwar kein ausführliches ekklesiologisches Lehrdokument erwartet werden. (Die evangelikale Theologie vertritt bekanntlich einen Vorrang der Soteriologie gegenüber anderen dogmatischen loci, insbesondere der Ekklesiologie.) Umso beachtlicher ist jedoch, dass auch in diesem Bereich einige – im Nairobi Communiqué and Commitment zusammengefasste – Klärungen stattgefunden haben, die im Folgenden kurz umrissen werden sollen.


Erstens soll die Weltweite Gemeinschaft Bekennender Anglikaner (GFCA), als deren synodaler Ausdruck sich GAFCON versteht, eine ständige kirchliche Struktur werden, deren dogmatische Grundlage (gleichsam die Definition dessen, was „bekennender“ oder glaubenstreuer Anglikanismus ist) die weiter oben zusammengefasste Jerusalemer Erklärung ist. Die Bedeutung von GFCA wurde unter anderem darin deutlich, dass auch der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, am Vorabend von GAFCON 2013 dem Ausschuss der Primasse von GFCA einen Besuch abstattete. Bei dieser Gelegenheit empfing er die Eucharistie aus der Hand von Erzbischof Robert Duncan, dem Primas der (rechtgläubigen) Anglikanischen Kirche in Nordamerika. Allerdings war das GAFCON-Plenum dem Erzbischof von Canterbury weniger wichtig als die Primas-Konferenz der Porvoo-Gemeinschaft (Zusammenschluss anglikanischer und episkopaler lutherischer Kirchen Europas; tagt alle zwei Jahre) in Island, was sich als allzu kurzsichtig erweisen dürfte.


Denn zum Zweiten wurde beschlossen, dass die Organe der GFCA für die beteiligten Provinzen (wohlbemerkt: die Mehrheit der Anglikaner weltweit, insgesamt mehr als 40 Millionen) in Teilen die bisherigen Funktionen der Gremien der Anglikanischen Kirchengemeinschaft übernehmen werden. Insbesondere werden die GFCA-Gremien darüber entscheiden, welche Diözesen bzw. Missionsgesellschaften für die Mehrheit der Anglikaner weltweit als authentischer Ausdruck des Anglikanismus anzusehen sind. Als ersten Schritt hat GAFCON 2013 die Anglikanische Mission in England – welche einige glaubenstreue anglikanische Gemeinden, die in liberalen englischen Diözesen an den Rand gedrängt worden sind, versammelt – als authentische anglikanische Jurisdiktion anerkannt. Unter den GFCA-Gremien ist besonders der Ausschuss der GFCA-Primasse (Oberhäupter mehrerer bevölkungsreicher anglikanischer Kirchenprovinzen), derzeit geleitet vom kenianischen Primas Eliud Wabukala, hervorzuheben.


Drittens hat ein ermutigender Schritt in Richtung auf eine Konsolidierung der Kirchenverfassung einiger ansonsten glaubenstreuer Kirchenprovinzen stattgefunden. Anders als die größte Kirchenprovinz, Nigeria, praktizieren nämlich manche GFCA-Provinzen nach wie vor die Frauenordination, wenn auch nicht die Konsekration von Bischöfinnen. In der Anglikanischen Kirche in Nordamerika findet derzeit ein Studienprozess statt, der hoffentlich langfristig zur Abschaffung der Ordination von Priesterinnen sowohl in Nordamerika als auch in den anderen GFCA-Provinzen führen wird. Vor diesem Hintergrund war es erfreulich, dass die Sektion zur kirchlichen Frauenarbeit von GAFCON 2013 den Antrag der Sektionsleitung, „[kirchliche] Leitungsverantwortung von Frauen [zu] bestätigen“, verwarf und statt dessen den „zentralen Beitrag von Frauen zum kirchlichen Leben“ würdigte. (Außerhalb der Plenarveranstaltungen tagten themenspezifische Sektionen, u.a. auch zur Theologischen Ausbildung.) Die nordamerikanische Arbeitsgruppe zur Frauenordination wird von Bischof Hicks (s.o.) von der Reformierten Episkopalkirche, welche diese Neuerung bisher stets abgelehnt hat, geleitet. Wir hoffen, dass die Entscheidung der einschlägigen GAFCON-Sektion ein Präjudiz ist und die ansonsten glaubenstreuen anglikanischen Kirchenprovinzen langfristig keine Priesterinnen mehr ordinieren werden.


In der Summe war GAFCON 2013 ein eindrucksvolles und ermutigendes gemeinsames Bekenntnis für den „Glauben, der ein für alle Mal den Heiligen überliefert ist“ (Jud 3). Das de facto-Schisma in der Anglikanischen Kirchengemeinschaft dauert an und wird mit der zu erwartenden Weihe von Bischöfinnen in der Kirche von England noch vertieft werden. Aber mit der Weltweiten Gemeinschaft Bekennender Anglikaner (GFCA) und ihrem synodalem Gremium GAFCON haben traditionsverbundene Anglikaner nun weltweit alle Strukturen kirchlicher Gemeinschaft, die für ein kirchliches Leben in der Nachfolge der Apostel nötig sind. Glaubenstreuen Anglikanern ist Einheit in der Wahrheit, Einheit in Christus, geschenkt worden – ein Grund zur Dankbarkeit gegenüber dem HERRN der Kirche.


Dr. Frederik Herzberg ist Sekretär der Reformierten Episkopalkirche in Deutschland


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KATAKOMBENPAKT FÜR EINE DIENENDE UND ARME KIRCHE


Von Axel Stark


 

Kurz vor dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils versammelten sich vierzig Bischöfe


am 16. November 1965 in den Domitilla-Katakomben nahe Roms, darunter der brasilianische Erzbischof Dom Helder Camara ( 1909-1999 ) und der Essener Weihbischof Julius Angerhausen ( 1911-1990 ). Ihr Anliegen war „ein dem Evangelium entsprechendes Leben in Armut“ und eine „Kirche der Armen“ ( Papst Johannes XXIII. 1962 ). Deshalb verpflichteten sich diese Bischöfe und später weitere fünfhundert Bischöfe zu folgendem „Katakombenpakt“:


Ÿ  Sie wollen leben, „wie die Menschen um uns her üblicherweise leben, im Hinblick auf Wohnung, Essen, Verkehrsmittel und allem, was sich daraus ergibt“.


Ÿ  Das bedeutet den Verzicht auf „teure Stoffe und auffallende Farben bei der Amtskleidung“ sowie auf „Amtsinsignien aus Gold oder Silber“, auf persönlichen Besitz wie Immobilien und Mobiliar sowie Bankkonten.


Ÿ  Die „Finanz- und Vermögensverwaltung unserer Diözesen werden wir in die Hände einer Kommission von Laien legen, die sich ihrer apostolischen Sendung bewusst und fachkundig sind, damit wir Apostel und Hirten statt Verwalter sein können“.


Ÿ  Sie wollen auch nicht mit Eminenz, Exzellenz oder Monsignore angesprochen werden, weil darin „Macht zum Ausdruck“ gebracht wird.


Ÿ  Sie wollen „Reiche und Mächtige nicht privilegiert, vorrangig oder bevorzugt behandeln“.


Ÿ  „Für den apostolisch-pastoralen Dienst an den wirtschaftlich Bedrängten, Benachteiligten oder Unterentwickelten, werden wir alles zur Verfügung stellen, was notwendig ist an Zeit, Gedanken und Überlegungen, Mitempfinden oder materiellen Mitteln.“


Ÿ  „Wir werden alles dafür tun, dass die Verantwortlichen unserer Regierung und unserer öffentlichen Dienste solche Gesetze, Strukturen und gesellschaftliche Institutionen schaffen und wirksam werden lassen, die für Gerechtigkeit, Gleichheit und gesamtmenschliche harmonische Entwicklung jedes Menschen und aller Menschen


            notwendig sind. Dadurch soll eine neue Gesellschaftsordnung entstehen, die der


            Würde der Menschen- und Gotteskinder entspricht.“


Ÿ  Es sollen „wirtschaftliche und kulturelle Strukturen geschaffen werden, die der verarmten Mehrheit der Menschen einen Ausweg aus dem Elend ermöglichen, statt in einer immer reicher werdenden Welt ganze Nationen verarmen zu lassen.“


Ÿ  „In pastoraler Liebe verpflichten wir uns, das Leben mit unseren Geschwistern in Christus zu teilen, mit allen Priestern, Ordensleuten und Laien, damit unser Amt ein wirklicher Dienst werde.“


Die Domitilla-Katakomben als Ort des Bischoftreffens und deren Verpflichtung zum Katakombenpakt weisen auf die Ursprünge der Kirche hin bevor diese vom römischen Kaiser zur anerkannten Staatsreligion am Ende des vierten Jahrhunderts gemacht und damit politisch und sozial „domestiziert“ wurde. Mit dieser spätantiken Tradition der Verbindung von Thron und Altar, die sich über das Mittelalter ( Fürstbischöfe und Fürstäbte, Renaissancepäpste usw. ) hin bis in die Gegenwart ( Unterstützung autoritärer Regime usw. ) in verschiedenen Formen erstreckte, sollte im Namen des Evangeliums ein Ende bereitet werden.


Auch dies hat eine lange Tradition in der Kirche: u.a. die mittelalterliche Armutsbewegung und franziskanische Spiritualität, der „evangelische Rat der Armut“, die Spiritualität von Charles de Foucauld und seinen „kleinen Brüdern und Schwestern Jesu“. Deutlich wurde auch, dass es nicht nur um die individuelle Armut einzelner Personen geht, um eine romantische Verherrlichung von Armut, sondern um eine neue Gesellschaftsordnung, in der es keine erzwungene Armut und Verringerung von Lebenschancen aller Menschen geben sollte.


Der Katakombenpakt hatte und hat seit 1965 durchaus positive Wirkungen. Es gab und gibt aber auch kirchlich wie gesellschaftlich viele gegenteilige Entwicklungen und Hindernisse. Es gab und gibt auch die Märtyrer einer „Kirche der Armen“ wie den Erzbischof Oscar A. Romero, der 1980 während einer Eucharistiefeier am Altar von einem Offizier mit einem Kopfschuss ermordet wurde. Der jetzt achtundvierzig Jahre alte Katakombenpakt führt uns auch heute in der Gegenwart vor die Entscheidung, wie wir es als Christen, als Kirche, als kirchlicher Amtsträger mit einem „dem Evangelium entsprechenden Leben in Armut“ und einer „Kirche der Armen“ halten wollen. vgl. genauen Wortlaut des Katakombenpaktes und Kommentar bei: Norbert Arntz, Selbstorganisation und Selbstverpflichtung: Der Katakombenpakt, in: Institut für Theologie und Kirche (Hg.). Der doppelte Bruch. Das umkämpfte Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils, Münster 2011, S. 29-31.


Axel Stark, Akademischer Oberrat i.R, lehrte an der Universität Passau



KATHOLISCH-APOSTOLISCHE GEMEINDEN


EINST UND JETZT


Von. Alfons Fischer


Ist bald das Ende der katholisch-apostolischen Gemeinden gekommen? Finden doch schon seit Jahrzehnten keine Eucharistiefeiern mehr statt und stattdessen nur noch Wort- bzw. Lesegottesdienste. Auch gibt es gegenüber früher schon längst keine Amtsträger mehr (Apostel, Engel bzw. Bischöfe, Priester und Diakone). Dies alles wird als „Zeit der Stille“ bezeichnet. Wenn man jedoch die im Berliner Stadtteil Kreuzberg gelegene sowie kürzlich sehr aufwendig und bestens von innen und außen renovierte Kathedrale der katholisch-apostolischen Gemeinde Berlin-Süd sieht, dann kommen Zweifel auf, ob das mit den damit verbundenen großen Kosten alles im Hinblick auf ein zu erwartendes Ende der Gemeinde geschah. Oder ob es vielmehr doch die reale Hoffnung auf eine Erlösung aus der vertrackten Gemeindesituation gibt. Etwa in eine befreiende Richtung, die ein Wiederaufleben des Gemeindelebens im alten Geist ermöglicht. Dazu würde aber auch ein Heraus aus der selbst gewählten Isolierung und eine Öffnung zur Ökumene gehören. Keine der noch in Deutschland bestehenden katholisch-apostolischen Gemeinden gehört einem ökumenischen Gremium an, und es fehlt an einer gemeinsamen geistlichen Oberleitung.


Nun gibt es in den katholisch-apostolischen Gemeinden allerdings nach wie vor die Vision  einer „Sendung der Siebzig“ entsprechend Lk. 10,1f. wonach Gott nach den 12 Aposteln noch 70 Jünger auswählte. Während das Werk der am 14.07.1835 ausgesonderten katholisch-apostolischen Apostel mit dem Tod des letzten Apostels Woodhouse am 03.02.1901 endete, stehe hingegen eine Aussendung der 70 Jünger in die Gemeinden zur Vollendung der Kirche noch aus. Hierzu gibt es zumindest in den neueren Bibelübersetzungen jedoch einen Widerspruch zur Anzahl der von katholisch-apostolischer Seite genannten Jünger, denn es ist dort von 72 und nicht nur von 70 die Rede. Wenn es tatsächlich zu einer „Sendung der Siebzig oder auch Zweiundsiebzig“ kommen würde, wäre die „Zeit der Stille“ beendet, und ein Umdenken bezüglich der Situation der Gemeinden wäre die Folge!       


Ursprung und Anfang der katholisch-apostolischen Gemeinden


Die katholisch-apostolischen Gemeinden beruhen auf einer endzeitlich ausgerichteten prophetisch-charismatischen Erweckungsbewegung in Schottland und England. Man erwartete die baldige Wiederkunft Christi. Die Initiatoren dieser Bewegung setzten dabei auf die Gaben des Heiligen Geistes sowie die Wiederbelebung urchristlicher Ämter. Hierbei ging es vor allem um das vierfache Amt: Apostel, Prophet, Evangelist, Hirte/Lehrer nach Eph. 4,11. Jedes dieser Ämter sollte sowohl in der Gesamtkirche als auch in den Einzelgemeinden (hier entsprechend der Amtskategorie der Apostel die „regierenden Ältesten“) vorhanden sein. Die Ortsgemeinden wurden deshalb von sogenannten „Engeln“ (Bischöfen) geführt. Den Namen „Engel“ für den Gemeindeleiter leitete man von den „Engeln der sieben Gemeinden in der Johannesoffenbarung“ ab. Den Engeln standen Priester im vierfachen Amt, Diakone, Unterdiakone, Diakonissen, Akolythen und Türhüter zur Seite. Ebenso wollte man sich im ökumenischen Sinne für die Einheit der in viele Kirchen gespaltenen Christenheit einsetzen und dafür wirken. Besondere Bedeutung kam dabei dem Apostelamt zu.


Es gab im Übrigen mehrere Formen des Engel- bzw. Bischofsamtes, nämlich „eingeführter, beauftragter und nächstbeauftragter Engel“ sowie „Engel des Horn“. Die „Einführung“ eines Engels durch einen Apostel oder von ihm Beauftragten hatte die Voraussetzung, dass das vierfache priesterliche Amt vorhanden war. Sie konnte nur nach einstimmig erfolgter Wahl der Gemeinde vollzogen werden. Äußeres Zeichen dafür, dass eine Gemeinde von einem eingeführten Engel geleitet wurde, war der siebenarmige Leuchter als Hinweis auf die siebenfältige Fülle des Heiligen Geistes und auf den Dienst durch das siebenfältige Ältestenamt (Engel und sechs Älteste). Der siebenarmige Leuchter wurde von der Einführung an bei den „vollständigen Morgen- und Abenddiensten“ sowie bei der Eucharistiefeier angezündet. Wo in einer Gemeinde neben dem eingeführten Engel die Priester im vierfachen Amt anwesend waren, konnte in den vollständigen Morgen- und Abenddiensten die „große Fürbitte“ (die umfassendste Form der katholisch-apostolischen Form der Fürbitte) durch den Engel dargebracht werden. Dies zu erreichen war das Ziel jeder größeren Gemeinde.


Engel, die eine selbstständige Gemeinde leiteten, aber nicht eingeführt waren, hießen beauftragte Engel. Auch sie konnten bei Vorhandensein des vierfachen Amtes die vollständigen Gottesdienste mit „großer Fürbitte“ feiern, jedoch in einfacherer Form und ohne den siebenarmigen Leuchter.


Engel, deren Gemeinde als Filiale unter einer Gemeinde mit eingeführtem oder beauftragtem Engel standen – also noch nicht selbstständig waren – wurden nächstbeauftragte Engel genannt.


„Horn“ ist die symbolische Bezeichnung bestimmter Gemeinden, die unter der Oberleitung des Engels einer Hauptgemeinde von einem Engel zusammen mit Priestern des vierfachen Amtes geleitet wurden. „Horngemeinden“ - allerdings ohne siebenarmigen Leuchter -  stehen nach katholisch-apostolischem Verständnis wie die vier Hörner des Brandopferaltares der Stiftshütte (Ex 27,1 f.) um den Altar der Hauptgemeinde einer Stadt und bilden mit dieser eine geistliche Einheit. Vier war die Höchstzahl der Horngemeinden. Sie konnten ihrerseits Filialgemeinden in unbeschränkter Anzahl haben. Der Vorsteher einer Horngemeinde wurde „Engel des Horn“ genannt. Auch Horngemeinden war es möglich, unter den genannten Voraussetzungen die vollständigen Morgen- und Abenddienste sowie an den Sonntagen die vollständige Form der Eucharistie zu feiern.   


Die katholisch-apostolische Bewegung hatte aber auch Erzengel (Erzbischöfe). Diese gab es in besonders großen und wichtigen Gemeinden, den sogenannten Metropolitangemeinden, sowie unabhängig davon für die Gesamtkirche bzw. die Allgemeine Kirche. Hinsichtlich der Metropolitangemeinden galt, dass ein eingeführter Engel vorhanden sein muss und der Prophet eines Apostels den Erzengelsitz durch prophetisches Wort bekannt macht. Zusätzlich war die Zustimmung des Apostels erforderlich.


In Deutschland gab es Erzengelsitze in Berlin, Hamburg, Stettin, Königsberg, Hannover und Frankfurt am Main. Der bedeutendste und letzte Erzengel der Allgemeinen Kirche war der frühere evangelische Pfarrer Ludwig Albrecht, der mit 70 Jahren am 28.02.1931 in Hamburg starb. 


Unterdiakone wurden in den katholisch-apostolischen Gemeinden nicht ordiniert, sondern von einem Engel zum Amt „zugelassen“. Später auch nach dem Tode der Engel, so noch vorhanden, von Priestern.  Der Unterdiakon sollte dem Diakon im Umgang mit der Gemeinde zur Seite stehen. Dabei handelte er nicht selbstständig, sondern im Auftrag eines Diakons. Der Unterdiakon konnte auch nicht die den Diakonen zustehenden Verrichtungen übernehmen. Unterdiakone standen im „Laienstand“ und trugen keine Stola. Nach dem Ableben der Priester und Diakone übernahmen sie in den Gemeinden die für Laien möglichen Gottesdienstformen. Diakone und Unterdiakone wurden von den Gemeinden gewählt.


Im Übrigen gab es in den katholisch-apostolischen Gemeinden auch Diakonissen. Es war ein Laienamt und entsprach dementsprechend nicht dem eines Diakons. Die Diakonissen waren für den Dienst unter den Frauen bestimmt, und es erfolgte eine Wahl in den Gemeinden.   


Sehr stark setzten sich für die Bildung katholisch-apostolischer Gemeinden der schottische presbyterianische Pfarrer Edward Irving sowie der konservative Parlamentsabgeordnete, Banker und spätere Apostel Henry Drummond ein. Für Irving stand im Mittelpunkt seiner Bemühungen die nahe geglaubte Wiederkunft Jesu Christi und eine besondere Ausgießung des Heiligen Geistes. Die Katholisch-Apostolischen wurden später oftmals Irvingianer genannt. Irving war jedoch nicht der Gründer der katholisch-apostolischen Bewegung. Er starb bereits mit 42 Jahren am 08.02.1834. Drummond organisierte die „Albury-Konferenzen“ und spendete viel Geld für den Neubau von Kirchen.   


Albury war das Zentrum der katholisch-apostolischen Bewegung und ist etwa 50 km von London entfernt. Die dort stattgefundenen „Albury-Konferenzen“ dienten dazu, sich Klarheit über Gottes Willen und den eigenen Glauben zu verschaffen. Immer wieder ging es dabei um das erwartete Wiederkommen von Jesus Christus anhand der Aussagen der Bibel sowie die sich daraus ergebenden Folgen für die Kirche. So wurde in Albury auch das sogenannte „Testimonium“ verfasst, eine geistliche Denkschrift, die später kirchlichen und weltlichen Oberhäuptern übergeben wurde. Weissagungen und Berufungen in urchristliche Ämter bestimmten die weitere Entwicklung der katholisch-apostolischen Bewegung. Schließlich wurden von 1832 bis 1835 12 Männer zu Aposteln berufen. Von diesen waren 8 Anglikaner, 3 Presbyterianer und 1 Puritaner. 7 stammten aus England, je 2 aus Schottland und Irland sowie 1 aus Wales. Vom Beruf her waren im Apostelkollegium vertreten: 3 Geistliche (2 Anglikaner und 1 Presbyterianer), 3 Rechtsanwälte sowie je 1 Banker, juristischer Staatsbeamter, königlicher Beamter, Großgrundbesitzer, Altsprachenlehrer und Apothekengroßhändler. Mit 29 Jahren  war Francis Valentine Woodhouse (Anglikaner) der jüngste sowie John Owen Tudor (ebenfalls Anglikaner) mit 52 Jahren der älteste Apostel. Das Durchschnittsalter im Apostelkollegium betrug 37 Jahre. Bis auf Duncan MacKenzie zählten alle Apostel zur höheren Bildungsschicht bzw. zur unteren Aristokratie.


Am 14.06.1836 erfolgte aufgrund einer Weissagung des Apostels Henry Drummond die Aufteilung der einzelnen staatlichen Länder an die Apostel in 12 „Stämme“ (Auftragsgebiete).



Liturgie für die Gottesdienste


In Albury beschäftigten sich die Apostel auch mit der Liturgie und Gestaltung der künftigen Gottesdienste in den katholisch-apostolischen Gemeinden. Nach gründlicher Prüfung verschiedener Gottesdienstformen entschied man sich für eine Liturgie, die auf anglikanischer, römisch-katholischer und orthodoxer Grundlage beruht. Dazu gehörte auch eine dem Ganzen angemessene liturgische Kleidung, Weihwasser, Weihrauch und Öl. Die vollständigen liturgischen Formen konnten allerdings nur in wenigen Gemeinden Anwendung finden, da es dazu der Vollzahl der Ämter vor Ort bedurfte und diese nur in einer kleinen Zahl von Gemeinden erreicht wurden, so zum Beispiel in der Zentralkirche in London am Gordon Square und in Berlin. Täglich gab es vier Gottesdienste, und zwar den Morgendienst um 06.00 Uhr, Gebetsdienste um 09.00 Uhr sowie 15.00 Uhr und den Abenddienst um 17.00 Uhr. Die Eucharistie feierten die Gemeinden am Sonntag sowie an den Feiertagen jeweils um 10.00 Uhr. Kirchliche Ämter wurden – abgesehen von den Diakonissen – nur Männern übertragen.



Apostolische Handauflegung (Versiegelung)


Eine große Bedeutung in den katholisch-apostolischen Gemeinden hatte die „apostolische Handauflegung“, auch Versiegelung genannt. Sie wurde ab 1847 praktiziert und von den Aposteln an Erwachsene als Sakrament durch Handauflegung, Salbung der Stirn mit Chrisam und Gebet gespendet. Durch die apostolische Handauflegung sollte den Gläubigen auf der Grundlage der Taufe die besondere Kraft des Heiligen Geistes übertragen werden. Sie gilt als Segnung zur Vollendung und Errettung in der Endzeit und als Anwartschaft zur zukünftigen Herrlichkeit mit Gott. Die apostolische Handauflegung bzw. Versiegelung konnten auch Christen empfangen, die nicht den katholisch-apostolischen Gemeinden angehörten.   


Keine Neubesetzung von Apostelstellen nach dem Tod von Aposteln


Im Jahre 1855 verstarben die Apostel Duncan McKenzie, Thomas Carlyle und William Dow. Die verbliebenen Apostel beschlossen nun, die verwaisten Stellen für die Auftragsgebiete Norddeutschland, Russland, Schweden und Dänemark nicht mehr durch neue Apostel zu besetzen. Stattdessen sollten die verbliebenen Apostel die jetzt apostellos gewordenen Länder unter sich aufteilen, erwarteten sie doch noch zu ihren Lebzeiten die Wiederkunft Christi.


Jedem Apostel wurde allerdings nunmehr zur Unterstützung bei der vielfältigen Arbeit ein Koadjutor mit weitgehenden Vollmachten beigegeben. Als Ersatz im Bereich Norddeutschland für den verstorbenen und von den Presbyterianern herkommenden Apostel Thomas Carlyle setzte das Apostelkollegium den bereits in Süddeutschland sowie Österreich tätigen Apostel Francis Valentine Woodhouse ein. 



Verbreitung und Mitgliederzahlen


Anfang des Jahres 1901 war die katholisch-apostolische Bewegung in vielen Ländern vertreten. Weltweit gab es 938 katholisch-apostolische Gemeinden. Diese verteilten sich auf die einzelnen Länder wie folgt:


England 315, Schottland 28, Irland 6, Deutschland 348, Niederlande 17, Österreich/Ungarn 8, Schweiz 41, Norwegen 10, Schweden 15, Dänemark 59, Russland, Finnland, Polen, Baltische Staaten 18, Frankreich 7, Belgien 3, Italien 2, USA 29, Kanada 13, Australien 15 und Neuseeland 5.


Es gab 1901 etwa 200.000 Mitglieder, davon in Norddeutschland ca. 60.000 sowie in Süddeutschland rd. 6.000. Um 1900 waren die katholisch-apostolischen Gemeinden nach den beiden Großkirchen, den Altlutheranern und den Baptisten die fünftstärkste Religionsgemeinschaft in Deutschland.


In Norddeutschland kamen mehr als 80 Prozent der katholisch-apostolischen Gemeindeangehörigen aus dem Angestellten-, Handwerker-, Arbeiter- und Bauernstand. Die weitaus meisten gehörten vorher der Evangelischen Kirche, ein kleiner Teil den Freikirchen und nur einige wenige der Römisch-Katholischen Kirche an.


Weltweit hatten sich ungefähr 100 Geistliche aus verschiedenen Kirchen den katholisch-apostolischen Gemeinden angeschlossen. In Deutschland waren es mindestens 30, davon 7 römisch-katholische Priester. Wichtig für das Wachstum der Gemeinden war auch, dass es keinen Zölibat gab, es also jedem Geistlichen freigestellt blieb, zu heiraten oder nicht!


Nach Angaben des „Evangelischen Lexikons“ der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen soll es in Deutschland noch ca. 3.000 katholisch-apostolische Christinnen und Christen geben. Doch dürfte diese Zahl, sofern sie stimmt, wahrscheinlich mittlerweile etwas nach unten korrigiert werden müssen.


Entwicklung in Deutschland


In Deutschland fand die katholisch-apostolische Bewegung nach England die größte Verbreitung. Besonders auffallend war hier die Entwicklung in der Hauptstadt Berlin und in Pommern, wo man im Allgemeinen allem Katholischen mit größter Skepsis und zumeist Ablehnung gegenüber stand und auch heute noch steht. Und doch war es wohl das Katholische, also das Feierliche, die Gewänder, der Weihrauch, das Fernab von Rom, die kraftvollen und inhaltsreichen Predigten mit Hinweis auf die baldige Wiederkunft Christi, das  die Menschen anzog und begeisterte.     


Was die Erfolge der katholisch-apostolische Bewegung in Preußen anbetrifft, so lag dies auch an dem sehr toleranten und religiös interessierten König Friedrich Wilhelm IV., der Kontakte zu namhaften Vertretern der katholisch-apostolischen Gemeinden hatte. Zwischen seinen kirchlichen Plänen und katholisch-apostolischem Gedankengut gab es gewisse Parallelen. Keiner der Monarchen, an die das Testimonium übergeben wurde, hat die katholisch-apostolischen Gemeinden mit soviel Sympathie aufgenommen wie er. Sein anfängliches Interesse verlor sich jedoch bald. Dennoch blieb seine Haltung stets wohlwollend und beeinflusste in gewissem Umfang Entscheidungen der preußischen Regierung - und hier vor allem die des Innenministers von Westphalen -, die durch Duldung bis hin zur Gewährung von Schutz den katholisch-apostolischen Gemeinden mehrfach entgegenkamen. Verständlich wird dieses Verhalten auch aufgrund der Tatsache, dass die Anhänger der katholisch-apostolischen Gemeinden in der Regel konservativ und königstreu eingestellt waren. Dies deckt sich mit dem, was mir ein früherer und sehr angesehener Arbeitskollege sowie inzwischen verstorbener Unterdiakon der katholisch-apostolischen Gemeinde Berlin-Süd, Günther Hilbig, einst sagte. Danach waren in der Weimarer Republik die Katholisch-Apostolischen kaisertreu eingestellt und wählten die konservativen Deutschnationalen.


Ein besonders starkes Wachstum konnte die katholisch-apostolische Bewegung in Berlin verzeichnen. Bis heute gibt es dort 7 katholisch-apostolische Gemeinden, die in ihren besten Jahren 10.000 Mitglieder zählten. Ihren Kirchen waren und sind zumeist auch gemeindeeigene Wohngebäude angegliedert. Hierin wohnten einst die Geistlichen und heute Gemeindemitglieder. 


Weniger stark wie in Norddeutschland war die katholisch-apostolische Bewegung in Süddeutschland mit geringerer evangelischer sowie mehr römisch-katholischer Bevölkerung – und hier vor allem in Bayern - vertreten. Die Anfänge der katholisch-apostolischen Gemeinden gehen hier zumeist auf den apostolischen Koadjutor William Renny Caird zurück, der seit Anfang der Jahre um 1840 u.a. in München, Augsburg und Karlshuld sich für die katholisch-apostolische Sache einbrachte. Durch ihn konnten nicht nur die römisch-katholischen Priester Johann Evangelist Georg Lutz, Philipp Jakob Spindler, Balthasar Fernsemer, Johann Adam Fischer, Baron de Saint Marie Eglisa  und Lorenz Egger, sondern ebenso eine größere Anzahl römisch-katholischer Laien aus Wiesentheid, Mindelheim, München, Augsburg, Ulm und Stuttgart für die katholisch-apostolische Sache gewonnen werden. Am Neujahrstag 1852 empfingen in Berlin die ersten Katholiken aus Süddeutschland die apostolische Handauflegung. 


Die Gründung von katholisch-apostolischen Gemeinden war in Bayern aufgrund der religionsrechtlichen Situation sowie staatlicher Restriktionen zunächst nicht möglich. Erst am 28.03.1862 wurde durch ein Edikt des Königs den Katholisch-Apostolischen in Bayern „Cultusfreiheit“ gewährt.


Staatssekretär Wagener mit hohem Bekanntheitsgrad


Zu den ersten Mitgliedern der 1848 gegründeten katholisch-apostolischen Gemeinde Berlin-Süd gehörte der am 08. März 1815 geborene Friedrich Wilhelm Hermann Wagener. Durch seinen hohen Bekanntheitsgrad bei der preußischen Regierung, den Behörden und in der Bevölkerung war er für die katholisch-apostolische Bewegung sehr hilfreich. Der Jurist Wagener leitete zunächst die Neue Preußische Zeitung (Kreuzzeitung) als Chefredakteur. Er gehörte der Konservativen Partei an und zählte zu deren Abgeordneten im Preußischen Abgeordnetenhaus, im Norddeutschen Parlament und 1871 im Deutschen Reichstag. Bismarck ernannte ihn zum Staatssekretär. Mit seiner sozialkonservativen Einstellung beeinflusste er Bismarck. Dies kam besonders bei dem Entwurf zu einer Arbeiterrentenversicherung zum Ausdruck. Am 22. April 1889 starb Wagener im Berliner  Ortsteil Friedenau.


Spaltung oder Neugründung ?


Der Tod verschiedener Apostel und die Weigerung des Apostelkollegiums Nachfolger für  ihre verstorbenen Amtsbrüder zu benennen, fand nicht überall Zustimmung. Sehr heftig opponierte dagegen Johann Heinrich Ernst Ludwig Geyer, Prophet mit dem Apostel Woodhouse für Norddeutschland. 1863 trennte er sich mit der Hamburger katholisch-apostolischen Gemeinde von den Albury-Aposteln. Es entstand die „Allgemeine christlich-apostolische Mission“, die aber wenig erfolgreich war und einige Jahrzehnte später ihr Ende fand.


1878 wurde die „Neuapostolische Kirche“ gegründet, die im Laufe der späteren Jahre mehrere Hunderttausend Anhänger gewann. In ihrem Erscheinungsbild fehlt alles „Katholische“. Die Gottesdienste sind mehr als nüchtern-protestantisch. Heutzutage scheinen sich die Neuapostolischen in einer Krise zu befinden. Zumindest im Raum Berlin gab es einen erheblichen Mitgliederrückgang. Es wurden deshalb Kirchengebäude verkauft bzw. werden noch Käufer gesucht. Die Neuapostolischen haben sich bisher von der Ökumene weitgehend ferngehalten und gehören keinem ökumenischen Gremium an. 



Tod des letzten Apostels Woodhouse


Am 03. Februar 1901 starb in Albury im Alter von fast 96 Jahren der letzte Apostel Francis Valentine Woodhouse. Dies brachte für die katholisch-apostolischen Gemeinden weitreichende Folgen mit sich. Ab sofort traten u.a. folgende Änderungen ein:

         Neueinsetzungen zum Engel-, Priester- und Diakonenamt finden nicht mehr statt.


        Alle Geistlichen in den Gemeinden und in der Gesamtkirche bleiben auf der


        Stufe des Amtes, das sie vor dem Tod von Apostel Woodhouse innehatten. Also   


        Kein Aufstieg mehr zu einem höheren Amt oder eine übergeordnete Stellung.


        Neue Gemeindemitglieder werden nicht mehr aufgenommen.


         Die Versiegelung kann wegen Fehlens des apostolischen Amtes nicht mehr gespendet werden.


        Die täglichen vollständigen Morgen- und Abenddienste mit der Fürbitte entfallen. In allen Gemeinden

        tritt ab sofort die Ordnung der kürzeren Morgen- und Abenddienste ohne den besonderen Fürbittenteil

        in Kraft.


         In der Eucharistiefeier erfolgen die Gedächtnisgebete nicht mehr in der längeren Form,

        sondern nur noch in der kürzeren.

       

         Die tägliche und sich an den Morgendienst anschließende Kommunion entfällt.


         Der siebenarmige Leuchter wird nicht mehr angezündet.


Doppelmitgliedschaft


In den katholisch-apostolischen Gemeinden gibt es eine überraschend große Anzahl von Doppelmitgliedschaften in anderen Kirchen und hier vor allem bei der Evangelischen Kirche. Und dies wegen Taufen, Eucharistiefeiern, Eheschließungen, Konfirmationen, Beerdigungen usw. Es gibt auch evangelische Pfarrer, die zugleich katholisch-apostolischen Gemeinden angehören. In der Frühzeit der katholisch-apostolischen Bewegung waren evangelische Pfarrer zugleich auch Amtsträger in katholisch-apostolischen Gemeinden, was natürlich nicht immer konfliktfrei blieb. Heutzutage arbeiten Katholisch-Apostolische auch in evangelischen Gemeindekirchenräten und Synoden mit. In Berlin bemüht sich die zur SELK gehörende St. Mariengemeinde mit Erfolg um katholisch-apostolische Christen. In den Niederlanden haben sich einige Katholisch-Apostolische den dortigen Alt-Katholiken angeschlossen. Die deutschen Alt-Katholiken haben hingegen nie das Gespräch mit den katholisch-apostolischen Gemeinden gesucht und auch keine Eucharistiefeiern in ihren Kirchen für deren Mitglieder angeboten. Dies wohl auch aus mangelndem Verständnis für deren Situation. Zu der Problematik der Doppelmitgliedschaft hierzu ein Auszug aus dem Buch „Die Katholisch-apostolischen Gemeinden in Deutschland und der Fall Geyer“, Seite 200, von Dr. Johannes Albrecht Schröder, Oberbürgermeister von Jena und früherer evangelischer Pfarrer:


„ Heute gibt es nicht wenige Gemeindeglieder (vor allem jüngere), die ähnlich denken wie Leitz (ehemaliger Unterdiakon der katholisch-apostolischen Gemeinde Freiburg im Breisgau). Sie beteiligen sich aktiv am Gemeindeleben in der Evangelischen Kirche (seltener in anderen Religionsgemeinschaften), wo ihre Mitarbeit eine wirkliche Bereicherung darstellt. Man findet katholisch-apostolische Christen (selbst Unterdiakone!) in Kirchenvorständen und in Synoden. Junge katholisch-apostolische Christen engagierten sich in den 70er Jahren z.B. in der Charismatischen Bewegung der damaligen DDR. Es gibt auch eine Reihe von evangelischen Pastoren in Deutschland, die aus den Katholisch-apostolischen Gemeinden stammen (vgl. REIMER,1980,329).


In den früher zu Preußen gehörenden Gebieten sind katholisch-apostolische Gemeindeglieder normalerweise zugleich Mitglieder der Evangelischen Kirche, aus der sie - wie ihre Vorfahren  - nie ausgetreten sind. Sie geben in ihren Gemeinden den „Zehnten“ und zahlen (in den meisten Fällen) außerdem Kirchensteuer. Sofern sie es selbst wünschen, werden sie in jeder Hinsicht wie evangelische Kirchenglieder behandelt, d.h. sie haben freien Zugang zu den Sakramenten und Amtshandlungen. Anders ist die Situation z.B. im Gebiet des früheren Königreiches Sachsen. Dort hatte man bis 1901 evangelisch-lutherische Christen, die Mitglieder der katholisch-apostolischen Gemeinden geworden waren, aus ihrer Kirche ausgeschlossen. In mehreren Fällen haben in den letzten Jahrzehnten katholisch-apostolische Gemeindeglieder durch Kircheneintritt eine Doppelmitgliedschaft angenommen. Diese Christen bringen sich engagiert in die jeweilige Kirchgemeinde ein. Seit den 1950er Jahren lässt die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Sachsen Mitglieder der Katholisch-apostolischen Gemeinden zum Abendmahl zu. Außerdem ermöglicht sie ihnen – entsprechend der Praxis in den anderen Evangelischen Kirchen Deutschlands – die Inanspruchnahme geistlicher Amtshandlungen (vgl. Handbuch, 1993, 203f).“     


Finanzen


Die katholisch-apostolischen Gemeinden finanzieren sich bis heute nicht durch Kirchensteuern oder aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 durch staatliche Leistungen. Die Gemeindeangehörigen zahlen stattdessen den „Zehnten“. Obwohl es keine geistliche Oberleitung mehr gibt, sind die norddeutschen Gemeinden jedoch finanziell durch eine Vermögensgesellschaft bzw. -stiftung mit Sitz in Frankfurt am Main miteinander verbunden. Dieser Vermögenszentrale gehören fast alle Kirchengrundstücke und -gebäude und sie verwaltet – wobei Opfergaben in den Gemeinden verbleiben - den ihr aus den Gemeinden zufließenden „Zehnten“. Offenbar besonders gut und einträglich, denn sonst wären Kirchenrenovierungen wie z. B. in der Gemeinde Berlin-Süd nicht möglich gewesen.   


Katholisch-apostolischer Verlag


In Siegen und früher in Berlin gibt bzw. gab es den katholisch-apostolischen Verlag Hermann Meier Nachfolger. Er bietet fast ausschließlich ältere katholisch-apostolische Literatur an. Der Verlag veröffentlicht ebenfalls die monatlich erscheinenden „Smyrna-Stimmen“ als Mitteilungsblatt. So gut wie alle Druckschriften sind nur für Gemeindemitglieder bestimmt und nicht über den Buchhandel erhältlich.


Teilnahme an einem Abendgottesdienst


Am 27. Juli 2013 nahm ich an dem um 17.00 Uhr beginnenden Abendgottesdienst in der Kathedrale der katholisch-apostolischen Gemeinde Berlin-Süd in der Kreuzberger Wilmsstraße. 10-12 teil. Die Kathedrale ist mir nicht unbekannt, denn unmittelbar daneben befindet sich eine früher von mir besuchte Schule. In den Kriegsjahren von 1943 bis 1945 fielen mir als damaligem Volksschüler immer wieder die vielen Frauen auf, die morgens und abends regelrecht zur Kathedrale „strömten“, denn wir hatten „Schichtunterricht“, mal vormittags und mal am Nachmittag. An der Kathedrale selbst war weder damals noch ist heute ein Schild mit dem Hinweis vorhanden, dass hier die Katholisch-Apostolischen ihr Gotteshaus haben und wann die Gottesdienste stattfinden.


Jedenfalls war ich sehr erstaunt über die so gut gelungene Außenrenovierung der Kathedrale. Zu deren Gottesdienste gehe ich hin und wieder aus Interesse und zur Information. Hinter der Eingangstür wurde ich vom „Türhüter“ freundlich begrüßt. In der Kathedrale selbst überraschte mich die große Anzahl der Teilnehmer an diesem mit mehr als 30 Grad Wärme doch sehr heißen Samstagabend. Um die 100 Gläubigen hatten sich eingefunden. Nicht alte Leute, sondern die Jüngeren waren weitaus in der Mehrheit, darunter viele Kinder. Alle Gottesdienstteilnehmer waren trotz der Hitze gut gekleidet. Die Frauen hatten als Kopfbedeckung alle einen Hut auf oder ein Kopftuch umgebunden. Ein junger Familienvater vor meiner Sitzreihe reichte mir ein aus dem Jahre 1985 stammendes Gebet- und Gesangbuch, sodass ich bei der Liturgie keine größeren Schwierigkeiten hatte, zumal er und seine Frau mir im Verlauf des Gottesdienstes weitere Hinweise zuflüsterten.


Der Gottesdienst selbst wurde von zwei Laienhelfern geleitet. Am Anfang sangen wir ein Lied, dann beteten wir den Psalm 41. Es folgte danach wieder ein Lied bis dann ein Laienhelfer eine Predigt aus dem Jahre 1889 vorlas. Nach der Predigt dann wieder Gebete.  Das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis allerdings mit einem Text von wahrscheinlich weit vor 1900. Zum Abschluss sangen wir noch ein Lied.


Nach dem Gottesdienst versammelten sich dann alle vor der Kathedrale zu einem kürzeren oder längeren Plausch. Jedenfalls kannte man sich gut untereinander.


Gottesdienst am Sonntagvormittag


Nun wollte ich auch am Sonntagvormittag an einem katholisch-apostolischen Gottesdienst teilnehmen und mich dort ebenfalls über das Gemeindeleben informieren. Also ging ich am 17. November 2013 zu der um 10.00 Uhr beginnenden Gottesdienstfeier. Wieder war ich  angenehm überrascht über die große Anzahl der Gläubigen. Es waren erheblich mehr als beim Abendgottesdienst am 27. Juli 2013 und die große Kathedrale mit etwa 450 Christinnen und Christen immerhin fast bis zur Hälfte gefüllt. Wieder viele Kinder und junge Leute. Eine sterbende Gemeinde? Diesen Eindruck hatte ich nicht. Es gab auch einen aus 30 Personen bestehenden Kirchenchor. Die Liturgie mit zwei Laienhelfern ähnelte an diesem Sonntagvormittag der beim Abendgottesdienst am 27. Juli 2013 und dauerte 1 ¼ Stunden. Bei den Mitteilungen an die Gemeinde wurde auf ein Aufgebot zur kirchlichen Eheschließung   sowie auf den Konfirmandenunterricht hingewiesen. Nach dem Gottesdienst - ohne Eucharistiefeier wegen des fehlenden Priesters - fanden sich noch viele Gläubige zum Gespräch und Gedankenaustausch vor der Kathedrale und damit auf der Straße ein. Eine Räumlichkeit mit Getränken und Gebäck wäre bei dem trüben Wetter sicher angenehmer gewesen.   


Die Kathedrale


   Nun noch etwas zur Kathedrale. Sie ist sehr groß und hat 1.100 Sitzplätze auf Holzbänken. Zur Not können aber auch 2.000 Personen Platz finden, wie es von 1956 bis 1959 bei den Eucharistiefeiern des damals noch lebenden letzten deutschen katholisch-apostolischen Priesters Rolf Meyertöns aus Chemnitz öfters der Fall war. Auch das Innere der Kathedrale ist vor noch nicht langer Zeit renoviert worden und macht einen gediegenen Eindruck.


Die Grundsteinlegung für die Kathedrale erfolgte am 07. Juli 1899 und die Einweihung fand zwei Jahre später am 12. Mai 1901 statt. Das Gotteshaus entstand als Häuserzeilenkirche mit einer 40 m hohen Kuppel sowie einem fast gleich hohen Turm. Die Kathedrale hat auch eine kleine Kapelle für 60 und einen Versammlungsraum für bis zu 200 Personen. An die Kathedrale schließt sich ein Wohnhaus an, in dem Gemeindemitglieder wohnen.


Wenn man die Kathedrale und die noch immer vielen Gottesdienstteilnehmer sieht, sowie sich die Geschichte der katholisch-apostolischen Gemeinden vergegenwärtigt, so kommt auch bei Nichtmitgliedern eine gewisse Wehmut auf. Steht nun in naher oder späterer Ferne das Ende der katholisch-apostolischen Gemeinden bevor oder gibt es eine positive Wende? Also quo vadis katholisch-apostolische Christinnen und Christen?


Alfons Fischer aus Berlin ist Regierungsoberrat i.R.


 


Buchbesprechungen:


Von Axel Stark, Passau


 


Marianne Heimbach-Steins (Hg.)


Ressourcen-Lebensqualität-Sinn. Gerechtigkeit für die Zukunft denken


Paderborn 2013, F. Schöningh, 243 S., 29.90 €.


 


Wer sich heute der Gerechtigkeitsfrage stellt, ist mit den krisenhaften Entwicklungen der sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen, der globalisierten Wirtschaft und der politischen Steuerung konfrontiert. Das Buch, herausgegeben von der Münsteraner Direktorin des Instituts für christliche Sozialwissenschaften Heimbach-Steins, eröffnet neue Zugänge zur Gerechtigkeitsfrage aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen ( Klimaforschung, Entwicklungspolitik, Ökonomie, Soziologie, Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie ). Drei Themenkreise stehen im Mittelpunkt: anthropologische und ökologische Voraussetzungen der Gerechtigkeitsfrage, ökonomische und soziale Bedingungen einer sozialethischen Kriteriologie der Gerechtigkeit und weltanschauliche und religiöse Ressourcen der Gerechtigkeitsreflexion. Diese Beiträge zur interdisziplinären Gerechtigkeitsdebatte stehen im Dienst einer Sozialethik, die von einem christlichen Standpunkt aus entwickelt wird und sich deshalb der Deutung der „Zeichen der Zeit“ und der „Option für die Armen“ verpflichtet weiß.


 


Wolfgang W. Müller ( Hg. ),


Kirche und Kirchengemeinschaft. Die Katholizität der Altkatholiken


Zürich 2013, Theol. Verlag Zürich, 202 S., 27.70 €.


 


Die römisch-katholische und altkatholische Dialogkommission veröffentlichte 2009 die Studie „Kirche und Kirchengemeinschaft“. Es wurden Verständnismöglichkeiten zwischen den beiden Kirchen ausgelotet. Dieser Sammelband, herausgegeben von dem Luzerner Theologieprofessor Müller (röm.-kath.) will nun einen Beitrag zur Rezeption dieser wichtigen ökumenischen Studie von 2009 leisten. Autoren sind die altkatholischen Theologen Urs von Arx ( Bern ) und Harald Rein ( Bern ), die römisch-katholischen Theologen Leonhard Hell ( Mainz ), Matthias Pulte ( Mainz ), Bernd Jochen Hilberath ( Tübingen ) und Ernst Christoph Suttner ( Wien ) sowie der Ratspräsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes Gottfried W. Locher. Inhaltlich geht es um die Erarbeitungsmethode und Entwicklungsgeschichte der Studie von 2009 ( von Arx ), um deren praktisch-theologische Dimension (Rein),  um römisch-katholische ( Hell, Hilberath, Pulte ), orthodoxe (Suttner) und evangelisch-reformierte ( Locher ) Stellungnahmen. Dieser Band 10 der „Schriften Ökumenisches Institut Luzern“ lädt dazu ein, den Weg des vertrauensvollen Dialogs zu gehen und weitere Schritte einer zukunftsoffenen Hermeneutik des Vertrauens zu suchen. Die Studie von 2009 selbst betont immer wieder, dass das Gespräch zwischen der römisch-katholischen und den Kirchen der Utrechter Union weitergehen muss. Dazu leistet dieser Sammelband einen wichtigen Beitrag.


 


Erwin Dirscherl,


Das menschliche Wort Gottes und seine Präsenz in der Zeit


Reflexionen zur Grundorientierung der Kirche,


Paderborn 2013, F. Schöningh, 228 S., 29.90 €.


 


Das Zweite Vatikanische Konzil ( 1962-1965 ) brachte die Kirche ausgehend vom Wort Gottes und seiner dynamischen Präsenz in der Zeit zur Sprache. Diese Orientierung ermöglichte das Wagnis einer Öffnung, die als Gratwanderung zwischen eigener Position und Offenheit, Einheit und Vielfalt je neu zu beschreiten ist. Schon Augustinus ( gest. 430 ) stand in den Confessiones vor der Frage, wie er als Glaubender die Nähe der Liebe Gottes glaubwürdig bezeugen kann, zumal wenn ein Leben so viele Brüche aufweist, wie das seine.


Er entfaltet eine Theologie des Wortes Gottes, die sich nicht scheut, die eigenen Stärken und Schwächen betend zu reflektieren. Im Finden Gottes dennoch ein Suchender, im Antworten dennoch ein Fragender zu bleiben: das ist die Spannung christlichen und jüdischen Glaubens. Der Regensburger Dogmatikprofessor Dirscherl hat seine Studie in drei Kapitel unterteilt: Gottes Wort im Menschenwort - Gottes Gegenwart im Leben der Menschen - Trinität und Liturgie. Erschienen ist sie als Band 26 der Reihe „Studien zu Judentum und Christentum“.


 


 


Matthias Pulte, Mareike Klekamp (Hg.),


Werte entfalten – Gesellschaft gestalten


Festschrift für Manfred Spieker zum 70. Geburtstag,


Paderborn 2013, F. Schöningh, 304 S., 39.90 €.


 


Werte entfalten - Gesellschaft gestalten. Unter diesem Motto versammeln sich 17 Autoren mit Beiträgen zu hochaktuellen und gesellschaftlich brisanten Themen. Dabei reicht das Spektrum von verfassungsrechtlichen Grundorientierungen und kirchenrechtlichen Verortungen über spezifisch sozialethische Themen zu Gesellschaft, Partnerschaft, Ehe, Familie und Wirtschaft bis hin zu religionspädagogischen Aspekten der Wertebildung in der und für die Gesellschaft.


Zudem wird der Horizont über die spezifisch deutschen Verhältnisse geweitet. Die Autoren verbindet ein gemeinsames naturrechtliches und ordnungsethisches Fundament.


Mit dieser Festgabe möchten die Autoren den emeritierten Sozialethikprofessor der Universität Osnabrück Manfred Spieker zum 70. Geburtstag ehren. Das Grußwort schrieb der Kölner Weihbischof Manfred Melzer.


 


NACHRUF


Pawel Konrad Maria Rudnick


- geboren am 2. Juli1926 in Warszawa, heimgegangen am 12. November in Krakow


Das irdische Leben von Pawel Konrad Maria Rudnicki hat sich gerundet. Sein in wissenschaftlicher Schärfe auf das Äußere gerichteter Geist, der zunehmend vertiefter auch den Blick nach Innen gesucht hat, hat nun seine Sinne nach außen für immer geschlossen, nach innen aber für immer aufgetan. Wir, die Ökumenische Kongregation der Mariaviten sind betroffen und spüren Verlust. Und wir wollen uns zugleich dennoch auch freuen, dass unser geliebter Bruder Pawel, unserem allerheiligsten Erlöser Jesus Christus nun noch näher kommen kann.


Es ist schwer, von dem einen Lebenswerk von Bruder Pawel zu schreiben, denn es handelt sich nicht um die Einzahl, sondern um die Mehrzahl, nicht um ein Lebenswerk, sondern um mehrere Lebenswerke innerhalb seines so vielfältigen Lebenslaufs.


Als Jugendlicher, noch nicht Erwachsener, wurde er Partisan im Kampf gegen die räuberische deutsche Besatzung – ohne damals die damit einhergehende Todesgefahr gleich richtig einschätzen zu können. Gleich zu Anfang entging er  allein durch viel Glück dem Tode. Ein Sturz auf der Flucht vor hinterhältigen feindlichen Kugeln, ließ ihn als einzigen seines Kommandos überleben. Durch eine Notlüge - ja auch Lügen können unter Umständen moralisch sein – , die ihm im Verhör geglaubt wurde, entkam er der willkürlichen Bestrafung. Durch seinen darauf folgenden fortgesetzten Partisanenkampf konnte er Menschenleben retten. Er wurde infolge als einer der „Gerechten unter den Völkern“ Ehrenbürger Israels. Er lebte zuletzt im Zentrum Krakows und in der Nähe des ehemaligen jüdischen Viertels und hielt dort langjährigen Kontakt zu einem bekannten alten jüdischen Klezmer-Musiker.


Als Schlussfolgerung aus den Vorkriegs- und Kriegsereignissen wurde er überzeugter Kommunist. So wie wir Bruder Pawel als unseren Bruder in Christo kennen und lieben lernten, blieb davon aber nichts übrig. Seine politischen Anschauungen blieben zwar links, waren jedoch kritisch gegen alle Arten von Totalitarismus, egal ob kommunistisch, faschistisch oder verdeckt totalitär als Macht des Geldes im neoliberalen System.


Unter seinem bürgerlichen Namen, Konrad Rudnicki, ist er die namhafte neuere astronomische Koryphäe Polens gewesen und war polnischer Akademiker an den inländischen Universitäten ersten Ranges.


Bruder Pawel, wie wir ihn schätzen, hat jedoch weitere, geistig-spirituelle Lebenswerke vollbracht:


Obschon Wissenschaftler, Astronom, scheute er sich in seinem Denken nicht, auch in esoterisch-geistige Fachgebiete vorzudringen. Er beschäftigte sich mit der Kosmogenie verschiedenster spiritueller Lehren. Er scheute z.B. nicht die wohlwollende Auseinandersetzung mit der Anthroposophie Rudolf Steiners, der katholisch-anthroposophischen Mischlehre Valentin Tombergs und der ganz katholisch-sprirituellen Kosmogenie von Johanna van der Meulen (alias Intermediarius). So lehrte er in den letzten Jahren diesbezüglich auch an einer privaten Hochschule in Polen und scheute, trotz Gebrechlichkeit, mit praktischer Hilfe durch seine liebe Frau die anstrengenden Reisen nicht.


Er wurde, nicht zuletzt durch geistige Bestärkung seitens polnisch-orthodoxer Priester, Theologe und Priester dieser altkatholischen Kirche der Mariaviten in Polen. Er war als Kaplan der Ökumene-Fachmann der Kirche und leitete die gemeinsame Dialog-Kommission mit der Römisch-Katholischen Kirche in Polen, die eine weitestgehende gemeinsame Einvernehmlichkeit in einem Dialogpapier konstatierte. Er war der treue Pfarrer der altkatholischen Filial-Gemeinde „Maria Magdalena“ in Krakow, die Mitglieder beider mariavitischen Strömungen hat, und die durch die Ökumenische Kongregation der Mariaviten betreut wird. Auch hier nahm er trotz Gebrechlichkeit bis zuletzt die Mühsal der Wege und Besuchsdienste auf sich und hielt täglich – im kleinen oder öffentlich - die heilige Messe.


Nicht zuletzt kennen und verehren wir Pawel Maria Rudnicki als den Generalminister unseres 1979 gegründeten Ökumenischen Ordens der Mariaviten. Er war immer bemüht im Sinne und Geiste des Gründungsimpulses, den Mariavitismus für alle Christen zu eröffnen, nahe zu bringen und zu erschließen und ihn vital zu erhalten. Mit den periodisch verfassten Kongregationsmitteilungen unter dem vielsagenden Titel „Arbeit an sich selbst“ versuchte er uns dementsprechende Impulse zur eigenständigen innerlich-geistigen Tätigkeit zu geben. Als unser Generalminister wollte er uns nahelegen, die geistig-mystische Dimension stets zu suchen. Wir fragen uns: Wer wird das nun fortsetzen? Zuletzt traten zwei Bestrebungen Bruder Pawels hinzu: Zum einen war dies die Aufarbeitung der Geschichte der beiden Mariaviten-Strömungen und da heraus eine angemessene Aussöhnung mit der mariavitischen Geschichte. Dabei gestand er als Priester der alt-katholischen Strömung von heute nüchtern und gemäß kritisch-historischer Methode ein, dass damalige Vorwürfe gegenüber der Strömung von Felicjanow in vielen Punkten nicht zutrafen. Es waren vielmehr Ablenkungen von eigenen Verfehlungen, die allerdings bald konsequent behoben worden waren. Diese wichtige Aufarbeitung bleibt nun unvollendet. Wer wird sie fortsetzen und zum Abschluss bringen? Zum anderen unterstützte Bruder Pawel in priesterlichem Dienst die Arbeit des neuentstandenen Episkopalen Netzwerkes in Polen und den episkopalen Gemeindeaufbau und leitete den monatlichen Gottesdienst der Initiative in Krakow. So wie bei der Frage nach der priesterlichen Betreuung der gemischt-mariavitischen Gemeinde in Krakow stellt sich nun auch hier die Frage: Wer wird diese Arbeit fortsetzen? Wir wissen nur zu genau: Der Verlust wiegt schwer.


Wir alle schätzen an seiner menschlichen Person, wie wir sie zuletzt kennen lernten: Seinen Glauben an die geistige Dimension und den Zugang zu ihr in einem jeden von uns, seine Gutmütigkeit, sein Wohlwollen, seine Ausgeglichenheit, Toleranz und Geduld, obwohl nicht immer so viel Unterstützung für seine Vorhaben zurückkam, wie er sie uns freimütig ganz aus seinem Selbstverständnis heraus gab. Insgesamt kennen wir ihn als unablässig engagierten, aber unaufgeregten, selbstlosen und unermüdlichen „Arbeiter im Weinberg des Herrn“ - darin ein menschliches Vorbild für einen jeden von uns.         


Mit uns, den Mitgliedern und Freunden des Ökumenischen Kongregation der Mariaviten, fühlen in ähnlicher Weise: die Familie, alle Gemeindemitglieder der Gemeinde „Maria Magdalena“ in Krakow, die mariavitischen Kirchen beider Strömungen und alle die ihn aus anderen Zusammenhängen kennen, schätzen oder lieben gelernt haben. Wir schließen unseren lieben heimgegangenen Bruder Pawel Maria Rudnicki in unsere Gebete ein.


Michael M. Josephus Wolff,


(Leiter der kleinen Arbeitsgruppe in Deutschland)